Ausbildung der afghanischen Polizei – Neue Fakten
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09.05.2011 / Inland / Seite 5
Desaster am Hindukusch
Tausende US-Berater und mehr als 200 deutsche Polizisten kommen nicht voran:
Ausbildung afghanischer Kollegen floppt. Bundesregierung betreibt
Schönfärberei
Von Frank Brendle
Die Bemühungen der Bundesregierung, beim Aufbau einer afghanischen Polizei
mitzuhelfen, verpuffen praktisch folgenlos. Das geht aus der
Regierungsantwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Ulla
Jelpke hervor.
Voran geht es allenfalls quantitativ: 113000 Polizisten erhalten derzeit
Gehälter aus einem gemeinsamen Topf westlicher Staaten. Wie viele dieser
Polizisten ihren Dienst tatsächlich verrichten, kann die Bundesregierung
nicht sagen. Die desolate qualitative Situation versucht sie hingegen nach
Kräften schönzureden. So bestätigt sie zwar, daß der Kommandeur der
NATO-Trainingsmission, General William Caldwell, Ende 2010 ausgeführt hatte,
daß die meisten afghanischen Polizisten die Gesetze überhaupt nicht kennen,
die sie durchsetzen sollen. Zudem seien sie von der Bevölkerung als
»gesetzlose bewaffnete Männer« gefürchtet. Nach neun Jahren
Ausbildungsprogrammen durch Tausende US-Berater und derzeit über 200
deutsche Polizisten ein vernichtendes Fazit. Aber: Seither habe sich vieles
zum Besseren gewandelt, wird behauptet. Als Beleg verweist die
Bundesregierung auf bescheidene administrative Maßnahmen wie die Schaffung
von Rechtsberatern, die auf Provinzebene eine »rechtsstaatliche Ausbildung«
anböten.
Eines der größten Probleme bleibt die hohe Analphabetenrate. Seit 2002
unterstützt Deutschland , die mittlerweile in fast jedem Distrikt der
deutsch »betreuten« Nordgebiete angeboten werden. Insgesamt haben dennoch
nicht mehr als 7500 Polizisten solche Kurse besucht. Sie dauern in der Regel
ein halbes Jahr, bei durchschnittlich zwölf Stunden pro Woche. Damit werde
ein »Mindestmaß an Fähigkeiten im Bereich Lesen und Schreiben« angestrebt,
so die Bundesregierung. Wenigstens behauptet sie nicht, daß die Absolventen
anschließend die Gesetze verstehen, die sie durchsetzen sollen.
Doch selbst hier verpuffen die bescheidenen Fortschritte sofort: Während die
NATO-Mission noch vor rund einem Jahr davon ausging, daß 70-85 Prozent der
unteren Dienstgrade nicht lesen und schreiben können, liegt die Schätzung
jetzt bei stolzen 89 Prozent. Die Vermutung liegt nahe, daß Kursabsolventen
sich umgehend nach einer weniger gefährlichen und besser bezahlten Arbeit
umsehen. Aufschlußreich ist der Hinweis, daß nach CIA-Angaben die
Analphabetenrate bei der männlichen Gesamtbevölkerung bei 57 Prozent liegt,
also deutlich niedriger als bei der Polizei. Für Jelpke ein Hinweis auf den
schlechten Ruf der Polizei.
Weiterhin ist es so, daß für die unteren Dienstgrade nicht mehr als sechs
Wochen Ausbildung angesetzt sind. Damit sollen sie dann helfen, die Taliban
zu bekämpfen. Die Bundesregierung erfaßt nicht, wie viele Polizeirekruten
nach der Ausbildung bei der Truppe bleiben – damit fehlt ihr auch jegliche
Möglichkeit, die eigenen Anstrengungen vernünftig auszuwerten. Berichte
zurückgekehrter deutscher Polizisten, der UNO und selbst von NATO-Stäben
über die nahezu zwangsläufige Folge – Korruption, Wegelagerei,
Menschenrechtsverletzungen bis hin zum Halten minderjähriger »Sexsklaven« –
tut die Bundesregierung mit dem Hinweis ab, sie habe dazu keine »eigenen
Erkenntnisse«.
Seit Februar dieses Jahres führt das deutsche Polizeiteam sogenannte
»train-the-trainer«-Programme durch. Bis Ende 2012 sollen insgesamt 1100
afghanische Polizisten befähigt werden, die Ausbildung ihrer Kameraden
selbst in die Hand zu nehmen. Doch auch das ist nicht neu. Schon früher
wurden nach Angaben der Bundesregierung 100 afghanische Trainer »mit Erfolg«
fortgebildet. Von diesen sind heute aber nur noch 30 als Ausbilder tätig.
Jelpke kritisiert: Was die NATO da aufbaue, sei keine Polizei, sondern nur
eine weitere Aufstandsbekämpfungstruppe, die die Bevölkerung drangsaliere.
Die deutschen Polizisten sollten umgehend abgezogen werden.