Der strukturell undemokratische Verfassungsschutz ist unvereinbar mit Menschenrechten und Demokratie
Der strukturell undemokratische Verfassungsschutz ist unvereinbar mit Menschenrechten und Demokratie
(Vortrag anlässlich der Jahrestagung des Komitee für Grundrechte und Demokratie: Wer schützt (und gefährdet) die streitbare Demokratie – am Exempel Verfassungsschutz? Am 22./23. 9. 2012 in Köln)
(Vortrag anlässlich der Jahrestagung des Komitee für Grundrechte und Demokratie: Wer schützt (und gefährdet) die streitbare Demokratie – am Exempel Verfassungsschutz? Am 22./23. 9. 2012 in Köln)
Wolf-Dieter Narr
Ich beginne mit einem sparsamen Sprachwitz. Obgleich ich mitverantwortlich bin, scheint er mir im Kontext unseres Tagungsthemas symptomatisch. Weil der Witz so klein ist, signalisiert er nur ein Symptömchen.
Hört man sich den Vortragstitel an, fällt sogleich sein tautologischer Charakter auf. Auch hier kann man irren. Auch wenn man meint, wie ich, zu Zeiten des Kalten Krieges, ein für allemal die Nähe von Tautologien und Lügen erkannt zu haben. „Realer Sozialismus“. „Sog. SBZ“. Wenigstens sollte evident sein, dass ein „strukturell undemokratischer Verfassungsschutz“„unvereinbar mit Menschenrechten und Demokratie“ als Vortragsthema nichts taugt. Dass uns diese Tautologie nicht aufgefallen ist, lässt bemerken, wie eine gewisse Timidisierung selbstverständlicher grundrechtlicher Verfassungsgewissheit im Zeichen prekärer Berufe leissohlig herumschleicht (womit ich meine sonstigen Sprachdummheiten nicht rationalisieren möchte). Man fühlt sich gedrungen, dauernd mit dem Fuß aufzustampfen. Ja, ich stehe „auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“! Ja, ich bin Mitglied des „Bündnisses für Toleranz“! Ja, ich gehöre zur „Gemeinschaft der Demokraten in diesem Lande“! Usw., usf. Je öfters man mit ganzer Sohle auftritt, desto dumpfer tönt´s. Hohl der Klang, prickelnd von Misstrauen, den die stampfende Verfassungsgemeinschaft erzeugt.
So geht´s weiter nach dieser Einstimmung. In einem I. Teil will ich knapp pointieren, warum der 1950 geschaffene administrative Verfassungsschutz mit dafür gesorgt hat, dass eine lebendige demokratische Verfassung hürdenreich verhindert worden ist. Sie wird bis heute, allen Veränderungen zum Trotz, zäh ausgebremst. In der Bonner BRD 1 bis 1990. In der Berliner BRD 2 bis heute. Claus Leggewie und Horst Meier haben in ihrem gerade erschienenen Buch, das mir zu weitgehend brdherrschaftsimmanent bleibt: „Nach dem Verfassungsschutz“ grosso moto und sintemal das Nötige gesagt. (Dessen Untertitel stimme ich bis in die Begrifflichkeit hinein nicht zu: „Plädoyer für eine Neue Sicherheitsarchitektur der Berliner Republik“)
Im II. Teil werde ich einige Hinweistafeln aufstellen. Welche Verfassungsreformen es erforderte, sollte von demokratischer Politik anderer als in liberaldemokratisch geblümter Tuschzeichnung die Rede sein können. Den schwersten und wichtigsten III. Teil werde ich nicht mehr vortragen. Er enthält magere Überlegungen dazu, wie mehr als zirzensische Reformen in Gang gebracht werden könnten. Misstrauen gilt dem nahezu durchgehend präsenten Goodspeak. Sicherheitspolitisch pervers: Dangerspeak. Wer wird nicht attraktiv bürgerbeteiligt. Und gerade im Reden darüber ausgeschlossen.
I. Die Verfassung der Angst, der Sorge und üppigen Ersatzkaffees Erfolg
Ein Gemenge aus wenigstens vier Prägekräften gründete das Grundgesetz, seine Entstehung und seine frühen Jahre. Der nachwirkende Nationalsozialismus zuerst. Dann die Erschöpfung und individueller Überlebensdrang der trizonalen Bevölkerung. – Darum wirkt übrigens geradezu absurd, was wir Jüngeren wenig später mit den Mitscherliches als Unfähigkeit geißelten: die Fähigkeit, zu trauern, zu verlangen wie Wasser in der Wüste.- Die bedingungslose Niederlage, an dritter Stelle, verbunden mit einer weltgeschichtlich veränderten Situation als formierender Kontext. Schließlich: die deutsche Teilung und der erste Knoten schürzende Kalte Krieg. Siehe Griechenland wieder einmal 1947: siehe Berliner Blockade 1948.
Die zuerst provisorisch temperierte Verfassung Westdeutschlands, das Grundgesetz, wurde darum – mitten in Überlebensängsten, Persilscheinsuchen, neuen flexiblen Zeitberufen – konstituiert durch die rasch frostig gewordenen Gegebenheiten des KK (Kalten Krieg). In ihnen dominierten die Interessen der amerikageführten Westmächte. Darüber lagerte die nachnationalsozialistische deutsche Dunst- und Verwirrglocke, die Flucht ins private, die Flucht ins persönlich politische „Wieder!“. Der US-geführte Antikommunismus musste westbesatzungszonlich nicht neu erweckt werden. Er wurde zur alle durchdringenden Ideologie in den einseitigen Stalingraderfahrungen, denen der Vertreibung, denen der Vergewaltigung scheingegründet.
Langum: das war keine Zeit der Verfassungsreflexionen und Verfassungsexperimente. Das war keine Zeit emphatischer Befreiung. Das Geschäft nachnationalsozialistischer Häutung hielt an. Trümmerfrauen, Kinder und mehrfache männliche Invaliden waren alles andere als freiheitskräftig. Sie waren überlebensstur.
Diesseits aller abstrakten Moral ist darum das Grundgesetz und sind seine Grundrechte bar eines lernoffenen Reformwillens angst- und sorgegeprägt. Zeichen dafür sind im Text des Grundgesetzes selbst: die Zahl der Einschränkungen und Verbotsdrohungen schon im Grundrechtsteil und im Zwischenknochen des GG, Art. 21 GG. Von Helmut Ridder wurde freiheitliche Befindlichkeit nach der Prämisse sich schließlich politisch schürzender Unsicherheiten und Abhängigkeiten am besten pointiert. Zeichen sind die angstunterlegten Tabuformeln von Art. 1 Satz 1 GG – „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – bis zu Art. 79 Abs. 3 GG, der sogenannten Ewigkeitsklausel. Zeichen für den zunächst von außen gezwungengedrungenen Weg ins gehemmtzögerliche Freie geben die Stahlbetonierung auf der Suche nach einer fast unbekannten repräsentativen Demokratie. Ineins damit schreit eine Lücke, könnte sie denn. Bürgerinnen und Bürger kommen als politische Wesen nicht einmal hauchhaft vor. Der rare Findling: Art. 8 GG. Abgesehen vom notorischen Verzicht auf ökonomische und soziale Grundrechte finden sich im Grundgesetz eine Reihe folgenreicher vorrepräsentativdemokratischer Normen. Hinzu gehören Art. 33 GG: der große und wirkungsmächtige Brocken des Berufsbeamtentums. Siehe vor allem Art. 33 Abs. 2 und 5 GG. Nicht zufällig ´gehörte 1949´ die erste Amnestie des neuen Bundestages der Amnesie des nazistisch, in jedem Fall ein gutes Jahrhundert lang durch und durch autoritär imprägnierten Beamtentums (und, nota bene, weitgehend seiner bürokratischen Institutionen). Zu den Altbeständen gehört im Grundgesetz, in Art. 116 GG versteckt, der „Begriff des ´Deutschen´“, also die Bestätigung des deutschen Staatsbürgerrechts im Sinne des Reichsgesetzblatts vom Juli 1913. (Dessen vorausgreifende Blubofassung, in die deutsche Nationswerdung eingelagert1, macht vor allem seit der Anwerbung und späteren Immigration ausländischer Arbeitskräfte in den späten 50er Jahren nicht nur den im politischen Zaum gehaltenen Ausländerinnen und Ausländern zu schaffen. Sie ist trotz der allzu sachten Modifikation im Jahr 2000 ein massives Hindernis der bundesrepublikanischen Demokratisierung). Fragen der innig verbundenen„inneren und äußereng, primär STAATS-akzentuierten Sicherheit, wurden weitergehend erst im Laufe der bundesrepublikanischen Geschichte, des „wiederg „souveränerg Staatwerdens, verfassungsändernd ins GG eingebaut. Und das wurde entsprechend umgebaut.
((„Angelegenheiten des Verfassungsschutzes“ wurden in Art. 73 Zi 10 als Teil der „Ausschließlichen Gesetzgebung“ des Bundes katalogisiert. 1972 wurde Art. 73 Zi 10 erheblich erweitert. Der Bund hat nun die „ausschließliche Gesetzgebung über“ „10. die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder…b) zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes (Verfassungsschutz) und c) zum Schutze gegen Bestrebungen im Bundesgebiet, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitung auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährde,, sowie die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes…“ 1950 wird das 1. Bundesamt für Verfassungsschutz eingerichtet.))
„Die Erfindung des Verfassungsschutzes“, wie Leggewie/Meier es nennen (S. 59 ff.), wird durch ein eigenes Zusammenarbeitsgesetz von Bund und Ländern im September 1950 gesetzgegossen. Der vom ersten Hahnenschrei an demokratisch perverse „Schutz“ erhielt seine tragende Legitimationsformel als Behörde der Feindinnen- und Feinde Innenundaußenaufklärung durch die beiden verfassungsgerichtlichen Verbotsurteile. Das SRP-Verbot 1952; KPD-Verbot 1956. In ihnen wurde „die freiheitliche demokratische Grundordnung“, im Grundgesetz nur ein unbestimmter werthauchender Ausdruck zur grundgesetzlichen Wertformel potentiell übergrundgesetzlicher Geltung in den Adelsstand erhoben. Im Anschluss an Otto Kirchheimer hat darum Uli Preuss von einer missbrauchsgefährlichen zweistufigen Legitimität gesprochen.2 Die bürokratisch legale Legitimation des verfassten Rechtstaats im Sinne Max Webers wird durch die der „freiheitlichen demokratischen Grundordnungg überlagert. Sie ist himmelsdunstig sicherheitsmeteorologisch opportun zu fassen. Sie steht der jeweiligen herrschenden Meinung zur Disposition. In der Regel wird sie von der zuständigen bürokratischen Instanz anwendend bestimmt. Das schafft die Macht des Bundes- und der Landesämter für Verfassungsschutz. Als verfasster Schutz bestimmen sie im Alltag, was „Verfassungg ist, sein darf und wo sie verletzt wird. Der Verfassungsschutz ist administrativ extrakonstitutionell geprägt, bis heute mit der verfassungsgerichtlich geschaffenen wesensleeren Aura der fdGO ausgestattet. Dieser KalteKriegsdumme Ersatzverfassungsschutz blieb bis heute eine feindgerichtete, ängstehybride Form. Sie entwickelt sich bürokratisch in einer immer abrufbaren Folge von Sicherheitsängsten. In der Annahme, Bürgerinnen und Bürger bildeten das Sicherheitsrisiko gerade als „Schläferg gilt: „Fürchte den Nächsten wie dich selbst!g Darum das Sicherheitssurrogat Verfassungsschutz. Er stellt nicht erst neuerdings die Gefahr dar, die sich selber nährt. Er ist autopoetisch wirksam. Er schafft Grundrechte und Demokratie mehrstufig ab. Darum ist er ohne V-Leute und Geheimhalterei nicht zu machen. Sonst erblasste er angesichts seiner eigenen jahrzehntelangen demokratisch kontraprodukiven Kraft vor sich selbst. Und zugleich, glücklicher Weise: angesichts seiner faktischen Kraftlosigkeit.
II. Demokratisierung! Der wahrhaft präventive Verfassungsschutz
Leggewie/Meier haben recht. „Der Verfassungsschutz bietet keine Lösung, es ist nur das symptomatische Problem einer Demokratie, die sich einst selbst nicht traute.“(S.10)
Und sie haben im Nachsatz unrecht. „Die Berliner Republik – längst dabei eine selbstbewusste Demokratie zu werden – hat solche Extremistenspiele nicht länger nötig.“ (S. 10)
Unrecht haben die Beiden nicht primär deswegen, weil ihre lückenreiche verfassungsschützerische Fehlersumme deren evidenzbasierte Folgerung die etablierte BRD nicht überzeugen dürfte. „So gesehen“, folgern sie am Ende (S.169), „wäre die Auflösung des Verfassungsschutzes eine Sache praktischer Vernunft, ja sie wäre, recht verstanden, ein Akt der Verfassungsfreundlichkeit. …“
Auf der Oberfläche bemerkt das Autorengespann nicht, wie sehr Verfassungsschutz – und die immer auch innen antidemokratisch ausfranzenden Geheimdienste insgesamt, von ihrer parlamentarischen Lähmung nicht zu reden –, in Institutionen und Funktionen dieser lernarmen Republik auf ihrem Weg zur staatlichen Souveränität heutiger Möglichkeiten eingelassen worden ist. Zu diesen Institutionen und Funktionen zählen mit raren Ausnahmen die vorpolitischen und politischen Habitus des potentiellen und aktuellen politischen Personals. Hinzugesellt sich mutmaßlich eine Mehrheit der nie freiheitswindig geschulten Bevölkerung. (Eines der Hauptargumente gegen das NPD-Verbot!)
Viel widerspenstiger als die mannigfaltigen Ablagerungen bundesdeutscher Geschichte sind jedoch neuere Entwicklungen innerhalb und außerhalb der BRD. Sie begrenzen die ohnehin überall präsente, indes gestaltungsschwache repräsentative Demokratie und ihren angeblichen Parteienstaat massiv. Ja, sie gefährden die ohnehin nur elitedemokratisch getunkte Politik als Politik insgesamt. Wer die Krise der Politik nicht wahrnimmt, kann sich nicht einmal vorstellen,wie sie wenigstens zu modifizieren wäre. Er ist borniert mitten im demokratischen Als Ob zufrieden, so der Bauch stramm sich spannt. Von vorigen Krisen- und Katastrophenfällen soll geschwiegen werden. Was sich seit 2008 im nahezu allen Größenordnungen von „systemischen“ Banken und Staaten bis zu den Ärmsten der Armen an Finanzblasenfaszinationsverhalten – pardon! – abspielt – und danach an Pump versuchen – könnte als eine einzige Veranstaltung in Sachen politischer Verarmung bezeichnet werden. Kein Ende der Blasen und ihrer Folgen ist abzusehen. Nur ein hektisches Blasenverschieb- und seinerseits blasenhaftes Blasenkontrollgetümmel.
Einige Stichworte dazu, wie Menschenrechte und Demokratie mitten in dem Geschiebe und der Blockade riesiger globaler Machtaggregate und ihrem Menschen- und Umweltmüll schon verkommen sind, bevor sie aufkommen. Sie müssten genauer in Genesis und Geltung dargelegt werden.
Die riesigen Größenordnungen der sog. Informationsgesellschaft und ihres hektischen Zeitverbrauchs, zum ersten. Die überschießenden Informationen à la Geld u. a. sind nicht verlässlich. Vor allem fehlt´s an der Urteilskraft, sie zu interpretieren. Das macht Einrichtungen des „Rechts“, ihres tatsächlichen Wirrwarrs, ihrer anscheinshaften Berechenbarkeit trotz längst verlorener Rechtssicherheit so pseudostark. Schon dem mehrfach überforderten Gesetzgeber hapert es „systemisch“ an Urteilsvermögen. Nur noch Informationen erfassende Bürokratien expandieren. Sie praktizieren im Sinne eines alltäglichen Terrorismus eine auf ihre jeweiligen Klienten, sogenannte Bürgerinnen und Bürger, angewandte Abstraktion. Sie wirkt zuerst als Dissoziation. Kein Internet vermag sie aufzuheben.
Die bleibende Bedeutung von Grenzen, von Exklusionen und Inklusionen, ist an zweiter Stelle zu nennen. Zugleich sind die Effekte in- und extensivierter Konkurrenz weder lokal, noch staatlich noch überstaatlich zu beherrschen mitsamt ihren mannigfaltigen Kollateralfolgen.
Die Ohnmacht schließt an dritter Stelle an, irgend verantwortliche Politik angesichts des omnipräsenten ökonomisch-monetären Kalküls zu institutionalisieren. Das ist die Hauptschuld heutiger Politikerinnen und Politiker. Nicht, dass sie nichts tun. Das vermögen sie in den Hauptsachen nicht. Dass sie vielmehr medial umschwirrt verwirrt, schauspielern, als könnten sie. Von verantwortlicher Politik, der großen Erfindung aufgeklärten, den arcana imperii feindlichen Bürgertums, kann nur schwarzhumorig die Rede sein.
Die Wirkungsohnmacht auch nur repräsentativer (Schein-)Demokratie, ergibt sich zum vierten wie von selbst. Von Angst, Ohnmacht und projektiven Identifikationen wird der Teppich der Legitimation durchwirkt. Er zeigt(e) sobald, dass er grundrechtlich demokratisch nichts wert ist, wie die Lebens- und Vorurteilsstandards der allein zählenden Mittelschichten drastisch sänken. Das Suchbild täuscht noch an sich selbst. Als ließen sich politische Bürgerinnen und Bürger finden.
Die informationell technologisch-bürokratische Ersatzform von Politik schließlich weist den Weg zur präventiven Kontrolle nur teilweise herkömmlicher Staatsformen und ihrer Institutionen. Sheldon Wolin, im exzellenten Reputationsspeak aus Princeton, einer der trefflichsten amerikanischen Politikwissenschaftler, hat deswegen 2008, zu nahe bezogen auf die Bush-Administration, von der Inkubation eines „inverted totalitarianism“ gesprochen.
Mit einigen Schlagworten wurden Krisenausdrücke der Politik benannt. Exemplarisch wären sie an fast jedem Gegenstand und jeder Institution darstellbar. Mobilisierte die katastrophenhaltige strukturfunktionale Unfähigkeit zu Politik in realer Angst wenigstens so kleine und kleinste Einrichtungen wie das Komitee, dann hieße es, dass wir bewusster und gezielter unten ansetzten. Eingedenk freilich der riesigen Rahmenvorgaben und der nicht auszulotenden Probleme der Vermittlung. Des letzteren halber könnte es sinnvoll sein, dass wir an einer anderen Verfassung der EU laborierten, wie kritisch 2004 schon einmal . Auf einer weiter unten angesiedelten Ebene könnten wir Gedanken aufnehmen, die ein Noch-nicht-Mitglied des Komitees, in Richtung der Gemeinde „als Strukturtyp der Politik“ vor Jahrzehnten skizziert hat. Hier, im Kontext, könnte angemessener Weise erst über neue und andere Beteiligungsformen gesprochen werden. Der Stuttgarter Fall überall. Demokratisierung in Bereichen, die viele bürgerliche Existenz prägen, die jedoch repräsentativ pseudodemokratisch pauschal ausgeblendet werden: tatsächlich von der längst nicht mehr einfach gegebenen Wiege bis zum ebenso kompliziert gewordenen Tod. Nur demokratisierende Formen böten überhaupt Wege, die Urteilsklüfte zu überbrücken, die sich überall auftun. Sie verschlingen uns Menschen samt unseren Nöten und Bedürfnissen. (Beim Noch-Nicht-Mitglied des Komitee handelt es sich um den mutmaßlich allen unbekannten, mir eng befreundeten Rolf Richard Grauhan, Jurist und Politikwissenschaftler in Bremen. Er nahm sich 1979 selbst das Leben.) Schließlich landen wir, noch aufwändiger, wo wir ohnehin sind: bei Demokratie, Demonstrationen und demonstrativer Aufklärung. Und wir tun es sogar beim Ärgernis im Allgemeinen und je Besonderen: den Institutionen primär und den Tätigkeiten sekundär der vielfach verwachsenen Gestalt und ihres Unwesens: dem Verfassungsschutz. Er wäre und ist einzudecken, mit Anfragen über Anfragen. Mit Klagen über Klagen. Dieser staatlich herrschaftliche Selbstschutz aus nie ausgehender Dummheit ist bisher immer gewachsen. Geradezu genial ist seine unendliche Geschichte zu nennen, sich skandalöse Fallgruben in einem fort zu graben. Und daraus als seltsamer Phönix aschengestaltig größer zu entstehen. Darum gehen uns auch hier die Klagen und die „systemische Lache“ nicht aus.
Prius und primär, mit Ernst Bloch gesprochen, zuerst und an erster Stelle bleiben jedoch selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger ermöglichende und von ihnen ermöglichte demokratisierende In- und Extensivierung: der Schutz einer lebendigen Demokratie. Sie schließt bürgerlich ein. Sie schließt nicht feindfixierend und selbst fixiert aus.
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1 Siehe neuerdings zum Kontext Shlomo Sand: The Invention of the Jewish People, pb London 2010, 1. Making Nations: Sovereignty and Equality, S.23-63.
2 Ulrich K. Preuß: Legalität und Pluralismus; Beiträge zum Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland; Frankfurt am Main 1973