Geburtstagsparty im Kanzleramt
Der zähe Abschied vom Amtsgeheimnis
Geburtstagsparty im Kanzleramt
Geburtstagsparty im Kanzleramt
Josef Ackermann oder: Der zähe Abschied vom Amtsgeheimnis
Von Thilo Bode und Katja Pink
Von Thilo Bode und Katja Pink
Blätter für deutsche und internationale Politik, Juni 2012
Selten hat ein Abendessen für derartige öffentliche und mediale Aufmerksamkeit gesorgt wie jenes, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel am 22. April 2008 gab – nämlich für Josef Ackermann, seines Zeichens Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank bis Ende Mai 2012.1
Was aber ist eigentlich, so könnte man fragen, besonderes daran, wenn die Kanzlerin einen bedeutenden, ja vielleicht den bedeutendsten Wirtschaftsführer ihres Landes aus Anlass seines 60. Geburtstags mit seinen Freunden, Geschäftspartnern, Sponsorenempfängern und mit Journalisten zu sich ins Bundeskanzleramt einlädt? War das bloß business as usual, war es ein übliches Kanzlerabendessen zum informellen Meinungsaustausch mit Vertretern aus Wirtschaft und Kultur – oder ist es ein Beleg für den beherrschenden Einfluss der Finanzlobbyisten auf die Regierungspolitik? Wurde hier sogar amtsmissbräuchlich die gebotene Trennlinie von Öffentlichem und Privatem überschritten und das Bundeskanzleramt aus serviler Gefälligkeit für Herrn Ackermann zweckentfremdet?
Dies aufzuklären war der Anlass für eine Anfrage der Autoren nach dem deutschen Informationsfreiheitsgesetz (IFG).
Das Informationsfreiheitsgesetz: Öffentliche Kontrolle der Macht
Das Informationsfreiheitsgesetz steht in der Tradition des US-amerikanischen Freedom oi Information Act (FOIA), der 1964 unter Präsident Lyndon B. Johnson beschlossen wurde und jedem US-Bürger das Recht zusichert, von Behörden Informationen zu erfragen. Er stellt den Gegenentwurf zum aus dem absolutistischen Staat stammenden Amtsgeheimnis als Herrschaftsprinzip dar, das grundsätzlich alle behördlichen Informationen als geheim einstuft, weshalb ihre Herausgabe begründet werden muss. Nach dem FOIA sind dagegen Behördeninformationen grundsätzlich öffentlich, vielmehr muss ihre Geheimhaltung begründet werden. Mit der Einführung des IFG wurde auch in der Bundesrepublik der Grundsatz des Amtsgeheimnisses aufgegeben.
Das Gesetz ist – jedenfalls theoretisch – bahnbrechend für die Stärkung der hiesigen Demokratie. Dass es weder von der Regierung noch vom Parlament initiiert, sondern von außerparlamentarischen Gruppen wie dem „Netzwerk Recherche” angestoßen und vorangetrieben wurde, bestätigt indirekt dessen Bedeutung.2
Wichtig ist es nicht nur, weil es die notwendige Transparenz, ohne die Demokratie nicht funktionieren kann, herstellt, sondern auch, weil es damit effektiv zur Kontrolle von Macht beiträgt. Denn Bürgerwahlen werden in einer repräsentativen Demokratie zunehmend bedeutungslos, wenn nur die Delegation, aber nicht die Kontrolle der Macht gewährleistet ist. Dann steht der Macht der Regierungen die Ohnmacht der Bürger gegenüber und die Demokratie verkommt zur bloßen Worthülse.
Gerade die Finanzkrise, aber auch die daraus resultierende europäische Staatsschuldenkrise haben dieses Gefühl der Ohnmacht erheblich verstärkt. Insbesondere der übermächtige Einfluss der Finanzlobby muss transparent gemacht werden und bedarf der öffentlichen Kontrolle. Denn auch in Deutschland wurden entscheidende Deregulierungsmaßnahmen des Finanzsektors auf der Verwaltungsebene durch das Zusammenwirken der privaten Finanzlobby, der staatlichen Finanzaufsicht und der Regierung eingeführt – und zwar unter Umgehung sowohl des Parlamentes als auch der Öffentlichkeit.3
Die Kontrolle der Macht darf jedoch nicht allein dem Parlament vorbehalten sein, sondern muss darüber hinaus durch die breitere Öffentlichkeit erfolgen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger am politischen Meinungsbildungsprozess teilhaben, Regierungshandlungen beurteilen und Poütiker wählen und abwählen können. Nicht nur, was die Regierung entscheidet, sondern auch wer an diesen Entscheidungen beteiligt ist, muss für den Bürger transparent sein. Dazu gehört, wem und in welchem Umfang – etwa von den Interessenvertretern der Finanzwirtschaft – Zugang zur Bundeskanzlerin gewährt wird.
Informationsblockade statt Informationsfreiheit
Deshalb stellten die Autoren am 7. Juli 2009 folgende Fragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz: Wer waren die eingeladenen und erschienenen Gäste, und wie wurden sie eingeladen? Welche Rede hat die Kanzlerin zu Ehren von Bankchef Josef Ackermann gehalten? Welche Kontakte zwischen der Kanzlerin und Vertretern des Finanzsektors gab es im Umfeld der Einladung laut Terminkalender der Kanzlerin? Und: Wie hoch waren die Kosten der Einladung?
Das jedoch ein Gesetz, welches zur Stärkung der Demokratie demokratisch beschlossen wurde, diese Stärkung noch lange nicht automatisch bewirkt, sondern dass darum erbittert gekämpft werden muss, war eine wesentliche Erkenntnis der hier beschriebenen Anfrage. Erst vier Monate nach der Antragstellung – und damit nach signifikantem Überschreiten der vom Gesetz geforderten Antwortfrist – gewährte das Bundeskanzleramt schließlich am 26. November 2009 den Antragstellern einen Teil der begehrten Informationen. Die Namen der Gäste, die der Veröffentlichung ihrer Identität nicht zugestimmt hatten, bheben geheim, weite Passagen des Redeentwurfs für die Kanzlerin waren geschwärzt und nicht einmal die Kosten der Veranstaltung machte das Kanzleramt zugänglich.
Dagegen legten die Antragsteller am 19. Dezember 2009 Widerspruch ein, über den das Bundeskanzleramt niemals entschied, so dass am 24. März 2010 die Kläger eine Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht Berlin erhoben. Es sollte geschlagene drei Jahre dauern, bis das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg schließlich am 20. März 2012 endgültig urteilte.
Das schwarze Loch der Demokratie
Die Geschichte dieses Streits dokumentiert also zunächst einmal eines: die Arroganz der Macht, die sich schon längst von der Idee entfernt hat, dass sie vom Volk kontrolliert und diesem Rede und Antwort stehen muss. Die Geschichte dieses Streites dokumentiert aber auch, wie der Einfluss mächtiger Wirtschaftsehten mittlerweile Bestandteü des alltäglichen Regierungshandelns geworden ist. Und der Streit macht auch klar, dass Bürger in unserer Demokratie täglich um diese kämpfen müssen, damit sie nicht ausgehöhlt, sondern gelebt und weiterentwickelt wird.
Die Kläger trafen nicht auf eine Behörde, die einen begründeten Antrag bürgerfreundlich beantwortet – durchaus auch abschlägig, falls es dafür gute Gründe gibt. Nein, den Antragstellern wurde mit jedem Schreiben, jeder Verzögerung vermittelt, dass ihr Inf ormationsbegehren als unbotmäßige und lästige Arbeitsbelastung angesehen werde. Niemals entstand der Eindruck, dass die Behörde die Anfrage auch nur im Mindesten als legitimes demokratisches Recht von politisch engagierten Bürgerinnen und Bürgern betrachtete. Mit Zähnen und Klauen versuchte sie stattdessen, auch noch triviale Informationen zu verweigern, wie etwa die Sammelrechnung der Kanzlerküche, aus der sich die Kosten des Abendessens herleiten ließen.
Der Geheimhaltungswahn der Bürokratie wirft für die Demokratie fundamentale Fragen auf: Dürfen Bürgerinnen und Bürger nichts wissen, aber dafür alles zahlen? Darf der Bürger nur noch im Nachhinein wissen, an welche Banken Unsummen von Steuergeldern gezahlt wurden? Muss im Interesse der Regierung tatsächlich vor ihm geheim bleiben, ob und wie oft sich der Zahlungsempfänger, seine Gläubiger und Interessenvertreter mit der Bundeskanzlerin getroffen haben und dadurch Entscheidungen durch unmittelbares Gehör beeinflussen konnten? Überwiegt das Geheimhaltungsinteresse des Staates das Informationsinteresse der Bürger, so dass die Handlungen der Mächtigen der Kontrolle des Bürgers und damit nach dem hier angewandten Maßstäben auch einer parlamentarischen Kontrolle entzogen bleiben?
Mit wem die Bundeskanzlerin einen Termin vereinbart hatte, sollte nach der behördlichen Begründung zum nicht ausforschbaren Handlungsbereich der Bundesregierung gehören. Ist der Zugang zur Bundeskanzlerin demnach das schwarze Loch der Demokratie, in dem jeder verschwinden darf, der hier persönlich die Gelegenheit erhält, von der stärksten politischen Kraft im Staate mit seinem Anliegen gehört zu werden?
Angela Merkel ließ jedenfalls verlauten, das Ziel der Einladung sei ausdrücklich das Gespräch mit Vertretern der Wirtschaft, Kultur, Bildung und Forschung gewesen: „Ich bin jemand, der immer versucht, auch Gruppen, die normalerweise nicht zusammenkommen, zusammenzubringen. “4 Es gebe immer wieder Abendessen im Kanzleramt, zu denen Merkel interessante Gäste einlade, pflichtete Vize-Regierungssprecher Klaus Vater bei. Die Kanzlerin lege bei solchen Anlässen Wert darauf, „ dass Menschen sich treffen, die sonst wenig miteinander zu tun haben”. So könne etwa ein Sportler dann neben einem Manager sitzen oder eine Politikerin neben einem Schauspieler.
Demnach sei die Art der Veranstaltung mit einer ganzen Reihe von anlassbezogenen Abendessen und Begegnungen vergleichbar, sei im Grunde business as usual gewesen.5 Dennoch musste sich die Bundeskanzlerin wegen der Ausgaben für die Abendveranstaltung vor dem Haushaltsausschuss des Bundestags rechtfertigen. Der SPD-Haushaltsexperte Johannes Kahrs betonte: „Es kann nicht sein, dass Herr Ackermann Gäste ins Kanzleramt einlädt, und der Steuerzahler dafür aufkommt. Wir sind doch keine Bananenrepubhk. “6 Und der haushalts-politische Sprecher der SPD, Carsten Schneider, äußerte forsch: „Ich halte diesen ganzen Vorgang für nicht akzeptabel. Er zeigt aber die enge Verknüpfung zwischen der Deutschen Bank und auch dem Kanzleramt. Und das bereitet mir schon Sorgen. “7
In der Tat, Sorgen waren angebracht: Denn was war das eigentlich für eine politische Lage, in der die Kanzlerin den wohl mächtigsten Wirtschaftsführer ihres Landes in ihrem Allerheiligsten, dem Kanzleramt, zum Abendbrot empfing?
Die politische Lage im Frühjahr 2008
Im Frühjahr 2008 war die Finanzkrise bereits entbrannt. Nicht nur in den USA gerieten Investmentbanken (Bear Stearns) ins Schlingern und mussten vom Staat gerettet werden. Auch in Deutschland war das Beben schon zu spüren. Die Mittelstandsbank IKB hatte sich mit US-Ramschpapieren verspekuliert, die ihr die Deutsche Bank nicht nur angedreht, sondern auf deren Preisverfall sie obendrein noch erfolgreich gewettet hatte. Als die IKB ins Schlingern geriet, kappte die Deutsche Bank deren Kreditlinien und meldete die Probleme der Bankenaufsicht. Der Deutsche Finanzminister zahlte zehn Mrd. Euro aus der Staatskasse, um die IKB vor der Pleite zu retten und die Deutsche Bank erhielt ihre vom Ausfall bedrohten Kredite an die IKB zurück. Die letzte Tranche dieser Steuergelder floss – ohne Parlamentsbeschluss, ohne das Recht der Abgeordneten, Einsicht in die Dokumente zu nehmen – im Februar 2008, einige Wochen vor dem Geburtstagsessen im Kanzleramt. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss über die IKB-Affäre scheiterte jedoch an der damaligen Großen Koalition und dem Widerstand der FDP.
Der Vorfall ist durchaus repräsentativ – nämlich für den Umgang mit der Krise hierzulande, die den deutschen Steuerzahler bis dato mehrere 100 Mrd. Euro gekostet hat. Von den Finanzunternehmen kreierte, hochriskante, verbriefte Wertpapiere, die mit hohen Gewinnen, aber ohne ausreichende Haftung der Emittenten vermarktet wurden, sind die Hauptverursacher der Finanzkrise. Die profitable Vermarktung dieser Papiere war aber erst möglich, nachdem die Interessenvertreter der Finanzwirtschaft die hierfür erforderlichen staatlichen Regelungen durchgesetzt hatten. Anders als in den USA ist in Deutschland bis heute nicht aufgeklärt worden, wie und warum die Finanzlobby bei der Bundesregierung und dem Parlament die von ihr vorgeschlagenen Regelungen durchsetzen und warum sie unter der staatüchen Finanzaufsicht ihre ruinösen Geschäfte ungehindert betreiben konnte.
Fast alle im Bundestag vertretenen Parteien haben entweder aktiv die fatale Deregulierung des Finanzsektors vorangetrieben oder diese zumindest stillschweigend akzeptiert. Dementsprechend sind sie bis heute nicht an einer systematischen Aufklärung interessiert. Ein gewaltiges politisches Versagen, denn ohne Analyse dessen, was falsch gelaufen ist, können ähnüche Fehler in der Zukunft nicht verhindert werden.
Anders ist die Lage im Bereich der Tatsachenerhebung in den USA: Eine vom US-Präsidenten und vom Kongress eingesetzte unabhängige Untersuchungskommission kommt in ihrem schonungslosen Abschlussbericht zu dem Ergebnis, dass die Nähe und Verflechtung zwischen Regierung und Finanzindustrie als eine Hauptursache für das Entstehen der Finanzkrise angesehen werden muss. Der Untersuchungsbericht wurde zur Grundlage für die größte Regulierung des Bankensektors seit Präsident Franklin D. Roosevelt.8 Eine vergleichbare Regulierung ist in der Bundesrepublik und auf europäischer Ebene bisher nicht erfolgt. Dabei dürften in Deutschland die Ursachen für die Finanzkrise nicht anders liegen. Auch hier wird gezielter Lobbyismus eine entscheidende Rolle gespielt haben.
Chef lobbyist Josef Ackermann
Josef Ackermann war jedenfalls bis Ende Mai d.J. nicht nur Vorstandsvorsitzender einer der größten Investmentbanken der Welt, sondern auch Präsident des weltgrößten Bankenlobbyverbandes International Institute of Finance (IIF). Er war regelmäßiger Gast auf den Treffen der EU-Staatschefs und gehört zweifellos zu den ganz Großen der Branche, die für die Krise nicht nur mitverantwortlich sind, sondern auch noch an den anschließenden staathchen Rettungsmaßnahmen glänzend verdient haben.
Vor diesem Hintergrund ist seine Geburtstagseinladung ins Bundeskanzleramt politisch zu beurteilen: Mit diesem in der Geschichte der Bundesrepublik bis dahin einmaligen Ereignis erreichte die Macht des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank gegenüber der Regierung ihren sichtbaren Höhepunkt.
Zur Klarstellung: Natürlich kann die Kanzlerin jederzeit als Privatperson eine Geburtstagseinladung aussprechen, auch für Herrn Ackermann. Sie kann auch frei wählen, welche persönlichen Vertreter verschiedener gesellschaftlicher Gruppen sie zum informellen Meinungsaustausch einlädt. Organisiert die Kanzlerin aber für eine Privatperson eine Geburtstagsfeier im Bundeskanzleramt, zu der dieser die einzuladenden Gäste auch noch selbst bestimmt hat, so hat sie damit Regierungshandeln privatisiert.
Umso berechtigter war die Kritik der Opposition. Doch den lauten Töne aus den Reihen der SPD folgten keine Taten. In Windeseile wurde die Empörung der Parteiräson geopfert und der Vorfall im Haushaltsausschuss parteiübergreifend beerdigt.
Der Grund dafür: Die SPD hatte kein Interesse daran, dass die CDU gleichzeitig die näheren Umstände einer zur selben Zeit schwelenden „Dienstwagenaffäre” der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt ans Tageslicht zerren könnte und verzichtete daher stillschweigend auf die Untersuchung. So mutierte die von Kahrs angeprangerte „Bananenrepublik” ganz schnell zur Pseudodemokratie, in der das Parlament in seiner Kontrollfunktion der Regierung kläglich versagte.
Parlamentarische Kontrolle allein ist nicht genug
Allein parlamentarische Kontrolle der Macht reicht also offenbar nicht aus, das zeigen die Umstände des Geburtstagsessens besonders deutlich.
Das Oberverwaltungsgericht entschied schließlich im Sinne der Transparenz. Die Namen aller Gäste, und zwar nicht nur der erschienenen, sondern auch der eingeladenen, müssen demnach veröffenthcht werden, ebenso wie die geschwärzten Stellen des Redeentwurfes der Kanzlerin. Übergeben werden muss auch eine Sammelrechnung, aus der sich die Kosten der Veranstaltung abschätzen lassen. Die Veröffentlichung des Terminkalenders wurde lediglich aus Sicherheitsgründen, die speziell die Kanzlerin betreffen, abgelehnt. Grundsätzlich sei aber, so die wegweisende Entscheidung des Gerichtes, der Terminkalender von Politikern und Behördenleitern Gegenstand von Informationen nach dem Informationsfreiheitsgesetz.9
Die eingeklagten Informationen zeigen: Es war beileibe kein Meinungsaustausch zwischen Personen, die „normalerweise nicht zusammenkommen” (Angela Merkel), sondern von Personen, die sich regelmäßig sehen. Das Kanzleramt und Frau Merkel persönlich hatten die Öffentlichkeit schlichtweg für dumm verkauft. Nein, Josef Ackermann saß nicht neben einem geprellten Sparer und Angela Merkel nicht neben einem Altenpfleger, sondern neben Friede Springer, Mathias Döpfner und Co. Josef Ackermann hatte in erster Linie seine Geschäftsfreunde eingeladen, aber auch etwa den Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker, die als Sponsorenempfänger der Deutschen Bank stets werbewirksam auf deren finanzielles Engagement für die Kultur hinweisen.
Servile Lobeshymnen aus dem Mund der Kanzlerin
Obwohl zu diesem Zeitpunkt schon klar war, dass es die Investmentbanken waren, die wesentlich zum Entstehen der Finanzblase beigetragen hatten, schmeichelte Kanzlerin Merkel laut Redeentwurf dem Gast, die Aufgabe, „den Jubüar zu würdigen und seine Leistungen herauszustellen”, falle ihr „besonders leicht”, auch weil sein „persönlicher Beitrag zur Entwicklung des Finanzstandortes Deutschland kaum zu überschätzen” sei.10 Diese servilen Lobeshymnen machen erschreckend klar, dass die Kanzlerin sich in eine Lage manövriert hatte, in der sie fast zwangsläufig einen Untersuchungsausschuss ablehnen musste über mögliche aktienrechtliche Verstöße der Deutschen Bank und deren Vorstandsvorsitzenden, der offensichtlich als ihr engster finanzpolitischer Berater agierte.
Was aber lernen wir aus alledem? Die Geburtstagsfeier im Kanzleramt dokumentiert eine bedrohliche Erosion demokratischer Prinzipien: Lobbyismus besteht nicht länger nur darin, in der Vorhalle („Lobby”) zur Macht auf die Entscheider Einfluss zu nehmen. Die vom Bürger delegierte Macht wird in einer Mischung aus Inkompetenz und Naivität von den politisch Ermächtigten an marktbeherrschende Interessengruppen abgegeben. Die Lobbyelite ist heute mit der politischen Machtelite in einem Ausmaß verschmolzen, dass die informelle Mitregierung der Finanzlobby die erforderliche Trennung von Öffentlichem und Privatem verschwinden lässt.
Doch die Ausübung eines politischen Amtes zum Zweck des Allgemeinwohls verlangt gerade diese Grenzziehung zwischen Öffentlichem und Privatem. Die Verschmelzung ist heute jedoch so weit gediehen, dass sie von den Regierenden nicht mehr als Gefahr gesehen, sondern als hilfreich, ja als Notwendigkeit internalisiert worden ist. Politiker missdeuten ihren vertrauten Umgang mit der Wirtschaftsmacht als Ausdruck staatlicher Souveränität.
So gesehen ist es auch gar nicht verwunderlich, dass es Josef Ackermann nicht nur schaffte, Steuergelder derart elegant abzugreifen, dass er behaupten konnte, die Deutsche Bank habe die Krise ohne Hilfe des Staates überstanden, sondern dass er nach der Lehman-Pleite auch noch an der Bankenrettung der Hypo Real Estate prächtig verdienen und dabei Angela Merkel und ihren Finanzminister Peer Steinbrück locker über den Tisch ziehen konnte.11
Dies aufzuklären war der Anlass für eine Anfrage der Autoren nach dem deutschen Informationsfreiheitsgesetz (IFG).
Das Informationsfreiheitsgesetz: Öffentliche Kontrolle der Macht
Das Informationsfreiheitsgesetz steht in der Tradition des US-amerikanischen Freedom oi Information Act (FOIA), der 1964 unter Präsident Lyndon B. Johnson beschlossen wurde und jedem US-Bürger das Recht zusichert, von Behörden Informationen zu erfragen. Er stellt den Gegenentwurf zum aus dem absolutistischen Staat stammenden Amtsgeheimnis als Herrschaftsprinzip dar, das grundsätzlich alle behördlichen Informationen als geheim einstuft, weshalb ihre Herausgabe begründet werden muss. Nach dem FOIA sind dagegen Behördeninformationen grundsätzlich öffentlich, vielmehr muss ihre Geheimhaltung begründet werden. Mit der Einführung des IFG wurde auch in der Bundesrepublik der Grundsatz des Amtsgeheimnisses aufgegeben.
Das Gesetz ist – jedenfalls theoretisch – bahnbrechend für die Stärkung der hiesigen Demokratie. Dass es weder von der Regierung noch vom Parlament initiiert, sondern von außerparlamentarischen Gruppen wie dem „Netzwerk Recherche” angestoßen und vorangetrieben wurde, bestätigt indirekt dessen Bedeutung.2
Wichtig ist es nicht nur, weil es die notwendige Transparenz, ohne die Demokratie nicht funktionieren kann, herstellt, sondern auch, weil es damit effektiv zur Kontrolle von Macht beiträgt. Denn Bürgerwahlen werden in einer repräsentativen Demokratie zunehmend bedeutungslos, wenn nur die Delegation, aber nicht die Kontrolle der Macht gewährleistet ist. Dann steht der Macht der Regierungen die Ohnmacht der Bürger gegenüber und die Demokratie verkommt zur bloßen Worthülse.
Gerade die Finanzkrise, aber auch die daraus resultierende europäische Staatsschuldenkrise haben dieses Gefühl der Ohnmacht erheblich verstärkt. Insbesondere der übermächtige Einfluss der Finanzlobby muss transparent gemacht werden und bedarf der öffentlichen Kontrolle. Denn auch in Deutschland wurden entscheidende Deregulierungsmaßnahmen des Finanzsektors auf der Verwaltungsebene durch das Zusammenwirken der privaten Finanzlobby, der staatlichen Finanzaufsicht und der Regierung eingeführt – und zwar unter Umgehung sowohl des Parlamentes als auch der Öffentlichkeit.3
Die Kontrolle der Macht darf jedoch nicht allein dem Parlament vorbehalten sein, sondern muss darüber hinaus durch die breitere Öffentlichkeit erfolgen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger am politischen Meinungsbildungsprozess teilhaben, Regierungshandlungen beurteilen und Poütiker wählen und abwählen können. Nicht nur, was die Regierung entscheidet, sondern auch wer an diesen Entscheidungen beteiligt ist, muss für den Bürger transparent sein. Dazu gehört, wem und in welchem Umfang – etwa von den Interessenvertretern der Finanzwirtschaft – Zugang zur Bundeskanzlerin gewährt wird.
Informationsblockade statt Informationsfreiheit
Deshalb stellten die Autoren am 7. Juli 2009 folgende Fragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz: Wer waren die eingeladenen und erschienenen Gäste, und wie wurden sie eingeladen? Welche Rede hat die Kanzlerin zu Ehren von Bankchef Josef Ackermann gehalten? Welche Kontakte zwischen der Kanzlerin und Vertretern des Finanzsektors gab es im Umfeld der Einladung laut Terminkalender der Kanzlerin? Und: Wie hoch waren die Kosten der Einladung?
Das jedoch ein Gesetz, welches zur Stärkung der Demokratie demokratisch beschlossen wurde, diese Stärkung noch lange nicht automatisch bewirkt, sondern dass darum erbittert gekämpft werden muss, war eine wesentliche Erkenntnis der hier beschriebenen Anfrage. Erst vier Monate nach der Antragstellung – und damit nach signifikantem Überschreiten der vom Gesetz geforderten Antwortfrist – gewährte das Bundeskanzleramt schließlich am 26. November 2009 den Antragstellern einen Teil der begehrten Informationen. Die Namen der Gäste, die der Veröffentlichung ihrer Identität nicht zugestimmt hatten, bheben geheim, weite Passagen des Redeentwurfs für die Kanzlerin waren geschwärzt und nicht einmal die Kosten der Veranstaltung machte das Kanzleramt zugänglich.
Dagegen legten die Antragsteller am 19. Dezember 2009 Widerspruch ein, über den das Bundeskanzleramt niemals entschied, so dass am 24. März 2010 die Kläger eine Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht Berlin erhoben. Es sollte geschlagene drei Jahre dauern, bis das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg schließlich am 20. März 2012 endgültig urteilte.
Das schwarze Loch der Demokratie
Die Geschichte dieses Streits dokumentiert also zunächst einmal eines: die Arroganz der Macht, die sich schon längst von der Idee entfernt hat, dass sie vom Volk kontrolliert und diesem Rede und Antwort stehen muss. Die Geschichte dieses Streites dokumentiert aber auch, wie der Einfluss mächtiger Wirtschaftsehten mittlerweile Bestandteü des alltäglichen Regierungshandelns geworden ist. Und der Streit macht auch klar, dass Bürger in unserer Demokratie täglich um diese kämpfen müssen, damit sie nicht ausgehöhlt, sondern gelebt und weiterentwickelt wird.
Die Kläger trafen nicht auf eine Behörde, die einen begründeten Antrag bürgerfreundlich beantwortet – durchaus auch abschlägig, falls es dafür gute Gründe gibt. Nein, den Antragstellern wurde mit jedem Schreiben, jeder Verzögerung vermittelt, dass ihr Inf ormationsbegehren als unbotmäßige und lästige Arbeitsbelastung angesehen werde. Niemals entstand der Eindruck, dass die Behörde die Anfrage auch nur im Mindesten als legitimes demokratisches Recht von politisch engagierten Bürgerinnen und Bürgern betrachtete. Mit Zähnen und Klauen versuchte sie stattdessen, auch noch triviale Informationen zu verweigern, wie etwa die Sammelrechnung der Kanzlerküche, aus der sich die Kosten des Abendessens herleiten ließen.
Der Geheimhaltungswahn der Bürokratie wirft für die Demokratie fundamentale Fragen auf: Dürfen Bürgerinnen und Bürger nichts wissen, aber dafür alles zahlen? Darf der Bürger nur noch im Nachhinein wissen, an welche Banken Unsummen von Steuergeldern gezahlt wurden? Muss im Interesse der Regierung tatsächlich vor ihm geheim bleiben, ob und wie oft sich der Zahlungsempfänger, seine Gläubiger und Interessenvertreter mit der Bundeskanzlerin getroffen haben und dadurch Entscheidungen durch unmittelbares Gehör beeinflussen konnten? Überwiegt das Geheimhaltungsinteresse des Staates das Informationsinteresse der Bürger, so dass die Handlungen der Mächtigen der Kontrolle des Bürgers und damit nach dem hier angewandten Maßstäben auch einer parlamentarischen Kontrolle entzogen bleiben?
Mit wem die Bundeskanzlerin einen Termin vereinbart hatte, sollte nach der behördlichen Begründung zum nicht ausforschbaren Handlungsbereich der Bundesregierung gehören. Ist der Zugang zur Bundeskanzlerin demnach das schwarze Loch der Demokratie, in dem jeder verschwinden darf, der hier persönlich die Gelegenheit erhält, von der stärksten politischen Kraft im Staate mit seinem Anliegen gehört zu werden?
Angela Merkel ließ jedenfalls verlauten, das Ziel der Einladung sei ausdrücklich das Gespräch mit Vertretern der Wirtschaft, Kultur, Bildung und Forschung gewesen: „Ich bin jemand, der immer versucht, auch Gruppen, die normalerweise nicht zusammenkommen, zusammenzubringen. “4 Es gebe immer wieder Abendessen im Kanzleramt, zu denen Merkel interessante Gäste einlade, pflichtete Vize-Regierungssprecher Klaus Vater bei. Die Kanzlerin lege bei solchen Anlässen Wert darauf, „ dass Menschen sich treffen, die sonst wenig miteinander zu tun haben”. So könne etwa ein Sportler dann neben einem Manager sitzen oder eine Politikerin neben einem Schauspieler.
Demnach sei die Art der Veranstaltung mit einer ganzen Reihe von anlassbezogenen Abendessen und Begegnungen vergleichbar, sei im Grunde business as usual gewesen.5 Dennoch musste sich die Bundeskanzlerin wegen der Ausgaben für die Abendveranstaltung vor dem Haushaltsausschuss des Bundestags rechtfertigen. Der SPD-Haushaltsexperte Johannes Kahrs betonte: „Es kann nicht sein, dass Herr Ackermann Gäste ins Kanzleramt einlädt, und der Steuerzahler dafür aufkommt. Wir sind doch keine Bananenrepubhk. “6 Und der haushalts-politische Sprecher der SPD, Carsten Schneider, äußerte forsch: „Ich halte diesen ganzen Vorgang für nicht akzeptabel. Er zeigt aber die enge Verknüpfung zwischen der Deutschen Bank und auch dem Kanzleramt. Und das bereitet mir schon Sorgen. “7
In der Tat, Sorgen waren angebracht: Denn was war das eigentlich für eine politische Lage, in der die Kanzlerin den wohl mächtigsten Wirtschaftsführer ihres Landes in ihrem Allerheiligsten, dem Kanzleramt, zum Abendbrot empfing?
Die politische Lage im Frühjahr 2008
Im Frühjahr 2008 war die Finanzkrise bereits entbrannt. Nicht nur in den USA gerieten Investmentbanken (Bear Stearns) ins Schlingern und mussten vom Staat gerettet werden. Auch in Deutschland war das Beben schon zu spüren. Die Mittelstandsbank IKB hatte sich mit US-Ramschpapieren verspekuliert, die ihr die Deutsche Bank nicht nur angedreht, sondern auf deren Preisverfall sie obendrein noch erfolgreich gewettet hatte. Als die IKB ins Schlingern geriet, kappte die Deutsche Bank deren Kreditlinien und meldete die Probleme der Bankenaufsicht. Der Deutsche Finanzminister zahlte zehn Mrd. Euro aus der Staatskasse, um die IKB vor der Pleite zu retten und die Deutsche Bank erhielt ihre vom Ausfall bedrohten Kredite an die IKB zurück. Die letzte Tranche dieser Steuergelder floss – ohne Parlamentsbeschluss, ohne das Recht der Abgeordneten, Einsicht in die Dokumente zu nehmen – im Februar 2008, einige Wochen vor dem Geburtstagsessen im Kanzleramt. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss über die IKB-Affäre scheiterte jedoch an der damaligen Großen Koalition und dem Widerstand der FDP.
Der Vorfall ist durchaus repräsentativ – nämlich für den Umgang mit der Krise hierzulande, die den deutschen Steuerzahler bis dato mehrere 100 Mrd. Euro gekostet hat. Von den Finanzunternehmen kreierte, hochriskante, verbriefte Wertpapiere, die mit hohen Gewinnen, aber ohne ausreichende Haftung der Emittenten vermarktet wurden, sind die Hauptverursacher der Finanzkrise. Die profitable Vermarktung dieser Papiere war aber erst möglich, nachdem die Interessenvertreter der Finanzwirtschaft die hierfür erforderlichen staatlichen Regelungen durchgesetzt hatten. Anders als in den USA ist in Deutschland bis heute nicht aufgeklärt worden, wie und warum die Finanzlobby bei der Bundesregierung und dem Parlament die von ihr vorgeschlagenen Regelungen durchsetzen und warum sie unter der staatüchen Finanzaufsicht ihre ruinösen Geschäfte ungehindert betreiben konnte.
Fast alle im Bundestag vertretenen Parteien haben entweder aktiv die fatale Deregulierung des Finanzsektors vorangetrieben oder diese zumindest stillschweigend akzeptiert. Dementsprechend sind sie bis heute nicht an einer systematischen Aufklärung interessiert. Ein gewaltiges politisches Versagen, denn ohne Analyse dessen, was falsch gelaufen ist, können ähnüche Fehler in der Zukunft nicht verhindert werden.
Anders ist die Lage im Bereich der Tatsachenerhebung in den USA: Eine vom US-Präsidenten und vom Kongress eingesetzte unabhängige Untersuchungskommission kommt in ihrem schonungslosen Abschlussbericht zu dem Ergebnis, dass die Nähe und Verflechtung zwischen Regierung und Finanzindustrie als eine Hauptursache für das Entstehen der Finanzkrise angesehen werden muss. Der Untersuchungsbericht wurde zur Grundlage für die größte Regulierung des Bankensektors seit Präsident Franklin D. Roosevelt.8 Eine vergleichbare Regulierung ist in der Bundesrepublik und auf europäischer Ebene bisher nicht erfolgt. Dabei dürften in Deutschland die Ursachen für die Finanzkrise nicht anders liegen. Auch hier wird gezielter Lobbyismus eine entscheidende Rolle gespielt haben.
Chef lobbyist Josef Ackermann
Josef Ackermann war jedenfalls bis Ende Mai d.J. nicht nur Vorstandsvorsitzender einer der größten Investmentbanken der Welt, sondern auch Präsident des weltgrößten Bankenlobbyverbandes International Institute of Finance (IIF). Er war regelmäßiger Gast auf den Treffen der EU-Staatschefs und gehört zweifellos zu den ganz Großen der Branche, die für die Krise nicht nur mitverantwortlich sind, sondern auch noch an den anschließenden staathchen Rettungsmaßnahmen glänzend verdient haben.
Vor diesem Hintergrund ist seine Geburtstagseinladung ins Bundeskanzleramt politisch zu beurteilen: Mit diesem in der Geschichte der Bundesrepublik bis dahin einmaligen Ereignis erreichte die Macht des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank gegenüber der Regierung ihren sichtbaren Höhepunkt.
Zur Klarstellung: Natürlich kann die Kanzlerin jederzeit als Privatperson eine Geburtstagseinladung aussprechen, auch für Herrn Ackermann. Sie kann auch frei wählen, welche persönlichen Vertreter verschiedener gesellschaftlicher Gruppen sie zum informellen Meinungsaustausch einlädt. Organisiert die Kanzlerin aber für eine Privatperson eine Geburtstagsfeier im Bundeskanzleramt, zu der dieser die einzuladenden Gäste auch noch selbst bestimmt hat, so hat sie damit Regierungshandeln privatisiert.
Umso berechtigter war die Kritik der Opposition. Doch den lauten Töne aus den Reihen der SPD folgten keine Taten. In Windeseile wurde die Empörung der Parteiräson geopfert und der Vorfall im Haushaltsausschuss parteiübergreifend beerdigt.
Der Grund dafür: Die SPD hatte kein Interesse daran, dass die CDU gleichzeitig die näheren Umstände einer zur selben Zeit schwelenden „Dienstwagenaffäre” der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt ans Tageslicht zerren könnte und verzichtete daher stillschweigend auf die Untersuchung. So mutierte die von Kahrs angeprangerte „Bananenrepublik” ganz schnell zur Pseudodemokratie, in der das Parlament in seiner Kontrollfunktion der Regierung kläglich versagte.
Parlamentarische Kontrolle allein ist nicht genug
Allein parlamentarische Kontrolle der Macht reicht also offenbar nicht aus, das zeigen die Umstände des Geburtstagsessens besonders deutlich.
Das Oberverwaltungsgericht entschied schließlich im Sinne der Transparenz. Die Namen aller Gäste, und zwar nicht nur der erschienenen, sondern auch der eingeladenen, müssen demnach veröffenthcht werden, ebenso wie die geschwärzten Stellen des Redeentwurfes der Kanzlerin. Übergeben werden muss auch eine Sammelrechnung, aus der sich die Kosten der Veranstaltung abschätzen lassen. Die Veröffentlichung des Terminkalenders wurde lediglich aus Sicherheitsgründen, die speziell die Kanzlerin betreffen, abgelehnt. Grundsätzlich sei aber, so die wegweisende Entscheidung des Gerichtes, der Terminkalender von Politikern und Behördenleitern Gegenstand von Informationen nach dem Informationsfreiheitsgesetz.9
Die eingeklagten Informationen zeigen: Es war beileibe kein Meinungsaustausch zwischen Personen, die „normalerweise nicht zusammenkommen” (Angela Merkel), sondern von Personen, die sich regelmäßig sehen. Das Kanzleramt und Frau Merkel persönlich hatten die Öffentlichkeit schlichtweg für dumm verkauft. Nein, Josef Ackermann saß nicht neben einem geprellten Sparer und Angela Merkel nicht neben einem Altenpfleger, sondern neben Friede Springer, Mathias Döpfner und Co. Josef Ackermann hatte in erster Linie seine Geschäftsfreunde eingeladen, aber auch etwa den Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker, die als Sponsorenempfänger der Deutschen Bank stets werbewirksam auf deren finanzielles Engagement für die Kultur hinweisen.
Servile Lobeshymnen aus dem Mund der Kanzlerin
Obwohl zu diesem Zeitpunkt schon klar war, dass es die Investmentbanken waren, die wesentlich zum Entstehen der Finanzblase beigetragen hatten, schmeichelte Kanzlerin Merkel laut Redeentwurf dem Gast, die Aufgabe, „den Jubüar zu würdigen und seine Leistungen herauszustellen”, falle ihr „besonders leicht”, auch weil sein „persönlicher Beitrag zur Entwicklung des Finanzstandortes Deutschland kaum zu überschätzen” sei.10 Diese servilen Lobeshymnen machen erschreckend klar, dass die Kanzlerin sich in eine Lage manövriert hatte, in der sie fast zwangsläufig einen Untersuchungsausschuss ablehnen musste über mögliche aktienrechtliche Verstöße der Deutschen Bank und deren Vorstandsvorsitzenden, der offensichtlich als ihr engster finanzpolitischer Berater agierte.
Was aber lernen wir aus alledem? Die Geburtstagsfeier im Kanzleramt dokumentiert eine bedrohliche Erosion demokratischer Prinzipien: Lobbyismus besteht nicht länger nur darin, in der Vorhalle („Lobby”) zur Macht auf die Entscheider Einfluss zu nehmen. Die vom Bürger delegierte Macht wird in einer Mischung aus Inkompetenz und Naivität von den politisch Ermächtigten an marktbeherrschende Interessengruppen abgegeben. Die Lobbyelite ist heute mit der politischen Machtelite in einem Ausmaß verschmolzen, dass die informelle Mitregierung der Finanzlobby die erforderliche Trennung von Öffentlichem und Privatem verschwinden lässt.
Doch die Ausübung eines politischen Amtes zum Zweck des Allgemeinwohls verlangt gerade diese Grenzziehung zwischen Öffentlichem und Privatem. Die Verschmelzung ist heute jedoch so weit gediehen, dass sie von den Regierenden nicht mehr als Gefahr gesehen, sondern als hilfreich, ja als Notwendigkeit internalisiert worden ist. Politiker missdeuten ihren vertrauten Umgang mit der Wirtschaftsmacht als Ausdruck staatlicher Souveränität.
So gesehen ist es auch gar nicht verwunderlich, dass es Josef Ackermann nicht nur schaffte, Steuergelder derart elegant abzugreifen, dass er behaupten konnte, die Deutsche Bank habe die Krise ohne Hilfe des Staates überstanden, sondern dass er nach der Lehman-Pleite auch noch an der Bankenrettung der Hypo Real Estate prächtig verdienen und dabei Angela Merkel und ihren Finanzminister Peer Steinbrück locker über den Tisch ziehen konnte.11