Gerichtliche Kriminalisierung und staatsanwaltliche Einschüchterungsversuche von Antifaschist_inn_en
**Gerichtliche Kriminalisierung und staatsanwaltliche
Einschüchterungsversuche von Antifaschist_inn_en nach
Neonazidemonstration in Remagen
23jähriger Ziel von massiven Repressionen nach Protesten am 20.11.2010
in Remagen. Zeuge der Verteidigung im Gerichtssaal verhaftet.
Weitere Prozesse stehen an.**
Am 12.05.2011 wurde vor dem Amtsgericht Bad Neuenahr-Ahrweiler gegen
einen 23jährigen Antifaschisten verhandelt. Er soll laut Anklage einem
Polizeibeamten mittels eines harten Gegenstandes in einem Rucksack oder
Stoffbeutel eine Platzwunde am Kopf zugefügt haben.
Der 23jährige wurde ohne Beweise zu einer zur Bewährung ausgesetzten
18monatigen Gefängnisstrafe, einer Reihe schikanierender Auflagen, 150
Sozialstunden sowie einer Schmerzensgeldzahlung in Höhe von € 1.500,00
verurteilt.
Was war passiert:
Der Angeklagte wollte am 20.11.2010 gegen den in Remagen jährlich
stattfindenden Aufmarsch von Neonazis demonstrieren. Als er sich
zusammen mit anderen Demonstrant_inn_en in einer frei zugänglichen
Straße befand, wurde er vom später verletzten Remagener
Streifenpolizisten mit Pfefferspray besprüht. Der Polizist versah dort
seinen Streifendienst; für einen Einsatz im Demonstrationsgeschehen war
er nicht vorgesehen. Laut Aussage des Zeugen der Verteidigung drohte der
Beamte der gesamten Gruppe mit einem Teleskopschlagstock. Der
geschädigte Polizist sagte aus, er sei von einem, mit einem harten
Gegenstand gefüllten, Beutel oder Rucksack am Kopf getroffen worden. Die
Täterschaft des 23jährigen begründete der Polizist nun vor Gericht
damit, dass er den Täter zwar während des Schlages nicht sehen konnte,
sich jedoch sicher sei, nur dem Täter Pfefferspray ins Gesicht gesprüht
zu haben. Da sich der junge Antifaschist eigenständig in die Obhut eines
in der Nähe stehenden Rettungswagens begeben hatte, um seine
Augenreizungen behandeln zu lassen, war dem Polizisten nun klar, dass
der verletzte Demonstrant der Täter sein müsse und ließ ihn noch im
Krankenhaus festnehmen. (Eine Zeugenbeschreibung des Vorfalls wurde
zeitnah auf indymedia veröffentlicht unter
http://de.indymedia.org/2010/11/294920.shtml?c=on#c684721).
Weitere Personen wurden am 20.11.2011 wahllos in Gewahrsam genommen,
teils erkennungsdienstlich behandelt und danach wieder frei gelassen.
Bei mindestens 6 Personen stehen zur Zeit noch Gerichtsverfahren an.
Bei der Haftprüfung des 23jährigen Antifaschisten am 21.11.2010 wurde
zwar der Haftbefehl gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt, der
ermittelnde Oberstaatsanwalt Johannes-Walter Schmengler tönte jedoch
schon dort, dass er den vermeintlichen Täter und seine “Freunde allesamt
in den Knast” bringen werde. Vom rechtsstaatlichen Grundsatz der
Unschuldsvermutung war also von Anfang an nicht die Rede. Die weiteren
Ermittlungen der Staatsanwaltschaft spiegeln diese Vorabverurteilung wider.
Es wurde weder bei dem Beschuldigten noch anderswo die vermeintliche
Tatwaffe – ein Rucksack bzw. ein Stoffbeutel – gefunden. Es gibt für die
Tatannahme keine weiteren Zeug_inn_en, und es gibt keine Beweise.
Alleine die Tatsache, dass der Antifaschist sich wegen der ihm
zugefügten starken Augenreizung in unmittelbarer Nähe zum Tatort in
medizinische Behandlung begeben hat, reichte dem Gericht für dieses
Skandalurteil aus. Oberstaatsanwalt Schmengler folgte seiner Linie der
unbewiesenen Vorverurteilungen, indem er den Angeklagten und seinen
Verteidiger beschimpfte und Menschen im Publikum ohne Rechtsgrundlage
Schreibblöcke und Stifte abnehmen ließ. Ein Entlastungszeuge, der vor
Gericht aussagen konnte, dass der Angeklagte keinen Rucksack oder Beutel
mit sich geführt habe, der Polizeibeamte aber mit Pfefferspray und
Teleskopschlagstock gegen die Demonstrant_inn_engruppe vorgegangen sei,
wurde zum krönenden Abschluss wegen vermeintlicher Falschaussage in
Handschellen aus dem Gericht abgeführt. Er wurde über 6 Stunden in
Polizeigewahrsam gehalten. Ihm droht nun ebenfalls ein Gerichtsverfahren.
“Hier geht es nicht um die Verurteilung eines Täters”, sagt die
Pressesprecherin der Antifa Bonn/Rhein-Sieg, Melanie Hübsch, “hier soll
dringend notwendiges antifaschistisches Engagement kriminalisiert
werden. In der Region Rhein-Ahr gibt es mit dem Aktionsbüro Mittelrhein
eine der aktivsten und gefährlichsten Nazigruppierungen in
Westdeutschland. Die Methoden der Staatsanwaltschaft Koblenz haben den
Boden der Rechtsstaatlichkeit lange verlassen. Verurteilungen ohne
Beweise und eklatante Zeugeneinschüchterungen dürfen nicht hingenommen
werden. Was sich hier abspielt muss von einer unabhängigen,
demokratischen und rechtsstaatlichen Öffentlichkeit beobachtet werden.
Das Urteil gegen den jungen Antifaschisten muss aufgehoben werden.”
Die Solidaritätsgruppe für die kriminalisierten Antifaschist_inn_en von
Remagen hält die Umsetzung der Forderungen von Melanie Hübsch für
unabdingbar, insbesondere vor dem Hintergrund weiterer anstehender
Prozesse gegen Antifaschist_inn_en. Die Kriminalisierungsversuche der
Staatsanwaltschaft Koblenz dürfen nicht dazu führen, dass im November
2011 Neonazis ohne Gegenproteste erneut in Remagen aufmarschieren können.
Die nächsten Prozesse wegen des Vorwurfs des Landfriedensbruchs sowie
der gefährlichen Körperverletzung finden am 25.07.2011 und am 15.08.2011
jeweils gegen drei Personen am Amtsgericht Sinzig vor dem Jugendrichter
statt.
Ausführlichere Informationen gibt es hier:
http://remagensoli.blogsport.de/images/remagenjuni2011.pdf
Bonn, Juni 2011
Solidaritätsgruppe für die kriminalisierten Antifaschist_inn_en von Remagen
Solidaritätsgruppe für die kriminalisierten Antifaschist_inn_en von Remagen
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