Klartexte 11: Die südafrikanische Dimension
Die südafrikanische Dimension
Nachahmungen in Rassismus und Vorahnungen weiterer Nachahmungen
1984 Helmut Spehl Freiburg
Zu diesem Heft
Horatio: Welch Ende wird dies nehmen?
Marcellus: Etwas Ist faul Im Staate Dänemarks.
Horatio: Der Himmel wird es Lenken.
– SHAKESPEARE
Das multidimensionale Weltereignis, das unter der Bezeichnung „Israel“ bekannt ist, entwickelt erwartungsgemäß, aber selbstverständlich ganz im Séparée, seine südafrikanische Dimension. Auf die Weltsprachregelung, die dieses tiefverwurzelte Phänomen harmlos zur Sprache bringen könnte, wird man noch lange warten müssen, aber auf Hebräisch kann die Sache mittlerweile als erwiesen gelten. Immer mehr und immer neue Rasseschützer gesellen sich zum institutionalisierten Rasseschutz und werden in flagranti beim Demontieren der wunderschönen Koexistenz-Fassade aufgegriffen. Eine kleine, intellektuelle israelische Minderheit, ganz auf sich gestellt und fatalerweise von der Welt allein gelassen, ist derzeit eifrig auf der Suche nach dem rettenden Herrn im grauen Rock, der wie im wundersamen Leben des Peter Schlemihl die zionistische Schattenseite fortnimmt und den Zionismus, wie sie ihn meinen, allseits strahlend übrigläßt. Aber das wird wohl, nebenbei gesagt, ein märchenhaftes Unterfangen bleiben müssen. In allen anderen Sprachen geht derweil die Maskerade weiter, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Weil ein Volk, das unter Rassismus so lange und entsetzlich leiden mußte, nicht seinerseits nun…, und so weiter, und so weiter. Bei solcher Logik des gemeinen Sinns möchte man die intellektuellen Waffen strecken und mit Myriaden von geweihten Kerzen den christlichen und jüdischen Himmel gnädig stimmen, auf daß er die Sache kurz, wenn schon nicht schmerzlos machen möge.
Ich denke mir, daß doch wohl jedem, der sich im irren Propagandatrommelfeuer noch einen Rest politischen Geschmacks bewahrt hat, die plakatierte zionistische Toleranz schon einmal toleranzig aufgestoßen ist, aber nichts Genaues weiß er nicht, – und will er auch nicht wissen, wie ich längst begriffen habe. Aber da nun einmal solche ominösen Sachen mit Verdrängen und Negieren genauso wenig zu erledigen sind, wie mit geweihten Kerzen, wollen wir noch mal von vorn beginnen und uns überlegen, wie wir’s dem Kind im Manne sagen, das nicht erwachsen werden möchte, weil es mit der Wahrheit nichts anzufangen weiß. Also gut denn, vermeiden wir das schrecklich vorbelastete Wort, damit nicht ist, was nicht sein kann. Nennen wir die leidige Sache, zur Schonung aller irgendwie Beteiligten und in Ermangelung eines anderen Wortes, das Phänomen R. Oder noch unverfänglicher: das „Phänomen“. Tun wir also eine Weile so, als wüßten wir nicht so recht, wovon die Rede ist, weil sich dann gefälliger darüber schreiben läßt. Wenn da beispielsweise von jenem israelischen „Rückkehr-Gesetz“ von 1950 die Rede ist, das jedem einwandernden Juden automatisch und augenblicklich die israelische Staatsbürgerschaft auferlegt, die der Judenstaat dem eingeborenen Hinausgeworfenen um nichts in der Welt zu geben bereit ist, oder wenn die Rede darauf kommt, daß ein autochthoner Palästinenser, der beim großen Hinauswurf übrigblieb, auf 90 bis 95 Prozent des israelisch gewordenen Bodens allenfalls illegal, gegen die verschlungenen Gesetze, leben kann, wenn derlei zur Sprache kommt, wollen wir uns einreden, genau wie seit mehr als drei Jahrzehnten, daß, christlich-jüdisch gedacht, nichts natürlicher, und die zionistische die beste aller möglichen Welten ist. Häufen wir das alles, bloß um eine Kategorie zu haben, zum anonymen ‚Phänomen“, das wir, wie so vieles andere, anstaunen und mitbewundern können. Denn wir sind nun einmal ebenso vollendet dahingehend abgerichtet, daß uns beim Anblick eines Israeli die Bewunderung überkommt, wie wir noch kürzlich dahingehend abgerichtet waren, daß uns beim Anblick eines Juden der Ekel packte. Kein Hund möchte so behandelt werden, aber ohne Abrichtung geht’s scheinbar nicht im christlich-jüdischen Menschenleben. Mal richten die Arier ab und Juden hin, mal richten die Zionisten ab und Juden auf. Da kann man nichts machen vor dem großen Weltgericht. Damals, ja, da wußte man mit dem „Phänomen“ noch umzugehen, weltweit keine Spur von Vertuschen, aber heute, um Gottes willen, wo denkt man hin! Von mehr als einem konfliktbedingten Phänomenchen kann selbst unter Kennern keine Rede sein. Der Leser wird am Ende dieses Heftes zum Schluß gelangen müssen, daß „Phänomen“ gleich „Phänomen“ ist, aber da ist dennoch ein Unterschied. Das Arierereignis, das Autobahnen baute, bekannte sich bekanntermaßen selbstbewußt und schreierisch dazu, wohingegen das nahöstliche Folgeereignis, das – wie man so schön sagt – Wüsten zum Blühen bringt, der phänomenalen Vorschichte wegen gar nicht anders kann, als die Sache höchst kunstvoll zu kaschieren. Das ist der Unterschied. Vielleicht erinnert sich noch jemand an die wochenlange Leitartikel und Leseraufregung auf beschnittenem und unbeschnittenem Papier, die der Verurteilung des zionistischen „Phänomens“ durch die UNO-Vollversammlung im Jahre 1975 folgte. Mir sind Protestresolutionen und Bittbriefchen aus allen Windrichtungen zugeflattert, die sich – man stelle sich das vor! – partout meiner Unterschrift versichern wollten. Man hat das „Phänomen“, aber man hat es nur auf Hebräisch. Das ist der Unterschied. Die Dinge sind einfach, aber in einfachen Köpfen werden sie mitunter unentwirrbar kompliziert. Und die jeweiligen Verwirrspiele, die man eines kriminellen Nationalegoismus wegen mit den armen Köpfen treibt, sind nicht bloß gehirnerweichend, sondern gemeingefährlich obendrein.
*
Dieses kurze Vorwort zu einem Heft, das hebräische Artikel zum israelischen „Phänomen“ bringt, ist nicht der angemessene Ort zur Bloßlegung des weitverästelten Wurzelwerks. Ein paar Hinweise zum zionistischen Umgang mit dem Regime in Südafrika erscheinen, zur Einstimmung, immerhin angebracht. Sie mögen nebenbei eine gewisse „phänomenale“ Kontinuität im Denken und Handeln illustrieren, die in den paar ausgewählten Artikeln dieses Heftes nicht zur Sprache kommt. Es versteht sich ja von selbst, daß die Apartheids-Lösung, pardon: die aparte Lösung für das zionistische „Palästinenserproblem“, die im Artikel von Joram Peri unvermittelt auftaucht, nicht auf ungepflügtem Grund gewachsen sein kann. Scharren wir also ein bißchen an dem Grund, ohne die Wurzeln bloßzulegen.
Chaim Weizmann, beispielsweise, der Hauptarchitekt des Staates Israel und dessen erster Präsident, ein weitgereister Mann, der seine Wurzeln stets hinter sich hergezogen hat, Chaim Weizmann – sagen wir’s mal so – hatte einen Kameraden, einen beß’ren find’st du nicht. Die nützliche Kameraderie begann im Jahre 1917 und dauerte bis 1950, bis zum Tode des stets hilfsbereiten Mannes. Der Mann war Jan Christian Smuts, Südafrikas weltbekannter Premierminister und Hauptarchitekt des dortigen Phänomens R. Er gehört aber auch, und das wird den Leser überraschen, zu den Architekten der Balfour-Erklärung, jenes Dokuments, das endgültig Palästina zum Platz aller künftigen Aufregung bestimmt hat und somit gewissermaßen das erste offizielle Schriftstück zur sogenannten Energiekrise darstellt. Smuts übte freilich „hier, wie bei den meisten Dingen, seinen Einfluß im Hintergrund aus“.[1]Irgendwo in den südafrikanischen Archiven muß noch das Redemanuskript zum Gala-Bankett im Rathaus von Johannesburg liegen, auf dem Smuts, aus Anlaß des ersten Jahrestages der israelischen Unabhängigkeitserklärung, unter enthusiastischem Beifall sagte: „Es gibt kein Land, das, gemessen an seiner Bevölkerungszahl und eingedenk seiner Mittel, mehr für das (jüdische) Nationalheim getan hat als Südafrika.“ Zu seiner großen Freude, so fuhr er fort, sei seine letzte Amtshandlung als Premierminister der südafrikanischen Union die offizielle Anerkennung des Staates Israel gewesen: „It put Israel ‚on the map‘, but it also put South Africa ‚on the map‘.“[2] Ein jeder lese das, so gut er kann!
Geschichte wird immer erst genau mit dem verständlich, was dem Zeitgenossen unterschlagen wird. Da ist gut reden: ‚Sage mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist‘. Wer kennt denn schon Chaim Weizmanns jahrzehntelangen Umgang? Und wer ist über die heutige israelische Kumpanei mit dem Regime in Südafrika im Bilde, außer denen, die sich an Hand der hebräischen Presse weiterbilden können? In jedem deutschen Provinzblatt kann der Zeitgenosse Meldungen lesen, wie diese:
Brandt für Isolierung Südafrikas
Lusaka (ddp). In diesem Jahr wird sich die SPD nach den Worten ihres Vorsitzenden Brandt zusammen mit anderen europäischen Parteien verstärkt für eine Isolierung der weißen Minderheitsregierung in Südafrika einsetzen. Brandt erklärte am Freitag in Lutensaka (Sambia), mit einer weltweiten Isolierungskampagne gegen Südafrika würden die Aussichten wachsen, daß die internationale Staatengemeinschaft einschneidende Wirtschaftsmaßnahmen folgen lassen werde.[3]
Oder geradezu groteske Tätigkeitsberichte der Internationale der Presseschützer abgedruckt finden, wie diesen:
Südafrika verurteilt
Die Generalversammlung des Internationalen Presseinstituts hat einstimmig die südafrikanische Regierung wegen der Unterdrückung der Pressefreiheit verurteilt. (dpa).[4]
Aber was ist die Unterdrückung der Pressefreiheit in Südafrika gegen die Selbstunterdrückung der Pressefreiheit in der ganzen Welt! Denn in keiner Weltsprache wurde ein Sterbenswörtchen davon abgedruckt, was genau zur gleichen Zeit in simplem Hebräisch zu lesen war:
Finanzminister Ehrlich in Südafrika:
Israel kann als Sprungbrett für südafrikani-
sche Exporte nach Europa und USA dienen
(Johannesburg, G). Israel kann ein vorzügliches Sprungbrett für südafrikanische Exporte in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und in die USA werden, erklärten Mitglieder der israelischen Delegation unter Leitung von Finanzminister Ehrlich, die sich zur Zeit in Johannesburg aufhält. Delegationsmitglieder bemerkten, daß im April (1978) in Israel ein neues Gesetz über ausländische Investitionen und Wieder-Export eingebracht wird. Israelische Exporte können zollfrei auf den europäischen Markt gelangen. Auf ähnliche Weise kann Israel 27 000 Warentypen zollfrei in die Vereinigten Staaten exportieren.[5]
Jaja, der gute Willy Brandt hat eben auch sein weltweites Problemchen Palästina. Seine gute Hoffnung wird nicht am Kap, sie wird anderswo gekappt. Und der Gedanke ist leider nicht abwegig, daß er dies nicht einmal weiß. Denn er lebt vom Zeitunglesen, wie wir alle, und das Internationale Presseinstitut, das sich zum unermeßlichen Segen aller selbst maßregelt, steht weit in den Sternen.
*
Aber nicht von phänomenalen Hilfsdiensten ist in diesem Heft die Rede. Die südafrikanische Dimension im multidimensionalen Judenstaat ist als durchaus internes Gesellschaftsereignis aufzufassen. Das Phänomen R südafrikanischer Provenienz muß, bei allem landeseigenen Überfluß, als mitimportiert ernstgenommen werden. Der siebenundzwanzigtausend-und-erste Warentyp ist nicht zum Weiterexport bestimmt; er ist eine Einwegware für den Hausgebrauch, von rabiaten Rabbis und übereifrigen Biedermännern jeder Couleur zur Komplettierung des Zionsseelenhaushalts wohlfeil auf den Meinungsmarkt geworfen. Ein typisch israelisches, multidimensionales Ereignis bietet sich dem Leser dar: Die durchaus handelseinige israelische Mehrheit zeigt sich, wie immer auf dem offenen Markt, ein bißchen kaufunlustig, und eine entsetzte Minderheit ist zu Kaufboykott und Ächtung aufgelegt wie seit langem nicht mehr. Auf allen Ebenen selbstbetrügerische Untertöne, die aber beileibe nicht ganz unausgelotet bleiben. Alles in allem ein phänomenales Gesellschaftsereignis in Hebräisch, umwerfend offen, verzweifelt kämpferisch, schonungslos zur Schau gestellt von allen Seiten – und von Hunderten von Auslandskorrespondenten in allen Weltsprachen totgeschwiegen. Es ist immer etwas faul im Staate Soundso, wenn hundert Indiskretins sich zur Diskretion zusammenfinden. Hier und heute, in diesem Heft, geht es um das wahrlich unaussprechlichste aller israelischen Phänomene. Es geht um d a s Phänomen. Sprechen wir es aus: Es geht um nackten Rassismus.
Helmut Spehl, Freiburg, Mitte März 1984
AM WENDEPUNKT DER APARTHEID
Von Joram Peri
Übersetzung aus dem Hebräischen. Der Artikel erschien am 7. September 1983 in der Tel Aviver Tageszeitung DAVAR.
In der politischen Bilanz dieses zu Ende gehenden Jahres kann die Regierung Begin eine schöne Leistung an ihren Namen heften: A p a r t h e i d ist zu einer der legitimen Möglichkeiten für eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes geworden. Wenn man den Gebrauch dieses Begriffes die vergangenen Jahre hindurch zurückverfolgt, so stellt man fest, daß er bis 1980 relativ selten auftauchte, und stets mit negativem Gehalt. In diesem Jahr tauchte er geradezu scheffelweise auf, und, was wichtiger ist, mit positivem Gehalt.
Diese Tatsache hängt mit zwei bedeutsamen Ereignissen dieses Jahres zusammen: einmal mit dem Massaker im Islamischen Kolleg in Hebron und dem Pogrom auf dem Hebroner Markt nach der Ermordung eines Bewohners von Kirjat Arba[6], und zum anderen mit Raphael Eytans Eintritt ins politische Leben, als Führer der ZLIL-Bewegung, der Bewegung „Jugend für Israel“.
Die Gegner Israels haben, um die Wahrheit zu sagen, die Namen Israel und Südafrika schon seit Jahren in einem Atemzug genannt. Der Vergleich hat jeden Israeli tief getroffen. Wie kann man ein Volk, das Jahre hindurch von Rassisten verfolgt wurde, mit einem Staat, der die Fahne des Rassismus mit Stolz hochhält, in einen Topf werfen?
In Wahrheit darf jedoch die Tatsache nicht geleugnet werden, daß der Status der israelischen Araber niemals genau der gleiche gewesen ist, wie derjenige der israelischen Juden. Aber selbst während der Jahre nach der Staatsgründung, während der Jahre der Militärregierung (für die israelischen Araber), konnte man einen Vergleich Israels mit Südafrika als Demagogie zurückweisen. Zum einen, so sagten wir damals, handelt es sich um eine kurze Übergangsperiode. Das waren eben die ersten Tage eines in Krieg geborenen und von Feinden umringten Staates. Und zum anderen, so wandten wir ein, gibt es zwar Diskriminierung in praxi, aber es gibt keine legalisierte Diskriminierung. Was mit anderen Worten heißen sollte, daß Diskriminierung Teil einer Realität ist, die wir im Bewußtsein moralischer Notwendigkeit so schnell wie möglich ändern wollen.
Und nun kam in diesem Jahr der große Wandel: Diskriminierung und Apartheid werden, zum ersten Mal, als wirksame, positive, wünschenswerte und gerechtfertigte Lösungen begriffen, die wir aufgreifen und formell betreiben sollten.
Um zu verstehen, wie das passierte, braucht man keine allzu komplizierten Überlegungen anzustellen. Je weiter der Annexions-Prozeß in den (besetzten) Gebieten fortschreitet, umso tiefer wird die Erkenntnis, daß diese Blutfehde niemals enden wird. Dayans Glaube, daß das Zusammenleben zur friedlichen Koexistenz führen wird, erweist sich jetzt als frommer Wunsch.[7] Konfrontiert mit dem intensiven Prozeß der Irlandisierung der Westbank, erscheinen einem nur noch zwei Alternativen zur Diskussion zu stehen: Deportation oder Apartheid. Einen dritten Weg gibt es nicht.
Unter den Personen des öffentlichen Lebens, die von diesen Dingen offen zu sprechen wagten, war dieses Jahr Raphael Eytan die bekannteste.[8] Er ist der neue Prophet des israelischen „primitiven Nationalismus“. Seiner Ansicht nach „gibt es Fakten. Wir wollen hier leben, und die anderen, die Araber, wollen uns vernichten. Da muß ihnen gesagt werden: wenn ihr uns vernichten wollt – so werdet ihr hier verschwinden. Ihr habt 22 andere arabische Staaten.“ Und im selben Atemzug fügt er hinzu: „Kein Araber ist Willens, mit Israel Frieden zu schließen.“ Die Schlußfolgerung ist somit klar. Das „wenn“ ist überflüssig.
Und noch etwas wurde in jener offenherzigen Rede gesagt, über die die israelische Presse im August berichtete: „Anschließend führte Raful Beispiele aus Südafrika an, wo die Weißen mehrere Staaten für die Schwarzen eingerichtet haben, damit sie unter sich leben können.“
Nach dieser Bestätigung von oben ist es nur natürlich, daß viele Leute sich nun frei fühlen, ihrerseits offen auszusprechen, was sie bisher für sich behielten. Ein Mitglied des „Herut“Ausschusses, der Vorsitzende des Wahlkomitees für die Gemeindeverwaltung von Tel Aviv, erklärte kürzlich, daß Apartheid die beste Lebensweise für die Schwarzen sei, und dies gelte in noch höherem Maße für die Araber, die man im übrigen „töten sollte, falls sie nicht so leben wollen, wie wir das wünschen“.
Aber Äußerungen zugunsten der Apartheid kann man auch außerhalb des extremen nationalistischen Flügels hören. Bei einem Essen zu Ehren des liberianischen Premierministers äußerte Staatspräsident Herzog Kritik an der Apartheid und gab seine Ablehnung dieser rassistischen Ideologie zu erkennen. Und was war die Reaktion? Am folgenden Tag berichteten Journalisten: „Politische Kreise in Jerusalem sind der Meinung, daß die Äußerung (von Staatspräsident Herzog) zu scharf gehalten war.“ Es würde mich interessieren, was diese Kreise sagen würden, wenn zum Beispiel der britische Außenminister die Kritik an der Behandlung der russischen luden durch den Kreml als zu scharf bezeichnet hätte.
Die Vorstellung, daß die israelische Apartheid in diesem Jahr geboren wurde, ist natürlich nicht ganz richtig. Es gibt viele Leute in unserem Land, die seit Jahren der Meinung sind, daß der einzige Weg, mit den Arabern zu leben, in der „Anwendung von harten Maßnahmen“ besteht. Aber der Holocaust-Schock macht es Juden nicht leicht, offen für Apartheid einzutreten, auch wenn viele von ihnen im Innersten ihres Herzens genau dies wünschen. In diesem Jahr wurde die Hemmschwelle gesenkt, das Tabu gebrochen. Apartheid in Erwägung zu ziehen, ist in Israel eine legitime Sache geworden. Sie ist eine Möglichkeit neben anderen. Man kann dafür oder dagegen sein, aber man kann und sollte sie jedenfalls ernsthaft diskutieren.
Es ist das rassistische Fundament des Judentums, was die Sache für die Befürworter der Apartheid leichter macht. In einem ebenso interessanten wie schockierenden Artikel, der kürzlich in HA’ARETZ erschien, führt Rabbi Kahane viele Punkte an, die zeigen, daß die beiden grundlegenden Prinzipien seiner rassistischen Bewegung KACH dem Geist und den Schriften des Judentums entstammen.
Was das erste der beiden Prinzipien angeht, so spreche die Bibel vom Recht, ja von der Pflicht, die in Eretz Israel lebenden Araber zu vertreiben. „Die Kinder Israels wurden angewiesen, alle früheren Bewohner zu vertreiben. Und wie legen die Weisen des Judentums dies aus? Wenn ihr alle Bewohner des Landes vertreibt und dann darin wohnt, könnt ihr in diesem Land bestehen. Wenn ihr sie aber nicht vertreibt, könnt ihr dort nicht bestehen. So sagt Raschi. Und ein anderer Kommentator, Rabbi Ovadia Ben Ja’akov Sforano, sagt, daß ihr nur dann das Land an eure Kinder weitergeben könnt, wenn ihr alle früheren Bewohner umbringt.“
Der KACH-Führer Kahane macht sogar den liberalen Maimonides zu seinem Gehilfen und fragt: „Und was ist mit denen, die trotzdem im Land zurückbleiben? Sie müssen unsere Sklaven werden, wie Maimonides sagte.“ (…)[9]
SKLAVEN IN TEL AVIV
Übersetzung aus dem Tel Aviver Nachrichtenmagazin HAOLAM HAZEH vom 28. Februar 1979.
Professor Leibowitsch hat oft gewarnt: „Wenn wir die besetzten Gebiete behalten, wird Israel eine Kombination aus Libanon und Rhodesien werden.“
Ein religiöser Denker mit einem ungewöhnlichen Talent für verblüffende Erklärungen hat einmal diese Voraussage so gedeutet: „Die Israelis werden ein Volk von Aufsehern und Geheimagenten sein… Die Araber werden arbeiten und wir werden aufpassen… Man wird sich an den Slogan halten: ‚Die besten Leute zum Sicherheitsdienst‘.“
Lebendiger Horror
Diese Woche konnten die Israelis in ihren Wohnzimmern am Fernsehen ein Szenarium miterleben, das dem Versuch gleichkam, die böse Prophezeiung zu erfüllen. Aber niemand hatte dazu das Skript verfaßt. Es handelte sich um einen Bericht über die Tel Aviver Wirklichkeit von 1979. Auf dem Bildschirm war folgendes zu sehen:
* Arabische Arbeiter aus den (besetzten) Gebieten werden während der Nacht in einer Hütte eingeschlossen – die Tür ist von außen verschlossen.
* Wohnräume dieser Arbeiter, in denen sie zusammengepfercht wie im Gefängnis schlafen, ein Bettgestell neben dem anderen, unter unmenschlichen Bedingungen.
* Ein jüdischer Restaurant-Besitzer aus dem nördlichen Tel Aviv, der über seine arabischen Arbeiter redet, als sei es ein Haufe von Untermenschen und Lügnern, um damit die unmenschlichen Bedingungen zu rechtfertigen, unter denen sie gehalten werden.
* Eine Gruppe von Zivilschutz-Leuten, meistens minderjährige Oberschüler, die in die Schlafräume der arabischen Arbeiter einbrechen, sie brutal aufwecken und ihre Ausweise verlangen. Man wird an Hollywood-Filme über Besatzungs-Regimes erinnert. Und man kann sich ausmalen, wie sich diese Knaben benehmen, wenn die Fernsehkamera nicht dabei ist.
* Ein Zivilschutz-Mann, der dieses Verhalten ganz vorsichtig kritisiert, während seinem Gesicht anzusehen ist, daß er es aus ganzem Herzen gutheißt.
* Eine Gruppe von Oberschülern aus Tel Avivs Elite-Schule, dem Herzlia-Gymnasium, die ihre Ansichten über Fälle von Mißhandlungen von Arabern durch Oberschüler zum Besten geben. Die Gemäßigteren sind nur fürs Herumstoßen und für Prügel, während die anderen zu erkennen geben, daß sie nichts dabei finden, wenn sie noch übler behandelt werden.
* Der Direktor der Oberschule, der sich hinter leerem Gerede versteckt, anstatt mit all seiner Autorität gegen diesen Horror anzugehen.
„Wir wußten es nicht“
Die Gesellschaft, wie sie sich im TV-Spiegel darstellte, war zum Fürchten. Keine Szene aus Rhodesien oder Südafrika hätte entsetzlicher sein können.
Zehntausende von Arbeitern im Tel Aviv von 1979 leben unter unmenschlichen Sklaven-Bedingungen, hilflos in den Händen von ausbeuterischen Bossen der übelsten Art; hilflos in den Händen der Männer des „Gesetzes“, unter denen Sadisten sind und minderjährige Schüler; hilflos in den Händen der Behörden, die diesen Horror decken, um einen Skandal zu vermeiden.
Das Verhalten der Gesellschaft scheint durch den Erzieher repräsentiert zu sein, der seine Augen schließt, weil es einfacher ist, die Wahrheit nicht zu kennen, als ihr ins Gesicht zu sehen.[10]
DER KINDERMARKT AN DER ASCHKELON-KREUZUNG
Von Amos Elon
Übersetzung aus HA’ARETZ, 2. August 1978. Amos Elon, 1926 In Wien geboren, gehört zu den bekannteren Israelischen Schriftstellern.
Aschkelon-Kreuzung, nahe der Grenze zum Gaza-Streifen, 3.50 Uhr morgens. Die schwarzen Felder werden von einer einzigen Lampe beleuchtet. Ein beladener Lastwagen blockiert den Zugang zur Tankstelle. Man hört Autos hupen. Ein Geräusch in der Dunkelheit. Eine kleine Kolonne von schäbigen Lieferwagen zwängt sich mühsam heran. Die zerbeulten Wagen halten einen Moment an, dann kehren sie um. Sie kommen nicht etwa, um Benzin zu tanken. Die Tankstelle ist geschlossen. Sie kommen, um Menschenware abzuladen. Menschen kriechen hervor, wie Sardinen aus einer Sardinendose, und verlieren sich in der Dunkelheit. Die schäbigen Autos haben in den sechziger Jahren sicher bessere Zeiten gesehen. Die Passagiere wohl nicht. 20, 25 in jedem Wagen. Sie haben es eilig. In dem spärlichen Licht sehen sie bleich und krank aus. Jeder hat eine Plastiktüte, sie kleben daran wie Babys an ihren Windeln. Jetzt stehen 60 Männer, ein paar Frauen und Kinder im Alter von 12, 13, 14 Jahren auf dem Platz vor der Tankstelle. Vorläufig nur ein Dutzend Kinder. Die Männer lehnen an den verschlossenen Türen des Tankstellen-Restaurants. Die Frauen sind in der Ecke wie in einem Paket aus Köpfen und Tüchern zusammengepackt. Die Kinder streichen um die Zapfstellen. Sie spielen damit und gähnen. Sie kommen aus Gaza, aus Khan-Junis, aus Rafiach. Alle aus dem Gaza-Streifen. Man spürt den Geruch, von schwerem Öl in der Luft. Von Westen her hört man einen fernen Ton, wie von einem Schiffshorn in stürmischer See.
Um 4.05 Uhr beginnt sich der Himmel aufzuhellen. Um 4.20 Uhr erscheinen die Hügel in rötliches Licht getaucht. Um 4.50 Uhr geht die Sonne auf. Jetzt warten hier 200 Menschen. 400 Arbeitshände. Und 40 Kinder. 40 Paar Arbeiterhände. Die Tankstelle ist noch immer geschlossen. Hinter den Baumwollfeldern kann man die Nylonplanen über den Rosen des Lachisch-Gebietes sehen. Ein Jeep nähert sich von Norden her in viel zu hohem Tempo (aber hier gibt es keine Polizisten) und stoppt bei den Dieselpumpen.
Die Menge drängt sich um den Jeep. Der Kopf des Fahrers taucht aus der bewegten Menge auf. Die Menge schreit: „Meister“, „Arbeit“, „Ich gut Arbeit“. Der Meister erhebt sich. Der Meister sagt etwas. Aus der Entfernung sind seine Worte nicht zu verstehen. Vier Männer klettern auf die Rücksitze des Jeeps. „Nimm mich, Meister, ich 60 Israelische Pfund“. Der Meister fährt los. Die Menge springt auf die Seite. An der nächsten Kreuzung schlägt der Jeep die Richtung zum Lachisch-Gebiet ein.
Die Kinder bleiben abseits stehen. Sie sind folgsamer als ihre Väter. Sie sind wie ein bißchen Dreck an den Schuhen des strengen Ra’is, der zwischen ihnen und den Arbeitgebern vermittelt. Ein kleiner Lastwagen kommt. Ein junger Farmer wünscht 15 Paar Arbeitshände für die Zwiebelernte. 50 Israelische Pfund für den Tag. 40, sagt der Ra’is. Der Farmer sagt: 40. Die Kinder werden 35 bekommen. Die Kinder klettern in den Lastwagen. Der Fahrer hantiert derweil mit einer Kette.
„Du beschäftigst Kinder?“
„Sie sind stark und gesund. Sie wollen arbeiten.“
„Sie sehen nur so aus.“
– – –
„Du zahlst 40 Israelische Pfund?“
„Würde man ihnen in Kairo etwa mehr bezahlen?“
„Es ist gesetzwidrig.“
„Willst Du, daß sie hungern?“
Der Mann nimmt eine Thermosflasche aus der Tasche. Er wiederholt noch einmal, was er eben gesagt hat: „Also was willst Du? Willst Du sie hungern lassen?“
Einen Augenblick lang hat man den Eindruck, daß der Mann davon überzeugt ist, recht zu haben. Er nimmt einen Schluck aus der Flasche. Er geht zum Fahrersitz. Gibt Gas. Sein Ziel ist eine reiche Siedlung in der Gegend. Eine der reichsten. Der Gewinn aus einem Dunam Treibhausanbau dürfte 300 000 Israelische Pfund pro Jahr betragen. „Ihr Land ist voll Silber und Gold.“ „Sie sind Tagewähler wie die Philister und hängen sich an die Kinder der Fremden.“ (Jesaja 2, 6-7).
Um 6.00 Uhr kommt Oded Ramati, der Besitzer der Tankstelle. Inzwischen stehen ungefähr 300 Menschen in dem großen Asphalt-Geviert um die Tankstelle. Ich schaue mir Mr. Ramati an; er macht einen guten Eindruck. Er ist gut gewachsen, kräftig. Er stammt aus einer prosperierenden Siedlung in Israel. Er war dort Traktorist. Das Geschäft hier, sagt er, ist eine Goldgrube. Welches Geschäft? Die Tankstelle und das Restaurant. Jeden Tag essen hier 300 Personen. Mr. Ramati ist verärgert. Es ist ein Skandal. Ein richtiger Skandal. Jeden Morgen von 3.30 Uhr bis 8.00 Uhr diese Sauerei. Geschrei, Balgereien, Messer. Letzte Woche eine Blutlache auf dem Asphalt.
„Sind immer so viele Kinder da?“
„Immer.“
„Nur im Sommer? Oder auch im Winter?“
„Das ganze Jahr.“
„Gehen sie nicht zur Schule?“
„Was, Schule? Das sind Idioten.“
„Zu 40 Israelischen Pfund.“
„Was können d i e schon brauchen. Bohnen für 2 Pfund und einen Happen Brot, und fertig für den Tag.“
Was also ist das Problem? Das Problem ist, daß man sie nicht vertreibt, an einen anderen Ort. „Seit über einem Jahr bin ich hinterher. Ich habe zwanzigmal die Polizei angerufen, man soll sie wegjagen. Sie schädigen mich. Es gibt Fahrer, die meine Tankstelle meiden. Sie fürchten sich vor Handgranaten. Zwanzigmal habe ich verlangt, sie sollen eine Michla’a einrichten.[11] Anderswo, nicht bei meiner Tankstelle. Es hilft alles nichts.“
Es kommen immer mehr Lieferwagen und Lastautos von den umliegenden Siedlungen. Die Menge rennt ihnen nach, will Arbeit. Pallaver. Die Autos blockieren die Zufahrt zur Tankstelle. Um 6.40 Uhr platzt Oded Ramati der Kragen. Er hat das Bedürfnis, etwas zu tun, sofort. „Gesindel“, schreit er, „weg mit euch!“ Sie rühren sich nicht. Oded Ramati nimmt einen Wasserschlauch und spritzt. Die Menge weicht zurück wie ein Rudel begossener Hunde. Aber nicht mehr als 10 Meter. Am anderen Ende der Tankstelle klettern ein Dutzend Buben, vielleicht 13 Jahre alt, in einen Lieferwagen. Auf dem Auto steht: „Misch’anim Institut“. Dieser Wagen ist heute schon zum zweiten Mal hier. Der Fahrer sagt: „Ja, es ist widerlich. Wirklich widerlich. Aber sie müssen auch leben.“ Und es ist widerlich, ihn zu fragen, ob er Kinder hat. Denn wo ist der Zusammenhang?
Um 7.30 Uhr ist der Platz fast leer. Noch etwa 25 Kinder tollen umher. Die meisten sind 12 bis 14 . Eines ist sehr klein. Höchstens 8 Jahre alt.
„Wo kommst Du her?“
„Aus Khan-Junis.“
„Gehst Du zur Schule?“
„Nein.“
Ein netter, schwarzer Junge. Ist das Kind in Ordnung? Man wird sagen müssen: Ja. Wie wir und unsere Kinder. Sehen wir in ihm den künftigen Menschen? Das Kind wird heranwachsen und uns dies mit Handgranaten heimzahlen.
Keine Spur von einem Beamten des israelischen Arbeitsministeriums zu sehen. Es gibt eine Menge Gesetze. Arbeitsgesetz: „Es dürfen nur … „. Jugendschutzgesetz, 1953: „Kinder unter 16 Jahren dürfen nicht eingestellt werden.“ Klar formuliert. Wer gegen dieses Gesetz verstößt, macht sich strafbar. Aber weit und breit kein Polizist. Ramati sagt, daß er in den vergangenen 18 Monaten nicht einen einzigen Polizisten hier gesehen hat.
Um 7.45 Uhr kommt ein weiterer Lieferwagen aus Richtung Gaza, vollgepackt mit Männern und Kindern. Aber weil es schon so spit ist, werden die Männer keine 60 Pfund mehr bekommen. Oded Ramati verliert den Rest seiner Geduld. Er rennt auf den Platz, zieht einen Revolver und schießt dreimal in die Luft. Niemand regt sich. Sie kennen diese Schau. Sie sagen, daß dies jede Woche zweimal passiert. Der Wasserschlauch war wirkunsvoller. Ramati geht zur Tankstelle zurück. Zwei offizielle Herren mit sauber gestärkten Hemden warten hinter der Windschutzscheibe ihres klimatisierten Wagens auf Benzin.
Am folgenden Tag telephoniere ich mit einem Experten vom israelischen Arbeitsministerium in Tel Aviv. „Also wenn ich ehrlich sein soll“, sagt der Mann, „für uns ist das eine Randerscheinung.“[12]
DAS REGIME FÜR REINHEIT DER RASSE
Übersetzung aus HAOLAM HAZEH, 14. Juni 1978. Der hebräische Titel Lautet: „Hamimschal Lema’an tohar hageza“. Ein Autor ist, wie bei Nachrichtenmagazinen üblich, nicht angegeben.
„Warum willst Du diesem dreckigen Araber ein Kind zur Welt bringen?! Wenn Du es nicht abtreibst, wirst Du ein kleines PLO-Mitglied großziehen! Warum willst Du einen PLO-Mann in die Welt setzen? Du bist eine von uns, eine jüdische Frau! Wenn Du für keine Fehlgeburt sorgst und den Dreckskerl nicht verläßt, werde ich Dich hinter Gitter bringen, und da wirst Du mal erleben, was ich alles mit Dir machen kann. Ich werd‘ Dir das Abtreiben schon beibringen!“
Das waren, so berichtet uns Daniela-Amin el-Kissije, die, Worte des stellvertretenden Militärgouverneurs von Hebron (im besetzten Cisjordanien), Major Noni. Der Ort der Handlung: Hebron, im Gebäude der Militärregierung.
Der „dreckige Araber“ ist ihr Mann, Hassan el-Kissije aus dem Dorf Daharija an der Straße von Hebron nach Beer Scheva.
„Es interessierte den Gouverneur, Colonel Moris Biton, und seinen Stellvertreter, Major Noni, nicht im geringsten, daß sie da von meinem Mann sprachen, den ich liebe und den ich geheiratet habe, obwohl ich wußte, daß ich Schwierigkeiten bekommen würde“, sagt Daniela. „Es interessierte sie nicht, daß ich zum Islam übergetreten bin und gar keine Jüdin mehr bin. Es ging ihnen nur darum, daß eine ehemalige Jüdin, von ihrer höheren Rasse, einen Araber geheiratet hat und auch noch Kinder haben möchte. Es ist ihnen gleichgültig, daß es ihnen ihre eigene Religion verbietet, ein Kind abzutreiben, und daß das für eine Frau gefährlich ist. Und überhaupt: Wie können Sie eine Frau, die ihren Mann liebt, zwingen, ihr ungeborenes Kind zu ermorden? Nur die Nazis haben so etwas gemacht.“
Diese unglaubliche Geschichte von israelischen Offizieren und Bürgern aus der Umgebung der Militärbehörde in Hebron, die Daniela-Amin und ihren Mann Hassan in die Enge zu treiben versuchten, einzig und allein, weil sie sich unterstanden hatten, eine Mischehe zu schließen, hatte begonnen, lange bevor Daniela und Hassan sich kennenlernten. Daniela, ein hübsches Mädchen mit schwarzen Haaren, ein typisches jüdisches Jemeniten-Mädchen, stammt aus Kirjat Ekron in der Nähe von Rehovot. Sie wurde in sehr jungen Jahren auf Betreiben ihrer Eltern mit einem älteren Mann verheiratet, einem Witwer und Vater von fünf Kindern.
Nach einigen Monaten spielte sie nicht mehr mit: „Ich sehe nicht ein, weshalb ich mit diesem alten Mann leben soll“, und sie verlangte die Scheidung, trotz aller Vorhaltungen ihrer Familie und der ihres Mannes. Aber sie stellte sehr bald fest, daß es nach dem Jüdischen Religionsgesetz nicht einfach ist, eine Scheidung zu erwirken, wenn die eine Seite nicht einverstanden ist. Ihr Mann stimmte der Trennung nicht zu, und sie begriff, daß sie ohne einen drastischen Schritt für noch viele Jahre seine Frau sein würde.
Obwohl Daniela aus einem strengen, traditionellen Elternhaus stammt, ist sie ein typisches israelisches Mädchen, voller Leben und mit einer eigenen Meinung. Als jemand im Scherz zu ihr sagte: „Konvertiere doch zum Islam, dann werden Dich die Rabbis sofort scheiden“, machte sie sich ohne Umschweife auf den Weg zum Schari’a Gericht in Jaffa und konvertierte. Ja, und die Scheidung bekam sie nachgeliefert.
Moslem zu werden bedeutete für Daniela nichts. Das war ein Notbehelf, um die Scheidung zu erlangen, und weiter nichts. Sie betrachtete sich im übrigen weiterhin als Jüdin. „Ich war niemals religiös, obwohl meine Eltern es sind“, sagte sie. „Es ist mir gleichgültig, ob ich jüdisch, muslimisch oder christlich bin, das ist alles eins.“
Nach der Scheidung wurde Daniela, die heute 25 ist, klar, daß sie nicht in ihrem Elternhaus leben konnte. Sie ging also in den Süden des Landes, in die Gegend des Toten Meeres, und arbeitete bei der Telephonvermittlung im Hotel Ganai-Schulamit. Ganz in der Nähe, im Hotel Ein Bokek, war Hassan el-Kissije aus Daharija beschäftigt. Hassan, der heute 23 ist, arbeitete seit 4 Jahren in diesem Hotel und gehörte zu den festen Angestellten. Er galt als guter und zuverlässiger Arbeiter und hatte es vom Bellboy zum Aufseher über die Hotelwäsche und die Zimmerreinigung gebracht. Er verdiente gut.
Für die Hotelangestellten in dieser Gegend, weitab von allen Städten, ist der Strand des Toten Meeres der Treffpunkt in ihrer Freizeit, und dort lernten sich die beiden kennen. Und es passierte ihnen, was Millionen von jungen Paaren überall auf der Welt passiert: Sie verliebten sich und wußten nicht, daß sie sich besser nicht lieben sollten, denn Hassan war als Moslem geboren und Daniela als Jüdin.
Als sie einige Monate danach beschlossen zu heiraten, glaubten sie, daß jeder ihnen das Glück gönnen würde. Hassans Eltern hatten zuerst Bedenken: „Wozu brauchst Du das, Du wirst mit den Behörden Schwierigkeiten bekommen“, sagte ihm sein 75 Jahre alter Vater. Aber Hassan war entschlossen: „Ich liebe sie, sie ist alles in meinem Leben, und was kümmern mich die Behörden.“ Noch heute besteht Hassan darauf, daß er tief in seinem Herzen überzeugt war, daß niemand ihm Schwierigkeiten wegen seiner Liebe machen werde. Der Vater war schließlich überzeugt und mit ihm die ganze Familie, ja das ganze Dorf Daharija. „Die Hochzeitsfeier, die das Dorf uns bereitete, war die schönste, die es in Daharija je gegeben hat. Das ganze Dorf war da, mitsamt den Notabeln von Hebron. Das ging die ganze Nacht. Es war die schönste Hochzeit, die man sich denken kann. Alle waren glücklich. Wirklich glücklich. Und ich hatte das Gefühl, daß alle Glückwünsche aus dem Herzen kamen. Es war keine der üblichen israelischen Hochzeiten, ich meine in einem Saal, mit den Geflügelspeisen und den Leberschnitten, wie die Hochzeiten in Rehovot, nein, sie war mitten im Dorf, sehr einfach, aufrichtig und wundervoll“, erzählte mir Daniela diese Woche.
Aber nicht alle kamen. Die Freunde und Arbeitgeber von Hassan und Daniela (die ihren Namen in Amin abänderte) aus den Hotels, wo sie gearbeitet hatten, kamen nicht. „Wir haben sie eingeladen, und sie haben zugesagt, aber sie kamen nicht“, erzählt Hassan. „Ich begriff das erst ein paar Wochen später.“ Auch die Familie der Braut kam nicht. „Zur Hochzeit kam niemand, aber ein paar Tage später kam meine Schwester mit einem Taxi aus Rehovot und veranstaltete im Dorf, in der Nähe unseres Hauses, einen Skandal. Warum ich einen Araber geheiratet habe. Wir mußten die Polizei holen, die sie zur Vernunft brachte und verwarnte“, sagt Daniela.
Aber das eigentliche Hochzeitsgeschenk, wie die beiden das nennen, bekamen sie acht Tage nach der Trauung von der Militärpolizei und den Militärbehörden in Hebron.
Hassan erzählt: „Wir wohnen im Haus meiner Eltern. Sie gaben uns eines ihrer Zimmer. Ungefähr eine Woche nach der Trauung kam die Polizei, morgens um vier Uhr. Einer der Polizisten wies sich als David Atar aus, aber ich bin sicher, daß dies nicht sein richtiger Name war. Er nahm uns beide mit aufs Polizeirevier, wo wir bis acht Uhr warten mußten. Dann kam ein Mann namens Abu-Nur, und als ich hörte, was er zu sagen hatte, begann ich zu ahnen, was uns für die Zukunft bevorsteht.“
Daniela-Amin erzählt die Geschichte von jenem frühen Morgen weiter: „Hassan mußte draußen warten, während sie mich bearbeiteten. Abu-Nur schrie mich an: ‚Hast Du nichts besseres zu tun, als einen arabischen Abschaum zu heiraten?‘ In diesem Stil ging es weiter, bis sie mich gehen ließen.“
„Ich stand noch völlig im Schock der Ereignisse am Morgen, als gegen zehn Uhr abends Soldaten kamen. Sie weckten die ganze Nachbarschaft mit ihrem Lärm auf und brachen in unser Haus ein. Wir waren schon im Bett, und sie sagten, wir hätten morgen früh vor dem Militärgouverneur zu erscheinen. Wir gingen hin. Zuerst wurden wir zum Stellvertreter des Militärgouverneurs geschickt, ein großer Mann mit weißen Haaren namens Noni. Er schrie mich sofort an: ‚Willst Du ein PLO-Kind haben? Wenn ich möchte, kann ich mit Dir eine Abtreibung veranstalten! Wen hast Du da geheiratet, einen dreckigen Araber? Abschaum? Aber Du bist ja selber eine Hure. Für mich gibt’s Araber nur im Krieg. Entweder wir werden Dich erledigen oder ihn!‘ Währenddessen war Hassan draußen. Er durfte nicht herein.“
„Dann kam der Militärgouverneur selbst, Colonel Biton. Er behandelte mich ganz genauso: ‚Deine Eltern waren bei mir. Sie sind bereit, Dich wieder aufzunehmen, wenn Du den Araber fahren läßt und zu Deinem früheren Mann zurückkehrst! Was zieht Dich denn so an? Das Bett? Versteht ein Araber, wie man bei einem Mädchen liegt? Er wird ein anderes nehmen. Die Juden sind eine stolze Nation. Man heiratet keinen Araber. Ich werde ihn 40 oder 50 Tage ins Gefängnis stecken, und Dich laß ich nicht in Ruhe! Aber wenn Du vernünftig wirst, kannst Du in zwei Tagen wieder kommen, Dein früherer Mann wird dasein, Du gehst zu ihm zurück und die ganze Sache ist vergessen.‘ Ich konnte ihm nur sagen, daß ich Hassan liebe, und daß es für mich keinen Unterschied macht, daß er ein Araber ist. Aber sie hörten mir gar nicht zu. Das war für sie kein Argument. Schließlich ließen sie mich gehen, und ich dachte, daß jetzt der Alptraum ein Ende hat.“
Aber drei Tage später merkte das junge Paar, daß der Alptraum erst begonnen hatte. Vor ihrem Haus in Daharija hielt ein Polizeiauto, und sie wurden zum örtlichen Polizeirevier abgeholt. Der dortige Beamte wies sich als Dayan aus und eröffnete Daniela-Amin: „Ich werde Anklage wegen illegalen Aufenthalts in der Westbank erheben lassen.“ Zu ihrem Erstaunen erfuhr Daniela, daß es für Israelis gesetzlich verboten ist, sich ohne Erlaubnis länger als 48 Stunden in der Westbank aufzuhalten. Und das traf für sie zu, trotz der Tatsache, daß sie bei ihrem Mann und in dessen Haus wohnte.
Amin und Hassan wandten sich sofort an die Vertretung des israelischen Innenministeriums in Hebron, und Amin stellte unter Verzicht auf die israelische Staatsbürgerschaft den Antrag auf einen Personalausweis als Bewohner der Westbank. Die Beamten wunderten sich, und es wurde Noni, der Vice-Gouverneur, hinzugezogen. In Gegenwart eines jungen Angestellten namens Baruch wurde Amin ein weiteres Mai von Noni angeschrien: „Ich werde Dir das Abtreiben schon beibringen! Ich werde Dich hinter Gitter bringen, und da wirst Du schon sehen, was ich alles mit Dir machen kann!“ Und Baruch fügte hinzu: „Jeder Araber ist unser Feind, und auch Dein Feind! Wenn Du einen Araber geheiratet hast und Dich nicht von ihm trennst, und ihm ein Kind zur Welt bringst, dann bist auch Du unser Feind und gehörst umgelegt wie alle!“
„Es war mein Unglück“, sagt Daniela-Amin, „daß dies am Tag nach dem Terroristenüberfall auf den Omnibus auf der Küstenstraße nach Tel Aviv war. An diesem Tag fühlten sich alle als Kämpfer. Ihr ganzer Zorn über das Geschehen beim Country-Club richtete sich gegen mich. Plötzlich war ich der Feind, nicht die Terroristen.“[13]
Als sich Noni etwas beruhigt hatte, versuchte er „ernsthaft“ mit Daniela-Amin zu reden. „Ich besorge Dir innerhalb eines Tages einen Mann. Einen jüdischen Mann. Also laß doch einfach diesen Drecks-Araber fahren!“
Und wieder wollte er Amins Beteuerung, daß sie ihren Mann liebt, nicht hören. Das war für ihn kein Argument. Der israelische Personalausweis wurde ihr abgenommen, und einen neuen hat sie bis heute nicht bekommen.
„Sie haben mir nicht einmal eine Bescheinigung gegeben, daß sie meine Papiere einbehalten haben“, sagt sie, „und jetzt kann mich jeder Polizist festnehmen, weil ich keinen Ausweis habe. Noni sagte sogar: ‚Ich werde Dir niemals einen Westbank-Ausweis geben‘.“
Seit diesem Tag kamen sie mindestens zweimal pro Woche in Hassans und Amins Haus. „Wir gingen immer in großer Angst schlafen“, sagen sie, „wir legten uns mit den Kleidern ins Bett, damit sie uns, wenn sie mitten in der Nacht kamen, nicht ohne Kleider überraschen konnten. Und wenn wir ein Auto in der Hauptstraße hörten, waren es fast immer Soldaten. Wir konnten sie von weitem hören, wie sie bei verschiedenen Häusern an die Türen klopften und herumbrüllten: ‚Wo wohnt diese Jüdin?‘ Und wenn sie an unsere Türe klopften, schrien sie so laut, daß die ganze Nachbarschaft aufwachte. Wenn wir öffneten, verlangten sie Papiere zu sehen, beschimpften uns und gingen wieder. Ich bin sicher, daß diese Besuche bei dem ‚Araber, der eine Jüdin hat‘, zu ihrem Hauptvergnügen geworden waren.“
Es scheint, daß vor einem Monat die Soldaten zu weit gingen. Hassan berichtet: „Ich hörte mitten in der Nacht laute Stimmen aus dem Nachbarhaus. Sie schlugen an die Türe und sagten: ‚Wir legen Dich um, wenn Du uns nicht sofort zu diesem Hassan bringst, der eine Jüdin hat‘. Man zeigte ihnen unser Haus und sie erbrachen die Türe. Mein Vater war krank. Er hatte Lungenentzündung. Er ist ein alter Mann, 75 Jahre alt. Sie schrien ihn an: Wo ist Hassan, wo ist Hassan?, und noch bevor er antworten konnte, schlugen sie auf meinen Vater ein. Mein Bruder glaubte, sie seien gekommen, um mich umzubringen. Sie brüllten herum, daß sie das Haus in die Luft jagen werden, daß sie den Befehl dazu hätten. Als sie dann wissen wollten, was im Nebenraum sei, antwortete mein Bruder: ‚Da ist nichts, nur eine Vorratskammer‘. Sie brachen die Türe auf und fanden mich und Amin. Ein Offizier namens Salman sagte zu mir: ‚Jammerschade, daß wir die Türe nicht mit ein paar Schüssen geöffnet haben; es wäre doch zu schön gewesen, wenn wir Dich und diese jüdische Hure erschossen hätten!‘ Zunächst einmal verhafteten sie meinen Bruder, weil er gelogen hatte. Dann wollten sie auch meinen Vater mitnehmen, aber ich flehte sie an, ihn in Ruhe zu lassen, weil er krank war. Es hätte ihn umbringen können. Und erst als sich die Aufregung etwas gelegt hatte, erfuhren wir, weshalb sie gekommen waren: Daniela-Amins Bruder sei dessertiert und sie würden ihn bei uns suchen. Das stimmte natürlich nicht. Erstens war ihr Bruder gar nicht dessertiert, und zweitens kannten sie die Beziehungen zwischen Daniela und ihrer Familie so gut wie wir. Niemand von der Familie würde zu uns kommen. Sie nahmen meinen Bruder mit. Am anderen Tag forschte ich nach, was sie mit ihm gemacht hatten. Sie hatten ihn die ganze Nacht im Freien liegen lassen. Es war eine sehr kalte Nacht. Als sie mich sahen, redeten sie davon, uns beide ins Gefängnis zu werfen. Ich mußte zur Strafe dann einige Stunden neben der Türe stehen. Erst am Nachmittag ließen sie uns gehen.“
„Zuhause stellte sich heraus, daß der Militärgouverneur doch noch recht bekommen hatte. Die Aufregung der Nacht war zu viel gewesen für Daniela, sie hatte ihr Kind verloren. Major Noni kann zufrieden sein. Er kann die Abtreibung eines Kindes verbuchen, das einer ehemals jüdischen Mutter und einem muslimischen Vater geboren werden sollte.“
Offenbar brachte der Verlust des Kindes das Maß zum Überlaufen. Hassan ging nach Jerusalem und erzählte der Rechtsanwältin Felicia Langer seine Geschichte. Frau Langer schrieb unverzüglich einen Brief an Verteidigungsminister Ezer Weizman. Nach der Darlegung der Einzelheiten des Falles fügte sie hinzu: „Das Verhalten der Untergebenen des Militärgouverneurs stellt einen schweren Verstoß gegen die Bürgerrechte und die Religionsfreiheit dar. Hinzu kommt eine gewalttätige Einmischung in die Privatsphäre eines Mannes und einer Frau. Liebesaffären fallen nirgendwo in den Geschäftsbereich von Militärgouverneuren und Polizisten. Es ist wohl nicht nötig, darauf hinzuweisen, daß dieses Verhalten gegen die Genfer Konvention verstößt und mit keinerlei Kriterien zu rechtfertigen ist.“
Weder das Paar noch Frau Langer haben vom Verteidigungsminister, abgesehen von einer Empfangsbestätigung, eine Antwort erhalten. Aber das Paar bestätigt, daß es vom Tag des Eingangs des Schreibens an nicht mehr belästigt worden ist.
Das Redaktionsbüro von HAOLAM HAZEH hat sich an den Armeesprecher mit der Bitte um Genehmigung zu einem Gespräch mit jenen Vertretern der Militärbehörde gewandt, deren Namen im Zusammenhang mit dieser Affäre genannt wurden, und gegen die Hassan und Amin Beschuldigungen erhoben haben, die Assoziationen an die Zeit des Zweiten Weltkrieges hervorrufen. Das Schreiben blieb ohne Antwort. Der Armeesprecher hat innerhalb der vergangenen drei Wochen weder abschlägig noch zustimmend reagiert.
Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Dani Weinreich, der vom Redaktionsbüro um eine Stellungnahme gebeten wurde, sagte unserem Reporter: „Uns ist bekannt, daß Sie sich in dieser Angelegenheit an den Armeesprecher gewandt haben. Die ganze Sache liegt bei ihm, und das ist alles, was ich Ihnen dazu sagen kann.“
Soweit uns bekannt ist, sind die erwähnten Offiziere nach wie vor in ihren Ämtern tätig und es wurden keinerlei Schritte gegen sie unternommen. Auch gegen andere Soldaten oder Offiziere wurde nichts unternommen.
Hassan und Amin sind nicht an Rache oder Bestrafung interessiert – letzteres sollte eigentlich im Interesse der Armee liegen. Das Paar wünscht nichts weiter, als daß Amin mit ihrem Mann zusammen in dessen Dorf leben kann, und daß sie einen Ausweis als Einwohner der Westbank erhält.
Amin und Hassan wollen niemand gerichtlich belangen, auch ihre früheren Arbeitgeber nicht. „Wir wurden entlassen, und ich habe nicht einmal eine Abfindung bekommen, obwohl ich fest angestellt war und dort vier Jahre gearbeitet habe“, sagt Hassan. „Ich bin gegenwärtig ohne Arbeit, und wir leben von meinen Ersparnissen. Aber mit Gottes Hilfe werde ich schon Arbeit finden. Das ist nicht so wichtig. Wichtig ist nur, daß man meine Frau in Ruhe läßt. Ich möchte nicht, daß man sie belästigt, nur weil sie mich geheiratet hat, und ich möchte nicht, daß man meine Familie belästigt, bloß weil da ein Sohn die schreckliche Tat begangen hat, die Frau, die er liebt, zu heiraten.“[14]
KU-KLUX-KLAN IN OBER-NAZARETH
Von Heda Bosches
Übersetzung aus HA’ARETZ, 12. Dezember 1983. Heda Bosches ist die Fernsehkorrespondentin von HA’ARETZ.
Ich bewundere Dan Margalits Selbstbeherrschung. Wäre ich an seiner Stelle als Leiter der Fernsehsendung gewesen, ich hätte Galila Barkai, die Vertreterin von MENA aus Ober-Nazareth, zurechtgewiesen. Sie unterscheidet sich von Alexander Finkelstein nur im Ausdrucksstil, ansonsten sind die beiden siamesische Zwillinge. Während ich dieser brutalen und militanten Frau zuhörte, fühlte ich mich als Fremde in meinem eigenen Land, das Leute wie diese hervorbringt. Galila Barkai, die Hauptsprecherin des Programms „Mifgaschim“ („Treffpunkte“) am vergangenen Donnerstag aus Ober-Nazareth, ist für mich ein Symbol des Bestiahisierungs-Prozesses, den wir durch machen. An manchen Stellen wollte ich mir einreden, daß diese Frau und die anderen Repräsentanten der jüdischen Einwohner von Ober-Nazareth nicht hören und nicht verstehen, was sie da von sich geben.
Aber für solchen Optimismus ist kein Platz. Diese Herrschaften, genau wie die Bewohner des Wohnhauses, die sich in Kaspis Film gegen eine arabische Frau zusammenscharten, die dort eine Wohnung gemietet hat, artikulierten reinen Rassismus. Sie artikulierten den gleichen Rassismus, der für die Verschickung von Millionen luden in die Gaskammern verantwortlich war (und ich bekenne, daß ich mich bis zum heutigen Tag beharrlich geweigert habe, diesen Vergleich zu ziehen!). Wenn das zum Beispiel in Frankreich passieren würde, so gab ein arabischer Bewohner von Nazareth während der Sendung zu bedenken, und die Einwohner einer französischen Stadt würden sich im Namen der Reinhaltung der Rasse und der Bewahrung des „Franzosentums“ gegen Juden zusammenscharen, die sich im Ort niederlassen möchten, die Juden würden alle Welt in Bewegung setzen und vor Antisemitismus warnen. . Darauf antwortete die energische Frau mit den kalten Augen, daß der Unterschied der sei, daß es in Israel diese „schönen Seelen“ gibt, die für die Araber eintreten. Als ob es in Frankreich keine Leute mit Gewissen gäbe. Und selbst wenn es dort keine Leute mit Gewissen gäbe, wo soll da der grundlegende Unterschied sein? Was mich betrifft, ich bin stolz darauf, von dieser Galila unter die „schönen Seelen“ gerechnet zu werden, und wenn man mich fragt, ich würde es vorziehen, mit Frau Huri in einem Haus zu wohnen, und nicht mit Galila Barkai. Der Grund ist einfach der, daß Frau Huri eine charmante, intelligente und zivilisierte Frau ist, während Galila Barkai genau das Gegenteil verkörpert. Schande über den Staat Israel, daß er solche Menschen hervorbringt!
Aber es handelt sich nicht einfach bloß um Nachbarschaftsbeziehungen. Wir müssen das gefährliche und sinnlose Gerede von der „rein-jüdischen Stadt“ in Mißkredit bringen. Die Patrioten von Ober-Nazareth nehmen für sich in Anspruch, dieses Wort von Ben Gurion übernommen zu haben, der aber doch gewiß keine rassische Diskriminierung im Sinn hatte.[15] Mir will einfach nicht in den Kopf, daß der Ausdruck „rein“, in diesem Zusammenhang gebraucht, bei Juden keine Assoziationen und keine Erinnerungen auslösen soll. Die meisten der Teilnehmer dieser Sendung, auf der jüdischen Seite, zeigten sich jedenfalls völlig unbeeindruckbar. Es sind Repräsentanten des widerwärtigen Israel, des „Araber-reinen“. Diese enthusiastischen Chauvinisten dürften wohl die ersten sein, die auf die „schönen Seelen“ einschlagen werden, die sich einen jüdischen Staat wünschen und die Siedlungen jenseits der grünen Grenze (d.h. in den besetzten Gebieten; Zusatz d. Obers.) ablehnen…
Jede Diskriminierung, wie wir sie in Ober-Nazareth sehen, die zu scheußlichen Gewaltakten greift und zu Schandlisten von denjenigen, die Wohnungen an Araber verkauft haben, ist eine rassistische Diskriminierung im antisemitischen Stil. Galila und Alexander und die übrigen MENA-Mitglieder sind israelischer KU-KLUX-KLAN im wahrsten Sinn, und eines nicht so fernen Tages werden sie womöglich auch weiße Kapuzen überziehen und Scheiterhaufen anzünden, und das alles im Namen eines „Judentums“, dessen Antlitz und Wesen sie bis zur Unkenntlichkeit entstellt haben.[16]
SO DENKT DIE JUGEND
Ein Brief an den Herausgeber
Von Dr. Schlomo Ari’el
Übersetzung aus HA’ARETZ, 1. Dezember 1983.
Im Rahmen meiner beruflichen Pflichten hatte ich kürzlich Gelegenheit, mit Gruppen von Jugendlichen vor ihrer Einberufung zur Armee Gesprächsrunden zu Tagesthemen abzuhalten. Ich bin mit etwa zehn Gruppen von jeweils fünfzig Jungen zusammengekommen, die in gewissem Sinn als repräsentativer Querschnitt der jüdischen Bevölkerung dieser Altersstufe in Israel gelten können, weil sämtliche sozialen Schichten aus allen Volksgruppen vertreten waren. Im Zusammenhang mit der Fernsehsendung vom 1. November mit Finkelstein aus Ober-Nazareth brachte ich das Thema der Haltung gegenüber Arabern zur Sprache, die israelische Staatsbürger sind. Die große Mehrheit der jugendlichen Gesprächsteilnehmer identifizierte sich voll und ganz mit Finkelsteins rassistischer Einstellung gegen diese Araber. Als ich geltend machte, daß sie israelische Bürger sind, denen eine gesetzliche Gleichbehandlung zusteht, war die typische Reaktion, daß ihnen dann eben die israelische Staatsbürgerschaft entzogen werden müsse. In jeder Diskussionsgruppe gab es einige Jugendliche, die bis zum Vorschlag der physischen Ausrottung dieser israelischen Bürger gingen, einschließlich der Alten, der Frauen und der kleinen Kinder. Der Vergleich mit dem Massaker in den Beiruter Flüchtlingslagern Sabra und Schatila (vom September 1982), oder mit den Nazi-Shlächtereien, wurde von ihnen gutgeheißen, ja sie gaben in völliger Offenheit zu erkennen, daß sie eine derartige Ausrottungsaktion mit eigenen Händen und ohne Gewissensbisse mitgemacht hätten. Kein einziger zeigte sich angesichts solcher Vorschläge schockiert oder brachte Einwände vor. Es gab hingegen einige, die sagten, daß eine physische Ausrottung nicht nötig sei, eine Vertreibung über die Grenzen würde genügen.
Viele andere traten für Apartheid wie in Südafrika ein. Der Hinweis, daß für die Araber mit israelischer Staatsbürgerschaft dieses Land ihr Heimatland ist, wurde mit Erstaunen und Spott aufgenommen. Jedes moralische Argument wurde höhnisch zurückgewiesen. In jeder Gruppe waren allenfalls zwei oder drei Jugendliche mit humanistischer und antirassistischer Einstellung in dieser Frage, aber es war ihnen anzumerken, daß sie sich fürchteten, ihre Meinung offen auszudrücken. Und tatsächlich wurden auch die ganz wenigen, die mutig genug waren, ihre unpopuläre Ansicht zu äußern, sofort durch einen Chor der Entrüstung zum Schweigen gebracht.
SCHUTZIMPFUNG
Von Dan Miron
Übersetzung aus JEDIOTH AHARONOT, 3. Februar 1984. Professor Dan Miron Ist der In Israel bekannteste und geschätzteste Literaturkritiker.
Seit den beiden Fernsehauftritten von Mitgliedern der MENA-Gruppe aus Ober-Nazareth hat sie eine ausgesprochen „schlechte Presse“. Journalisten jeder Sorte und Leute der unterschiedlichsten politischen Parteien waren schockiert, als sie an jenem späten Abend des 1. November 1983 im Fernseh-Interviewprogramm „Koteret Laila“ sozusagen die Geburtsstunde des israelischen Rassismus erlebten. Und alle miteinander – darunter auch Leute, die nicht gerade dafür bekannt sind, daß sie jemals etwas für die Förderung von Toleranz zwischen Juden und Arabern getan haben – alle miteinander mißbilligten das Phänomen. Die Aktionen und Äußerungen der MENA-Gruppe schienen der Entrüstung von Leuten nahezu jeder politischen Einstellung wert zu sein, ein paar Parteigänger von Groß-Israel eingeschlossen. Verteidigungsminister Mosche Arens zog sogar eine Parallele zwischen Nazareth und Hebron, was MENA gar nicht gefiel. Wenn jüdischen Siedlern in Hebron erlaubt ist, ihre Anwesenheit der arabischen Bevölkerung aufzuzwingen, dann sollte es, nach Meinung von Arens, auch den Arabern von Nazareth erlaubt sein, in Ober-Nazareth zu leben und ihre Anwesenheit der dortigen jüdischen Bevölkerung aufzuzwingen. Und so konnte der Eindruck entstehen, daß die MENA-Gruppe mit ihrer Weigerung, Araber in Ober-Nazareth wohnen zu lassen, womöglich Gott behüte! – die Logik der jüdischen Besiedlung der besetzten Gebiete untergräbt…
Es dürfte offensichtlich sein, daß ich hier keineswegs beabsichtige, die Leute von MENA als unschuldig-tugendhaft darzustellen, und die Schelte als unverdient. Ich bin allerdings der Meinung, daß wir mit dieser Kollektiv-Attacke auf diese Leute einen allzu einfachen Weg aus dem Schlamassel einschlagen. Wir sollten diese Schelte nicht in ein Absolutions-Ritual verkehren, das alle jene freispricht, die in ihren Herzen an den öffentlich geäußerten Schändlichkeiten teilhaben, oder die anderweitig, direkt oder indirekt, für die Vergiftung der Herzen und Gemüter verantwortlich sind. Die Umfunktionierung der MENA-Mitglieder zu einem Sündenbock, zum einzigen Bazillenträger des israelischen Rassismus, ist nicht dazu angetan, Toleranz und Brüderlichkeit zwischen Juden und Arabern zu fördern.
Man sollte differenzieren zwischen realen und „existentiellen“ Beweggründen einerseits, die die Ursache für die Entstehung von MENA und für deren Aktionen waren, und der ideologischen Vereinfachung andererseits, die in den Äußerungen der MENA-Vertreter sichtbar wird. Mit dieser Differenzierung möchte ich keineswegs den Stellenwert und die Gefahr herunterspielen, die in der ideologischen Vereinfachung steckt. Ich bin im Gegenteil der Meinung, daß ideologische Vereinfachungen zeitenweise viel gefährlicher sein können als das tatsächliche Übel und die Gefahr der Stunde, die die Gelegenheit zur Ideologisierung geboten haben. Diese Differenzierung ist nichtsdestoweniger wesentlich, wenn wir ehrlich auf die Aktionen von MENA reagieren wollen.
Wir müssen in diesem Sinne klarstellen, daß die realen Beweggründe, mit denen wir es hier zu tun haben, weder neu sind noch einzig und allein für die Bewohner von Ober-Nazareth gelten. Sie entwickelten sich aus dem wohlbekannten, in „Heimarbeit“ geschaffenen Rassismus, der Teil unseres Lebens in Israel ist. Es ist definitiv kein neues Phänomen, daß Juden sich weigern, zusammen mit Arabern auf gleicher Basis zu leben. Auch die andauernden Belästigungen, die darauf angelegt sind, die Araber aus Ober-Nazareth zu vertreiben und andere vom Zuzug abzuschrecken, sind nichts Neues. Diese Art von Ablehnung und derartige Aktionen gibt es in Tel Aviv und Jerusalem, und es gibt sie in anderen Städten, im Moschav und sogar im Kibbutz. So etwas gibt es auch, nebenbei gesagt, in verschiedenen Teilen der freien und der nicht-freien Welt, wo jemand wegen seiner Hautfarbe, oder seinem sonderbaren Namen, kein Hotelzimmer bekommen, keine Wohnung mieten, oder nicht Mitglied in einem Sportverein werden kann.
Solche Zurückweisungen und solche Aktionen entstehen aus Haß gegenüber dem Anderen, aus Furcht vor ihm, aus dem Hang, sein Dasein nicht auf der Grundlage realer menschlicher Gegebenheiten aufzufassen, sondern sich mystischer Stereotypien zu bedienen, die entweder bedrohlich-dämonische, oder lächerlich-abschätzige Untertöne haben. In anderen Teilen der Welt beruht dieser Haß und diese Angst auf alten religiösen oder nationalen Traditionen, auf sozialem oder wirtschaftlichem Konkurrenzneid, auf Minderwertigkeitsgefühlen (üblicherweise in der Maske von hochtrabendem Religions- oder Nationalstolz), auf Unsicherheit und allgemeiner Hilflosigkeit (in der Maske großartiger Illusionen und prahlerischer Macht). In Israel kann zu all dem die Konfliktspannung, der Haß und die Angst hinzuaddiert werden, die seit dem Beginn der neuen jüdischen Siedlung in Eretz Israel aus der Blutfehde zwischen Juden und Arabern herangewachsen sind. Genau betrachtet ist der rassistische Haß auf die Araber in Israel überhaupt nicht verwunderlich. Es ist im Gegenteil verwunderlich, und es verdient Respekt, daß kleine Teile der israelischen Öffentlichkeit standfest genug waren und von diesem Haß nicht mitgerissen wurden. Man muß sich klar machen, daß dies nicht nur einen unablässigen Kampf mit der allgemeinen Atmosphäre der gesamten Umwelt bedeutet, sondern einen noch schwereren Kampf mit tiefen, psychologischen Bedrängnissen. Ich glaube, daß kein Teil der israelischen Öffentlichkeit völlig frei ist von diesem rassistischen Krankheitsherd. Sogar in den Kibbutzim von Haschomer Hatza’ir, wo die Solidarität unter den Nationen hochgehalten wird, kann die romantische Episode eines jüdischen Kibbutz-Mitglieds mit einem arabischen Mädchen unglaubliche Verwicklungen hervorrufen, die nichts anderes sind als Rassismus.
Die Bewohner von Ober-Nazareth sind gewöhnliche Israelis, sie sind wie alle anderen. Zehntausende von Israelis teilen deren reale Beweggrunde., Ich erinnere mich, wie ich vor 15 Jahren, nach dem Sechs-Tage-Krieg, Mitglied einer Gruppe von Studenten und Dozenten an der Tel Aviver Universität war, die sich unter anderem die Aufgabe gestellt hatte, den israelisch-arabischen Studenten bei der Lösung ihrer Probleme zur Seite zu stehen. Ihr schlimmstes Problem war das Unterkunftsproblem. Viele arabische Studenten kamen aus Nazareth und den Dörfern des Dreiecks oder des Galils und konnten in Tel Aviv und Umgebung keine Unterkünfte finden. Die Zimmervermieter weigerten sich, sie als Mieter zu akzeptieren. Ein fluchtiger Blick auf den Studenten oder sein Akzent reichten aus, um ihn zurückzuweisen, und keine Überredungsgabe konnte daran etwas ändern.
Die Mitglieder der Gruppe, der ich angehörte, versuchten mit den Vermietern zu reden und sie günstig zu stimmen, und wenn alle Mittel versagten, wurden sie auch mal hintergangen, indem wir für zurückgewiesene arabische Studenten eine Wohnung auf unseren Namen mieteten. Wir wurden bedroht und beschimpft, aber wir bekamen auch Erklärungen und Verteidigungsreden im Sinne von „Was wollt ihr eigentlich von mir“ zu hören. Erstens, so sagte man uns, bedeutet ein arabischer Student im Haus einen Feind im Haus, und wie kann man mit einem Feind zusammen in einem Gebäude wohnen? Zweitens ist der durchschnittliche arabische Student ein Terrorist. Das Haus wird dazu benutzt, um Waffen zu stapeln und man wird im Hause Pläne zur Zerstörung des Staates Israel schmieden. Drittens benimmt sich der durchschnittliche arabische Student unmöglich, er raucht Haschisch und wird das Haus zu einer Rauschgift- und Prostituiertenhöhle machen. Viertens besteht die Gefahr des schlechten Einflusses auf die Jugendlichen im Haus. Er wird versuchen, den Jungen in seine Fußstapfen zu ziehen, er wird die Tochter vergewaltigen, sie zur Prostitution verleiten wollen, oder, was noch schlimmer ist, sie heiraten. „Sind Sie bereit, die Verantwortung für Mischehen und die Zerstörung von Familien auf sich zu nehmen?“, wurde ich gefragt. Und ganz zum Schluß wurde mir bedeutet, daß die Anwesenheit eines arabischen Studenten den Immobilienwert beeinträchtigen und potentielle Käufer verscheuchen kann. Kurzum, es gelang uns nicht, die Mauer der jüdischen, rassistischen Stereotypien und Vorurteile zu durchbrechen. Es ist natürlich völlig unmöglich, mit jemand zusammenzuwohnen, der es mit Belästigungen und Demütigungen darauf anlegt, einen unerwünschten Nachbarn loszuwerden. Die ganz wenigen arabischen Studenten, die in gemietete Wohnungen eingeschleust wurden, zogen sehr bald wieder aus. Das Unterkunftsproblem der arabischen Studenten wurde erst gelöst, als die Universität ihnen einen großen Teil der universitätseigenen Studentenwohnungen überließ (was in hohem Maß auf Kosten von jüdischen Studenten ging, die aus wirtschaftlichen Gründen Anspruch auf subventionierte Wohngelegenheiten hatten, die sie nun nicht mehr bekommen konnten). Araber ohne die Hilfe öffentlicher Institutionen, wie die Universität, also Kellner, Garagenarbeiter, Bauarbeiter, usw., die nicht jede Nacht ins Dorf zurückkehren können, leben in Tel Aviv unter unglaublichen Umständen, vertrieben von einem Keller in den anderen, aus einer Hütte in die nächste, als Brennpunkt allen Hasses und aller Schikanen der jüdischen Bewohner ringsumher.
Wir sollten aufrichtig sein und uns fragen, ob die Weigerung der jüdischen Bewohner von Ober-Nazareth, Araber Wohnungen mieten oder erwerben zu lassen, so verschieden ist vom Verhalten des guten, ehrenwerten Bürgers von Tel Aviv. Wir sollten auch alle jene fragen, die sich in der Entrüstung über MENA einig sind, Knessetmitglieder und die Presse eingeschlossen, wieviele von, ihnen bereit sind, einem Araber aus Nazareth ein Zimmer in ihrer Wohnung zu vermieten, oder ihn auch nur eine Wohnung in ihrem Wohnblock mieten zu lassen. Da ist ganz offensichtlich eine Menge Heuchelei im Spiel.
Der Hauptunterschied, den ich zwischen MENA und den Bürgern von Tel Aviv sehe, betrifft nicht die Taten, sondern was dazu gesagt wird. Alle jene, mit denen ich damals zusammentraf, hatten über die Araber „im allgemeinen“ nur Gutes auszusagen. Sie wollten mit ihnen keinen Streit. Sie wünschten sich Frieden und gute Beziehungen. Einige erzählten mir von langen Freundschaften mit Arabern und wollten mir zum Beweis jener alten Freundschaft sogar eine Adresse (in Gaza oder Ost-Jerusalem) geben. Ja und? Jeder gehört an seinen Platz. Und warum sollten die arabischen Studenten nicht auf einer eigenen Universität in Nazareth studieren?
Ganz ähnliche Dinge also, wie wir sie jetzt von Abraham Cohen, einem der ersten Mitglieder von MENA, bei einer Versammlung von Wohnungseigentümern in Ober-Nazareth gehört haben: „Ich hab doch gar nichts gegen sie – laßt sie in Frieden leben und mit uns geschäftliche und freundliche Beziehungen unterhalten aber jeder an seinem Platz.“ Aber das war nur ein Teil von dem, was er sagte (KOL HA’EMEK, 7. September 83). Er sagte auch: „Also wenn es das ist, was Sie wollen gut, ich bin ein Rassist! Ich will unter keinen Umständen Araber in dieser Stadt!“ Und die Versammlung faßte den Beschluß: „Das Ziel ist eine rein-jüdische Stadt.“ So etwas hätte man früher nicht ausgesprochen. Als Rassist beschuldigt zu werden, war damals eine schlimme Beschimpfung. Niemand hätte damals gewagt, das Wort „rein-jüdische Stadt“ über die Lippen zu bringen. Die Erinnerung an das Nazi-Wort „Juden-rein“ war noch ganz frisch in unserem Kollektiv-Bewußtsein.
Das Neue an der Sache ist also, daß Cohen bereit ist, sich als Rassist zu bezeichnen, das Neue ist der Slogan „rein-jüdische Stadt“ und die Forderung von Finkelstein, alle Araber über die Grenze zu schaffen (KOTERET RASCHIT). Aber ist dies etwa in Ober-Nazareth entstanden? Hat etwa MENA oder auch nur Kahanes KACH-Bewegung dies erfunden? Handelt es sich nicht vielmehr um die direkte Folge des Brutalisierungs-Prozesses, den die gesamte israelische Öffentlichkeit in diesen vergangenen siebzehn Jahren durchgemacht hat?
Israel Eilat, ein Journalist bei DAVAR, erzählt uns, wie schockiert er war, daß Finkelstein die Araber mit einem „Krebsgeschwür im Staatskörper“ verglichen hat (DAVAR, 10. November 1983). „Dies war das erste Mal, daß ich solche Worte im Staate Israel öffentlich aussprechen hörte, ausgesprochen von einem Juden. Laut und ohne Scham und ohne Zögern ausgesprochen.“
Da muß man wirklich fragen, wo Eilat all die Zeit gewesen ist, und wie es kommt, daß er nicht weiß, daß Finkelsteins Krebsgeschwür-Metapher einer ähnlichen Äußerung entstammt, die General Janusch Ben Gal von sich gab. Jeder Israeli, der hier lebt, kann ähnliche Metaphern aus dem Mund von weit wichtigeren und einflußreicheren Leuten hören als es die Repräsentanten von MENA sind. Hat denn Eilat eine weitaus rassistischere Metapher wie diejenige von Ex-Generalstabschef Raful Eytan nicht gehört, der die Araber mit „betrunkenen Insekten“ verglichen hat? Und was ist mit der Aufforderung, man solle ihnen „die Hoden ausreißen“? Und was ist mit der unvergessenen Metapher von Begin aus der Zeit vor dem Krieg in Libanon, als er den Araber, und sei er ein Terrorist und Mörder, als „zweibeiniges Tier“ bezeichnet hat?
Die Mitglieder von MENA zogen lediglich die Schlußfolgerung aus dem, was bessere und wichtigere Leute sagten und taten. Die Wurzel des Übels liegt nicht bei den Finkelsteins aus Ober-Nazareth, sie liegt bei den israelischen Führungspersönlichkeiten, von denen die Verhaltensmuster stammen. Ihre Metaphern wurden von Leuten aufgegriffen, die dafür empfänglich sind. Wenn die Araber „Insekten“ in unserem Nationalheim sind, dann gehören sie entfernt, und gibt es einen besseren Weg, sie loszuwerden, als sie mit irgendeinem Gift zu töten? Und leblose „betrunkene Insekten“ müssen aus dem Haus, damit der schlechte Geruch verschwindet. Wer behauptet, daß die Araber ein „Krebsgeschwür im Staatskörper“ sind, denkt doch wohl an eine Operation zur Entfernung des Geschwürs, damit der Rest des Körpers gerettet wird. Was ist denn nach all dem so neu an Finkelsteins Forderung, die Araber über die Grenze zu schaffen? Seine Version ist ja, nach allem was wir hier von Politikern und Generälen hörten, noch nicht einmal die extremste.
Die Mitglieder von MENA glaubten, daß man jetzt alles aussprechen kann. Sie waren halt ein bißchen naiv, und merkten nicht, wie verheuchelt unsere Gesellschaft in diesen Dingen ist. Wenn sie nicht allen Ernstes und in gutem Glauben diese ganze Korruption der israelischen Führerschaft der letzten Jahre in sich aufgesogen hätten, sie würden niemals gewagt haben, eine Figur wie Finkelstein vorzuschicken, um von den Wölfen der Presse ausgeforscht zu werden, und sie würden sich nicht so beeilt haben, ihren Rassismus öffentlich zum besten zu geben. Sie hätten stattdessen dahergeredet wie jene Leute, die ich vor fünfzehn Jahre kennenlernte, und sie hätten alle diese Israelis, die nun so entrüstet sind, gefragt, ob sie nicht mitmachen wollen in Ober-Nazareth. Aber die Mitglieder von MENA gingen von der Annahme aus, daß im Israel, wie es heute ist, im stolzen Israel, das nur noch Verachtung für die „schönen Seelen“ übrig hat, daß in diesem Israel lange Umschweife unnötig und Entschuldigungen unangebracht sind. Heute kann man stolz erklären: ja, ich bin Rassist; denn wir leben nicht mehr in der Ara des doppelten Zungenschlags.
Richtig gesehen hat MENA dem Kampf für Toleranz und gegen Rassismus in Israel einen guten Dienst erwiesen. MENA hat das häßliche Gesicht des israelischen Rassismus in seinem alten Wesen und seiner neuen ideologischen Aufmachung enthüllt. Diesen Rassismus gibt es nicht nur bei MENA, er existiert in allen Bereichen der israelischen Öffentlichkeit. Er bestimmt nicht nur die Qualität der täglichen Wechselbeziehungen zwischen Juden und Arabern, sondern er regelt auch den Tonfall der Debatte der Juden untereinander, weil er eben zur allgemeinen Brutalisierung und Verhaltensweise unserer Gesellschaft dazugehört.
Der Dienst, den uns MENA‘ unbewußt erwiesen hat, könnte dennoch vertan sein, wenn der hervorgerufene Schock sich in der Verurteilung von MENA erschöpft, und wenn wir nur eben mal demonstrierend auf die Straße gehen mit der Forderung, daß die Araber leben dürfen wo sie wollen. Wir müssen Finkelstein ansehen und uns in ihm wiedererkennen. Die Kultur jedes einzelnen von uns liegt nackt vor unseren Augen. Wir selber sind die Finkelsteins. MENA wird uns nur dann zum wirklichen Nutzen werden, wenn wir dem neuen, ideologischen Rassismus, der sich mitten unter uns aus dem alten, existentiellen Rassismus entwickelt hat, mutig entgegentreten. Wenn wir so handeln, dann wird sich das Zustandekommen der MENA-Gruppe als wahre Schutzimpfung gegen eine fürchterliche Krankheit erweisen, die ein politisches Desaster und den sozialen Zerfall und kulturellen Tod unserer Gesellschaft in sich birgt, falls sie sich unbekämpft unter uns breitmachen kann.
„JUDEN UND NICHTJUDEN SOLLTEN NICHT IN EINEM GEBÄUDE LEBEN“
Von Gad Lior
Übersetzung aus JEDIOTH AHARONOT, 25. Dezember 1983.
Das „Institut zur Erforschung sozialer Probleme im Licht der Halacha“[17] fällte diese Woche die Entscheidung, daß die gesetzliche Regelung, wonach einer Person das Recht zum Weiterverkauf einer in ihrem Besitz befindlichen Wohnung an jeden Bürger des Staates Israel zusteht, Juden und Nichtjuden keineswegs dazu verpflichtet, im gleichen Viertel zusammenzuwohnen.
In der Entscheidung heißt es weiter, daß demzufolge Juden und Nichtjuden nicht im gleichen Gebäude wohnen sollten.
Rabbi Ephraim Zalmanowitsch, der Leiter des Instituts in Mazkeret Batja, weist in der Entscheidung darauf hin, daß die Forderung der Bewohner des sogenannten „Koptischen Viertels“ in Jaffa, allen nichtjüdischen Familien den Einzug in das neue Gebäude in der Kijoso Straße zu verbieten, durchaus berechtigt sei. Der Rabbiner verlangte vom Wohnungsbauminister Maßnahmen, die den Verkauf von Wohnungen an Juden und Nichtjuden im gleichen Gebäude, ja sogar im gleichen Viertel, unmöglich machen.
DIE WURZELN DER KATASTROPHE
Von Aharon Bacher
Übersetzung aus JEDIOTH AHARONOT, 27. Dezember 1983.
Der Mann schien liebenswürdig, und er sprach mit einfachen Worten. Er hörte sich die Fragen des Interviewers Ram Evron aufmerksam und geduldig an, und er antwortete flüssig und ohne die Stimme zu heben. Von Zeit zu Zeit zeigte sich ein feines, himmlisches Lächeln in seinem Gesicht. Hätte man nicht hingehört, was er sagte, man hätte meinen können, Rabbi Zalmanowitsch predige über Nächstenliebe. Und genau da liegt die Wurzel der Katastrophe.
Denn was dieser Rabbiner im Staate Israel gestern als halachische Entscheidung vorstellte, war ein Vorgang ohnegleichen. Es war Rassismus der widerwärtigsten Form. Dieser Rabbi aus Mazkeret Batja fordert in seiner halachischen Entscheidung, daß israelischen Bürgern, die Araber sind, nicht erlaubt werden darf, in Häusern, die von luden bewohnt sind, Wohnungen zu kaufen. Auf der anderen Seite hat er nichts gegen Juden einzuwenden, die in Gegenden Wohnungen kaufen, in denen Araber leben, vorausgesetzt, es handelt sich um Wohnungen in Hebron. Zur Rechtfertigung dieser widerwärtigen Entscheidung, die keine wirklich demokratische Gesellschaft hinnehmen sollte, bringt er unzählige Argumente, mit vielen Zitaten aus der Halacha. Hätte ein christlicher Pfarrer in New York eine entsprechende Entscheidung gegen Juden gefällt, man hätte dort einen Skandal erlebt. Und auch hier in Israel würden sämtliche Heuchler aus ihren Löchern kriechen und lauthals schreien – und das mit Recht.
Wenn es aber bei uns in Israel passiert, und der Autor ein Rabbiner ist, gibt es keinen, der sich traut, von Amts wegen zu protestieren. Eher ist das Gegenteil der Fall. Niemand hat jüdische Moral so mißbraucht, wie gestern dieser Rabbi. Er verurteilte auch die Freundschaft, die sich zwischen Tel Aviver Schulkindern und den Kindern in einem israelischen Araberdorf anbahnt, denn dies könne Mischehen zur Folge haben. Was hätten wir wohl gesagt, wenn ein christlischer Geistlicher in New York, oder der Moskauer Parteisekretär, etwas Entsprechendes gegen Juden geäußert hätte?
Wenn das die Halacha ist – dann zählt mich aus!
EIN JUDE IM NAZI-SINN DES WORTES
Von Jehoschua Sobol
Übersetzung aus AL HAMISHMAR, 27. Dezember 1983.
„Ich bin ein Jude im Nazi-Sinn des Wortes.“ Professor Maxime Rodinson, der antizionistische Jude, Experte für klassisches Äthiopisch an der Pariser Sorbonne und ein Mann, der in Frankreich viel für die Sache der Palästinenser getan hat, – Professor Rodinson hatte so seine Art, den Juden, die ihn attackierten, zu antworten.
Ich war einmal dabei, als er die monströse Ausdrucksweise im Verlauf einer Auseinandersetzung mit einem jüdischen Publikum in Orléans gebrauchte. Jemand aus dem Saal rief ihm zu: „Monsieur Rodinson, wie können Sie einen so anti-israelischen Standpunkt einnehmen? Sind Sie denn kein Jude?!“ Und der kleine, kahle Rodinson, mit Brille und einer Nase wie aus dem STÜRMER, erwiderte ganz ruhig: „Oh ja, Monsieur – wenn Sie das meinen, wenn Sie sich die Nazi-Definition der Frage, wer Jude ist, zu eigen machen: meine Mutter war jüdisch und deren Mutter war jüdisch. Im Nazi-Sinn des Wortes bin ich somit ein Jude.“ Ein anderer Zwischenrufer schrie ihn an: „Ihre Mutter muß sich im Grab umdrehen“, und da konnte ich mich kaum noch zurückhalten, zu sagen: „Sie sind nicht nur ein Jude gemäß der Nazi-Definition, Sie sind auch ein Jude gemäß der Flalacha, dem jüdischen Religionsgesetz, und gemäß dem Rückkehr-Gesetz des Staates Israel“ Aber ich hielt mich zurück, dies auszusprechen, denn ich wußte, wie selbstverständlich Rodinson meine Worte aufgreifen würde. Aber ich hielt mich auch deshalb zurück, weil ich mich ganz tief drinnen schämte, daß Rodinson seine Jüdischkeit nicht ohne Grund in Worte fassen konnte, die ebenso gut zum israelischen Ruckkehr-Gesetz wie zu den Nürnberger Gesetzen passen, zu Gesetzen, die uns von einer gewissen jüdisch-religiösen Strömung aufgezwungen wurden, und zu Gesetzen, die beinahe mit den gleichen Worten von Alfred Rosenberg formuliert wurden, dem Experten des Dritten Reiches für jüdische Fragen. Die gleichen Worte, die gleichen Formulierungen.
Nach der Machtergreifung der Nazis gründete Alfred Rosenberg in einem Schloß bei Frankfurt ein „Institut zur Erforschung der Judenfrage“. Und der „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ war eine Art Folge-Institution, die geschaffen wurde, um die Gefahren für die arische Gesellschaft und ihre Kultur seitens des Judentums, zu erforschen.
Das Institut begann seine Tätigkeit nach der Besetzung Europas durch die Wehrmacht mit dem Sammeln von Büchern und Dokumenten zur jüdischen Kultur, und die Sache endete mit der offenen Ausraubung von jüdischen Kulturschätzen. Eine der Aufgaben der Rosenbergschen Einrichtung bestand darin, das ideologische Fundament für die Aussonderung der Juden aus der deutschen Gesellschaft zu legen und deren Absonderung in Gettos zu rechtfertigen, damit die deutsche Gesellschaft vor jedem Kontakt mit dem jüdischen Element bewahrt werde. Und so kam es, daß das Institut ohne Zögern die Entscheidung traf, deutsches Eigentum dürfe nicht an Juden verkauft und aller jüdische Besitz, den Juden in der Vergangenheit von Deutschen erworben hatten, müsse konfisziert werden. Und da keine Kontakte zwischen luden und Ariern bestehen sollten, brachte Rosenbergs Institut Vorschriften heraus, wonach Juden und Nichtjuden nicht im gleichen Wohnbezirk leben sollten, sondern Juden getrennt in Gettos. Rosenbergs Einsatzstab hätte ohne weiteres auch eine Entscheidung fällen können, die es Juden und Nichtjuden verbietet, in einem und demselben Gebäude zu wohnen.
Eine solche Entscheidung hätte aus besagtem Einsatzstab kommen können, denn sie wäre in Einklang mit der Nazi-Doktrin von der Rassentrennung gewesen. Aber diese Entscheidung kam nicht aus den in den 30er Jahren in Deutschland tätigen Rosenbergschen Institutionen, sie kommt aus einem im Israel der 80er Jahre tätigen Institut – dem „Institut zur Erforschung sozialer Probleme im Licht der Halacha“.
Zu einer Zeit, in der Israel über rassistische Kundgebungen in Ober-Nazareth alarmiert ist, wo man versucht, Araber am Kauf von Wohnungen in Bezirken zu hindern, die von Juden bewohnt sind, bringt dieses Institut die Entscheidung mit diesen Worten heraus: „Die gesetzliche Regelung, wonach eine Wohnung an jeden Bürger des Staates verkauft werden kann, verpflichtet keineswegs dazu, Juden und Nichtjuden im gleichen Wohnviertel und schon gar nicht im gleichen Gebäude anzusiedeln (!)…“
Und selbstverständlich war der Mann, der das Institut im Schloß von Mazkeret Frankfurt, pardon: von Mazkeret Batja, leitet, Rabbi Ephraim Zalmanowitsch, nicht einfach mit dieser Entscheidung zufrieden, nein, er wandte sich an den Wohnungsbauminister mit der Empfehlung, die Regierung möge Maßnahmen treffen, um Juden und Nichtjuden den Kauf von Wohnungen im gleichen Gebäude, oder auch nur im gleichen Viertel, unmöglich zu machen.
Ich weiß nicht, auf welcher Basis Rabbi Zalmanowitsch seine Entscheidung fällte, und ich bin nicht der Meinung, daß eine Debatte darüber begonnen werden sollte, ob diese Entscheidung, die offen die Trennung von Juden und Nichtjuden verlangt, im Einklang mit dem Geist des Judentums oder mit dem Geist der Nazis steht. Diese Debatten über den Geist des Judentums, bei denen nichtreligiöse jüdische Humanisten das Judentum verteidigen und den Nachweis versuchen, daß es wirklich humanistisch, tolerant und voll vom Geist des Internationalismus und der Solidarität mit den Völkern der Welt ist, sind zu einer Zumutung geworden.
Diese Debatten sind unnötig und zudem gefährlich, denn sie dienen als Deckmantel zur Kaschierung der Hauptsache, die nun einmal so lautet: Das Judentum, wie es täglich von den Halacha-Priestern praktiziert wird, ist längst zu einem Werkzeug theologischer und ideologischer Rechtfertigung für jedes in diesem Staat begangene rassistische Verbrechen geworden, sei. es seitens der Behörden oder seitens seiner Bürger mit rassistischem Gedankengut. Die Sturm-Abteilungen, die demnächst organisiert werden, um die Araber tatsächlich aus Ober-Nazareth zu entfernen, werden sich nicht weiter darum kümmern, ob ein linksliberaler Intellektueller nachweist, daß Rabbi Zalmanowitschs Entscheidung nicht „jüdisch“ war. Es genügt ihnen, daß eine rassistische Entscheidung gefällt wurde, die zweifellos auf ein paar Zitaten aus irgendwelchen alten Quellen basiert.
Im gegenwärtigen Stadium unseres nationalen Zerfalls hat die Debatte darüber, wer das Judentum im richtigen Sinne repräsentiert, nicht den geringsten Wert. Mit den Einsatzstäben kann nicht debattiert werden: Wenn dies Judentum ist, haben wir nichts mit ihm zu tun, auch wenn es auf der Halacha beruht. Ich weiß nicht, ob Professor Rodinson noch tätig ist und ob die Halacha-Entscheidung des genannten Instituts seine sehr feinen jüdischen Ohren erreicht hat. Falls ja, war dies zweifellos ein Feiertagsereignis für Maxime Rodinson, und er dürfte wohl gesagt haben: „Oh ja, natürlich, das ist Judentum! Judentum – im Nazi-Sinn des Wortes.“
An Stelle eines Nachwortes
DIE GESCHICHTE WIEDERHOLT SICH BEI ANDEREN
Von Jehoschua Sobol
Übersetzung aus AL HAMISHMAR, 17. Januar 1984.
Die Geschichte wiederholt sich bei anderen. Die Franzosen haben nicht etwa zweimal den Krieg in Vietnam verloren: nach ihrer ersten Niederlage war ihnen die Lust zur Rückkehr nach Indochina vergangen. Ihre nächste Niederlage holten sie sich in Algerien. Die Geschichte wiederholte sich also nicht in Vietnam, jedenfalls nicht für die Franzosen. Sie wiederholte sich dort für die Amerikaner. Denn niemand kann die Amerikaner dazu zwingen, irgend etwas von den Franzosen zu lernen. Geschichte wiederholt sich nicht originalgetreu.
Napoleon holte sich nicht zweimal eine Niederlage in den Schneewüsten Rußlands. Nachdem er seine Armee einmal dort verloren hatte, kam eine Rückkehr für ihn nicht mehr in Frage. Die zweite Niederlage an gleicher Stelle holte sich Hitler, was selbstverständlich wieder zeigt, daß sich Geschichte nicht originalgetreu wiederholt, und daß es aus ihr nichts zu lernen gibt.
Keiner kann ja gezwungen werden, aus den Erfahrungen anderer zu lernen. Es steht jedem Volk völlig frei, die Erfahrungen anderer Völker zu ignorieren und sich deren Lektion am eigenen Leibe zuzuziehen. Mit welcher Blickrichtung sage ich das? Ich habe natürlich die derzeit bei uns üblich gewordenen Versuche im Auge, zwischen gewissen Ereignissen, die sich hier in letzter Zeit häufen und intensivieren, und gewissen anderen Ereignissen, die sich in Deutschland abspielten, Vergleiche zu ziehen. Jeder derartige Vergleich löst unweigerlich, und zu Recht, zornige Proteste aus: Wie bitte, bei uns werden Bücher auf öffentlichen Plätzen verbrannt? Was, bei uns vergreift man sich an Angehörigen der Minderheit und schneidet ihnen auf offener Straße die Bärte ab? Bei uns schickt man Leute in Konzentrationslager? Da ist jemand, der gegenüber irgend einer Minderheit die Endlösungs-Politik betreiben möchte?! Also bitte, alles was recht ist! Allerhöchstens gibt es doch bei uns Äußerungen, sich gegenüber Arabern zurückzuhalten. Das ist alles. Und auch diese Äußerungen kommen nicht aus dem Mund des Regierungschefs, sondern allenfalls aus dem Mund von Leuten, von denen niemand weiß, wen sie außer sich selber repräsentieren. Zugegeben, da gab es vor drei Jahren den bekannten Anschlag auf die Bürgermeister der Westbank, aber hatte das irgendwelche Weiterungen? Eine isolierte Episode, nichts weiter! Ja, richtig, da und dort gab es Zwischenfälle, erschossene arabische Jugendliche, 15, vielleicht 20 Vorfälle, aber das waren einfach Zwischenfalle. Isolierte Episoden! Von Regierungsseite wurde überdies Mißbilligung geäußert, die Polizei hat sogar eine Untersuchung eingeleitet. Also wie ist es überhaupt möglich, daß man zwischen uns und Deutschland anfängt Vergleiche zu ziehen? Zugegeben, da war der Mord an Emil Gruenzweig bei der Demonstration in Jerusalem, und es gab den Vorfall mit dem Massaker im Islamischen Kolleg in Hebron, aber bei all diesen Vorfällen ist eine Untersuchung eingeleitet worden! Und wohlbemerkt: alles ohne Weiterungen. Isolierte Episoden! Absolute Einzelfälle! Wo soll denn bitte der Zusammenhang sein zwischen diesen paar isolierten Fällen, und dem, was in Deutschland geschah? Also hört doch um Himmels willen auf, Vergleiche mit Deutschland anzustellen! Mit historischen Analogien geht man immer in die Irre, Geschichte wiederholt sich nicht originalgetreu.
An dieser Stelle sollte man innehalten und fragen: Sind denn die Dinge in Deutschland so ganz unvermittelt geschehen? Sind die Deutschen vielleicht eines schönen Morgens aufgestanden, haben begonnen, Bücher zu verbrennen, haben dann so gegen Mittag die Schaufensterscheiben jüdischer Geschäfte eingeschlagen, am Nachmittag Konzentrationslager und Ghettos eingerichtet und waren am Abend mit Mord und Totschlag beschäftigt, der schließlich in der Nacht zum Völkermord gediehen ist? Ist dies alles tatsächlich an einem Tag geschehen, oder lagen nicht vielleicht auch in Deutschland ein paar Jahrzehnte zwischen dem Tag, an dem Wilhelm Marr mit der Verbreitung seiner antisemitischen Lehre begann, und jenem anderen Tag, an dem sich eine Gruppe von verrückten Randfiguren in einem Münchner Bierkeller versammelte? Und haben wirklich diese Randfiguren, die sich in jenem Bierkeller geschworen hatten, Deutschland zu erretten, am folgenden Tag die Macht ergriffen, oder waren nicht vielleicht ein Dutzend Jahre nötig, ehe der Münchner Same in Berlin aufgehen konnte? Und sind denn nicht volle neun Jahre vergangen seit dem Tag, an dem diese Randgruppe an die Macht kam, bis zu dem denkwürdigen anderen, an dem auf der Konferenz von Wannsee endgültig über die Durchführung der Politik systematischer Menschenvernichtung entschieden wurde?
Es versteht sich von selbst, daß „episodenhafte“ Erscheinungen, wie der Mord an Emil Gruenzweig in Jerusalem oder das Massaker im Islamischen Kolleg in Hebron, nicht in ein Deutschland der 40er Jahre gehören, auch nicht in ein Deutschland unmittelbar nach 1933. Sie gehören in die Zeit der letzten Regungen des vom Tode gezeichneten Deutschland von Weimar, als einerseits da und dort kommunistische und sozialdemokratische Funktionäre ermordet wurden, und andererseits bei Straßenschlachten auch Nazi-Krakeeler den Tod fanden, Horst Wessel zum Beispiel, dessen Name später durch die bekannte Nazi-Hymne verewigt wurde. Erscheinungen wie die Brandmarkung der sogenannten dekadenten Kunst sind nicht für die Epoche nach 1933 typisch, sie gehören genau so der Auflösungs- und Zerfallsepoche der deutschen Kultur von Weimar an, als die Presse der NSDAP schwarze Listen der „Zerstörer der deutschen Kultur“ veröffentlichte, Listen mit den Namen Grosz, Piscator, Tucholsky, Brecht, Ossietzky, Kandinsky. Der Kampf für die Nazifizierung des Kultur- und Geisteslebens begann 10 Jahre vor der Machtergreifung. Es war ein Kampf, dem keineswegs immer und sofort Erfolg beschieden war. Wilhelm Frick, einer der Propagandisten und Theoretiker der Nazi-Kultur, der nach den Distriktswahlen im Jahre 1931 der Koalitionsregierung von Thüringen als Innen- und Volksbildungsminister angehörte, mußte einige Wochen nach seiner Amtsübernahme infolge starker Proteste seitens der Schriftsteller und Künstler zurücktreten, nachdem er versucht hatte, mittels Zensur die Aufführung von Filmen von Eisenstein und Pudowkin und der Werke von Hindemith und Strawinsky zu verhindern. Die Kulturrevolution zur Unterbindung freier Geistesäußerungen ereignete sich nicht über Nacht, und auch nach Hitlers Machtergreifung veröffentlichten Zeitungen, wie zum Beispiel das BERLINER TAGEBLATT oder die FRANKFURTER ZEITUNG, weiterhin Artikel und Gedichte aus der Feder von bekanntermaßen linken Autoren.
Was in unseren Tagen so beängstigend wirkt, ist nicht nur die Tatsache, daß plötzlich der Zensor sein Haupt erhebt und die Zähne zeigt, viel beängstigender ist die Offensive gegen die freie Meinungsäußerung im Land, die von unseren „Fricks“ vorangetrieben wird, von Redakteuren der nationalistischen Rechten, mit der Fahne der „gesunden nationalen Kultur“ vorneweg, genau nach dem Beispiel des Dr. Wilhelm Frick, der 1931 eine lächerliche Lokalgröße war und bald danach in die Berliner Reichsregierung berufen wurde. Wer deshalb die in der Knesset vernehmbaren Stimmen richtig einschätzen möchte, die sich gegen die Kultur und die Kunst der „Verderber Israels“ richten, der sollte sich die Stimmen jener äußerst kleinen nationalistischen Minderheit vergegenwärtigen, die sich in den letzten Tagen von Weimar, in einer höchst demokratischen und freien Gesellschaft und Kultur, breitzumachen begann. Damals gab es noch keine Ausrottung und keinen Massenmord. Damals wurde lediglich der Samen ausgestreut, aus dem nach 10 und mehr Jahren die Giftgewächse aufschossen, die den Untergang des eigenen Volkes brachten, obgleich sie andere Völker verderben und vernichten sollten.
Und deshalb bleibt festzuhalten, daß der Ausruf: „Wenn es keinen deutschen Untergrund in Schleswig-Holstein gibt, dann muß er eben geschaffen werden“, zu dem vorige Woche Rabbi Meir Kahane vor 150 Studenten der Tel Aviver Bar Ilan Universität eine Parallele hören ließ: „Wenn es keinen jüdischen Untergrund in Judäa und Samaria gibt, dann muß er halt geschaffen werden“, unzweideutig in die Weimarer Tage gehört.
Und in die letzten Tage von Weimar gehörten die spottgeladenen Prahlereien von der Art: „Die Polizei hat mich in Sachen Untergrund vernommen, aber selbst wenn ich etwas wüßte, so dumm, es auszuplaudern, wäre ich nicht!“ Also genau so, wie es der Rabbi sagte und bei der Gelegenheit hinzufügte: „Soviel ich bei der Polizei mitbekommen habe, handelt es sich bei den Mitgliedern des Untergrundes um Jugendliche. Und da liegt der Fehler. Der Untergrund muß aus Profis bestehen, aus Leuten des Geheimdienstes, die von der Regierung gestützt wenden.“ Und der Rabbi bekundete seine Bereitschaft, an der Spitze eines solchen Untergrundes mitzumachen. Nicht zu vergessen die Drohung gegen den unerwünschten Knessetabgeordneten Jossi Sarid, von dem „demnächst kein Fetzen mehr übrig sein wind“. Nach Zeitungsberichten rief ein hingerissener Zuhörer aus: „Wie sie Emil Gruenzweig zerfetzt haben.“ Nach dem Auftritt des Rabbi kam es zu Diskussionen, bei denen seine Anhänger geltend machten, daß alle seine Worte in den Halacha verankert seien, und daß es ein Gebot sei, sie in die Tat umzusetzen, wenn die Heiligkeit des Volkes Israel bewahrt werden soll.
Geschichte wiederholt sich nicht originalgetreu. Sie wiederholt sich nachahmerisch bei anderen. Die Tage von Weimar werden sich nicht in Deutschland wiederholen. Wir erleben sie, hier und heute.
ANMERKUNGEN
[1] Leonard Stein: The Balfour Declaration, New York, 1961. Seite 482.
[2] SOUTH AFRICAN JEWISH CHRONICLE, 15. September 1950; zitiert noch Richard P. Stevens: Smuts and Weizmann. JOURNAL OF PALESTINE STUDIES No. 9, Autumn 1973, Seite 34 – 59.
[3] BADISCHE ZEITUNG (Freiburg), 7. Januar 1978.
[4] BADISCHE ZEITUNG (Freiburg), 10. März 1978.
[5] HA’ARETZ (Tel Aviv), 7. Februar 1978.
Ein ausführlicher Bericht, versehen mit einem redaktionellen Hinweis, erschien am gleichen Tag in MA’ARIV. Es heißt darin unter anderem:
„… (Finanzminister Ehrlich) schlug südafrikanischen Geschäftsleuten ein sehr ‚attraktives Geschäft‘ vor, nämlich den Export von südafrikanischen Waren auf den Europäischen Gemeinsamen Markt und In die Vereinigten Staaten, Der Vorschlag beruht auf dem trefflichen ‚Brückenkopf‘ zum Europäischen Markt: südafrikanische Produkte bekommen in Israel den letzten Schliff und werden dank der wirtschaftlichen Vergünstigungen des Staates Israel auf den Europäischen Markt und in die USA weiterexportiert. in der Vergangenheit hat Israel strikt abgeleugnet, daß es seinen Status als assoziiertes Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft an andere Staaten ‚ausleiht‘. Der Vorschlag seitens der hochrangigen israelischen Delegation gegenüber südafrikanischen Geschäftsleuten bestätigt indessen den Vorgang…
Hinweis: An dem Vorschlag ist lediglich die offene Unverschämtheit neu. Israel – und die Zionistische Weltorganisation – sind insgeheim seit langem ein Schutzschild für das Apartheid-Regime, und israelische ‚Etiketten‘ und zurechtfrisierte ‚Exporte‘ oder Firmen haben dem Apartheid-Handel gute Dienste geleistet. Dieses Arrangement ist zweifellos nicht nur für Südafrika und Israel von Vorteil, sondern auch für verschiedene Regierungen und Parteien, die im Grunde die südafrikanische Apartheid unterstützen möchten, aber sich genieren, dies offen zu tun, und sich daher dieses trefflichen Verfahrens bedienen… “ (Südafrika-Korrespondent Daniel Druz in MA’ARIV, 7. Februar 1978).
[6] Das Massaker im Islamischen Kolleg in Hebron, das Rabbi Drori von KOL ISRAEL, dem staatlichen israelischen Rundfunk, als „Happening“ umschrieben hat (hebr. „E’ru’a“, KOL HA’IR, 5. August 1983), ereignete sich am 26. Juli 1983. „Mehrere maskierte Männer eröffneten in den Räumen des Islamischen Universitätszentrums das Feuer. Ergebnis der Schießerei: drei Tote und 28 Verletzte unter den arabischen Studenten, Das Attentat weist auf die Existenz eines antipalästinensischen Terrorismus in Cisjordanien hin…“ (LE MONDE, 5. Oktober 1983).
Am 6. Juli 1983 wurde der jüdische Jeschiwa-Student Aharon Gross In Hebron auf der Straße erstochen. In den Abendstunden organisierten an die hundert Siedler aus Kirjat Arba auf dem Markt von Hebron ein regelrechtes Pogrom: „Es Ist unangenehm, es ist sogar höchst unangenehm, aber wer sein Gedächtnis nicht verloren hat, kann der Parallele gar nicht ausweichen. Als Herschel Grynszpan 1938 den Mordversuch an dem Legationssekretär der deutschen Botschaft in Paris unternahm, waren die deutschen Juden in der gleichen Weise ’schuldig‘ an dieser Tat – die, nebenbei gesagt, sinnlos war und einen Unschuldigen traf -, wie die Bevölkerung von Hebron an der Ermordung von Aharon Gross schuldig ist. Die ‚Kristallnacht‘ Ist eine Reaktion gewesen, die dem Pogrom auf dem Markt in Hebron gleicht, oder, wenn man so will, die Zerstörung des Marktes von Hebron ist eine Reaktion, die der ‚Kristallnacht‘ gleicht. Und ich rede noch gar nicht von der Forderung, den Markt von Hebron den Pogromisten, die ihn ‚leerfegten‘, zu übereignen…“ (Jehuda Lahav in AL HAMISHMAR, 14. Juli 1983).
Zum Massaker Im Islamischen Kolleg und zum Pogrom auf dem Markt in Hebron siehe auch die Satire von Jehoschua Sobol In KLARTEXTE 10, Seite 17.
[7] Es grenzt an üblen Nachruf, einem Mosche Dayan soviel Dummheit nachzusagen. So dumm waren nur diejenigen, die Ihm sein frühzionistisches Propaganda-Credo geglaubt haben.
[8] „Raful“ Eytan war bis April 1983 Generalstabschef der israelischen Armee. Bei einer repräsentativen Umfrage, ob sich Eytan als Spitzenpolitiker engagieren sollte, antworteten 55% der Befragten zustimmend. Unter den Parteigängern von LIKUD (der Partei Menachem Begins) betrug die Zustimmungsquote 74%, unter den Parteigängern der Arbeiterbewegung (MA’ARACH) 31%. (KOTERET RASCHIT, 11. Mai 1983).
[9] Die weiteren Ausführungen über Rabbi Kahanes rassistisches Zitatenschatzkästlein werden hier übergangen. Sein Rassismus dürfte dem Leser aus KLARTEXTE 3 hinlänglich bekannt sein. Zur Beurteilung des unterschwelligen Billigungspegels israelischer Sozialisten ist der Hinweis angebracht, daß bei den Wahlen zur 10. Knesset (1981) der Vorsitzende des zentralen Wahlausschusses, Oberrichter Etzioni, den Versuch machte, Kahanes KACH-Bewegung von der Wahlliste zu streichen. Das Parteiprogramm enthalte Hetze und Ausdrücke, die den Nürnberger Gesetzen in Nazi-Deutschland gleichkamen. Oberrichter Etzioni blieb jedoch, zusammen mit dem Vertreter der kleinen Partei von Schulamit Aloni, in der Minderheit. Die Ausschuß-Vertreter von MA’ARACH (Arbeiterparteien) und SHINUI „schienen sich an den Paragraphen Im Parteiprogramm von KACH nicht zu stoßen, wonach Geschlechtsverkehr und Ehen zwischen Juden und Arabern unter Strafe gestellt werden selten.“ (Gidon, Alon in HA’ARETZ, 18. Juli 1983).
[10] Ähnliche Berichte über den Fernsehfilm in HA’ARETZ (2 Februar 1979) und in JEDIOTH AHARONOT (1. März 1979). Berichte über nächtliche Razzien, willkürliche Festnahmen, sadistische Gewaltakte, sowie allgemein über die Beschäftigung von minderjährigen Oberschülern für die Jagd auf Araber und – offenbar als besondere Vergünstigung – auf Prostituierte, z.B. in HA’ARETZ, 18./19./20./26. Februar und 2. März 1979; mit leichter Verzögerung und Beschönigungsversuchen auch in anderen hebräischen Zeitungen. Am 6. Juli 1979 schrieb Eliahu Salpeter zusammenfassend in HA’ARETZ: „Das öffentliche Aufsehen vom Februar, als die Affäre des Reservisten und der fünf Oberschüler aufgedeckt wurde, die (vier Monate zuvor) arabische Arbeiter nachts mißhandelt hatten, Ist schnell abgeklungen. Rückblickend wird man dem Direktor der Beschwerde-Abteilung der Tel Aviver Polizei recht geben müssen, der zu dem Reporter sagte, als er die Affäre bestätigte: ‚Warum kümmern Sie sich um so etwas? Was ist daran so Besonderes? Solche Fülle gehen bei mir dutzendweise ein‘.“
Vor knapp einem Jahr schrieb Amos Kenan: „Man braucht keine Zeugen. Jeder weiß es, und jeder behalt es für sich. Es gibt nächtliche Pogrome in den Straßen von Tel Aviv. Jede Nacht werden Araber beiseite geschleppt, geschlagen und bis zum nächsten Mal wieder freigelassen. Gar nicht zu reden von den Demütigungen, den Mißhandlungen, dem Aufkritzeln von Nummern auf Ihre Hände und dem verboten Kot eines Gefängnisjargons, der den Wächtern und Polizisten eigen Ist…“ (Amos Kenan: Sodom und Gomorrha, JEDIOTH AHARONOT, 27. Mai 1983).
Einige Schüler des vornehmen Tel Aviver Herzlia Gymnasiums, das seit Langem alle 16-17jährigen Schüler im Rahmen seines Erziehungsprogramms zur Nächstenhilfe zum freiwilligen Dienst beim Zivilschutz verpflichtet, erklärten einem Reporter von HA’ARETZ, daß sie nicht mehr mitmachen wollen: „ich habe an vier motorisierten Patrouillen teilgenommen und Fälle erlebt, bei denen Araber mißhandelt worden sind. Die Wahrheit ist, daß diese Patrouillen keine ernsthaften Angelegenheiten sind, Man sitzt im Wagen und macht sich einen Spaß. Man fahrt durch die Gegend und sucht nach Homosexuellen. Zu dieser Atmosphäre gehören auch die Mißhandlungen. ich habe mich entschlossen, den Zivilschutz zu verlassen, nachdem ich alt das gesehen habe. Alles hat seine Grenzen; ich kann nicht jemand ohne Grund schlagen – nicht einmal einen Araber. Und jetzt, nach alt den Berichten darüber in den Medien, habe ich Angst, daß man mich zusammenschlägt, wie man es mit den Arabern macht.“ (Halm Handwerker: Araber-Jäger. HA’ARETZ, 10. Februar 1984).
Die in Haifa erscheinende Zeitung ZU-HADERECH druckte Instruktionen des Zivilschutzes ob: „Es muß Macht demonstriert werden! Laßt sie merken, was es heißt, einen Israelischen Soldaten vor sich zu haben! Bringt ihnen Furcht und Zittern bei!“ – „Jedem Araber muß zunächst einmal der Ausweis abgenommen werden. Steckt ihn weg, damit er es mit der Angst zu tun bekommt!“ – „Führt euch brutal und in herrischer Manier auf!“ „Seid niemals höflich! Und falls einer sich Frechheiten erlaubt, schlagt ihn zusammen und bringt ihn sofort zur Polizei. Laßt ihn erst einmal 48 Stunden sitzen und seine Lektion lernen!“ – „Sie verstehen nur die Sprache der Gewalt!“ – „… Als ich diese Instruktionen hörte, dachte ich einen Augenblick, Ich sei in Südafrika… Und wenn der Zivilschutz In Tel Aviv so aussieht, was muß da erst in den eroberten Gebieten passieren, den alten und den neuen.“ (Joram Gujanski: Die Instruktionen. ZU-HADERECH, 16. Februar 1984).
Nachts ist es düster, aber selbstverständlich scheint tagsüber in Tel Aviv die Sonne, die Zionswelt erscheint als beste aller möglichen Welten, und wenn der Reporter der Springer-WELT dann endlich aufsteht und unterm Bildnis seines Herrn gefrühstückt hat, apportiert er ein anti-antisemitisches Anti-Anti-Idyll für seine 820 000 deutschen Leser: „Mehr als 6 000 der Bewohner (von El Arisch) arbeiten In den Fabriken von Tel Aviv und sind dort sehr geschützt. Die meisten bleiben zur Arbeit dort und fahren nur zum Wochenende nach Hause.“ Fertig? Fertig! (El Arisch – Stadt der Verständigung. DIE WELT, 6. April 1979).
[11] Michla’a: Ein mit Stacheldraht umzäunter Platz.
[12] In einem umfangreichen Artikel Über die bedruckenden Lebensbedingungen Im Gaza-Streifen kommt Amos Elon noch einmal kurz auf das Thema zurück: „Der sogenannte an der Aschkelon-Kreuzung besteht noch wie vor… Vor zwei Jahren war Israel für ein paar Minuten bestürzt, als Bilder von diesem Arbeitermarkt Im Fernsehen gezeigt wurden. Die Angelegenheit kam in der Knesset zur Sprache. Geändert hot sich nichts.“ (HA’ARETZ, 24. April 1981).
Zweieinhalb Jahre später heißt es In einem Artikel Über eine erneute Ortsbesichtigung: „… Ehe wir zur Aschketon-Kreuzung aufbrechen, werden wir von einem Polizisten aus dem Gaza-Bezirk aufgeklärt: ‚Es gibt dort keine Kinder mehr‘, sagt er in kenntnisreichem Ton, ‚und auf gar keinen Fall während dieser Monate nach dem Schulbeginn. Das Gesetz wird beachtet. Die Unternehmer scheuen sich, Kinder zu beschäftigen, und die Kinder hoben begriffen, daß es zwecklos ist, zur Kreuzung zu kommen, und sie bleiben weg.‘ Unser arabischer Begleiter lächelt, als wir Ihm erzählen, was uns der Polizist sagte. ‚Soso, keine Kinder‘, grinst er, ‚Sie werden das morgen früh schon sehen’… “ (Am nächsten Morgen um 5.00 Uhr:) „…Der Arbeitskräfte-Manager einer Baufirma in Aschkelon kommt. ‚Werden Sie Namen nennen?‘, fragt er und zeigt sich damit als ein Mann, der Erfahrungen mit Interviews hat. Wir werden mit ihm handelseinig. ‚Kinder brauchen beim Arbeitsamt nicht registriert zu werden, und wir bezahlen für sie keine Sozialleistungen‘, erklärt er uns. ‚Man bezahlt sie üblicherweise einmal pro Woche in bar. Je jünger sie sind, um so härter arbeiten sie. Die Jüngeren hoben noch nicht gelernt, wie man sich vor der Arbeit drücken kann. Die Kinder kommen meistens mit älteren Brüdern oder mit den Vätern. Na klar, die Kinder sind billiger’…“ (Merav Halperin: Kinder-Sklaven. MA’ARIV, 18. November 1983).
[13] Zu dem erwähnten Terroristenüberfall auf der Küstenstraße von Tel Aviv (11. März 1978) vergl. Spehl: Spätfolgen einer Kleinbürgerinitiative, Band 2. Freiburg 1979. Anm. 44, S. 272-276.
[14] Zu diesem Bericht im Tel Aviver Nachrichtenmagazin über ein Besatzungsregime, das nicht gerade für die Abtreibung von unerwünschten Kindern bekannt Ist, existiert ein Pendant im Hamburger Nachrichtenmagazin, das nicht gerade für die Abtreibung von unerwünschten Ereignissen bekannt ist. Wie’s der Zufall so will, wurden der Tel Aviver und der Hamburger Mischehen-Bericht fast auf den gleichen Tag genau ausgedruckt. Aber mehr als die Zeit der Handlung haben die beiden Stories nicht gemein. Der Leser mag meinetwegen glauben, daß zwischen den beiden Stories demnach auch kein ursächlicher Zusammenhang besteht. Aber die journalistische Internationale lebt von Querverbindungen und sündigt mit verqueren Bindungen. Ich will gerne Maier heißen, wenn da nicht wieder mal Rudi, der Herausgeber des SPIEGEL, von Uri, dem Herausgeber von HAOLAM HAZEH, nach Lausbubenart einen Spickzettel zugesteckt bekommen hat. Das läuft jetzt auf etwas komplizierteren Wegen als damals, als die beiden in Hannover noch die gleiche Schulbank druckten, und was sie mit den Spickzetteln anstellen, ist lange nicht mehr so harm- und folgenlos wie damals, als es bloß um gefälligere Zensuren ging. Hier und heute geht es um gefälligere Selbstzensur. – Der Bericht über israelische Mischehen im SPIEGEL geht nämlich so:
„Kamerla, 5, kam aus Rumänien nach Israel. Ihre Eltern, orthodoxe Juden, erzogen sie streng religiös. Doch heute heißt die inzwischen 30jährige Nadia und betet zu Allah, Sie lebt In Baka el-Garbia, einer arabischen 1 2 000-Einwohner-Gemeinde, mitten im jüdischen Kernland. Mit ihren Kindern spricht sie arabisch.
Denn Nadia hat vor zwölf Jahren den arabischen Mitbürger Mustafa geheiratet, einen früheren Tischler, der nun mit Autoersatzteilen handelt. Sie sagt, sie sei glücklich, aber ihre Familie will nichts mehr von ihr wissen. Nadia gehört zu einer Minderheit, von der die Medien kaum berichten; viele Israelis wissen nicht einmal, daß es Mischehen wie die zwischen Nadia und Mustafa gibt. Jüdinnen, die Araber heiraten, scheinen aus der Welt ihrer Herkunft zu verschwinden.
Dabei haben neben 3.1 Millionen Juden auch 581 000 Araber einen israelischen Paß, verbietet die israelische Verfassung keineswegs die Ehe zwischen den Volksgruppen.
Seit der Staatsgründung vor 30 Jahren heirateten freilich nur rund 600 Israelische Jüdinnen einen Araber. 90 Prozent dieser Frauen stammen, anders als Nadia, aus orientalisch-jüdischen Familien. Unter ihren Männern sind Angehörige arabischer Minderheitsgruppen überproportional vertreten – Drusen, Beduinen und Araber christlichen Glaubens.
Gegenüber den 600 jüdischen Konvertitinnen haben nur knapp 20 arabische Frauen einen Juden geheiratet. Grund: Die arabische Gesellschaft ist noch geschlossener als die jüdische; ein Übertritt zum jüdischen Glauben Ist fast unmöglich, während es zum Beispiel sehr Leicht ist, Moslem zu werden: Es reicht, das islamische Glaubensbekenntnis nachzusprechen.
Nadia tat dies vor dem Kadi von Akko und wurde dort getraut – rechtmäßig. Denn in Israel ist die Zivilehe nicht legal, aber der Staat anerkennt Ehen nicht nur, wenn sie von jüdischen Rabbis geschlossen wurden, sondern auch, wenn mohammedanische Kadis und christliche Priester sie absegneten.
Wie fast alle konvertierten Jüdinnen paßte sich Nadia der Gesellschaft ihres Mannes an. Sie trägt die keusche Kleidung frommer Moslemfrauen und spielt bei Empfängen in der arabischen Männergesellschaft das Mauerblümchen im Hinterzimmer. Jahrelang studierte sie den Koran – vor allem wohl In der Hoffnung, von der neuen Umwelt voll akzeptiert zu werden.
Das gelingt selten, obwohl die meisten Männer bestrebt sind, ihren fremden Frauen das Leben zu erleichtern: ‚Mein Mann hilft mir sogar beim Geschirrspülen‘, erzählt die Frau eines Arabers, ‚aber nur, wenn die Fensterläden geschlossen sind.‘
Dutzende gemischter Ehepaare entfliehen dem Druck der arabischen und jüdischen Gesellschaft ins westliche Ausland. Denn die Partner der Mischehen werden nicht nur in den Kulturkonflikt hineingerissen: Kinder aus Mischehen sind, wie alle Araber, von der Wehrpflicht befreit. Oft hofft die Jüdische Mutter, daß sich die Söhne freiwillig zur Armee melden – was der Vater als Verrat an der arabischen Sache verdammen wurde.
Wenn die Anzahl jüdisch-arabischer Eheschließungen ein Indiz sein sollte, ist es um die Aussöhnung zwischen Israels beiden Volksgruppen schlimm bestellt: Hatten bis zum Oktoberkrieg von 1973 nach bis zu 50 Paare im Jahr geheiratet, so gab es in den Letzten fünf Jahren nur noch vereinzelte Eheschließungen zwischen Juden und Arabern.
Und aus den seit 1967 von Israel besetzten arabischen Gebieten ist keine einzige Mischehe bekannt geworden.“ (DER SPIEGEL, Nr. 24/1978).
Ja, man kann es auch so sagen: „Aus den seit 1967 von Israel besetzten arabischen Gebieten Ist keine einzige Mischehe bekannt geworden.“ – Zeige mir, wie du formulierst, und ich sage dir, daß du heimlich abgetrieben hast.
[15] Ben Gurion hatte vielmehr im Sinn, In Zukunft möglichst gar nichts mit israelischen Arabern im Sinn haben zu müssen. Er träumte nicht von einer „rein-jüdischen Stadt“, er agierte für einen „rein-jüdischen Staat“. Er gab 1948 die Handzeichen, wie man die „Reinheit der Waffen“ ein bißchen strapazieren und die Reinheit des Judenstaates herbeiführen kann. Und als er dann nach Nazareth kam und sah, daß man seinen Wink nicht überall befolgt hatte, schaute er sich entsetzt um und fragte: „Warum so viele Araber? Warum habt ihr sie nicht vertrieben?“ (KLARTEXTE 6, Seite 27).
[16] Der Hauptgrund für den Zuzug von israelischen Arabern nach Ober-Nazareth (hebr. „Nazeret Ilit“, was auch „Elite-Nazareth“ bedeuten kann), einer Trabantenstadt, die Mitte der 50er Jahre im Rahmen des Programms zur „Judaisierung des Galils“ gegründet wurde, ist die grassierende Wohnungsnot im alten, arabischen Nazareth. Erforderlich wären dort jedes Jahr mindestens 500 neue Wohnungen, aber die israelische öffentliche Hand, die in Ober-Nazareth innerhalb kurzer Zeit auf enteignetem Boden Tausende von Wohneinheiten errichtet hat, baute im alten Nazareth seit der Staatsgründung insgesamt nur etwa 450 Wohnungen. Bauten von privater Seite sind wegen des akuten Landmangels als Folge von immer neuen Enteignungen zugunsten der „Judaisierung des Galils“ so gut wie ausgeschlossen. in dieser Situation, und sozusagen dank einer zionistischen Gesetzestücke, gelang es schon vor über zehn Jahren gelegentlich einigen arabischen Familien, in Ober-Nazareth Wohnungen zu überhöhten Preisen zu mieten, deren Eigentümer es vorgezogen hatten, die Stadt zu verlassen. (Vergl. z.B. den Artikel von Amnon Kapeliouk in LEMONDE, 16. Dezember 1975). 1975 Lebten ungefähr 450 arabische Familien in Ober-Nazareth, und um diese Zeit tauchten in der hebräischen Presse erstmals Berichte auf, wonach jüdische Einwohner der israelischen Regierung mit einem „Massen-Exodus“ gedroht haben, falls nicht unverzüglich etwas gegen die „infiltration“ arabischer Familien unternommen werde. (MA’ARIV, 20. Juli 1975).
„Wegen des Weiterverkaufs von Wohnungen an Araber seitens einer Reihe von Neueinwanderern tobt in Ober-Nazareth ein Sturm. Die Wohnungen wurden ursprünglich von den Einwanderern als Teil ihrer Einwanderungsvergünstigungen zu niedrigen Preisen erworben und werden von ihnen zu sehr hohen Preisen weitergegeben… Rechtlich kann dagegen nichts unternommen werden, denn wenn man der Sache nachgeht, stellt sich heraus, daß es eine Verbotsklausel für solche Transaktionen nicht gibt. Aber weshalb gibt es eigentlich diese Klausel nicht? Auf diese Art drängen wir die wankelmütigen Charaktere unter unseren neuen Immigranten auf Konfrontationskurs mit allen anderen von uns!“, schrieb Herzl Rosenblum, der Herausgeber von JEDIOTH AHARONOT am 22. September 1975 in seinem Leitartikel. (Vergl. dazu seinen Artikel im analogen Kampf gegen den „expansionistischen Beduinen-Zionismus“, zitiert in: H. Spehl, Spätfolgen einer Kleinbürgerinitiative, Band 2. Freiburg 1979. Seite 92).
Nichts in der Welt ist halt perfekt, in Israel schon gar nicht. Auch nicht die Diskriminierung arabischer Mitbürger, so fein ausgedacht sie auch mitunter betrieben wird: „Ober-Nazareth ist eine Entwicklungsstadt mit all den bekannten finanziellen Vergünstigungen. Die Gründung verfolgte den Zweck, eine ‚jüdische Antwort‘ auf das leere (!) Galil zu geben, d.h. es mit Juden zu besiedeln- Junge Paare, die sich in dieser Stadt niederlassen, erhalten Darlehen zu günstigen Bedingungen und zu Sonderzinsen. Diese Wohnungsvergünstigungen unterliegen diversen Einschränkungen. Eine davon, die die arabischen Burger von derartigen Sozialleistungen ausschließt, besteht darin, daß nur Personen, die in der israelischen Armee gedient haben, in Frage kommen… “ (Avschalom Ginat in AL HAMISHMAR, 8. Dezember 1978). Das tatsächlich praktizierte Kriterium lautet freilich etwas anders: Nur Personen, in deren Verwandtschaft jemand in der Armee gedient hat, kommen in Frage. Dieses erweiterte Kriterium trifft selbstverständlich für jeden Juden zu und schließt (von Drusen abgesehen) praktisch jeden Nicht-Juden aus.
In vorläufiger Ermangelung von noch mehr Legalisierter Diskriminierung, griffen Gruppen von Bewohnern von Ober-Nazareth (und ganz offensichtlich auch Teile der Gemeindeverwaltung) hin und wieder mal zur Selbsthilfe. Das sieht dann ungefähr folgendermaßen aus: Eine „Organisation für Wohnkultur – Zweigstelle Ober-Nazareth“, die ihren Sitz auf dem Rathaus der Stadt hat, wie in AL HAMISHMAR ausdrücklich hervorgehoben wird, verteilte unter den jüdischen Wohnungseigentümern hektographierte Formulare mit folgendem Wortlaut:
Wir, die Unterzeichneten, Bewohner von Block Nr …, verpflichten uns hiermit, keine Wohnung an Angehörige der Minderheiten zu verkaufen, außer an solche, die im Sicherheitsdienst (Polizei, Armee, Grenztruppe) gedient haben. Jeder Wohnungseigentümer, der diese Abmachung verletzt, hat eine Summe von 50 000 Schekel an die übrigen Wohnungseigentümer des Gebäudes zu bezahlen.
Unterschriften der Bewohner des Gebäudes ….. ….. ……
(Übersetzung nach einem Faksimile in AL HAMISHMAR, 7. April 1983).
Im Sommer 1983 wurde erstmals über eine Gruppe mit der Bezeichnung „Schützer von Ober-Nazareth“ (MENA, von hebr. „Meginei Nazeret Ilit“) berichtet. in einem von dieser Gruppierung verbreiteten Flugblatt heißt es u. a.:
Ober-Nazareth wurde für Juden gebaut. Der Staat hat ungeheuere Summen investiert, um diese Stadt als Hebräische Stadt und als Teil der Anstrengungen zur Judaisierung des Galils zu errichten!!! Wir dürfen unsere jüdische Unabhängigkeit nicht für Geld verkaufen, denn wir setzen damit unser Leben aufs Spiel. Juden, denkt daran! ! ! Weiterverkauf und Vermietung von Wohnungen an Nicht-Juden ist ein Verbrechen und bedeutet nationalen Ausverkauf!!! (Zitiert nach DAVAR, 1. September 1983)
So oder ähnlich agiert man innerhalb der eigenen Reihen, bevor man Listen mit Namen und Adressen der „Verräter“ an offiziellen Anschlagtafeln der Gemeinde aushängt. Die Minderheitenreihen werden anders bedacht. Die hebräische Presse stellt hierzu Fragen, aber da muß selbstverständlich Vieles offenbleiben bis nach dem großen Aufwasch:
„… Als ich die Aktivisten dieses MENA-Komitees fragte, wie sie die Araber daran hindern wollen, in Ober-Nazareth Wohnungen zu mieten und dort zu leben, konnte ich keine klare Antwort bekommen. Erst ganz zum Schluß sagte mir Abraham Cohen, ein ehemaliger Berufsoffizier, der seit 14 Jahren in Ober-Nazareth lebt: ‚Ganz ohne physische Nachhilfe wird es nicht gehen. Ich meine, wir müssen ihnen das Leben zur Hölle machen, damit ihnen die Lust vergeht, hier zu wohnen‘. Cohen, der seit seinem Ausscheiden aus der Armee keiner geregelten Arbeit mehr nachgeht, wurde kürzlich von der Polizei wegen des Verdachts, Eigentum einer arabischen Familie In Ober-Nazareth beschädigt zu haben, vorgeladen. Es kam zu keiner Anklage, und Cohen spricht über diese Affäre mit Stolz. Auch Finkelstein wurde in gleicher Sache vernommen… “ (Arie Dayan in KOTERET RASCHIT, 24. August 1983).
Alexander Finkelstein ist einer der Hauptsprecher von MENA und seit seinem Fernsehauftritt am 1. November 1983 der „Star“ der israelischen Medien in Sachen Rassismus.
Selbstverständlich gibt es in Ober-Nazareth auch Juden, die alles andere als mit MENA einverstanden sind. AL HAMISHMAR hat kürzlich Reuven Ami’el vorgestellt, der mit seiner Tochter, als einzige Einheimische, an einer von der „Israelischen Liga für Menschen- und Bürgerrechte“ in Ober-Nazareth organisierten Demonstration gegen MENA teilgenommen hat. Die beiden erhielten anonyme Anrufe und Drohungen, aber im übrigen, so sagt Ami’el, lasse man ihn in Ruhe. „… Hier in Ober-Nazareth fühlt sich jedes Kind wie ein Kreuzritter. Das war vorhersehbar, wenn eine Frau wie Galila, die MENA-Sprecherin, als Lehrerin tätig ist (sie unterrichtet, nebenbei gesagt, meinen Sohn) und die Diskriminierung einer Minderheit lehrt und predigt. Die Kinder arabischer Familien bleiben jetzt zu Hause. Sie können nicht mit den anderen Kindern draußen spielen, ich habe gesehen, wie man sie verjagt hat, und das war ein scheußlicher Anblick. Wegen der gegenwärtig in der Stadt herrschenden Atmosphere sind die Araber schrecklich verängstigt und versuchen, das Haus möglichst nicht zu verlassen. An Sonntagen, ihrem Sabbat, sah man sie früher spazieren gehen. Heute machen sie das kaum noch. Und im Kino sieht man so gut wie keine jungen Araber mehr. Man muß sich klarmachen, daß der MENA-Bewegung außer der physischen Liquidierung jedes Mittel recht ist, um die Araber daran zu hindern, hier zu leben. Sie haben Erfolg, und jetzt wagt kaum noch jemand, einem Araber eine Wohnung zu vermieten, von Verkaufen gar nicht zu reden. Es gibt in Ober-Nazareth Hunderte von leerstehenden Wohnungen, und drunten in Nazareth leben die Leute in schrecklicher Enge. ich muß leider sagen, daß Im gegenwärtigen Stadium der Rassismus die Oberhand gewonnen hat…“ (Omir Mischor: Reuven Ami’el gegen MENA. AL HAMISHMAR, 27. Januar 1984).
[17] Halacha: Die im Talmud aufgeführten Religionsgesetze, welche die Grundlage der religiösen Praxis bilden.