Kommentar 9
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Irgun: 1937 spaltete sich die „Haganah“, die illegale Militärorganisation der Zionisten in Palästina, in zwei Gruppen. Die offizielle zionistische Politik der „Hawlagah“ (vgl. Anm. 8) war bei einer Minderheit auf empörten Widerstand gestoßen. Die extremistische Dissidentengruppe „Irgun Zwa’i Leumi“ (hebr. „Nationale Militärorganisation“, kurz Irgun genannt) unter ihrem Anführer David Rasiel widersetzte sich fortan dieser Politik. Ende der dreißiger und in den vierziger Jahren verübte Irgun eine große Zahl von Terrorakten gegen die englische Mandatsmacht und gegen arabische Zivilisten. Der heute in Israel zum heroischen Kampf gegen die Unterdrückungs- und Einwanderungspolitik der Engländer hochstilisierte Terrorismus war in Wirklichkeit eher ein bedenkenloser Kampf gegen die Araber, denn das erklärte Ziel von Irgun war die Schaffung eines jüdischen Staates unter Einschluß des Territoriums von Transjordanien. Die Kriminalität der Mittel war die gleiche, wie die der palästinensischen „Volksfront für die Befreiung Palästinas“, die in diesen Tagen auf öffentlichen Plätzen in Jerusalem und Tel Aviv Bomben legt und auf internationalen Flugplätzen israelische Flugzeuge beschießt. Auch damals wurden auf arabischen Märkten Bomben gelegt und Uri Avnery berichtet, daß die Aufnahmezeremonie in die Reihen von Irgun die Frage enthielt, ob man die Araber hasse. Das Massaker von Deir Yassin war kein Zufall. Der zeitweise äußerst heftige Kampf der etablierten Zionisten gegen Irgun hatte nicht so sehr Moral und Humanität zum Motiv, als diplomatisch-taktische Erwägungen gegenüber den Engländern sowie parteipolitische Streitigkeiten. Man war dabei in den Mitteln nicht wählerisch. Ben Gurion sprach sich am 22. November 1944 in Tel Aviv öffentlich für solche Methoden aus: Wir müssen in unseren Herzen jedes persönliche Gefühl unterdrücken – wir wollen kein Mitleid (für diese Terroristen) aufkommen lassen. Laßt uns jeden Jungen und jedes Mädchen in unseren Jugendorganisationen belehren, daß sie sofort die zuständigen Behörden verständigen, wenn Mitglieder der Banden bei den Eltern um Geld nachsuchen. Und wenn sie gerade keine andere Adresse wissen, laßt sie zur (britischen) Polizei gehen.“ (Dawar, 23. November 1944). – Das Verhältnis zwischen Irgun und der von den zionistischen Organen unterhaltenen Haganah ist kompliziert. Eine zeitweilige Zusammenarbeit bei Terrorakten gegen die Engländer, insbesondere nach 1945, gilt als sicher. Die Haganah, obwohl ebenfalls illegal, wurde von der Mandatsmacht insgeheim geduldet und nur gelegentlich bekämpft. Nach dem Tod von David Rasiel (es heißt, er sei bei einem Geheimdienstauftrag für die Engländer im Irak ums Leben gekommen) wurde 1943 Menachem Begin Anführer von Irgun. Am 22. September 1948 wurde Irgun offiziell Zahal eingegliedert. Bei einer Pressekonferenz am Vortag erwähnte der Irgun-Sprecher die Möglichkeit, daß Irgun-Mitglieder wieder in den Untergrund gehen könnten, falls zum Beispiel versucht werden sollte, eine Internationalisierung Jerusalems durchzusetzen. In gewissen Zeitabständen werden immer wieder kleinere und größere Aktionen von Untergrundterroristen bekannt. Im Mai 1953 wurde von der israelischen Polizei eine Organisation aufgedeckt, deren Mitglieder zum Teil ehemalige Irgun- und Lechi-Leute waren. Versuchte und ausgeführte Bombenanschläge gegen Regierungsstellen oder etwa gegen die Redaktion der araberfreundlichen israelischen Wochenzeitschrift „Haolam Haseh“ von Uri Avnery gehen mit großer Wahrscheinlichkeit auf das Konto solcher Leute. In Einzelfällen versuchten israelische Behörden, solche Terrorakte arabischen Infiltranten zuzuschieben.
Lechi: Der Kriegseintritt Englands gegen das nationalsozialistische Deutschland brachte die Zionisten in Palästina in einen Entscheidungskonflikt. Der Kampf gegen die Einwanderungspolitik der Mandatsmacht England und der Kampf gegen nazistische Judenverfolgungen führte zu einer Gratwanderung zwischen Unterstützung und Bekämpfung der Engländer. In diesem Klima trennte sich von Irgun eine Gruppe ab, die glaubte, man müsse selbst mit dem Faschismus und Nazismus gemeinsame Sache machen, um den englischen Imperialismus zu stürzen. Nach ihrem Anführer Abraham Stern (Pseudonym „Yair“, „Lichtbringer“) wird die Gruppe „Stern-Bande“ genannt. Sie selbst nannte sich „Lochamei Cherut Israel“, abgekürzt „Lechi“, Kämpfer für Israels Freiheit. Lechi war sehr bald durch bedenkenlosen Terror berüchtigt. Neben der brutalen Ausraubung von jüdischen Banken und Diamantenbörsen zur Geldbeschaffung, geht auch der heimtückische Versand von Sprengstoffbriefen an englische Regierungsmitglieder und Parlamentarier auf das Konto der Lechi-Organisation (Newsweek, 16. Juni 1947). Die aufsehenerregendsten Taten der Stern-Bande waren die Ermordung des englischen Ministers Lord Moyne auf offener Straße in Kairo (1944) und die Ermordung des UN-Vermittlers Graf Folke Bernadotte am 17. September 1948 in Jerusalem. Die Ermordung Bernadottes war der Anlaß für die Auflösung von Lechi durch die Regierung Ben Gurion. Ein UN-Diplomat schreibt dazu: Der Botschafter der Vereinigten Staaten in Tel Aviv, James MacDonald,
„setzte rückhaltlos das volle Gewicht seiner enormen persönlichen und politischen Autorität ein, um die israelische Regierung zu überzeugen, daß sie die energischsten Maßnahmen zu ergreifen habe, um den schwerwiegenden internationalen Rückwirkungen des Verbrechens zu begegnen. Die Regierung hätte sich, in des Botschafters Bildsprache, als wirkliche Regierung zu erweisen und nicht als politische Junta. Trotzdem wurden weder die eigentlichen Mörder noch ihre Hintermänner jemals gefunden und das Verbrechen blieb unbestraft bis zum heutigen Tag.“ (Pablo de Azcárate, Mission in Palestine 1948-1952. Washington, 1966, S.104).
Die Einstellung des heutigen Israel zu den Terroristen von damals charakterisiert folgende Zeitungsnotiz:
„Am kommenden Sonntag wird Staatspräsident Schasar an 140 Kämpfer für den Staat aus drei Generationen Orden verleihen. Die Regierung will damit von höchster Stelle aus ihrer Anerkennung und Wertschätzung für diese Kämpfer Ausdruck geben. An dem Festakt werden Vertreter von Haschomer, Nili, Haganah, Palmach, Irgun, Lechi und Freiwillige des Kampfes gegen die Nazis im Zweiten Weltkrieg teilnehmen…“ (Hayom, 1. November 1968).