Polkehn Artikel
Der Zionismus im Komplott mit dem Nationalsozialismus
Von Klaus Polkehn
Die englische Übersetzung dieses Artikels erschien unter dem Titel "The Secret Contacts: Zionist-Nazi Relations, 1933-1941" im JOURNAL OF PALESTINE STUDIES, 19/20, Spring/Summer 1976, p. 54. Die erstmalige Veröffentlichung der deutschen Originalversion erfolgt mit freundlicher Unterstützung des Autors, der einige zusätzliche Anmerkungen gemäß neuerem Kenntnisstand geschrieben hat, insbesondere die umfangreiche Anmerkung 98.
Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Regierungschef des Deutschen Reiches ernannt. Mit diesem Tag begann der im Programm der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei postulierte Antisemitismus offizielle deutsche Regierungspolitik zu werden. Im Frühjahr 1933 nahm aber auch die erstaunliche Zusammenarbeit zwischen dem Zionismus und dem deutschen Faschismus ihren Anfang. Es ist der zionistischen Führung lange Zeit gelungen, diese Kooperation weitgehend geheimzuhalten. Erst seit Anfang der 60er Jahre fanden sich hier und dort kritische Bemerkungen zu diesen Vorgängen in der Zeit zwischen 1933 und 1945. Und wann immer auf solche Beispiele einer Kooperation hingewiesen wurde, erklärten die Zionisten, etwaige Kontakte zu Nazi-Deutschland seien einzig und allein zu dem Zweck erfolgt, das Leben jüdischer Menschen zu retten. In der Anfang 1969 anläßlich des 16. Kongresses der Kommunistischen Partei Israels vorgelegten Studie "The Jewish Question and Zionism in our Days" wurde demgegenüber festgestellt: "Nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland, als alle antifaschistischen Kräfte in der Welt und die große Mehrheit der Jüdischen Organisationen einen Boykott Nazi-Deutschlands ausriefen, gab es zwischen zionistischen Führungskräften und der Hitlerregierung Kontakte und Kollaboration."[1] Die Studie zitierte den zionistischen Funktionär Eliezer Livne (Livne, damals Liebenstein, war während des Zweiten Weltkrieges Redakteur der Haganah-Zeitung ESCHNAB), der 1966 auf einem von der israelischen Zeitung MA’ARIV organisierten Symposium erklärt hatte, "daß für die zionistische Führung die Rettung von Juden nicht ein Ziel an sich, sondern lediglich ein Hilfsmittel war".[2]
Die Frage nach dem Verhalten der zionistischen Bewegung zum deutschen Faschismus, der in den 12 Jahren seiner Herrschaft Millionen Juden ermordete, ist für die zionistischen Führer ein Tabu. Die Details jener schrecklichen Kooperation zwischen der zionistischen Führung und den Judenmördern im faschistischen Deutschland werden deshalb – so gut es nur geht – geheimgehalten. Nur selten gelingt es, authentischen Zeugnissen oder gar Dokumenten zu diesen Vorgängen auf die Spur zu kommen. Die nachfolgende Untersuchung faßt die bisherigen Erkenntnisse über einige wichtige Aspekte der Zusammenarbeit zwischen Zionisten und Nationalsozialisten zusammen. Es liegt in der Natur der Sache, daß diese Untersuchung kein vollständiges Bild ergeben kann. Dies wird erst möglich sein, wenn die Archive (vor allem in Israel), in denen die Dokumente über diese Vorgänge aufbewahrt werden[3], dereinst wissenschaftlicher Forschung zugänglich sein werden.
I
Den zionistischen Führern mußte der Machtantritt Hitlers geradezu als ein Geschenk des Himmels erscheinen, fühlte sich doch die Mehrheit der deutschen Juden als Deutsche, die für die zionistischen Bestrebungen wenig Verständnis aufbrachten. Die deutschen Statistiken vor der Machtergreifung durch die Nazis erfaßten die jüdische Minderheit nur in der Rubrik der "Religionszugehörigkeit" (und es blieb der nazistischen Rassengesetzgebung vorbehalten, den Begriff "Rasse" als Merkmal einzuführen und damit auch die längst assimilierten Nachkommen von Angehörigen der jüdischen Religionsgemeinschaft als Juden zu zählen). 1933 lebten diesen Statistiken zufolge in Deutschland 503 000 Juden, die 0.76% der Gesamtbevölkerung ausmachten. 31% aller deutschen Juden wohnten in der Hauptstadt Berlin, wo sie 4.3% der Bevölkerung ausmachten. Die deutschen Statistiken weisen übrigens auch aus, daß der Anteil der Juden in Deutschland zwischen 1871 und 1933 von 1.05% auf 0.76% zurückgegangen war.[4] Diese deutschen Juden waren in ihrer großen Mehrheit Nichtzionisten oder Antizionisten. Die zionistische Vereinigung für Deutschland (ZVfD) vermochte sich vor 1933 nur schwer Gehör zu verschaffen. Von den im Jahre 1925 in Deutschland gezählten Juden waren beispielsweise nur 8739 (also nicht einmal 2%) für die Zionistenkongresse wahlberechtigt (d.h. Mitglieder zionistischer Organisationen)[5], und bei den Wahlen zum Landesverband jüdischer Gemeinden in Preußen am 1. Februar 1925 wurden von 124 Mandaten nur 26 von zionistischen Gruppen errungen.[6] Im Bericht des "Palästina-Grundfonds (Keren Hajessod)" für den 24. Delegiertentag der ZVfD vom Juli 1932 konnte man lesen: "Bei Würdigung der Keren-Hajessod-Arbeit in Deutschland sollte überhaupt … niemals übersehen werden, daß wir es in Deutschland noch immer nicht nur mit der Indifferenz, sondern auch mit der Gegnerschaft weiter jüdischer Kreise zu tun haben."[7]
Während also die Zionisten beim Machtantritt Hitlers im Grunde eine kleine, unbedeutende und weithin einflußlose Minderheit waren, dominierten die nichtzionistischen Organisationen, an ihrer Spitze der 1893 gegründete "Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" (CV), der – wie schon sein Name sagte – die deutschen Juden als Deutsche betrachtete, und der seine Hauptaufgabe im Kampf gegen den Antisemitismus sah. Aus dieser Grundhaltung erklärt sich auch, daß der CV den Zionismus scharf ablehnte. So hieß es in einem Beschluß des Hauptvorstandes des CV vom 10. April 1921: "Wäre die Besiedlung von Palästina nichts weiter als ein großes Hilfswerk, so wäre vom Standpunkt des Centralvereins gegen die Förderung dieses Werkes nichts zu sagen. Die Besiedlung von Palästina ist aber in erster Linie das Ziel nationaljüdischer Politik. Ihre Förderung und Unterstützung ist daher abzulehnen."[8]
So war es denn auch in den Jahren vor dem Machtantritt Hitlers neben den progressiven Parteien und Organisationen vor allem der CV, der gegen den Antisemitismus auftrat. Kritisch bemerkte der jüdische Autor Werner E. Mosse: "Während die Führer des CV es als ihre besondere Aufgabe betrachteten, die Interessen der deutschen Juden im aktiven politischen Kampf zu vertreten, trat der Zionismus … für die systematische jüdische Enthaltung von der Teilnahme am deutschen öffentlichen Leben ein. Er lehnte deshalb aus prinzipiellen Gründen jede Beteiligung an dem vom CV geführten Abwehrkampf ab."[9]
Die Haltung der Zionisten zu der heraufziehenden Gefahr einer faschistischen Herrschaft in Deutschland war wesentlich auch von einer vielfachen Übereinstimmung von zionistischen und faschistischen ideologischen Grundpositionen bestimmt. Nationalsozialisten wie Zionisten vertraten rassistische Theorien. Beide trafen sich im Glauben an solche mystischen Kategorien wie "Volkstum" und "Rasse", beide waren chauvinistisch, beide wollten "rassische Exklusivität". So schrieb beispielsweise der zionistische Funktionär Gerhard Holdheim im Jahre 1930 in einer der "Judenfrage" gewidmeten Ausgabe der SÜDDEUTSCHEN MONATSHEFTE (in der u.a. führende Antisemiten ihre Auffassung darlegten): "Das zionistische Programm begreift die Auffassung eines einheitlichen ungeteilten Judentums auf nationaler Grundlage in sich. Kriterium des Judentums ist hiernach nicht ein religiöses Bekenntnis, sondern das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Volksgemeinschaft, die, durch Gemeinsamkeit des Blutes und der Geschichte verbunden, gewillt ist, ihre nationale Individualität zu erhalten."[10] Das war die gleiche Sprache, das waren die gleichen Vokabeln, derer sich die Nazis und Antisemiten bedienten. So kann es denn nicht verwundern, daß die deutschen Faschisten die Auffassung der Zionisten begrüßten. So schrieb der Chef-Ideologe der deutschen Nazi-Partei, Alfred Rosenberg: "Der Zionismus muß tatkräftig unterstützt werden, um jährlich eine zu bestimmende Zahl deutscher Juden nach Palästina oder überhaupt über die Grenze zu befördern."[11] Hans Lamm meinte später mit Blick auf solche Äußerungen: "… it is indisputable that during the first stages of their Jewish policy the National-Socialists thought it proper to adopt a pro-Zionist attitude."[12]
Der CV bemerkte sehr klarsichtig zu der Haltung der Zionisten, daß ihre Anerkennung "bestimmter Postulate der deutschen Nationalisten" dem Antisemitismus Vorschub leiste, und in einer Stellungnahme des CV sprach man sogar von einem "Dolchstoß in den Rücken" der Abwehrfront gegen den Nationalsozialismus, den die Zionisten vor 1933 geführt hätten.[13] Doch schließlich ging es den Zionisten nicht um eine Abwehr des heraufziehenden Faschismus. Nur der Antisemitismus Hitlers, so glaubten sie, könne die antizionistischen jüdischen Deutschen dem Zionismus in die Arme treiben. So erklärte der damalige Chefredakteur der in Deutschland erscheinenden zionistischen Zeitung JÜDISCHE RUNDSCHAU, Robert Weltsch, am 8. Januar 1933 (drei Wochen vor Hitlers Machtantritt) auf einer Sitzung des Landesvorstandes der ZVfD: "Die antiliberale Welt im Deutschtum begegnet sich mit der antiliberalen Stellungnahme des Zionismus, und wir stehen hier vor der Chance, zwar nicht die Basis der Verständigung, aber die Basis einer Auseinandersetzung gefunden zu haben."[14]
II
Der Berufung Hitlers zum Regierungschef am 30. Januar 1933 folgte die Übernahme aller Machtpositionen in Deutschland durch die nationalsozialistische Partei, die Übernahme der Macht also durch geschworene Antisemiten. Die jüdischen Deutschen betrachteten diese Vorgänge mit tiefer Sorge. Immerhin fanden sich im Programm der Nazi-Partei die Forderungen nach Ausbürgerung der Juden (Punkt 5), nach Entfernung aller Juden aus öffentlichen Ämtern (Punkt 6) und nach Ausweisung aller nach dem 2.8. 1914 nach Deutschland eingewanderten Juden (Punkt 8). Nur die Zionisten gaben unverhohlen ihrer Genugtuung über diesen Vorgang Ausdruck. (Der sicherlich nicht antizionistische britische Autor Christopher Sykes meint, "daß die zionistischen Führer von den ersten Anfängen des Nazi-Unheils an entschlossen waren, aus der Tragödie politischen Vorteil zu ziehen".[15]) Die erste öffentliche Äußerung, die auf diesen Tatbestand hindeutet, stammte von dem Berliner Rabbiner Dr. Joachim Prinz, einem engagierten Zionisten, der unmittelbar nach dem 30. Januar 1933 den Machtantritt Hitlers als den Beginn der "Rückkehr des Juden zu seinem Judentum" feierte.[16] Angesichts des sich abzeichnenden nazistischen Terrors gegen die jüdischen Deutschen triumphierte Prinz: "Kein Schlupfwinkel birgt uns mehr. Wir wünschen an die Stelle der Assimilation das Neue gesetzt: das Bekenntnis zur jüdischen Nation und zur jüdischen Rasse."[17] Dies war durchaus nicht die Meinung eines Einzelgängers. Die JÜDISCHE RUNDSCHAU, das offizielle Organ der ZVfD, schrieb am 13. Juni 1933: "Der Zionismus anerkennt die Existenz der Judenfrage und will sie in einer großzügigen, konstruktiven Weise lösen. Er will hierfür die Mithilfe aller Völker gewinnen, der judenfreundlichen ebenso wie der judenfeindlichen, weil es sich seiner Auffassung nach hier nicht um Sentimentalitäten, sondern um ein reales Problem handelt, an dessen Lösung alle Völker interessiert sind."[18] Mit diesem Argument hatte man sich genau auf die gleiche politische Linie begeben, die die Nazis bezogen.
Am 21. Juni 1933 gab es schließlich eine offizielle zionistische Stellungnahme zur Übernahme der Macht durch den Nationalsozialismus: Die "Äußerung der Zionistischen Vereinigung für Deutschland zur Stellung der Juden im neuen deutschen Staat". In diesem umfangreichen Dokument wurde zunächst hervorgehoben, daß die Anschauungen der Zionisten "nach unserer Meinung eine den Grundsätzen des neuen deutschen Staates der nationalen Erhebung (hier wurde von den Verfassern fast wortgetreu die Nazi-Terminologie übernommen! K.P.) entsprechende Lösung ermöglichen würde".[19] Nachdem auf diese Weise die grundsätzliche Einhelligkeit prinzipieller Positionen von Zionismus und Nationalsozialismus proklamiert worden war, gab die ZVfD in ihrem Dokument einen geschichtlichen Rückblick auf die Lage der Juden in Deutschland, in dem sie sich wiederum solcher Vokabeln wie "Bindung von Blut und Rasse" bediente und – genau wie Hitler – eine "seelische Sonderart" der Juden postulierte. Dann konstatierten die Zionisten: "Auch für den Juden müssen Abstammung, Religion, Schicksalsgemeinschaft und Artbewußtsein von entscheidender Bedeutung für seine Lebensgestaltung sein. Dies erfordert Überwindung des im liberalen Zeitalter entstandenen egoistischen Individualismus durch Gemeinsinn und Verantwortungsfreudigkeit."[20] Nach dieser Beschwörung und Wiederholung faschistischer Thesen folgte ein offenes Bekenntnis zum faschistischen Staat: "Wir wollen auf dem Boden des neuen Staates (gemeint ist das nazistische Deutschland; K.P.), der das Rassenprinzip aufgestellt hat, unsere Gemeinschaft in das Gesamtgefüge so einordnen, daß auch uns, in der uns zugewiesenen Sphäre, eine fruchtbare Betätigung für das Vaterland möglich ist."[21] Schließlich verurteilten die Zionisten den Kampf antifaschistischer Kräfte gegen das Hitler-Regime, die im Frühjahr 1933 zu einem wirtschaftlichen Boykott Nazi-Deutschlands aufgerufen hatten. "Boykottpropaganda – wie sie jetzt vielfach gegen Deutschland geführt wird – ist ihrer Natur nach unzionistisch, da der Zionismus nicht bekämpfen, sondern überzeugen und aufbauen will."[22]
Um sich die ganze Bedeutung dieser Erklärung der ZVfD vor Augen zu halten, muß man noch einmal daran erinnern, was dieser Stellungnahme alles vorangegangen war: Die Judenverfolgungen hatten eingesetzt und in einem großen, ganz Deutschland umfassenden Pogrom am 1. April 1933 einen ersten Höhepunkt gefunden. Aber das schien die zionistischen Führer kaum zu interessieren. Es schien sie kalt zu lassen, daß in den ersten Märztagen des Jahres 1933 in deutschen Städten jüdische Bürger mißhandelt wurden (so hatte man beispielsweise am 11. März 1933 in Braunschweig jüdische Geschäfte demoliert; so waren am 13. März 1933 vor dem Gerichtsgebäude in Breslau jüdische Rechtsanwälte mißhandelt worden; so hatten die Nazi-Behörden das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" erlassen, das u. a. die Vertreibung von 2000 jüdischen Wissenschaftlern von den deutschen Universitäten zur Folge hatte). Statt dessen zog es der im Sommer 1933 tagende XVIII. Zionisten- Kongreß vor, nicht gegen die Vorgänge in Deutschland zu protestieren. Als auf dem Zionistenkongreß am 24. August 1933 die Lage der deutschen Juden diskutiert werden sollte, legte das Präsidium des Kongresses fest, diese Diskussion zu unterbinden.[23]
Die Nazis honorierten diese "Zurückhaltung" der Zionisten, indem sie der ZVfD die ungehinderte Weiterarbeit gestatteten (zu einer Zeit, da alle demokratischen und antifaschistischen Parteien und Organisationen in Deutschland schärfster Verfolgung ausgesetzt waren, und da man deren Funktionäre und Mitglieder in Gefängnisse und Konzentrationslager verschleppte) und alle nichtzionistischen jüdischen Organisationen in ihrer Arbeit außerordentlich behinderten. Diese Behinderungen trafen vor allem den CV. Schon vor 1933 hatten die Nazis, "wie aus zahlreichen Beispielen der Nazipresse hervorgeht", den CV als "ihren hauptsächlichen jüdischen Gegner" gesehen.[24] Hatte nicht der CV den Zionisten immer wieder vorgeworfen, sie hätten "am Abwehrkampf (gegen den Faschismus; K.P.) selbst kein Interesse gezeigt… Er (der Zionismus; K.P.) habe eine Politik der Gleichgültigkeit (gegenüber der herannahenden faschistischen Gefahr; K.P.) betrieben, da es ihm eben an wahrer innerer Beteiligung fehle".[25]
So besetzte die SA am Abend des 1. März 1933 das Zentralbüro des CV und schloß es. Am 5. März 1933 wurde der CV in Thüringen wegen "hochverräterischer Umtriebe" verboten. Gleichzeitig wandte sich der Nazi-Staat gegen andere nichtzionistische jüdische Organisationen, die, wie zum Beispiel der "Reichsbund jüdischer Frontsoldaten" eine deutsch-nationalistische Position vertreten hatten. Verboten wurde auch der "Verband Nationaldeutscher Juden" [Zum "Reichsbund jüdischer Frontsoldaten" (RjF) siehe Anhang (1)]
Mit diesem "Rückenwind" durch die Nazis vermochten sich die Führer der Zionistischen Vereinigung für Deutschland noch im Jahre 1933 eine führende Position unter den jüdischen Deutschen zu erobern, die sie vorher ganz und gar nicht besessen hatte. Die Zionisten nutzten auch die offenbar gewordene Notwendigkeit eines Zusammenwirkens jüdischer Organisationen, um sich einflußreiche Positionen zu sichern, wobei sie hier, nach außen hin, bekannten Nichtzionisten den Vortritt ließen. Im Herbst 1933 wurde die "Reichsvertretung der deutschen Juden" gegründet, an der sich alle großen jüdischen Organisationen wie der CV und auch die ZVfD beteiligten. Leiter der Reichsvertretung wurde Rabbiner Dr. Leo Baeck, in dessen Person sich bereits die zwiespältige Haltung der Reichsvertretung zum Zionismus spiegelte: Baeck war einerseits Mitglied des Hauptvorstandes des CV, andererseits aber zugleich Präsident des zionistischen Siedlungsfonds "Keren Hajessod" in Deutschland. Diese neu gegründete Reichsvertretung bot den zionistischen Führern eine breitere Plattform für ihre Tätigkeit. Die Reichsvertretung war übrigens nicht, wie manchmal behauptet wird, auf Weisung der Nazi-Behörden gegründet worden. Ball-Kaduri schrieb dazu: "Die höheren Stellen der Nazi interessierten sich für die internen Vorgänge im jüdischen Lager zunächst nicht" – was allerdings nicht stimmt, sonst wäre die Verfolgung von Nichtzionisten und die Begünstigung der Zionisten kaum zu erklären. "So kam es, daß die Gründung der Reichsvereinigung ganz ohne staatliche Eingriffe erfolgte; die vollzogene Gründung der Reichsvertretung wurde einfach dem Reichsministerium des Innern mitgeteilt, die Gestapo interessierte sich gar nicht dafür."[26] Erst am 4. Juli 1939 erging die "Verordnung zum Reichsbürgergesetz" über die Zwangsgründung der "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland", die einmal eine Umbenennung der Reichsvertretung beinhaltete, und die die Zwangsmitgliedschaft aller jüdischen Deutschen in der Reichsvereinigung bestimmte. Der