Pressefreiheit bei Blockupy-Demo mißachtet.
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06.06.2013 / Medien / Seite 15
»Einfach mal die Klappe halten!«
06.06.2013 / Medien / Seite 15
»Einfach mal die Klappe halten!«
Pressefreiheit bei Blockupy-Demo mißachtet. Journalisten-Gewerkschaft ruft dazu auf, Belege zu sammeln und zu dokumentieren. Ein Gespräch mit Martin Keßler
Interview: Gitta Düperthal
Martin Keßler ist freier Dokumentarfilmer und Fernsehjournalist in Frankfurt am Main
Als politischer Filmemacher haben Sie schon über viele Demonstrationen berichtet. Am Samstag waren Sie auch bei der Blockupy-Demo in Frankfurt am Main dabei – was war Ihr Eindruck?Ich stand unmittelbar neben dem Block, den die Polizei direkt unter der Hinterfront des Frankfurter Schauspielhauses eingekesselt hatte, später wurde brutal in die Menge hineingeknüppelt, sie wurde mit Pfefferspray eingenebelt. Und von oben, aus den Fenstern des Theaters, ließen Schauspieler über Stunden in Eimern Wasserflaschen für die dort festgehaltenen Leute herunter!
Ich habe viele Erfahrungen als politischer Filmemacher: Aber einen so harten Polizeieinsatz gegen Demonstranten aus relativ nichtigem Anlaß habe ich noch nie erlebt; weder bei den G-8-Protesten in Heiligendamm 2007, noch bei den Studentenprotesten 2006 in Hessen – bei letzteren ging der zivile Ungehorsam ja so weit, daß sogar Autobahnen blockiert wurden.
Auch Journalisten wurden massiv in ihrer Arbeit behindert. Haben Sie das auch erlebt?
Wir mußten darum kämpfen, überhaupt in eine Position zu kommen, aus der wir das Geschehen beobachten oder Bilder machen konnten. Viele Kollegen – u. a. vom Hessischen Rundfunk (HR), vom ZDF, von diversen Tageszeitungen – haben mir berichtet, daß sie trotz Vorzeigens ihres Presseausweises mehrfach von Polizisten an der Arbeit gehindert oder gar nicht erst durchgelassen wurden. Einem Kollegen wurde das so begründet: Die Presse würde sonst unangenehme Bilder veröffentlichen, das müsse unterbunden werden.Als ich einen Einsatzleiter zu sprechen verlangte, herrschte mich eine Polizistin an: »Einfach mal die Klappe halten!«. Kolleginnen und Kollegen haben mir zudem berichtet, daß die Polizei sogar den Personalausweis verlangte, wenn sich jemand beschwerte. Anschließend wurden die Personalien aufgenommen – von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bis zu junge Welt.
Das, was in Frankfurt passierte, war also eine massive Verletzung der Pressefreiheit?
Dieses Grundrecht muß gewahrt bleiben, die Presse muß ihre Wächterfunktion wahrnehmen können. Sie ist neben Legislative, Exekutive und Judikative immerhin die »vierte Gewalt« im Staat. Eine unabhängige und freie Presse muß darüber berichten können, wenn sich die Polizei z.B. über Gerichtsurteile hinwegsetzt, wie dies am Samstag in Frankfurt der Fall war. Der hessische Verwaltungsgerichtshof hatte die Demo-Route zur Europäischen Zentralbank (EZB) ausdrücklich genehmigt – was die Polizei aber nicht weiter interessierte. Die Verantwortung dafür tragen Ministerpräsident Volker Bouffier, Innenminister Boris Rhein (beide CDU) sowie Ordnungsdezernent Markus Frank und Polizeipräsident Achim Thiel. Letzterer ist bekannt dafür, die »harte Frankfurter Linie« eingeführt zu haben. Die Opposition in Hessen – also SPD, Grüne und Die Linke – fordert den Rücktritt des Innenministers. Diese Konsequenz ist im Interesse der Pressefreiheit nötig.
Mir selbst haben Polizisten am Freitag bei der Blockade der EZB Pfefferspray auf den Hinterkopf gesprüht, nachdem ich Presseausweis und Personalausweis gezeigt hatte, um durch die polizeiliche Absperrung zu kommen. Haben Sie von Verletzungen anderer Journalisten gehört?
Ein Kollege berichtete, er sei heftigst zurückgestoßen worden, als er eine Polizeikette passieren wollte. Und ich weiß von einem Journalisten, der nach einem Pfefferspray-Einsatz kollabiert ist.
Welche Konsequenzen wären jetzt nötig?Es die Aufgabe der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, alle Verstöße und Rechtswidrigkeiten, die Pressevertreter im Zusammenhang mit der Blockupy-Demonstration erlebt haben, zu sammeln und zu dokumentieren – und das geschieht jetzt. Betroffene Kolleginnen und Kollegen können sich bei der Bundesgeschäftsstelle der dju in Berlin melden. Ich habe auch versucht, den zuständigen Referenten des Frankfurter Oberbürgermeisters Peter Feldmann (SPD) darauf anzusprechen – man hat mir zugesagt, er werde zurückzurufen.
Welchen Eindruck hatten Sie von der Medienberichterstattung zu Blockupy?Die Tageszeitungen haben vielfach differenziert berichtet, das Fernsehen hingegen brachte oft nur Sekundenbeiträge mit einseitigen Polizeiinformationen. Darin war zum Beispiel oft von einem »schwarzen Block« die Rede – den gab es aber gar nicht. Der HR brachte statt eines ts über den skandalösen Polizeieinsatz am Montag eine Sondersendung zum Besuch des niederländischen Königspaares beim Ministerpräsidenten. Das nenne ich Verblödung und Desinformation. Die ARD wurde offenbar von ihrem Regionalsender HR sehr schlecht beliefert.