Reaktionen auf Datenausspähung
Junge Welt 08.07.2013
Totalverluste
Reaktionen auf Datenausspähung
Von Arnold Schölzel
Die deutsche Qualitätspresse und mit ihr die Damen und Herren der in diesem Land regierungsfähigen Politik taumeln von einer Überraschung zur anderen: In der Bundesrepublik wird im großen Stil abgehört, werden Milliarden Daten geklaut, kann der erste Satz des Artikels zehn Grundgesetz – »Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletztlich« – ersatzlos gestrichen werden. Dieses Grundrecht reduziert sich auf Grund noch heute gültiger alliierter Vorbehaltsrechte seit Gründung der Bundesrepublik auf null. Absatz zwei: »Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.« Richtig ist allein: Der Rechtsweg bleibt ausgeschlossen – wie auch in vielen anderen Fällen von Verlangen nach Grundrechtsverwirklichung, z. B. dem nach Unantastbarkeit der Menschenwürde angesichts von Jobcentern, Prügelpolizisten und neonaziaffinen Geheimdiensten, z.B. dem nach Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit angesichts deutscher Mitwirkung an Bombardierungen von Zivilisten und an Killerkommandos in Afghanistan, angesichts notorisch nicht verfolgter Neonazimorden. Und z.B. von dem Verlangen nach Gleichheit vor dem Gesetz angesichts der von UN-Gremien mehrfach beurkundeten systematischen Diskriminierungen Ostdeutscher oder Migranten. Die Liste läßt sich verlängern.
Tatsachen dieser Art prägen das Land, in der veröffentlichten Meinung spielen sie keine Rolle. Nur so ist erklärlich, daß die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung unter der Schlagzeile »Amerika darf Deutsche abhören« schreiben kann: »Nach FAS-Recherchen können sich die amerikanischen Geheimdienste bei Ausspähaktionen in Deutschland auf Rechtsgrundlagen berufen, die noch aus der alten Bundesrepublik stammen.« Tatsächlich bestand die Recherche vor allem in der Lektüre eines Buches des Freiburger Historikers Josef Foschepoth »Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik«. Die Publizistin Franziska Augstein veröffentlichte am 13. November 2012 eine ausführliche Rezension des Bandes in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel »Die nie ganz souveräne Republik« und schrieb: »So kann etwa die National Security Agency der USA frei schalten und walten.« Sie kommentierte einen Tag später: »Die Bundesrepublik ist ein Überwachungsstaat. Das Grundrecht des Post- und Fernmeldegeheimnisses kann man mit den Worten des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Jürgen Kühling ›als Totalverlust abschreiben‹.« Dem wäre hinzuzufügen: Die Totalverluste sind etwas umfangreicher.
Tatsachen dieser Art prägen das Land, in der veröffentlichten Meinung spielen sie keine Rolle. Nur so ist erklärlich, daß die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung unter der Schlagzeile »Amerika darf Deutsche abhören« schreiben kann: »Nach FAS-Recherchen können sich die amerikanischen Geheimdienste bei Ausspähaktionen in Deutschland auf Rechtsgrundlagen berufen, die noch aus der alten Bundesrepublik stammen.« Tatsächlich bestand die Recherche vor allem in der Lektüre eines Buches des Freiburger Historikers Josef Foschepoth »Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik«. Die Publizistin Franziska Augstein veröffentlichte am 13. November 2012 eine ausführliche Rezension des Bandes in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel »Die nie ganz souveräne Republik« und schrieb: »So kann etwa die National Security Agency der USA frei schalten und walten.« Sie kommentierte einen Tag später: »Die Bundesrepublik ist ein Überwachungsstaat. Das Grundrecht des Post- und Fernmeldegeheimnisses kann man mit den Worten des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Jürgen Kühling ›als Totalverlust abschreiben‹.« Dem wäre hinzuzufügen: Die Totalverluste sind etwas umfangreicher.