Reaktionen auf Neonaziterror
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06.01.2012 / Ansichten / Seite 8Inhalt
Staatsskandal
Reaktionen auf Neonaziterror
Von Arnold Schölzel
Die mediale Aufregung um die Wulff-Groteske ist künstlich. Der Herr fuhr mit Springers Verblödungsmaschine gern nach oben, zurück nach unten will er von der nicht gebracht werden.
Vom tatsächlich stattfindenden und täglich weitergetriebenen Staatsskandal lenkt die Wulff-Chose hervorragend ab. Am Mittwoch waren zwei Monate vergangen, seitdem zwei neofaschistische Mörder tot in einem Wohnwagen in Eise nach aufgefunden wurden und in Zwickau eine Wohnung in die Luft flog. Es gibt einige Untersuchungshäftlinge, angeblich sind mehrere hundert Ermittler des Bundeskriminalamtes tätig – auf politischer Ebene herrscht scheinbare Ruhe, tatsächlich geht man dort längst zum Gegenangriff über. Motto: Von den zehn Ermordeten und den Verletzten der braunen Terroranschläge nicht reden, dafür um so mehr von der Bekämpfung alles dessen, was sich politisch links in diesem Land engagiert – siehe die Ausfälle von CDU und CSU zur Beschränkung der staatlichen Finanzen für die Linkspartei. Exemplarisch ist auch dies: Da verlangt am Donnerstag die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des sächsischen Landtages Einsicht in den geheimen Untersuchungsbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz zur Zwickauer Terrorzelle. Der Bericht liegt dem Spiegel nach eigenen Angaben seit der Woche vor Weihnachten vor, die Zeitschrift zitierte daraus ausführlich. Die Bundesregierung, so meldet dapd, habe das Papier zwar dem sächsischen CDU-Innenminister Markus Ulbig am Montag zukommen lassen, »doch zugleich untersagt, ihn an die PKK weiterzureichen«. Der PKK-Vorsitzende Günther Schneider bezeichnete das als »nicht nachvollziehbare Behinderung der Arbeit der Kommission«. Das ist sehr höflich ausgedrückt. Tatsächlich geht es darum, daß nicht mehr als die Spitze des Eisbergs – die Verflechtung von Geheimdiensten und neofaschistischen Organisationen – sichtbar werden soll. Der Bundesinnenminister weigert sich seit dem 4. November, überhaupt so etwas wie Aufklärung zuzulassen, die Koalition und die SPD lehnen einen Untersuchungsausschuß des Bundestages ab. In Sachsen, wo Innen- und Justizminister im Fall der hunderttausendfachen Handy abfrage im Februar 2011 als Lügner überführt wurden, dem Bundesland, in dem Justiz und organisierte politische Kriminalität offenbar in schöner Symbiose leben, ist nicht mehr zu erwarten.
In der Zeitung Unsere Zeit macht jetzt der Freisinger Rechtsanwalt Thomas Stadler darauf aufmerksam, daß im Hinblick auf den Verfassungsschutz die Gefahr eines Staats im Staate besteht »oder neudeutsch eines Deep States«. Als rechtswidrig erkanntes Handeln des Geheimdienstes werde politisch weder kontrolliert noch unterbunden, im Gegenteil. Wo Verfassung und Rechtsstaat notorisch so außer Kraft gesetzt werden, ist der Fall Wulff eine – allerdings dazugehörige – Randerscheinung eines Staates, der täglich mehr zum Skandal wird.