Rechtsgutachten zum geplanten CETA-Abkommen: Verfassungsrechtlich sehr bedenklich.
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CETA
»Davon steht nichts in unserem Grundgesetz«
Rechtsgutachten zum geplanten CETA-Abkommen: Verfassungsrechtlich sehr bedenklich. Ein Gespräch mit Fritz Glunck
Fritz Glunck ist Herausgeber des Buchs »Das multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI)« und ATTAC-Mitglied
Junge Welt, 23 Okt 2014
In einem vom globalisierungskritischen Netzwerk ATTAC in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten zum geplanten Handelsabkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) zwischen Europa und Kanada heißt es: Es werfe noch nicht angesprochene verfassungsrechtliche Probleme auf – welche sind das?
Die EU-Kommission hat im Abkommen mit der kanadischen Regierung Dinge verhandelt, für die sie nicht zuständig ist: etwa die Einrichtung von Schiedsgerichten. Das verletzt Artikel 92 unseres Grundgesetzes, der ein staatliches Monopol der Rechtsprechung festschreibt. Niemand anders darf für Deutschland Recht sprechen als unsere eigenen Gerichte. Problematisch ist zudem, Komitees zwischen Kanada und der Deutschen Regierung einzurichten, die befugt sind, Entscheidungen zu treffen, die die Auslegung des Vertrages CETA betreffen. Die Kommission hat somit eigene Kontrolleure bestellt, um ihr eigenes Verhandlungsergebnis zu begutachten. Selbst juristischen Laien leuchtet ein, dass das nicht sein darf.
Was bedeutet es, wenn es im Rechtsgutachten heißt: Das Abkommen verletzt menschen- und umweltrechtliche Verpflichtungen der EU und der Mitgliedsstaaten?
Mit der Einrichtung der Schiedsgerichte als auch besagter Kommission, die die Vertragsanwendung überprüfen sollen, ist nicht sichergestellt, dass in unserer Verfassung festgeschriebene Grund- und Menschenrechte garantiert werden. Denn die sollen dort zum Ausgleich mit der Wirtschafts- und Exportförderung gebracht werden. Davon steht nichts in unserer Verfassung, es ist nicht zulässig.
Das Abkommen beschränke unverhältnismäßig die demokratische Gestaltung der Wirtschafts- und Sozialordnung, kritisieren die Gutachter. Zum Beispiel?
CETA sieht vor, zu erlauben, dass Arbeitnehmer aus einem Vertragspartnerstaat im jeweils anderen Staat arbeiten dürfen. Kanadier dürfen also in Deutschland arbeiten; unterstehen dann aber nicht dem Schutz des deutschen Arbeitsrechts. Es kann aber weder angehen, dass Personen, nur weil sie Ausländer sind, hierzulande etwa 60 Stunden pro Woche beschäftigt werden können, noch dass ihnen Privilegien zustehen, die deutsche Beschäftigte nicht genießen. Im Gegensatz zu Deutschland hat Kanada nicht alle Kernarbeitsnormen der International Labour Organisation ratifiziert. Wir haben höhere Standards als Kanada.
Was ist Ihrer Einschätzung nach von der neuen EU-Kommission zu erwarten, die am 1. November antritt?
Sie wird das Gutachten nicht zur Kenntnis nehmen und sich vor allem damit beschäftigen, ein gewaltiges Investitionsprogramm aufzulegen.
Wird ATTAC rechtliche Schritte gegen CETA einleiten?
Die Hürden beim Europäischen Gerichtshof sind hoch. Die Möglichkeit einer Individualbeschwerde, die sogar kostenlos ist, gibt es zwar, sie ist aber nahezu ohne Erfolgsaussichten.
Anders wäre es bei Beschwerden antragsberechtigter privilegierter Institutionen, von Staaten oder Parlamenten also. Dass ein Staat die Unterschrift unter den Vertrag verweigert, ist kaum zu erwarten. Dabei ist klar: Wenn Europa ein Raum des Rechts bleiben soll, dürfen deutsche Staatsorgane Rechtsakte aus dem CETA-Abkommen nicht in Deutschland anwenden.
Wozu ist das Rechtsgutachten dann gut – um politischen Protest zu fördern?
Nein, der Widerstand ist schon breit, vor allem gegen das Abkommen TTIP zwischen EU und den USA, aber auch gegen CETA zwischen EU und Kanada. Es geht um eine neue Qualität der Argumente dagegen: Die schleichende Aushöhlung unserer demokratischen Grundsubstanz steht bevor.
Bedarf das Handelsabkommen der Zustimmung der Parlamente aller EU-Mitgliedsstaaten?
Es gibt Meinungsverschiedenheiten. Der Rat der EU, in dem die nationalen Minister aller Mitgliedstaaten zusammentreffen, ist der Auffassung: Die nationalen Parlamente müssen zustimmen. Die Kommission meint hingegen, einzig das Europaparlament und sie selbst seien zuständig.
Der Vertrag ist keineswegs ausverhandelt; er wurde in Ottawa keineswegs paraphiert, wie fälschlich behauptet wurde. Zu rechnen ist damit, dass erst 2017 über CETA entschieden wird.
Interview: Gitta Düperthal