Rotlicht: Internationaler Strafgerichtshof
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Rotlicht: Internationaler Strafgerichtshof
Von Gregor Schirmer
Von 193 UN-Mitgliedstaaten sind 123 Partner des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH). Die angestrebte universale Verbindlichkeit wird damit bei weitem nicht erreicht. Die Ratifikationen sind ins Stocken geraten. In den letzten fünf Jahren ist nur noch Palästina beigetreten. Unter den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats haben die USA ihre Unterschrift zurückgezogen, Russland hat unterzeichnet, aber nicht ratifiziert, China erst gar nicht unterschrieben. Aus dem konfliktreichen Nahen Osten fehlen Ägypten, Iran, Israel, Irak, Jemen, Katar, Saudi-Arabien, Syrien und die Türkei. Fern geblieben sind die Atommächte Indien, Pakistan und Nordkorea. Die Reichweite des IStGH ist demnach arg begrenzt.
Der afrikanische Kontinent ist mit 34 Staaten unter den Partnern des Statuts relativ zahlreich vertreten. Aber kürzlich, im Oktober, haben Südafrika, Burundi und Gambia dem UN-Generalsekretär als dem Depositar ihren Rücktritt vom Statut notifiziert. Der wird nach einem Jahr wirksam. Es ist gut möglich, dass das der Auftakt für weitere afrikanische Kündigungen ist. Der Informationsminister Gambias hat zu dem Schritt seiner Regierung gesagt, der IStGH sei »ein internationales Gericht der Weißen zur Verfolgung farbiger Menschen, besonders von Afrikanern. (…) Die Kriegsverbrechen westlicher Politiker ignoriert das Gericht völlig.« Das klingt hart, ist aber die reine Wahrheit. Von den zehn Ermittlungen, die Chefanklägerin Fatou Bensouda gegenwärtig durchführt, betreffen neun afrikanische Staaten, nämlich Uganda, die Demokratische Republik Kongo, Darfur (Sudan), die Zentralafrikanische Republik in zwei Fällen, Kenia, Libyen, Elfenbeinküste und Mali. Drei Strafverfahren laufen ausschließlich gegen Afrikaner, darunter gegen den ehemaligen Präsidenten der Elfenbeinküste Laurent Gbagbo und gegen Kongos ehemaligen Vizepräsidenten Jean-Pierre Bemba. Zwei Anklagen gegen Afrikaner sind in Vorbereitung. Haftbefehle wurden nur gegen Afrikaner ausgestellt, darunter der amtierende Präsident Sudans, Omar Al-Baschir, und – vor dessen Ermordung – der libysche Staatschef Muammar Al-Ghaddafi. Bisher wurden drei Strafurteile gefällt, gegen zwei Kongolesen (2012 und 2014) und einen Malier (September 2016). Unschuldslämmer sind die betroffenen Afrikaner garantiert nicht. Aber die offensichtliche antiafrikanische Einseitigkeit und Parteilichkeit des Gerichtshofs ist erschreckend und die Reaktion Afrikas verständlich.
Doch damit ist die Einseitigkeit des Gerichtshofs noch nicht vollständig beschrieben. Von Anfang an stand der IStGH auch deshalb in der Kritik, weil das Verbrechen des Angriffskrieges aus seiner Jurisdiktion ausgespart worden war – sonst könnten ja Länder wie die USA oder andere NATO-Staaten, so sie denn dem Statut verbindlich beitreten, zur Rechenschaft gezogen werden. Zwar soll es im nächsten Jahr endlich soweit sein, dass der Gerichtshof auch Angriffskriege zur Anklage bringen kann. Aber die entsprechende Statutenänderung ist natürlich nur für die Vertragsstaaten verbindlich, die sie ratifiziert haben (gegenwärtig 32). Außerdem kann jeder Vertragsstaat eine Erklärung hinterlegen, dass er die Gerichtsbarkeit des IStGH über Aggressionsverbrechen nicht anerkennt (»Opting out«). Das alles gilt erst für Angriffshandlungen, die ein Jahr nach der Ratifikation der Statutenänderung durch 30 Vertragsstaaten begangen werden und nur für solche, »die ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen darstellen«. Außerdem sollen die Anklagen, die gegen verantwortliche Spitzenfunktionäre gerichtet sein müssen, auf Vorschlag des UN-Sicherheitsrats erfolgen. Wie man sieht, sind die Regelungen über das Verbrechen der Aggression so verkompliziert, dass man zweifeln muss, ob sie praktisch wirksam werden. Vielleicht gegen schwache afrikanische Staaten? Aber die sind dann womöglich schon ausgetreten.