»Polizeigewalt sollte man dokumentieren«
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19.05.2012 / Inland / Seite 2Inhalt
»Polizeigewalt sollte man dokumentieren«
Beim Einsatz gegen Blockupy-Demonstranten verletzen die »Gesetzeshüter« laufend Gesetze. Gespräch mit Markus Künzel
Interview: Gitta Düperthal
Rechtsanwalt Markus Künzel ist Mitglied des »Ermittlungsausschusses«, der in Frankurt am Main die Blockupy-Demonstranten rechtlich unterstützt
Bei den verbotenen Platzbesetzungen von »Blockupy Frankfurt« gab es Gewalt gegen Demonstranten: Ein Polizist drückte einem Aktivisten einen Finger ins Auge; bei der Räumung des Occupy-Camps berichteten einige, ihnen seien die Ohren umgedreht oder sie seien schmerzhaft gekniffen worden. Wie können sie sich wehren?
Die Polizei durfte zwar »unmittelbaren Zwang« anwenden, wenn jemand den Platz nicht freiwillig verlassen hat, weil die Räumung von der Polizei rechtlich durchsetzbar war – allerdings nur den, der »zwingend notwendig« ist. Wenn sich niemand aktiv widersetzt, darf sie keine Schmerzen zufügen – das war nach Kenntnis des Ermittlungsausschusses aber weder bei den Platzbesetzungen, noch bei der Campräumung der Fall. »Übermäßiges Polizeihandeln« ist rechtlich nicht gedeckt.
Die Gewalt muß jedoch dokumentiert sein, weil die Polizei alles bestreiten wird. Wir empfehlen, alles per Video, per Handy und Foto aufzunehmen und die Beweise dem Betroffenen zukommen zu lassen. Die Beobachtung ihres Handelns hat die Polizei häufig ebenfalls verboten. Hierbei haben die Gerichte jedoch die Rechte von Bürgern gestärkt, die die Polizei beobachten.
Ab welchem Punkt der Gewalt ist es legitim, sich gewalttätigen Polizisten zu widersetzen – darf man zur Hilfe eilen und den Beamten wegstoßen?
Es gibt ein Recht auf Widerstand im Paragraphen 113 Strafgesetzbuch, der aber selten zugunsten der Aktivisten ausgelegt wird. Die Rechtsordnung besagt, dies zunächst erdulden zu müssen, um hinterher die Rechtmäßigkeit gerichtlich kontrollieren zu lassen. Sogar wenn Betroffene zucken und schreien, ist dies legitim, aber leider nicht legal: Die Polizei legt das gern als Widerstand aus. Daß die Polizeiausbildung schult, Schmerzen zuzufügen, die selbst bei laufender Kamera nicht zu sehen sind, ist skandalös und ein politisches Problem. Da muß gesellschaftlicher Druck entstehen: Umstehende sollten beharren, daß Staatsdiener sich rechtmäßig verhalten und Medien ihrer Rolle als Demokratiewächter nachkommen: nicht nur Polizeiberichte abschreiben!
Wie verhält man sich, wenn die Polizei einkesselt und Demonstranten nicht aufs Klo läßt? Auf dem Paulsplatz hat sie einen Mann erst gehen lassen, nachdem er begonnen hatte, die Hose herunterzulassen …
Polizeiliches Einkesseln ist eine Form von Gewahrsam. Die Leute müssen also aufs Klo gehen können, zu essen und zu trinken bekommen und bei Kälte Decken erhalten. Im Nachhinein erklären Gerichte das Einkesseln häufig für rechtswidrig.
Auf dem Paulsplatz sind vermummte Polizisten ständig ohne Anlaß in die friedfertige Versammlung der Aktivisten eingebrochen – und haben dabei eine Frau im Rollstuhl umgestoßen …
Wir raten, das gerichtlich überprüfen zu lassen – wenn es nur aus Versehen passiert sein sollte, ist es ein fahrlässiges Vergehen.
Die Polizei hat Zelte, Sonnenbrillen, Schlafsäcke nach der Räumung von Plätzen beschlagnahmt – darf sie das?
Ja, falls sie behauptet, die Zelte würden zum verbotenen Blockieren verwendet – obgleich diese möglicherweise nur zum Übernachten gedacht sind. Sonnenbrillen und Schlafsäcke sind indes keine Blockademittel.
Darf die Polizei Busse mit Aktivisten auf dem Weg nach Frankfurt – unter anderem aus Hamburg und Berlin – mit der Begründung zur Umkehr zwingen, »es genüge, daß die Polizei davon ausgehen könne, daß sie zu einer Demo fahren«?
Busse nicht in die Stadt zu lassen oder gar zu behaupten, sie müßten Hessen verlassen, halte ich für rechtswidrig. Zumal Leute stundenlang festgehalten und nicht versorgt wurden. Woher weiß die Polizei, daß sie nicht angereist sind, um sich an der genehmigten Demo am Samstag zu beteiligen?
Was ist mit den »Stadtverboten«, die Aktivisten bis Samstag erteilt wurden. 400 mußte die Polizei zurücknehmen, hat aber wieder Hunderte neue erteilt …?
Die Betroffenen können zur Großdemo am Samstag kommen. Die Polizei mußte die Verbote, die Innenstadt zu betreten, zurücknehmen, weil das Frankfurter Verwaltungsgericht dies für rechtswidrig erklärt hat. Für Leute, die nicht geklagt haben, gilt die Verfügung noch, ist aber nicht durchsetzbar. Daß die Polizei neue verhängt hat, ist ein Skandal.