Wer nicht im NSU-Prozess vor Gericht steht
02.05.2013 / Schwerpunkt / Seite 3
Wer nicht vor Gericht steht
Kleine Übersicht zum bevorstehenden Prozeß in München: V-Männer als Staatsanteil im Netzwerk der Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund«
Von Wolf Wetzel
Am kommenden Montag soll vor dem Oberlandesgericht in München der Prozeß gegen Beate Zschäpe und vier weitere Neonazis beginnen. Wie viele im Verfahren gegen die Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) tatsächlich auf der Anklagebank sitzen müßten, führte Angelika Lex, Anwältin und gewählte bayerische Verfassungsrichterin, auf einer Demonstration in München am 13. April aus: »Es fehlen vollständig die Verfahren gegen Ermittler, gegen Polizeibeamte, gegen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, gegen Präsidenten und Abteilungsleiter von Verfassungsschutzbehörden. Verfahren, die nicht nur wegen Inkompetenz und Untätigkeit, sondern auch wegen aktiver Unterstützung geführt werden müßten (…) Auf diese Anklagebank gehören nicht fünf, sondern 50 oder noch besser 500 Personen.« (siehe jW vom 15.4.2013)
Im November 2011 wurde der amtierende Generalbundesanwalt Rainer Griesbaum in einem Interview mit der Zeitung Badische Neueste Nachrichten gefragt: »Hatten die mutmaßlichen Neonaziterroristen des NSU etwa Verbindungen zum Thüringer Verfassungsschutz?« Antwort: »Uns liegen keine Anhaltspunkte vor, die diese Behauptung stützen könnten.«
Liefern wir also dem obersten »Aufklärer« jene Anhaltspunkte, die in jedem anderen Verfahren nach Paragraph 129a vollkommen genügen würden, um wegen Unterstützung oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt zu werden. Im Folgenden die bislang namentlich bzw. mit ihrem Decknamen bekannten V-Männer, die sich im Netzwerk des NSU beweg (t)en:
Thomas Dienel, V-Mann des thüringischen Verfassungsschutzes
Medienberichten zufolge hat Dienel in den 1990er Jahren vom thüringischen Verfassungsschutz 25000 D-Mark erhalten – offiziell für Spitzeldienste. Dienel selbst gab öffentlich an, er habe seine Aktionen zeitweise mit dem Verfassungsschutz abgesprochen und sie von ihm bezahlen lassen. Auch vor Gericht sei er unterstützt worden: »Man hat mich gedeckt.« (Der Spiegel, 2.10.2000)
Thomas Richter, V-Mann des Bundesamts für Verfassungsschutz
Thomas Richter war einflußreicher Neonaziaktivist aus Sachsen-Anhalt. Unter dem Decknamen »Corelli« lieferte er von 1997 bis 2007 dem Bundesamt für Verfassungsschutz Informationen, unter anderem aus einem deutschen Ableger des rassistischen Ku-Klux-Klans. (taz vom 9.10.2012). Thomas Richter – in Neonaziskreisen auch »HJ Thommy« gerufen –, war auch Herausgeber des Nationalen Beobachters und Betreiber von mehreren neonazistischen Internetseiten. Nach dem Abtauchen der späteren NSU-Mitglieder 1998 kamen diese für mehrere Wochen bei ihm unter. »Thomas R. engagierte sich (…) bei dem rechten Fanzine Der Weiße Wolf, in dessen Ausgabe Nummer 18 im Jahr 2002 ein interessantes Vorwort erschienen ist. Fettgedruckt, ohne nähere Erläuterung, heißt es da: ›Vielen Dank an den NSU.‹ Es ist die erste bekannte Erwähnung des NSU in der Öffentlichkeit, neun Jahre bevor die einzigartige Mordserie aufgedeckt wird.« (Spiegel online vom 18.9.2012)
Achim Schmid, V-Mann des Verfassungsschutzes in Baden-Württemberg
Der Heilbronner Achim Schmid war Gründer und Chef des Ku-Klux-Klan in Baden-Württemberg, einem Ableger des rassistischen US-amerikanischen Geheimbundes KKK. Gleichzeitig war der Rassist auch V-Mann des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg und nicht der einzige: Mitglied des von Achim Schmid gegründeten KKK war auch Thomas »Corelli« Richter.
Tino Brandt, V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes
Tino Brandt war »organisatorischer Kopf« der neonazistischen Organisation »Thüringer Heimatschutz«. Zwischen 1994 und 2000 soll er dafür ca. 200000 D-Mark bekommen haben – das entspricht einem Monatsgehalt in Höhe von mehr als 2500 D-Mark.
Kai Dalek, V-Mann des Landesamtes für Verfassungsschutz in Bayern
Auch das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz hat in den 1990er Jahren einen V-Mann im Umfeld der späteren NSU-Terroristen geführt: Kai D. Sein Name findet sich auf einer Adreßliste des NSU-Mitglieds Uwe Mundlos, die 1998 nach dessen Untertauchen sichergestellt wurde. (taz.de vom 17.10.2012)
Carsten Szczepanski, Deckname »Piato«, V-Mann des Verfassungsschutzes in Brandenburg
Szczepanski war Mitglied des Ku-Klux-Klan in Kansas City und erhielt in Deutschland den sehr hohen KKK-Dienstrang eines »Grand Dragon«. Ein 1992 geführtes Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft gegen Szczepanski wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung in Form einer terroristischen Teilorganisation des KKK wurde wegen nicht hinreichender Bestätigung eingestellt. Dabei wurden in diesem Zusammenhang in einer von ihm vormals angemieteten Wohnung vier Rohrbomben, chemische Substanzen und eine Zündvorrichtung sichergestellt.« (AIB 19.01.2013) 1995 wurde der Mann wegen versuchten Mordes an einem Nigerianer zu acht Jahren Haft verurteilt. Er wurde damals im Gefängnis zu einem Informanten der Behörde und lieferte auch Hinweise auf die Mitglieder der Zwickauer Terrorzelle.
Thomas Starke, V-Mann des Berliner Landeskriminalamtes (LKA)
Thomas Starke war einer der führenden Köpfe der sächsischen »Blood & Honour«-Sektion. Von 2001 bis 2011 wurde er als »Vertrauensperson« (VP 562), also Spitzel, vom LKA Berlin geführt. Thomas Starke war nicht nur eine wichtige Figur in der Neonaziszene. Er war mit Beate Zschäpe liiert. Er besorgte dem NSU auch den Sprengstoff, der 1998 in der von Zschäpe angemieteten Jenaer Garage gefunden wurde bzw. gefunden werden sollte.
Peter Klose, V-Mann des Verfassungsschutzes in Sachsen
Langjähriger NPD-Funktionär. »Übereinstimmend berichten LVZ sowie Welt online, daß Klose ›bis Ende der 1990er Jahre‹ für den Verfassungsschutz gearbeitet haben soll … Ermittler nehmen an, daß eine engere Bekanntschaft bestehen könnte zwischen Klose und dem Eminger-Paar, das den untergetauchten Neonazis u.a. Personaldokumente zur Verfügung gestellt haben soll. André Eminger wird daher … neben Beate Zschäpe und weiteren Unterstützern in München vor Gericht stehen.« (Gamma vom 25.3.2013)
V-Männer »Treppe«, »Tobago«, »Tonfall«, »Tonfarbe«, »Tusche«, »Tinte«, »Terrier«, »Trabit«, »Tarif« …
Mit diesen bisher bekanntgewordenen Decknamen wurden zwischen 1997 und 2003 mindestens acht Neonazis aus dem Umfeld des Thüringer Heimatschutzes (THS) im Rahmen der »Operation Rennsteig« (eine gemeinsame Anwerbeaktion vom Bundesamt für Verfassungsschutz, dem Landesamt für Verfassungsschutz Thüringen und dem Militärischen Abschirmdienst – MAD) als Quellen »gewonnen«. Die Akten zu den V-Leuten wurden beim BfV am 10. November 2011 geschreddert.
Marcel Degner, »Quelle 2100«, V-Mann des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz
Marcel Degner ist im November 1999 nicht nur Thüringer Sektionsleiter und bundesweiter Kassenwart des internationalen »Blood&Honour«-Netzwerks, er gilt auch als eine der wichtigsten Quellen des Thüringer Verfassungsschutzes. Auf einem Neonazikonzert spricht Degner alias »Quelle 2100« den sächsischen »Blood & Honour«-Funktionär und zukünftigen V-Mann des Berliner Landeskriminalamtes Thomas Starke an. Degner will den untergetauchten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, die seit Anfang 1998 wegen unerlaubten Sprengstoffbesitzes per Haftbefehl gesucht werden, eine Spende zukommen lassen. Starke hat mal was mit Beate Zschäpe gehabt und schwärmte noch lange für sie. Jedenfalls gibt er das später als Grund an, warum er Zschäpe und ihren Komplizen über ein Kilo Plastiksprengstoff und nach dem Untertauchen das erste Quartier in Chemnitz besorgt hat. Im September 2012 mußte der Untersuchungsausschuß des Thüringer Landtags erfahren, daß sämtliche Treffberichte aus der Akte des V-Mannes Degner verschwunden sind. (siehe jW vom 7.11.2012)
Ralf Marschner, Deckname »Primus«, V-Mann des Verfassungsschutzes Sachsen
Ralf Marschner war Mitglied einer Skinheadband und lebte bis 2007 in Zwickau. In den 90er Jahren unterhielt er in Zwickau mehrere neonazistische Szeneläden. »Seit 1992, fast ein Jahrzehnt lang, soll der Mann für den Verfassungsschutz im Bereich Rechtsextremismus als Quelle gearbeitet haben… Der Informant kennt mindestens vier der Beschuldigten in dem NSU-Komplex, darunter Andre E. (…) Mit Jan W. (…) hat er noch im Vorjahr über das NSU-Verfahren gechattet.« (SZ, Ostern 2013). Unter anderem war er Mitorganisator von Neonazi-Busfahrten nach Ungarn. Neonazi und V-Mann »Primus« unterhielt »von 2000 bis 2002 in Zwickau eine Baufirma, die bald auch in München und in der Nähe von Nürnberg tätig war. Im Sommer 2001 (im Juni und August, d.V.) hatte er bei einer Autovermietung in Zwickau einen Audi A2, einen Mercedes Sprinter und einen VW-Golf gemietet. Die Autos sind für lange Fahrten genutzt worden, der Zeitraum überschneidet sich mit den Morden (in Nürnberg am 13. Juni 2001 und in München am 29. August 2001, d.V.), aber ein Beweis ist das nicht. (…) Einer seiner Leute, der im Sommer 2001 einen Wagen für die Firma anmietete, wohnte in der Polenzstraße in Zwickau. Ein paar Monate zuvor war das Neonazitrio in die Polenzstraße gezogen.« (ebenda)
Toni Stadler, V-Mann des Verfassungsschutzes Brandenburg
Bis 2003 aktiv in der Neonaziszene in Cottbus und Guben. Offiziell wurde das Beschäftigungsverhältnis mit dem VS Brandenburg im Jahr 2002 beendet. 2003 zieht er nach Dortmund um und will sich aus der Neonaziszene gelöst haben. Tatsächlich bestätigt eine weiterer V-Mann mit Codename »Heidi«, daß es am 1.4.2006 ein Treffen zwischen (Ex-)V-Mann Toni Stadler und Mundlos in Köln gab. Drei Tage später, am 4.4.2006 wird der 39jährige Mehmet Kubasik in Köln ermordet.
Kai-Uwe Trinkaus, V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes
»Der frühere Erfurter NPD-Kreischef outete sich als jahrelanger V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes. Zwischen 2006 und 2010 habe er unter dem Decknamen Ares regelmäßig Informationen an den Geheimdienst geliefert, sagte er dem Sender MDR.« (sueddeutsche.de vom 6.12.2012).
Benjamin Gärtner, V-Mann des Verfassungsschutzes in Hessen
»Benjamin G. diente sich, wie man heute weiß, bereits 2002 dem Verfassungsschutz als Zuträger an. Über seinen Stiefbruder, einen bekannten Rechtsextremisten aus der Kasseler Szene, hatte er Zugang zu Neonazigruppen wie der ›Kameradschaft Kassel‹. Sein Stiefbruder stieg zum Kameradschaftsführer auf und war im Neonazi-Netzwerk ›Blood& Honour‹ aktiv.« (Spiegel online vom 3.9.2012)
Benjamin Gärtner aus Helsa bei Kassel war unter der Bezeichnung »GP 389« von 2003 bis mindestens 2006 für das hessische Landesamt für Verfassungsschutz tätig. V-Mann-Führer war Andreas Temme, der sich zur Mordzeit im Internetcafe in Kassel 2006 aufhielt.
Summa summarum
Geht man davon aus, daß die bisher bekannt gewordenen V-Leute im Netzwerk des NSU nur die Spitze des Eisberges sind, darf man von einer weit größeren Zahl ausgehen. Wieviel Staat steckt also im »Nationalsozialistischen Untergrund«?
Gehen wir also ganz vorsichtig von 25 V-Leuten im Umfeld des NSU aus. Fest steht, daß all diese staatlich finanzierten Neonazis über mehr als dreizehn Jahre nichts zur Verhinderung von neonazistischen Straftaten, nichts zur Verhinderung der rassistischen Mordserie beitragen konnten. Dann heißt dies, daß sie 13 Jahre mit staatlicher Unterstützung am Aufbau neonazistischer Strukturen, an der Gewährleistung eines neonazistischen Untergrundes und möglichweise an der Mordserie des NSU beteiligt waren. Die Frage ist also nicht, wer ab dem 6. Mai auf der Anklagebank sitzt und was dort verhandelt werden soll. Die Frage ist vielmehr, wer nicht vor Gericht steht, was alles nicht verhandelt wird.
Von Wolf Wetzel erschien im Unrast-Verlag »Der NSU-VS-Komplex. Wo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund – wo hört der Staat auf?«