Zwischenkapitel
Von Aharon Meged*
* Übersetzung aus dem Hebräischen. Der Artikel von Aharon Meged erschien am 3. September 1982 in der Tel Aviver Tageszeitung DAVAR.
"Ich weiß nicht, ob unsere Politiker erfaßt haben, daß die Weltordnung von uns bestimmt werden muß, daß Gott dies verlangt…"
Kümmert es uns – uns Nichtreligiöse – was die Rabbiner über den Krieg sagen? Über die politische Zukunft unseres Landes? Kümmern uns die Ansichten des Rabbi von Lubawitsch, des Rabbi Drukman, Rabbi Levinger, Rabbi Kahane, Rabbi Goren? [Kommentar]
Im gegenwärtigen Stadium – einer Zeit des ideologischen Vakuums im nichtreligiösen Lager der Rechten wie der Linken – wird man sagen müssen: Ja.
Ob nun die Theorie vor der Praxis kommt oder die Praxis vor der Theorie, sie sind in jedem Fall miteinander verknüpft. Revolutionen sind mit der Ideologie der Revolution verknüpft, Besatzungskriege mit der Ideologie des Krieges. Und Diktaturen basieren auf einer Ideologie, die als moralische, theologische oder mythologische Rechtfertigung ihrer Taten dient.
Was ist die Ideologie des gegenwärtigen Regimes in Israel?
Man wird kaum sagen können, daß es die Original-Ideologie des Revisionismus ist. Jene Ideologie entstand zu vorstaatlichen Zeiten und unter anderen Bedingungen, als die Zionistische Bewegung in Europa stark und aktiv war. Die Zeiten haben sich geändert. Sind Arik Scharon und David Levi ‘Revisionisten’? [Kommentar]
Die neue Ideologie – die wie immer der Rechtfertigung der Taten dient – wird von Leuten wie diesen geformt. Aber ihre endgültige Gestalt hat sie noch nicht erhalten.
In dieses Vakuum der noch nicht ausformulierten Ideologie dringen mehr und mehr die Grundsätze der jüdischen Religion ein. Wenn sie nicht geradewegs zur Ideologie des Regimes werden, so werden sie zumindest eine wesentliche Komponente bilden, vielleicht ihr Fundament.
Wenn Begin sich für ein Flugverbot für die (staatliche) Luftfahrtgesellschaft EL AL am Sabbat ausspricht, redet er nicht wie die früheren Regierungen (der Arbeiterpartei) von ‘Koalitionsdruck’, sondern er erklärt, daß er diese Regelung im Jüdischen Staat aus Rücksicht auf die Jüdische Religion durchsetzen wird.
In der Zeitschrift NEKUDA [NEKUDA ist das Organ der Siedlergemeinden der Westbank und des Gaza-Streifens. Rabbi Waldman lebt in Kirjat Arba. – H.S.] erschien am 15. August ein Artikel von Rabbi Elieser Waldman aus Kirjat Arba mit dem Titel: "Die Willenskraft zur Vollendung des Werkes". Das Hauptanliegen des Aufsatzes ist die auf jüdisch-religiöse Glaubensartikel gegründete Rechtfertigung von Besatzungskriegen, wobei diese Kriege als eine höhere Stufe der Verwirklichung der Erlösung -sprich des Zionismus – dargestellt werden, deren Ziel es ist, "das Böse auszurotten".
Er spricht von der Pflicht, die Israel auferlegt ist, eine "neue Ordnung" durchzusetzen – nicht nur in Libanon oder im Nahen Osten, sondern in der ganzen Welt.
Indem er sich auf die Bibel und andere Schriften der Jüdischen Religion stützt, polemisiert Rabbi Waldman gegen diejenigen, die da glauben, daß wir bereits im jetzigen Stadium des "Anbruchs der Erlösung" den prophetischen Versen folgen sollten: "Denn es wird kein Volk wider das andere ein Schwert aufheben, und werden hinfort nicht mehr kriegen lernen." [Jesaja 2, 4].
Zunächst weist Rabbi Waldman nach – was jeder von uns akzeptiert -, daß wir für die Vollendung der Erlösung, das heißt für die Einsammlung einer Nation in ihrem Stammland und für die Erringung ihrer Unabhängigkeit, den Willen zu heroischem Kampf und die Bereitschaft zu Opfern aufbringen müssen. Anders als in der Diaspora, wo unsere Schwäche und unser Widerwille, uns selber zu schützen, unsere Erniedrigung unter den Gojim [Goi (Plural: Gojim) ist de hebräische Bezeichnung für ein nicht-jüdisches Volk oder für den Angehörigen eines nicht-jüdischen Volkes. Der heutige Gebrauch läßt sich etwa mit demjenigen des griechischen "barbaroi" vergleichen. – H.S.] sowie Antisemitismus bewirkt haben.
Aber Rabbi Waldman begnügt sich nicht mit diesem zionistischen Gemeingut, wonach Verteidigungskriege eine existentielle Notwendigkeit sind, sondern er erhebt den Krieg in den Rang eines Wertes. Und im gegenwärtigen Krieg in Libanon sieht er eine weit höhere Stufe verwirklicht als bei allen früheren Kriegen auf dem Weg zur Erlösung: "Wir haben eine höhere Stufe erreicht als nach dem Sechs-Tage-Krieg (1967), und dies in unseren Augen und in den Augen der ganzen Welt."
Wie kommt das? – Weil in diesem Krieg "unsere militärische Macht enthüllt und unser Image verbessert wurde", auch unser Prestige in den Augen der Gojim; indem wir ihnen unsere Fähigkeit bewiesen haben, eigene Entscheidungen zu fällen, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, was die Gojim denken; indem unsere Bereitschaft zu Opfern zutage getreten ist, sodaß es nicht mehr in der Macht der Gojim steht, uns einzuschüchtern.
Und anschließend folgt die Definition des Ziels – von jetzt an bis in alle Zukunft: Die Durchsetzung einer neuen Weltordnung – moralisch und religiös – mit Waffengewalt: "Ganz ohne Zweifel sind wir für die innere Ordnung der Welt verantwortlich, aber die innere Ordnung kann nur erreicht werden, wenn zuerst für die äußere Ordnung dadurch gesorgt wird, daß wir mit kriegerischem Heldenmut und Opferwillen gegen das Böse aufstehen."
Und dann:
"Wir werden definitiv die Ordnung sowohl im Nahen Osten wie in der ganzen Welt bestimmen." (Hervorhebung in NEKUDA). "Wenn wir diese Verantwortung nicht auf uns nehmen, begehen wir nicht nur ein Verbrechen an uns selbst, sondern darüber hinaus an der ganzen Weit. Wer soll denn die Ordnung in der Welt bestimmen? Etwa alle diese schwächlichen Politiker des Westens?", usw.
So werden wir also, während die Erlösung näherrückt, vom Rang "der vierten Großmacht in der Welt" zum Rang der ersten Großmacht aufsteigen!
Muß nicht das gegenwärtige Regime von dieser Doktrin fasziniert sein? Wird sie sie nicht zu ihrer eigenen Ideologie machen wollen?