Doppelte Fälschung: Neues Buch zum Reichstagsbrand
Von Arnold Schölzel, Junge Welt, 25. Februar 2013
Diese doppelte Fälschung steht im Zentrum des Buches, dessen achtes und letztes Kapitel sich mit der Auseinandersetzung um den zweiten Teil der Fälschung nach 1945 befaßt. Die Intention ihres Werks, so die Autoren, liege »nicht in der Darstellung eines ›Historikerstreits‹, sondern in einer möglichst präzisen Rekonstruktion der Reichstagsbrandstiftung, dem Dingfestmachen der Täter und einer Bewertung der politischen Folgen«. Bahar und Kugel haben bereits 1995 in Aufsätzen und Zeitungsartikeln darauf hingewiesen, »daß eine Alleintäterschaft van der Lubbes aus den verschiedensten Gründen auszuschließen ist und zahlreiche gewichtige Indizien für eine nationalsozialistische Brandstiftung sprechen«. Sie werteten für ihr Buch 50000 Seiten Originalakten, die in Moskau und der DDR lagerten, aus und stellen z.B. den Weg van der Lubbes im Reichstag und den der anderen Akteure minutiös dar.
In der Einleitung zur Neuauflage heben sie hervor, daß die Nazis »die Verhaftungsaktion in der Brandnacht bereits seit längerem vorbereitet hatten«. Sie weisen nach, daß der Reichstagspräsident und kommissarische Preußische Innenminister Hermann Göring so früh im brennenden Reichstagsgebäude erschien, daß er »vor dem Ausbruch des Brandes über diesen informiert gewesen muß«. Ihre Indizienkette ist umfänglich und erscheint unwiderlegbar.
Da sie an ein bundesdeutsches Tabu rühren – analog zur Leugnung der deutschen Schuld an der Entfesselung des Ersten Weltkrieges – wurden ihre Forschungen nicht gefördert, ihre Resultate beschwiegen oder niedergemacht. Das Tabu schuf der Verfassungsschutzbeamte Fritz Tobias (1912–2011) durch eine Artikelserie im Spiegel 1959, gestützt auf Aussagen von Nazi-Chargen und Nazi-Redakteuren des Nachrichtenmagazins. Bereits 1949 aber hatte Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein, dem ersten Gestapo-Chef Rudolf Diels (1900–1957) Platz für eine umfangreiche Rechtfertigung eingeräumt. Diels war seit 1930 als Regierungsrat im SPD-geführten preußischen Innenministerium »Dezernent zur Bekämpfung der kommunistischen Bewegung«, konspirierte mit Konservativen und hochrangigen Nazis gegen die Republik und war führend daran beteiligt, die Verhaftungslisten zusammenzustellen, auf deren Grundlage bereits in der Nacht vom 27. zum 28. Februar 1933 nach Aussagen von Göring etwa 4000 bis 5000 Kommunisten verhaftet wurden. Diels entwarf Anfang März 1933 die ersten provisorischen Konzentrationslager und löste bereits Stunden vor den ersten Meldungen vom Feuer im Reichstag per Polizeifunkspruch die Verhaftungswelle aus. Nach 1945 arbeitete er für westliche Geheimdienste, denn, so der US-Dienst CIC 1948: »Auf dem Gebiet der Kommunismusbekämpfung ist er als einer der größten Spezialisten Europas anzusehen.« Bis zu seinem Tode besoldete folgerichtig ihn das Land Niedersachsen als »Regierungspräsident zur Wiederverwendung«. Nach Ansicht von Bahar und Kugel war er der »Kopf der Konspiration zur Geschichtsfälschung« durch die Einzeltäterthese, deren Ursprung sie auf 1947 datieren.
Diels steht repräsentativ für jene Teile des deutschen Sicherheitsapparates, der von Weimarer Republik über Nazireich bis in die Bundesrepublik seine wesentliche personelle und ideologische Kontinuität sicherte. Allein dies verleiht dem Buch gespenstische Aktualität: Es liest sich nach dem 4. November 2011 wie eine historische Parallelstudie zu dem, was bislang über die Organisierung von Nazigruppen durch den sogenannten Verfassungsschutz bekannt wurde.
Alexander Bahar/Wilfried Kugel: Der Reichstagsbrand – Geschichte einer Provokation. PapyRossa Verlag, Köln 2013, 360 Seiten, 17,90 Euro