Scheunentorgroße Schlupflöcher
Scheunentorgroße Schlupflöcher
Am 1. Januar 2017 soll eine Novelle des deutschen Völkerstrafgesetzbuches in Kraft treten. Laut Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) wird damit auch die Führung eines Angriffskrieges hierzulande umfassend unter Strafe gestellt. Das Gegenteil ist der Fall
Von Arnold Schölzel und Ekkehard Sieker, junge Welt, 25. November 2016Arnold Schölzel ist stellvertretender Chefredakteur der jungen Welt. Ekkehard Sieker ist Fernsehjournalist. Er arbeitet u. a. für die ZDF-Sendung »Die Anstalt«.
Am 23. März dieses Jahres war einer Pressemitteilung des Bundesjustizministeriums zu entnehmen: »Die Bundesregierung hat heute den von dem Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Völkerstrafgesetzbuches beschlossen.« Dessen Kernstück sei die Einführung eines neuen Paragraphen 13 in das 2002 in Kraft getretene deutsche Völkerstrafgesetzbuch (VStGB). Durch die Neuregelung werde neben der bislang strafbaren Vorbereitung erstmals auch die tatsächliche Durchführung eines Angriffskrieges im deutschen Recht unter Strafe gestellt. Das neue Gesetz solle am 1. Januar 2017 in Kraft treten. Am 1. Juni übergab die Bundeskanzlerin den Entwurf dem Parlament, am 9. Juni behandelte der Bundestag das Gesetz in erster Lesung (Bundestagsdrucksache 18/8621). Soll es wie angekündigt zu Beginn kommenden Jahres in Kraft treten, müsste es in den nächsten Tagen abschließend im Parlament behandelt und auf der letzten Sitzung des Bundesrates in diesem Jahr am 16. Dezember endgültig beschlossen werden.
Verbrechen der Aggression
Bislang waren im VStGB Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen als Straftatbestände erfasst, nicht aber Angriffskriege. Die jetzt beabsichtigte Änderung ist eine Reaktion auf eine Konferenz im ugandischen Kampala, auf der 2010 das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag aus dem Jahr 1998 überprüft wurde. Dort gelang es den Vertragsstaaten, sich auf eine Definition des Tatbestands der Aggression zu einigen. In das Statut wurde der Artikel 8bis eingefügt, in dem es heißt: »(1) Im Sinne dieses Statuts bedeutet ›Verbrechen der Aggression‹ die Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Ausführung einer Angriffshandlung, die ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen darstellt, durch eine Person, die tatsächlich in der Lage ist, das politische oder militärische Handeln eines Staates zu kontrollieren oder zu lenken.
(2) Im Sinne des Absatzes 1 bedeutet ›Angriffshandlung‹ die gegen die Souveränität, die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit der Charta der Vereinten Nationen unvereinbare Anwendung von Waffengewalt durch einen anderen Staat.«
Die Bundesrepublik ratifizierte die Änderungen von Kampala als einer der ersten Vertragsstaaten. Dann geschah lange Zeit nichts. In ihrem Gesetzentwurf zur Änderung des VStGB behauptet die Bundesregierung nun sechs Jahre später, die Definition des Verbrechens der Aggression stelle »einen historischen Durchbruch auf dem Weg zur Ausübung der Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofes« dar.
Wie sollen nun die entscheidenden Passagen des neuen Paragraphen 13 VStGB lauten? Im Entwurf heißt es: »Verbrechen der Aggression. (1) Wer einen Angriffskrieg führt oder eine sonstige Angriffshandlung begeht, die ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen darstellt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. (2) Wer einen Angriffskrieg oder eine sonstige Angriffshandlung im Sinne des Absatzes 1 plant, vorbereitet oder einleitet, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft. Die Tat nach Satz 1 ist nur dann strafbar, wenn
1. der Angriffskrieg geführt oder die sonstige Angriffshandlung begangen worden ist oder
2. durch sie die Gefahr eines Angriffskrieges oder einer sonstigen Angriffshandlung für die Bundesrepublik Deutschland herbeigeführt wird.
(3) Eine Angriffshandlung ist die gegen die Souveränität, die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit der Charta der Vereinten Nationen unvereinbare Anwendung von Waffengewalt durch einen Staat.«
Handelt es sich tatsächlich um einen »historischen Durchbruch«? Die Bundesregierung selbst hebt in ihrer Begründung des Gesetzentwurfs diese eigene Bewertung faktisch auf. Es heißt dort: Das Vorliegen einer Aggression entsprechend der Definition reiche nicht aus, »um die Handlung zum Aggressionsverbrechen zu machen«. Dafür müsse vielmehr die Angriffshandlung »ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen« darstellen. Die Bundesregierung zieht daraus den Schluss: »Damit ist nicht jede völkerrechtswidrige staatliche Gewaltanwendung zugleich ein Aggressionsverbrechen.« Und fügt hinzu: »Rechtlich umstrittene Einsätze, wie im Rahmen humanitärer Interventionen, und Fälle von nicht hinreichender Intensität sollen davon gerade nicht erfasst werden und damit nicht als Aggressionsverbrechen strafbar sein.«
Mit anderen Worten: Die juristischen Schlupflöcher sollen so groß wie Scheunentore gemacht werden, über denen in goldenen Lettern das »Gott-sei-bei-uns« der Angriffskrieger prangt: »Unsere völkerrechtswidrigen staatlichen Gewaltanwendungen sind keine Aggressionsverbrechen.« Wird eine bewaffnete Aggression »humanitäre Intervention« betitelt, ist sie nach dieser Deutung kein offenkundiger Verstoß gegen die UN-Charta. Das Adjektiv »offenkundig« besagt: Alles bleibt Auslegungssache, eine Frage vor allem politischer Interpretation. Und das bedeutet: Die Führung von Angriffskriegen wird entgegen der Presseerklärung des Bundesjustizministeriums vom 23. März nicht eindeutig und umfassend unter Strafe gestellt. Der Generalbundesanwalt, der Straftaten nach dem neuen Paragraphen 13 VStGB zu verfolgen hätte, wird auch weiterhin vor allem eine Verteidigungsinstanz von Tätern bleiben.
Deutsche Vorgeschichte
Mit dem Gesetzentwurf wird vor allem eins erreicht: die Verschlimmbesserung der bisherigen Verfassungs- und Gesetzeslage in der Bundesrepublik. Die besagte bisher laut Artikel 26 des Grundgesetzes (GG): »Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.« Die Ausführungsbestimmung zum letzten Satz enthält der Paragraph 80 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB). Er lautet: »Wer einen Angriffskrieg (Artikel 26, Absatz 1 des Grundgesetzes), an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.«
Diese Formulierungen betrachtete der Generalbundesanwalt bisher als Freibrief, bei Angriffskriegen mit deutscher Beteiligung keine Anklage zu erheben. So wurde am 14. Januar 2006 eine Strafanzeige gegen den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und andere wegen des Verdachts der Vorbereitung eines Angriffskrieges im Fall des von den USA initiierten Irak-Krieges von 2003 bei der Bundesanwaltschaft gestellt. Die lehnte die Strafverfolgung u. a. mit dem Hinweis ab: »Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift ist nur die Vorbereitung an einem Angriffskrieg und nicht der Angriffskrieg selbst strafbar, so dass auch die Beteiligung an einem von anderen vorbereiteten Angriffskrieg nicht strafbar ist.«
Das war kein Einzelfall, sondern politisch gewollte, systematische Rechtsverdrehung. So resümierte der früher am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig tätige Richter im Ruhestand Dieter Deiseroth in einem Vortrag am 31. August 2014 in Lübeck (im Internet mehrfach zu finden. Dieter Deiseroth: »Das Friedensgebot des Grundgesetzes und der UN-Charta … und die Bundeswehr?«), Artikel 25 GG ordne an, dass die »allgemeinen Regeln des Völkerrechts« allen innerstaatlichen Gesetzen vorgehen sowie unmittelbare Rechte und Pflichten für alle Bewohnerinnen und Bewohner des Bundesgebiets begründen. Laut Deiseroth ist dies »eine revolutionäre Neuheit in der deutschen Rechtsgeschichte, auch im internationalen Vergleich«. Leider sei aber diese Regelung in ihrer Tragweite bis heute nicht hinreichend erkannt und entfaltet worden.
Vielmehr: »Wir müssen dennoch immer wieder die bestürzende Erfahrung machen: Gerade die Normen des Völkerrechts, die auf die Bewahrung und Schaffung des Friedens ausgerichtet sind, aber auch die Gewaltverbote und Friedensgebote des nationalen Rechts werden immer wieder missachtet, gerade auch von denen, die einen Amtseid auf die Verfassung und damit zugleich auch auf das geltende Völkerrecht geleistet haben.«
Als »illustrative Beispiele« für solches Brechen des Amtseids durch Bundeskanzler und Minister zählt er auf: »die aktive politische und militärische Beteiligung Deutschlands am Krieg der NATO-Staaten gegen Jugoslawien im Jahre 1999 unter der rot-grünen Bundesregierung des Kanzlers Gerhard Schröder (SPD)«. In einer Fußnote weist Deiseroth darauf hin, Schröder habe inzwischen öffentlich eingeräumt, dass dieser Krieg gegen die UN-Charta verstieß. Er zitiert außerdem den früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD), der seine Kritik in die Worte gefasst habe: »Gegängelt von den USA haben wir das internationale Recht und die Charta der Vereinten Nationen missachtet.«
Als weiteres Beispiel für Verfassungs- und Völkerrechtsbruch nennt Deiseroth: »die zumindest indirekte Unterstützung für die US-geführte ›Koalition der Willigen‹ im Krieg gegen Irak im Jahre 2003 (Gewährung von Überflugrechten, Gestattung der unkontrollierten Nutzung der inländischen Infrastruktur und Militärbasen, logistische und nachrichtendienstliche Kooperation bei der Kriegsführung bis hin zur Zielauswahl, Missachtung der Neutralitätspflichten aus dem V. Haager Abkommen etc.)« (das V. Haager Abkommen wurde auf der zweiten Friedenskonferenz von Den Haag am 18. Oktober 1907 auch vom Deutschen Reich und den USA unterzeichnet, jW)
Das nächste Beispiel: »die Hinnahme von oder gar Mitwirkung an Menschenrechtsverletzungen im ›Krieg gegen den Terror‹ (z. B. Duldung von Flügen im deutschen Luftraum und Nutzung des deutschen Territoriums im Rahmen von Rendition-Aktionen u. a. der CIA, Behinderung der Strafverfolgung von Folterverantwortlichen, Steuerung von Drohnenangriffen durch US-Kommandoeinrichtungen in Deutschland mit gezielten Tötungen von Terrorismusverdächtigen ohne rechtsstaatliche Verfahren, nicht selten unter Inkaufnahme erheblicher Schäden für unbeteiligte Zivilpersonen).« Und schließlich: »das Beharren auf der weiteren ›nuklearen Teilhabe‹ Deutschlands, in deren Rahmen die Übergabe von Atomwaffen an Deutschland aktiv geübt wird; entgegen Artikel II des NPT (Nichtweiterverbreitungsvertrages, jW) ist vorgesehen, dass Deutschland im Kriegsfalle Verfügungsgewalt über diese Atomwaffen erhält; deutsche Flugzeuge werden damit beladen, und deutsche Piloten sollen sie im Einsatzfalle abwerfen.«
Deiseroth schließt daraus: »Das dürfen wir nicht hinnehmen. Völkerrechtsbrüche müssen benannt und gebrandmarkt werden. Erforderlich ist, dass die dafür Verantwortlichen in der kritischen Öffentlichkeit einem unüberhörbaren ›Blaming and Shaming‹ (Beschuldigen und Beschämen, jW) ausgesetzt werden.«
Der Richter hofft auf die Zivilgesellschaft und Abgeordnete, nicht auf den Generalbundesanwalt, »der in mehreren Entscheidungen gemeint hat, das Verbot des Angriffskrieges in Artikel 26 GG und Paragraph 80 des Strafgesetzbuches erfasse nur die Vorbereitung eines Angriffskrieges, nicht aber dessen Beginn und Durchführung«. Laut Deiseroth widerspricht das sowohl dem Sinn und Zweck des Grundgesetzartikels als auch dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers. Er zitiert dazu aus der Bundestagsdrucksache V/2860, dem Bericht des Sonderausschusse für das achte Strafrechtsänderungsgesetz aus dem Jahr 1968, in dem es heißt: »Paragraph 80 umfasst nicht nur, wie der Wortlaut etwa annehmen lassen könnte, den Fall der Vorbereitung eines Angriffskrieges, sondern erst recht den der Auslösung eines solchen Krieges.«
Die »Nachbesserung«
Aus der Sicht der damaligen Parlamentarier ist also das, was das Bundesjustizministerium am 23. März 2016 verkündete, es werde eine Art Nachbesserung bei der Strafverfolgung von Angriffskriegen geben, überflüssig. Vor allem aber stellt sich heraus, dass selbstverständlich nichts in dieser Hinsicht nach- oder verbessert werden soll, vielmehr werden die Ausflüchte auch für deutsche Verantwortliche von Angriffskriegen eine juristisch stabilere Grundlage erhalten, sozusagen kriegsfest gemacht werden. Diese Schlupflöcher erhalten eine Scheunentordimension. Der praktizierte Völkerrechtsnihilismus wird so bei angeblicher Weiterentwicklung des Völkerrechts auf eine formal legale Grundlage gestellt. Solche Verdrehungen könnten weitere Gründe für die jüngste Rücknahme der Unterschrift afrikanischer Staaten und Russlands unter das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs sein.
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat schlicht gelogen, als er in der Presseerklärung seines Ministeriums behauptete: »Der heute beschlossene Entwurf stellt den Angriffskrieg als schwerstes Verbrechen gegen den Frieden im deutschen Recht umfassend unter Strafe. Wir tragen auf Grund unserer Geschichte besondere Verantwortung dafür, dass von Deutschland nie wieder ein Krieg ausgehen darf. Leider haben der Gesetzentwurf und die Beschlüsse von Kampala angesichts der vielen Kriegsschauplätze in der Welt eine große aktuelle Bedeutung. Umso wichtiger ist es, dass die wirklich Verantwortlichen nun umfassend für die Vorbereitung und Durchführung von Kriegen bestraft werden können.«
Den Äußerungen von Mitgliedern der Bundesregierung zu diesem Thema ist allein zu entnehmen, dass sie mit »wirklich Verantwortlichen« ausschließlich ausländische Staatsoberhäupter und Regierungschefs außerhalb der »westlichen Wertegemeinschaft« meinen. Von deutschem Boden geht aber spätestens seit den Jugoslawien-Kriegen permanent Krieg aus, die wirkliche Verantwortung von Maas und seinesgleichen besteht allein darin, diese Tatsache zu leugnen und sich selbst von jeder Verantwortung freizusprechen.
Angriffskrieg in Syrien
Falls das VStGB tatsächlich am 1. Januar 2017 in Kraft tritt, kann es nicht rückwirkend angewandt werden. Was aber ist mit dem andauernden illegalen Krieg gegen Syrien? Der Hamburger Rechtswissenschaftler Norman Paech hat in seiner Studie »Die Schlacht um Damaskus – auf den Trümmern des Völkerrechts« (im Internet u. a. zu finden unter norman-paech.de) festgehalten, dass sich die USA und ihre Verbündeten für ihre Kampfeinsätze in Syrien ebenso wenig auf ein Mandat des UN-Sicherheitsrats gemäß Artikel 42 der UN-Charta wie auf Selbstverteidigung gemäß deren Artikel 51 berufen können. Die Angriffe auf Stellungen des »Islamischen Staats« (IS) in Syrien seien also »eine Verletzung der syrischen Souveränität und daher völkerrechtswidrig«. Sie könnten auch nicht mit dem »›Recht auf kollektive Selbstverteidigung, das heißt der Selbstverteidigung für einen anderen Angegriffenen, den die Satzung ausdrücklich vorsieht‹«, gerechtfertigt werden. Genau darauf beruft sich aber die Bundesregierung bei der deutschen Teilnahme am Syrien-Krieg.
Der Bundestag stimmte am 4. Dezember 2015 mit großer Mehrheit gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke dem Antrag der Bundesregierung zum »Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS« zu. Die Regierung berief sich dabei auf Resolutionen des UN-Sicherheitsrats aus den Jahren 2014 und 2015. Paech gibt die Begründung so wieder: »Allen drei Resolutionen sei die Feststellung gemeinsam, dass von der Terrororganisation IS eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit ausgeht. In den Worten der Bundesregierung: Die Anschläge von Paris ›sind ein Angriff auf Europa insgesamt, unsere Lebensart, unsere Kultur, unsere Werte. Die Anschläge, die Absage des Fußballspiels von Hannover, die Bilder aus Brüssel zeigen: Die Bedrohung durch den islamistischen Terror ist in der Mitte Europas angekommen. Europa muss gegen diese Bedrohung zusammenstehen.‹« Die Bundesregierung will damit, so Paech, »nicht ein eigenes individuelles Verteidigungsrecht in Anspruch nehmen, sondern nur die Unterstützung Frankreichs als ›Beistand unter Freunden‹ betonen.« Allerdings enthielten alle von der Bundesregierung herangezogenen UN-Resolutionen kein Mandat für militärische Zwangsmaßnahmen gemäß Artikel 42 der UN-Charta. Paechs Fazit: »Die Berufung auf ein kollektives Selbstverteidigungsrecht zugunsten Syriens ist daher nicht möglich und scheidet auch für den deutschen Einsatz aus.« Der Jurist konstatiert, dass schon jetzt versucht werde, »aus dieser zwar rechtswidrigen, politisch aber geforderten und akzeptierten Interventionspraxis ein neues Völkergewohnheitsrecht für zukünftige Überfälle zu konstruieren«.
Ausweichmöglichkeiten
Nimmt man den neuen Paragraphen 13 des VStGB zum Maßstab, müssten also die politisch Verantwortlichen in Berlin wie die Bundeskanzlerin und die Verteidigungsministerin wegen der deutschen Teilnahme am Verbrechen der Aggression gegen Syrien vor ein deutsches Strafgericht gestellt und angeklagt werden.
Dazu wird es nicht kommen. Nicht nur die Berufung darauf, dass es sich hier nicht um eine offenkundige Verletzung des Völkerrechts handelt, dürfte eventuelle Ermittlungen des Generalbundesanwalts stoppen. Die Bundesregierung selbst schreibt in ihrer Begründung zum Gesetzesentwurf: »Offenkundig bedeutet das, dass der Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen für jeden Betrachter von außen auf der Hand liegen und jenseits jeden Zweifels liegen muss.« Aber Zweifel gibt es bei »offenkundig« selbstverständlich immer. Das schreibt jedenfalls der Völkerstrafrechtler Florian Jeßberger in einer Stellungnahme (Florian Jeßberger: Das Verbrechen der Aggression im deutschen Strafrecht. Im Internet unter: zis-online.com) an das Bundesjustizministerium: »Die eigentliche Schwierigkeit betrifft die (bekanntlich zahlreichen) ›Zweifelsfälle‹ (Handelt es sich wirklich um eine völkerrechtswidrige Gewaltanwendung?), die ausgeschieden werden sollen, indem die ›Offenkundigkeit‹ der Satzungsrechtsverletzung zur Voraussetzung der Strafbarkeit gemacht wird.« Durch das Merkmal »offenkundig« werde »die Unbestimmtheit des Tatbestandes erhöht«.
Es gibt noch weitere Hintertüren im Entwurf aus dem Hause Maas. Da ist zum einen der Grundsatz der Komplementarität, wonach die Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen nach dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofes Aufgabe der einzelnen Staaten ist und der Strafgerichtshof nur tätig werden kann, wenn ein Staat diese Aufgabe nicht ernsthaft wahrnimmt.
Das bedeutet im Klartext: Ein deutsches Regierungsmitglied kann künftig nicht mehr wegen des Verbrechens der Aggression nach Den Haag vor den Internationalen Strafgerichtshof gebracht werden, wenn die Bundesanwaltschaft »ernsthaft« Ermittlungen aufgenommen hat und diese dann – z. B. weil rechtliche Zweifel existieren – wegen fehlender Offenkundigkeit der Aggressionshandlung wieder einstellt.
Insofern markiert die geplante Novelle des VStGB eher einen weiteren Schritt beim Kampf für die Straflosigkeit schwerster Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes betreffen – wie von Maas behauptet – einen Schritt dahin, die in Deutschland »wirklich Verantwortlichen« endlich zur Rechenschaft zu ziehen.
Sollten selbst diese beiden Ausweichmöglichkeiten, die der neue Paragraph 13 VStGB bereithält, nicht mehr in Betracht kommen, lässt sich noch auf eine dritte zurückgreifen, auf die Notbremse: die Aufhebung der Weisungsbefugnis der Bundesregierung gegenüber dem Generalbundesanwalt. Deiseroth fordert in der zitierten Rede, dass diese Befugnis »endlich beseitigt« werden und »die Klageerzwingungsrechte der Bürgerinnen und Bürger gestärkt und erweitert werden müssten«. Der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg, Erardo C. Rautenberg, konstatierte als Fachmann zu diesem Thema in einer Arbeit aus dem Jahr 2006 (Erardo C. Rautenberg: Die Abhängigkeit der deutschen Staatsanwaltschaft. Im Internet: gewaltenteilung.de): »Es ist nämlich eine Fehlinformation (deutscher Behörden, jW), (…) dass mit der Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft in Deutschland keine unzulässige politische oder sonst unsachgemäße Einflussnahme verbunden sei. Vielmehr lässt sich der Missbrauch der Staatsanwaltschaft in Deutschland als ›Organ der Staatsregierung‹ bis zu ihren (…) Anfängen zurückverfolgen (…)«.
Maas hat bereits einmal vorgemacht, wie schnell ein Generalbundesanwalt in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden kann. Er beurlaubte am 4. August 2015 innerhalb von Stunden den damaligen Chef der Bundesanwaltschaft Harald Range, nachdem dieser ihm in einer Pressekonferenz Vorhaltungen gemacht hatte. Ein Ermittlungsverfahren der Berliner Staatsanwaltschaft gegen Maas wegen Strafvereitelung im Amt verlief im Sande.
Der SPD-Justizminister ist ab 1. Januar 2017 laut der von ihm eingebrachten Novelle des VStGB Mitglied einer mutmaßlichen Täterregierung, die zur Zeit in Syrien schwere völkerrechtswidrige Straftaten begeht. Man muss nicht gespannt sein, ob er Ermittlungen gegen seinesgleichen duldet.