Abschnitt aus dem Leserbrief von L. Wagenaar im Spiegel
Leserzuschrift von L. Wagenaar, abgedruckt im Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL, Nr. 32/1967*. Die Zuschrift ist eine Stellungnahme zum SPIEGEL-Gespräch mit dem israelischen Premierminister Levi Eschkol, erschienen in DER SPIEGEL, Nr. 29/1967.
Ich habe etwas zu lang in Auschwitz gelitten, um menschliches Leid gleichgültig hinnehmen zu können, besonders wenn auf Volkszugehörigkeit fußend differenziert wird: Vertreibung, Aussiedlung, Enteignung, Pariasierung, Zwangsansiedlung, Kollaborationsnot, Entehrung, Pauperisation, Zwangstausch guter Valuta, Berufsausschluß, Deklassierung und mehr. Daß ein Teil der Araber den Kardinalfehler macht, mit Liquidation der Juden zu drohen, wenn er doch nichts als die Liquidation der nichtarabischen Politeia auf arabischem Boden bezweckt, ist tief bedauerlich, aber im Lichte der von uns vom Zaun gebrochenen Flüchtlingsmisere nicht ganz unverständlich. Dieser Fehler schadet den Arabern auf allen Fronten, denn er wirkt wie die alliierte Proklamation von „bedingungsloser Kapitulation“. Frieden aber werden und können die Araber mit Herzls Judenstaat (so drücke ich mich absichtlich aus, denn Israel ist kein jüdischer Staat) niemals machen; es wäre national ehrlos. Dagegen wäre ein aufgeklärter Monarch wie Hussein durchaus vorstellbar als Staatsoberhaupt eines sich auf das gesamte historische Syrien erstreckenden Reiches, wie es seinem Urgroßvater vorgeschwebt und zugesagt hat.
Interne, besonders religiöse Angelegenheiten könnten im Rahmen dieses arabischen Staatsgebildes autonom gehandhabt werden. Namentlich die Juden würden in einem solchen Staate genauso treue Staatsbürger sein, wie sie es heute etwa in Amerika, England, Holland, Marokko, Iran, Irak und Libanon sind. Eine solche friedliche Lösung wäre ehrenvoll für die monotheistischen Nationen, die alle ihre Belange im Heiligen Lande haben. Bis dahin ist es eine historische Tragödie, daß das jüdische Volk sich aufs Messer verfeindet hat mit dem einzigen Teil der Kulturwelt, der es nicht seit zwei Millennien gehaßt, erniedrigt und verfolgt hat.
Jerusalem L. Wagenaar
* Der volle Wortlaut des Briefes folgt auf Seite 26.