Ahmadinedschad und die Sache mit der Landkarte
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07.04.2012 / Schwerpunkt / Seite 3Inhalt
Ahmadinedschad und die Sache mit der Landkarte
Von Knut Mellenthin
Ein ständig wiederholter Vorwurf gegen Iran lautet, Präsident Mahmud Ahmadinedschad habe mit der »Auslöschung« des jüdischen Staates gedroht. Wörtlich soll er – in einer Rede am 26. Oktober 2005 – gesagt haben, Israel müsse »von der Landkarte gefegt werden«. Seit Jahren ist bewiesen und bekannt, daß diese Behauptung auf einer falschen Übersetzung gründet. Eine Reihe von Medien hat den Fehler öffentlich eingestanden und angekündigt, den falschen Text nicht mehr zu verwenden. Politiker und Journalisten, die sich zu diesem Thema äußern, können und sollten das wissen.
Der entscheidende Abschnitt der Rede von Ahmadinedschad begann mit der Frage: »Werden wir eine Welt ohne Amerika und Zionismus erleben können?« Er zählte dann eine Reihe von starken, scheinbar unbesiegbaren Gegnern auf, deren Ende von Ajatollah Khomeini, dem Führer der »islamischen Revolution« von 1979, vorausgesagt worden sei. Die Aufzählung begann mit dem Schah-Regime. An zweiter Stelle folgte »der östliche Imperialismus«, d. h. die Sowjetunion und ihr Machtbereich. An dritter Stelle stand Saddam Hussein, der Herrscher Iraks. An vierter Stelle folgte das auf Israel bezogene Zitat, dessen wirklicher Wortlaut lautete: »Der Imam (Khomeini) hat gesagt: ›Das Regime, das Quds (arabischer Name Jerusalems – d. A.) besetzt hält, wird von den Seiten der Geschichte verschwinden.‹«
Die innere Logik und der Zusammenhang der vier angeführten Beispiele lassen es nicht zu, an »Auslöschung« und »Vernichtung« im Sinn aggressiver Absichten Irans oder gar eines Genozids zu denken. Im wesentlichen geht es um politische Prozesse und um die Auf- und Ablösung herrschender Strukturen. Daß der iranische Präsident von einer »Welt ohne Amerika« sprach, unterstreicht diese Schlußfolgerung. Gemeint war damit sicher nicht die »Auslöschung« der US-Bevölkerung, sondern die Zerstörung des US-Imperialismus.
Es erregte andererseits beim politischen Mainstream keinen Protest, als der angesehene israelische Historiker Benny Morris, Professor an der israelischen Ben-Gurion-Universität, in der österreichischen Tageszeitung Standard am 12. Mai 2008 erklärte, »die letzte Chance« gegen Iran sei der Einsatz israelischer Atomwaffen. »Es reduziert sich auf die Frage, ob Israel zerstört wird oder der Iran zerstört wird. Und ich hoffe, die Israelis verstehen, daß es besser ist, den Iran zu zerstören, als selbst zerstört zu werden.«
Vielleicht war Morris, der übrigens auch die Vertreibung der arabischen Bevölkerung im Krieg von 1948/49 für gerechtfertigt und notwendig hält, zu dieser Vernichtungsphantasie von Hillary Clinton inspiriert worden. Die heutige US-Außenministerin bewarb sich damals um das Präsidentenamt. Am 22. April 2008 hatte sie verkündet, falls die Iraner »so töricht sein sollten, Israel anzugreifen«, würden die USA sie »total ausradieren« – wörtlich: »totally obliterate them«. Das verurteilte damals sogar ihr Parteifreund und Konkurrent Barack Obama als unangebrachtes »Säbelrasseln«.