Anmerkungen zu Kapitel V
SCHWIERIGKEITEN MIT DER FRÜHERKENNUNG
VON KREBSGESCHWÜREN
1 Gemeint ist die "Operation Litani"; vergl. die Anm. 2 und In Kapitel III.
2 Ein Bericht von solcher Deutlichkeit in einem so einflußreichen westlichen Organ gehört zu den Seltenheiten der Nahost-Publizistik. Es ist gar nicht auszudenken, in wievielen Redaktionskonferenzen, an wievielen Orten, unter Hinzuziehung wievieler Experten, über die Opportunität dieses Artikels beraten wurde. Daß er schließlich publiziert wurde, darf im Zusammenhang mit einer ganzen Reihe von Versuchen der US-Administration unter Präsident Carter gesehen werden, der israelischen Regierung die indirekteren, äußerst unerwünschten Möglichkeiten amerikanischer Einflußnahme auf die damals völlig ins Stocken geratenen ägyptisch-israelischen Verhandlungen zu signalisieren.
Der TIME-Bericht hat in der übrigen westlichen Presse keine weiteren Untersuchungen ausgelöst. In den größeren französischen und deutschen Blättern wurde er, soweit das überprüft werden konnte, zum ersten Mal einen Monat später, Anfang Mal, im Zusammenhang mit der Amtsenthebung von Brigadegeneral David Hagoel (vergl. weiter unten), nebenbei erwähnt.
3 Im Verlauf der Enthüllungen hat sich das publizierte Alter der verletzten Schüler immer weiter verringert. Die Altersangaben näherten sich schließlich der natürlichen Grenze: der von Kindern, die von ihren Müttern zur Schule gebracht werden. Vergl. dazu die Angaben im Artikel von Boaz Evron, Seite 117.
4 Vergl. die beiden folgenden Artikel aus MA’ARIV.
5 Die Amtsenthebung von Brigadegeneral David Hagoel wurde in nahezu sämtlichen deutschen Zeitungen vermerkt (5. oder 6. Mai 1978). Die im allgemeinen sehr kurzen Meldungen suggerieren ausnahmslos die ordnungsgemäße Bereinigung einer bis dahin verschwiegenen und nun äußerst dezent umschriebenen Affäre.
Der Bericht auf Seite 5 der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG vom 5. Mai 1978 ist einer der ausführlichsten in der deutschen Presse. Er trägt die Überschrift: "Militärgouverneur der Westbank entlassen" und beginnt folgendermaßen:
"Der Militärgouverneur des israelisch besetzten Westjordanlandes, Brigadegeneral Hagoel, ist vom Verteidigungsminister Weizman mit sofortiger Wirkung seines Postens enthoben. Ein Nachfolger ist schon ernannt, Der Minister traf die Strafverfügung im Einvernehmen mit dem Generalstabschef Eytan. Zugleich wurde beschlossen, zwei Offiziere, einen Oberstleutnant und einen Major, vor ein Militärgericht zu stellen. In der amtlichen Verlautbarung Über die Maßnahmen heißt es, am 21. März dieses Jahres seien von Soldaten Tränengasbomben in Klassenzimmer der Iskander-Churi-Schule in Beit Jala, einem arabischen Vorort Jerusalems, geworfen worden. Die Vorgesetzten der Offiziere seien von dem Vorfall nicht unterrichtet worden. Es konnte noch in Erfahrung gebracht werden, daß eine kleine israelische Militäreinheit demonstrierende arabische Oberschüler von der Straße ins Schulgebäude verfolgt und vom Protest des Schulleiters. keine Notiz nahm. Nach Veröffentlichung der Angelegenheit durch ein amerikanisches Nachrichtenmagazin wurden die ersten Untersuchungen eingeleitet, in deren Verlauf die jetzt gemaßregelten Offiziere offenbar unrichtige Angaben machten, die wiederum zu einem amtlichen israelischen Dementi der vom Nachrichtenmagazin veröffentlichten Information führten… "
Für die deutsche Presse war die Affäre damit erledigt.
6 Eine solche Formulierung darf nicht überraschen. Es gehört zu den Besonderheiten der israelischen Psychologie, daß vereinzelt in der westlichen Presse auftauchende Kritik regelmäßig als umfassende, weltweite Kampagne empfunden oder dargestellt wird.
7 Unter Ausnutzung der oftmals sehr pompösen Verlautbarungen arabischer Militär-Sprecher hat es die Instanz des israelischen Armee-Sprechers verstanden, sich als überaus seriös wirkende Informationsquelle zu etablieren. Langjährige Beobachtung zeigt jedoch, daß ihr gegenüber grundsätzliches Mißtrauen dringend angeraten werden muß. Vergl. dazu das Interview mit dem ehemaligen Generalstabschef Mordechai Gur in Kapitel III.
8 Hebräisches Wortspiel, wörtlich: "Rettet den Retter". Hagoel bedeutet: der Retter, der Erlöser.
9 Die Bewegung für einen anderen Zionismus" wird gemeinhin zu den linksstehenden ‘Tauben’ gerechnet.
10 Die USA haben Israel öffentlich zu verstehen gegeben, daß eine Untersuchung über die widerrechtliche Verwendung amerikanischer F-15 Kampfflugzeuge und Splitterbomben gegen palästinensische Flüchtlingslager und libanesische Dörfer eingeleitet wird, falls die Räumung des besetzten libanesischen Gebietes weiter verzögert werden sollte (LE MONDE, 12. April 1978). Israel hatte zunächst mit der Schutzbehauptung reagiert, der Verteidigungsminister sei über die Rechtslage nicht informiert worden.
11 Vergl. dazu den in Anmerkung 5 zitierten Artikel der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG gleichen Datums.
12 Der "Tränengas-Monolog" wurde nach der Veröffentlichung in der Kibbutz-Zeitschrift SHDEMOT von den meisten hebräischen Zeitungen nachgedruckt; z.B. von MA’ARIV am L, September 1978, und von HAOLAM HAZEH am 20. September 1978.
13 Betar: Von Vladimir Jabotinsky gegründete rechtsextreme Jugendorganisation der Revisionistischen Partei (vergl. dazu S. 145 f.). Menachem Begin war um 1938 Betar-Führer in Polen.
Gusch Emunim: Religiös-nationalistische Siedlungsbewegung.
"Goldene Jugend" von Savion: Savion ist ein Tel Aviver Luxus-Vorort.
14 l Samuel l5,3.
15 Die entsprechende Stelle im Monolog des Soldaten Lautet:
"… Hinterher sprachen wir mit dem Offizier. Wir sagten ihm, er sei verrückt, einfach unmöglich. Wir wurden überhaupt nicht verstehen, wie er Offizier werden konnte. Er hätte höchstens Metzger werden können. Als wir unseren Zorn an ihm ausgelassen hatten, versuchte er, die Sache zu erklären. Er versuchte nicht, sich zu rechtfertigen. Das kam ihm nicht in den Sinn. Er hatte keine Gewissensbisse. Für ihn war das eine Angelegenheit des Stolzes, richtigen Stolzes.
Am Ende unserer Reservedienstzeit hatten wir eine Diskussion, und er lobte uns wegen unseres Verhaltens bei dem Zwischenfall. Er sagte, daß wir uns wie tapfere Soldaten verhalten hätten. Wir schrien ihn an daß er von Gluck reden kann, daß wir jung sind und daß unsere Dienstzeit vorbei ist. Wir haben ihm gesagt, daß uns das ganze Verhalten der Militärbehörden auf den Gedanken gebracht hat, daß wir eigentlich öfter die Befehle hätten verweigern sollen."
16 "Siach Lochamim" ist eine Sammlung von Tonbandinterviews mit israelischen Soldaten, die unmittelbar nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 zusammengestellt wurde. Vergl. dazu auch Anm. 3 in Kapitel III.
17 Der politische Spürsinn bundesrepublikanischer Journalisten ist beängstigend. Die Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn, offenbar noch immer voller Hoffnung, ermöglicht zum nicht -mehr eruierbaren Mal eine Israel-Reise – – und schon ist passiert, was nach statistischen Gesetzen vielleicht einmal in hundert Jahren zusammenkommt. Die deutsche Journalistengesellschaft landet in Tel Aviv, folgt ihrem Spürsinn, fährt geradewegs nach Beit Jala, wittert das Königlich Jordanische Krankenhaus, trifft, weil’s gerade Dienstag ist, auf einen Doktor Horn aus Tel Aviv – – und ist auf Anhieb fündig geworden: Man ist auf die erste und einzige israelisch-palästinensische Kooperation auf medizinischem Gebiet gestoßen! Daß sie auf heißer Fährte waren darf den Stipendiaten attestiert werden. Aber das ist nun mal so: ehe sich diese Gesellschaft die Finger verbrennt, läuft sie ins Krankenhaus. Die Möglichkeiten politischer Bildung sind zwar gering, wo zwischen Abnabelung und Einsargung vielerlei menschliches, aber kaum das gesellschaftliche Elend anzutreffen ist. Wer jedoch um jeden Preis die heile Welt sucht, findet sie auch in einer Krebsstation. Da kann man nichts machen.
Aber man kann der Hypothese nachgehen, daß in dieser ungemein verwickelten Geschichte der Zufall die geringste, und der Sündenfall. eine erhebliche Rolle spielt. Denn die Deutschen sind seither reizend und lenkbar, die Israelis gereizt aber ablenkbar, und die Pastinenser reizbar und ungelenk. Schauen wir uns also um wie eines das andere steuert.
Wenn, wie Dr. Horn sagt, die Israelis das Angebot für die Kooperation auf medizinischem Gebiet machten, und wenn er sich dazu, nach immerhin fast 11 Jahren jüdischpalästinensischer Begegnungsmöglichkeit auf dem Westufer des Jordan, das Frühjahr 1978 aussuchte, und das Krankenhaus in Beit Jala, dann dürften ihm die penetranten Gerüche einer unseligen Gas-Affäre den Weg gewiesen haben. Somit ist, wenn man überhaupt noch etwas glauben will, an dieser Geschichte nicht alles trostlos. Es gäbe dann zumindest einen Juden, der einem deutlich wuchernden Krebsgeschwür mit dem Sachverstand des Onkologen zu Leibe zu rücken versucht.
Aber es gibt, trotz häufiger Bildungskreisen, keine deutschen Journalisten, die ein nahöstliches Krebsgeschwür diagnostizieren und von einem Allerweltkrebs unterscheiden könnten. Und so gerät auch diser israelische Doktor, dessen Sinn für tätige Wiedergutmachung vermutlich außer Frage steht, in arges Zwielicht. Sich in Gesellschaft von Fachleuten für propagandistischen Schwulst als Fachmann für propagierende Geschwülste vorzustellen, ist zumindest ein Mißgriff – wenn es kein absichtsvolles Arrangement war. Sich Leuten anzuvertrauen, die subtile Informationen auf der Grundlage des Verschweigens verbreiten, ist ein Unterfangen, das ehrliches Bemühen leicht in Mißkredit bringen kann. Die mühsam überredeten Patienten könnten von neuem ausbleiben.
Denn es hat zweifellos Entblößungsschwierigkeiten gegeben. Religiös bedingtes Schamgefühl mag die Entblößung von einem fermden Mann behindern. Krebsberatung und Krebsbehandlung mag bei "Mohammedanern" ein schwieriges Unterfangen sein. Die ökumenische Unverschämtheit, angereiste Christen salopp "Jesusse" zu nennen, wird man dafür dort nicht antreffen. Und eine Reise in israelische besetzte Gebiete vermittelt doch wohl eher eine Begegnung mit dem Folgen des christlichen, nicht des islamischen Mittelalters. Aber Dr. Horn muß zweifellos auf Entblößungsschwierigkeiten gestoßen sein. Wenn er es verstanden hat, muslimische Mütter von der Notwendigkeit zu überzeugen, einen jüdischen Spezialisten zu konsultieren, während nebenan Kindern in Einschulungsalter gebrochene Glieder bandagiert werden, spricht das sicher für ihn. Der Umgang freilich, den er hat, könnte alles verderben. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, und ein Onkologenpaar am Jordan gewiß keinen palästinensich-israelischen Frühling. Die Inanspruchnahme von eingeflogenen Bildungsreisenden, die, den Unbilden ihrer Witterung folgend, die Informationsbereicherung mit den Mitteln der Unterschlagung betreiben, ist ein überaus ernstes Symptom. Wo es an den Nachrichtenmitteln fehlt, eine Aufklärungskampagne zur Krebsvorsorge im Umkreis von 50 Kilometern zu starten, hingegen nicht an den Nachrichtenmitteln, die Existenz einer Krebsstation im Umkreis von 5.000 Kilometern, bekanntzumachen, muß mit Überraschungen gerechnet werden. Über Nacht kann selbst ein palästinensischer Arzt, der sich in einem Krankenhaus um Politik nicht schert, zum verfemten Kollaborateur werden.
Von Dr. Hamid, dem palästinensischen Kollegen des Dr. Horn, wird man annehmen dürfen, daß er sich auskennt. Er soll sich folgendernmaßen ausgedrückt haben:"Die Früherkennung ist die Hauptschwierigkeit in der erfolgreichen Krebsbehandlung überall. Hier wird sie zu einem Problem." Denn die religiös bedingten Entblößungsschwierigkeiten muslimischer Frauen sind eine Bagatelle im Vergleich zu den komplexen Entblößungsschwierigkeiten der israelischen Gesellschaft, die weniger der Macht der Religion, als vielmehr der Macht an sich entstammen. Der jüdische Arzt Dr. Horn repräsentiert nur wenig mehr als sich seblst. Man hat einen Brigadegeneral seines Gouverneurpostens enthoben, weil er die Glaubwürdigkeit der Armee unterrgraben hat. Bei der Art, wie israelische Militär-Sprecher seit 30 Jahren mit der Wahrheit umgehen, muß ranghohen Offizieren diese Maßregelung freilich wenig einleuchten, und so hat sich denn auch schnell ein Meuterei-ähnlicher Zustand ergeben. Und als man, der mißlichen und eher ungewohnten Umstände halber, im Ausland verkünden ließ, man werde Zwei für den Zwischenfall, in Beit Jata verantwortliche Offiziere vor ein Militärgericht bringen, war für diese die Angelegenheit mit einem Tadel wegen nicht ordnungsgemäßer Berichterstattung bereits erledigt. Niemand wird überlesen können, daß bei alledem die gebrochenen Glieder der Schulkinder von Beit Jata eine sehr untergeordnete Rolle gespielt haben. Schulamit Aloni, die streitbare Knesseth-Abgeordnete, begann einen ihrer Artikel über den bedenklichen Einfluß gewisser religiöser Kreise mit folgender Feststellung: "Der Knesseth-Abgeordnete Rabbi Chaim Drukman ist Lehrer, Erzieher und eine politische und geistige Führungsgestalt. Er lehrt uns, daß da nichts falsch lief, als CS-Gasgranaten in eine arabische Schule geworfen wurden. Es war nicht in Ordnung, daß über die Aktion keine präzisen Angaben gemacht wurden, aber die Aktion selbst war vollkommen in Ordnung…" (JEDIOTH AHARONOT, 26. Juni 1978). Der Rabbi hat neun Kinder in seine Welt gesetzt, und niemand wird ihm nachsagen wollen, daß er ihnen kein liebevoller Vater ist. Sehr übersichtlich sind die Dinge also nicht, wo die Unmenschen nicht in der Verkleidung von Unmenschen auftreten.
Mit dem "Tränengas-Monolog", den ein anonym gebliebener Jung-Kibbutznik auf Band gesprochen hat, wird die Sachlage vollends so kompliziert, daß man sie flüchtigen Lesern nicht mehr zumuten könnte, hätte sich Boaz Evron nicht die Mühe gemacht, der Kibbutzbewegung einen Spiegel vorzuhalten. Er hat mit ausreichender Deutlichkeit gesagt, was von der beichtfreudigen Selbstbewunderung dieser Kolchosen-Schickeria zu halten ist. Jede Gesellschaft sucht sich die Verkleidung, mit der sie Ihr Gesicht wahren zu können glaubt. Wer wissentlich geraubte Felder u bestellen lernt, hat es in dieser Hinsicht nicht eben leicht. Auf der Suche nach der Identität kann es passieren, und es i s t passiert, daß man arabischen Kindern Süßigkeiten verteilt, ehe man die Häuser der Eltern samt ihrer Habe in die Luft jagt. Niemand, der den Aufsatz von Boaz Evron zu lesen versteht, wird sich wundern, zu hören, daß gerade Kibbutzzöglinge an solcherlei verqueren Manifestationen von Menschlichkeit beteiligt gewesen sind, und daß sie zweifellos ihrem Sukkariot-Chauvinismus keinerlei Krankheitswert beimessen.
Boaz Evron hat die elitäre Kibbutzgesellschaft, die jeder fälligen Untersuchung ihres Allgemeinzustandes mit einem Selbstentblößungsritual zuvorkommt, genau beobachtet und schonungslos beschrieben. Aber auch Boaz Evron hat Entblößungsschwierigkeiten. Er beschreibt die Psychologie der Tatfolgen, die der Tatmotive tost er völlig im Dunkeln. Er versucht keinerlei Erklärung, wie die doch recht abartige Idee, Schulkinder in einem geschlossenen Raum unter Gas zu setzen, entstehen konnte. Schlimmer noch: er versucht, eine schreckliche Spur zu verwischen. Vielleicht auch weicht er ihr instinktiv aus, wiewohl er sich aufmachte, sie zu suchen. Und damit weitet sich die Szene von Beit Jata zum Tribunal, dem schon die Täter – und vollends die geistigen Väter entgingen.
Boaz Evron zitiert ausführlich und sehr zusammenhängend aus dem "Tränengas-Monolog" des Tatbeteiligten, aber wegen eines halben Satzes unterbricht er den Redefluß des Soldaten. Er zitiert folgendermaßen: "… Vielleicht, was mir da passiert ist, einen Augenblick lang, ist es das, was den Deutschen passierte, jahrelang." Im Original lautet die Stelle so: "Und da ist die Frage, die ich mir stelle: Vielleicht, im Nachwirken des Holocaust, da Juden mit Gas erstickt wurden, vielleicht, was mir da passiert ist, einen Augenblick lang, ist es das, was den Deutschen passierte, jahrelang."
Eine unaufschiebbare Feststellung drängt sich auf. Vielleicht erscheint sie wenig schlüssig, der Sachverhalt jedenfalls ist ausreichend bedenklich. Krebsgeschwüre haben die fatale Eigenschaft, Metastasen bilden zu können. Baupläne bislang intakter Organismen geraten durcheinander. Ausfallerscheinungen Überlebenswichtiger Organe brauchen sich nicht allzu dramatisch anzukündigen. Schon Schluckbeschwerden müssen ernst genommen werden. Mit Metastasenbildung zu rechnen, heißt noch nicht, dem Patienten unzulässige Eingriffe zuzumuten. Sie jedoch der Unschicklichkeit halber auszuschließen, könnte sich eines Tages als unverzeihbar herausstellen. Verschweigen des Krankheitsbefundes ist gewiß keine Therapie, und Heilungswunder sind selten. Wie beklemmend die Erkenntnis auch ist, das Symptom muß ernst genommen werden. Wägt man nur gewissenhaft ab, so ist die Hypothese, daß in Beit Jata eine Zwangshandlung abgelaufen ist, gar nicht abwegig. Jedenfalls lief die Aktion, in derzeit praktikabler Minimalfassung, erschütternd originalgetreu und mit alptraumhafter Sicherheit ab:
Die Sicherstellung der Wehrlosigkeit der Opfer … Die Zusicherung: "Ihr braucht keine Angst zu haben" ….
Die Absicherung durch Schließen der Fenster … Die Entsicherung der Gasgranaten …. Die Selbstsicherung durch Gasmasken (ein gesichertes Detail, das allerseits unterschlagen wird) …. Die Sicherung der Ausgänge …. Die Sicherstellung der Einwirkungsdauer …. Die Belüftung – – – und sie fielen ihnen wie Schmetterlinge entgegen, wie Schmetterlinge, die man mit Insektengift ansprüht. Und danach: Die verunsicherten Durchführer …. Die selbstsicheren Anführer …. Die Allerweltsversicherung: "Wir haben keine Wahl" … Die Unterweltsversicherung: "Ein guter Araber, das ist ein toter Araber" … Das ungesicherte Dementi … Die Hierarchie der Rückversicherer … Die Monologe der Scheinversicherer – – – Das todsichere Gewirke und Gewebe eines Karzinoms, das der Gewebsstruktur entspricht, dem es entstammt.
Es ist freilich zu befürchten, daß, bei aller Konturenschärfe des Röntgennegativs, weder jene leicht zu Überzeugen sind, die mitgewirkt und mitgewoben haben, noch die Nachgeborenen, die niemals ahnen werden, wie teuer ein Ausbruch aus der Meinungstyrannei zu stehen kommen kann. Die Röntgenanalyse muß also wohl, so desperat das ist, um einiges vergröbert werden. Nicht die Fülle der Indizien ist es, die mir die Wahl erschwert. Die Trostlosigkeit wird hier zur Qual. Meine alphabetisierten Krankengeschichten enthalten, unter ‘R’ wie Rache, Geschwürsymptome, die auch mich in Entblößungsschwierigkeiten bringen. Nehmen wir, nach einigem Zögern, die Tagesbefehle des Abo Kovner, des politischen Führungsoffiziers der israelischen "Giv’ati"-Einheit, die während des ersten israelischarabischen Krieges von 1948 im Süden Palästinas eingesetzt war. Begnügen wir uns hier mit den unblutigeren Schwüren dieser blutigen Anfänger des Rachehandwerks. Nehmen wir den Tagesbefehl vom 8. Juli 1948: "Der Kampf geht weiter und der Krieg weitet sich von neuem aus. Grausamer und größer als zu Anfang… Die Seelen von 6 Millionen, denen dieser Kampf nicht mehr vergönnt ist, rufen uns aus der Erde zu: Die Rache soll groß sein!" – Tagesbefehl vom 9. Juli 1948: "Soldaten und Offiziere! Wenn der Kampf wieder anhebt, denkt daran: Ein gefangener Feind ist wichtiger als ein toter Körper. Macht euch die Rache nicht zu leicht!" – Tagesbefehl vom 12. Juli 1948:
"Geringschätzung des Feindes breitet sich unter uns aus haltet ein! Keine Geringschätzung – Selbstsicherheit ja, aber keine Geringschätzung! Ja, wir haben ihren Geist gebrochen. Wir haben ihre Körper zerrissen. Aber noch haben sie Kraft. Sie sind unsere Feinde, sind eine Armee. Auch wenn wir sicher sind, daß ihre Leichen unsere Felder düngen, auf daß sie fruchtbar werden!" (Zitiert nach der hebräischen Literaturzeitschrift PROSA, August/September 1977, Seite 28).
Was auch immer vertreten werden mag – soviel muß als gesichert gelten: Die Araber haben den Holocaust nicht zu vertreten! Sie sind die greifbaren Stellvertreter. Ihnen zugedachte Racheschwüre sind unverkennbare Symptome von Krebsgeschwüren. Abgase aus Verbrennungsöfen sind krebserregend. Die Berufskrebse tüchtiger Kaminkehrer und die Verhaltensweisen jüdischer Heimkehrer sind erwiesen. Berufskrankheiten treten noch Jahrzehnte nach Aussetzen der Schädigung auf. Teerrückstände und Wahrheitsrückstände sind krebsfördernd. Wucherndes Wachstum führt zu Ölrückständen. Ein lokalisierbares Karzinom, das mit Schwulst über 177 behandelte Geschwülste in Beit Jala vertuscht wird, fällt nicht unter die gutartigen Auswüchse des Deckgewerbes, es fällt unter das bösartige Wachstum des Deckgewebes. Gefällige Verdauungstraktate sind krebsfördernd. Die Hälfte at[er Krebse befällt den Verdauungstrakt. Die Vergangenheit der Deutschen verdüstert die Zukunft noch des letzten Palästinensers. Verdrängungen erleichtern deren Verdrängung. Ausflüchte fuhren zu Fluchtbewegungen. Die Agnostiker von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Diagnostiker zu hatten, ist zumindest ein Gesundheitsrisiko. Deren Beruhigungs-Bulletins sind krebsfördernd. Die niedergelassenen Sieg-Heilpraktiker, vom Hamburger Lebens-Abendblatt bis zum Südkurierer, sind nicht approbiert. Vorsorgeuntersuchungen werden generationenweise aufgeschoben, Früherkennungstermine wie eh und je verschleppt. Die Totschweiger von der Braunschweiger Zeitung beharren auf überkommenem. Die Berliner Morgenpost – festum – Analysen liegen frühestens post mortem vor. Der Münchner Merkur offeriert allenfalls die Vormerkkur. Instinktsichere Vertreter animalischer Lebensordnungen nutzen die Vorteile amoralischer Umordnungen. Die palästinensischen Sündenböcke kommen gelegen. Trotz unübersehbarer Funktionsbehinderungen sind von dort keine therapeutischen Maßnahmen zu erwarten. Bekanntermaßen wird eine Unzahl von Krebsfällen durch Schuld der Patienten verschleppt. Die Angst vor der Wahrheit ist ein Krebsübel. Die Verbreitung weiterer Metastasen bewirkt die Weiterverbreitung von Metastasen. Das ist ein medizinischer, kein sprachlicher Circulus vitiosus. Die Entwicklung des Karzinoms zur Karzinose ist abzusehen. Noch eine Weile diese billige Metastasen-Publizistik, und man wird sich über den Kadaver einer Gesellschaft beugen und mit Bedauern feststellen, daß es die hartnäckigen Entblößungsverweigerungen sind, die das Leben kosten.