Arischer Lebenssaft
Arischer Lebenssaft
Vor 75 Jahren versuchte ein Sachverständiger gutes deutsches Blut vor jüdischer »Verunreinigung« zu bewahren. In der Bundesrepublik machte er Karriere
Von Otto Köhler, Junge Welt, 7.3.2017
NS-Scholastik gemäß Globkes Vierteilung: Adenauers späterer Staatssekretär verfügte über die korrekte Rechenart zur Bestimmung des »Juden«, die der Wannsee-Nachfolgekonferenz zur »Endlösung der Judenfrage« zugrunde lag (Bildtafel zum »Blutschutzgesetz«, 1935) Foto: United States Holocaust Memorial Museum Collection/wikimedia.org/public domain
Am 20. Januar 1942 berieten die Spitzen von Partei und Staat in einer idyllischen Villa am Berliner Wannsee bei Cognac und exquisiten Häppchen, wie man am besten die Vernichtung der europäischen Juden vollenden könne. Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Reinhard Heydrich, der eingeladen hatte, war vom Ergebnis der Besprechung ermutigt und verschickte am 26. Februar an die Teilnehmer eine neue Einladung. Überliefert ist die an den Herrn Unterstaatssekretär Martin Luther im Auswärtigen Amt. Wortlaut:
Lieber Parteigenosse Luther!
Als Anlage übersende ich das Protokoll über die am 20.1.1942 stattgefundene Absprache. Da nunmehr erfreulicherweise die Grundlinie hinsichtlich der praktischen Durchführung der Endlösung der Judenfrage festgelegt ist und seitens der hieran beteiligten Stellen völlige Übereinstimmung herrscht, darf ich Sie bitten, Ihren Sachbearbeiter zwecks Fertigstellung der vom Reichsmarschall gewünschten Vorlage, in der die organisatorischen, technischen und materiellen Voraussetzungen zur praktischen Inangriffnahme der Lösungsarbeiten aufgezeigt werden sollen, zu den hierfür notwendigen Detailbesprechungen abzustellen.
Die erste Besprechung dieser Art beabsichtige ich am 6. März 1942, 10.30 Uhr, in Berlin, Kurfürstenstrasse 116, abhalten zu lassen. Ich darf Sie bitten, Ihren Sachbearbeiter zu veranlassen, sich dieserhalb mit meinem zuständigen Referenten, dem SS-Obersturmbannführer Eichmann, ins Benehmen zu setzen.
Heil Hitler! Ihr [Unterschrift:] Heydrich
Erfreulicherweise. Endlösung der Judenfrage. Notwendige Detailbesprechung. Praktische Inangriffnahme.
Kriegsverdienstkreuz für Babi Jar
Die praktische Inangriffnahme hatte längst begonnen. Noch am Abend der Wannsee-Konferenz unterzeichnete Heydrich eine Liste für die Vergabe des Kriegsverdienstkreuzes. Rangstufe: Mit Schwertern. An der Spitze der Liste: SS-Einsatzgruppenführer Paul Blobel, der im kameradschaftlichen Einvernehmen mit der Wehrmacht innerhalb von 36 Stunden 33.771 Juden umgebracht hatte. Sie wurden nackt in die Schlucht von Babi Jar getrieben und erschossen. An dritter Stelle Dr. Albert Widmann für seine erfolgreichen Experimente mit der Vergasung von Juden.
Vor 75 Jahren, trafen die Sachbearbeiter aus den Ministerien in der Kurfürstenstraße 116 ein, dem Dienstsitz des Exekutors Adolf Eichmann, der schon bei der Wannseekonferenz nicht nur das Protokoll geführt hatte. In Vertretung des Unterstaatssekretärs Luther erschien der Diplomat und SS-Obersturmführer Franz Rademacher, der dafür sorgte, dass »die für Judensachen zuständige Dienststelle des Reichssicherheitshauptamtes von Anfang an«, wie Luther später lobte, »alle Maßnahmen in reibungsloser Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt zusammengeführt hat«.
Justizstaatssekretär Roland Freisler, der bei der Tagung am Wannsee dabei war und der schon fünf Monate später von Adolf Hitler zum Präsidenten des Volksgerichtshofs ernannte wurde, hatte aus seinem Justizministerium einen erfahrenen Blutschutzexperten geschickt, den Oberlandesgerichtsrat Franz Massfeller. Freisler konnte Massfeller uneingeschränktes Vertrauen schenken. Der hatte – obwohl kein NSDAP-Mitglied – schon 1936 für das Reichsjustizministerium mit einer 354seitigen Auslegung des »Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre« und dem »Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes« unerhörten Sachverstand bewiesen. In Blutdingen kannte er sich bestens aus. Und darum ging es bei diesem Nachfolgetreffen zur Wannsee-Konferenz. Was mit den sogenannten Volljuden zu geschehen hat, war geklärt: Sie werden »evakuiert«, was darunter zu verstehen ist, musste nicht mehr erörtert werden.
Aber nun ging es um die leidigen »Mischlingsprobleme«. Bei drei jüdischen Großvätern ist die Sache klar: zählt wie »Volljude«. Wie aber ist es mit einem, ja auch mit zwei jüdischen Großvätern? Muss da nicht das in den Adern des Enkels fließende deutsche Blut vor der Vernichtung gerettet werden? Oder ist es gänzlich verdorben? Laut Kurzprotokoll wird »Übereinstimmung« konstatiert, dass »eine zwangsmäßige Sterilisierung für sich allein weder das Mischlingsproblem lösen, noch zu einer verwaltungsmäßigen Entlastung führen werde, sondern eher die augenblickliche Lage noch erschweren würde. Sollte der Führer gleichwohl aus politischen Gründen eine allgemeine Zwangssterilisierung für den geeigneten Weg halten, so wäre vorzusehen, dass nach der Sterilisierung die Mischlinge I. Grades ähnlich wie heute alte Juden in einem Gebiet in einer besonderen Stadt zusammengefasst würden (…).« Und die »Mischehen«? »Es wird gesetzlich festgelegt, dass die Gerichte auf Antrag des deutschblütigen Teiles oder des Staatsanwalts rassenmäßige Mischehen zu scheiden haben.«
Es gab viel zu erwägen. Hier die Aufzeichnung Rademachers vom 7. März: »Besondere Schwierigkeiten werden in der Frage der Sterilisierung der rund 70.000 Mischlinge gesehen. Nach Auskunft der Reichsärzteführung würde dies 700.000 Krankenhaustage bedeuten. Bei der Inanspruchnahme der Krankenhäuser durch die Verwundeten erscheint dieser Weg während des Krieges jedenfalls nicht gangbar. Es soll also (…) vorgeschlagen werden, die gesamten Mischlinge ersten Grades in einer einzigen Stadt in Deutschland oder im Generalgouvernement zusammenzufassen und die Frage der Sterilisierung bis nach Kriegsende aufzuschieben.«
Der Vertreter der Parteikanzlei, Herbert Reischauer, drängte darauf, den größten Teil der Mischlinge ersten Grades (»Halbjuden«) in die »Endlösungs«-Maßnahmen einzubeziehen. Von höchster Stelle sei anlässlich einer Erörterung in der Wehrmacht zum Ausdruck gebracht worden, es sei notwendig, »diese Gruppe auf Juden und Deutsche aufzuteilen«. Die »Mischlinge« dürften keinesfalls »als dritte kleine Rasse auf die Dauer am Leben« erhalten werden.
Dieser Forderung wäre durch eine allgemeine Zwangssterilisierung nicht Rechnung getragen. Statt dessen solle eine einmalige individuelle Überprüfung der Mischlinge erfolgen. Es sei zu erwarten, dass anschließend »nur ein relativ kleiner Teil der Mischlinge im Reich verbleiben« werde. Da für diese Personengruppe, die zu sterilisieren wäre, die einschränkenden Bestimmungen nicht mehr gelten würden, könne »jede weitere Verwaltungsarbeit in Zukunft entfallen«.
Deutsches Blut
Das entsprach der Lehre, die – damals noch – Amtsgerichtsrat Franz Massfeller 1936 in seinem zusammen mit Arthur Gütt und Herbert Linden verfassten Kommentar zum »Blutschutz- und Ehegesundheitsgesetz« formuliert hatte: »In der Tat zeigt die Erfahrung, die auch von wissenschaftlicher Seite ihre Bestätigung erhalten hat, dass die Rassenmischung mit artfremdem Blut die innere Geschlossenheit des einzelnen Menschen gefährdet, und dass Rassenbastarde in sich zerrissene gespaltene Charaktere und Menschen sind.«
Und dann kam der Satz, der den Eichmann-Gast Massfeller schon 1936 zum Experten gemacht hatte: »Für Deutschland gibt es zur Zeit praktisch genommen nur eine Rassenfrage, die Judenfrage. Wer die Zunahme der jüdischen Mischehen und den Geist der Zersetzung kennt, wer die Übergriffe gegen deutsche Frauen und Anmaßungen verfolgt hat, die sich die Juden auf allen Gebieten des Lebens, der Wirtschaft, der Kultur und Sitte erlaubt haben, der wird verstehen, dass es höchste Zeit war, hier eine Schranke zwischen Deutschen und Juden aufzurichten.«
Die schon bald von einem Kollegen aus dem Innenministerium, Adenauers späterem Staatssekretär Hans Globke, eingeführte Vierteilung der Juden erwies sich bereits hier als praktisch: »Ehen unter Mischlingen mit einem Viertel jüdischer Erbmasse sollen nicht geschlossen werden« – da potenziert sich ja das jüdische Blut zum Zweivierteljuden! Aber, und das war sehr großzügig, »diesen Mischlingen steht es frei, eine Ehe mit Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes einzugehen«.
Der außereheliche Geschlechtsverkehr im Ausland zwischen Juden und Deutschblütigen ist selbstverständlich strafbar, denn: »dass das gesunde Volksempfinden in derartigen Fällen Bestrafung erfordert, steht außer Zweifel«. Und die »Reinheit des deutschen Blutes« wollte Massfeller nicht nur gegen das »Eindringen von Judenblut«, sondern auch »sonstigem fremdrassigen Blut, z. B. von Neger-, Zigeuner- und Bastardblut« hüten.
Massfellers Blutschutzkommentar erwies sich als nachhaltig. 1956 hatte der Bundesgerichtshof zwar mitbekommen, dass man jetzt mit Äußerungen über Juden etwas vorsichtig sein musste, aber doch wohl nicht bei Zigeunern? Jedenfalls stellte das höchste bundesdeutsche Gericht unter ausdrücklichem Verweis auf den Massfeller-Kommentar von 1936 klar und eindeutig fest, dass doch schon in der NS-Zeit »Zigeuner« zu Recht als »artfremd« betrachtet wurden wegen ihres »Hang(s) zur Kriminalität«. Sie neigten »besonders zu Diebstählen und Betrügereien, es fehlen ihnen vielfach die sittlichen Antriebe der Achtung vor fremdem Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen ist«.
![]() Der Jurist Franz Massfeller, der für das Familienrecht in der Bundesrepublik den Maßstab setzte, in seinem Kommentar zum »Blutschutzgesetz« von 1935: »Wer die Zunahme der jüdischen Mischehen und den Geist der Zersetzung kennt, (…) der wird verstehen, dass es höchste Zeit war, hier eine Schranke zwischen Deutschen und Juden aufzurichten.« (Aufnahme vom 26.9.1941)
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-B04491 / Unknownwikidata:Q4233718 / CC-BY-SA 3.0
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Unsere Familienstammbücher
Zu dieser Zeit saß Massfeller längst schon wieder – als Chef der Abteilung I (Bürgerliches Recht) – im Justizministerium, nunmehr in Bonn auf der Rosenburg. Seine Bedeutung in seinem nunmehr dritten Justizministerium und insbesondere in dieser Abteilung sei, so urteilen die Autoren der »Akte Rosenburg«¹, kaum hoch genug zu veranschlagen. Seit 1950 hatte er dort die gleiche Aufgabe, die er zuvor im Reichjustizministerium wahrgenommen hatte als Referent für Familien-, Jugend- und Personenstandsrecht.
Im Familienstammbuch meiner Schwiegereltern aus dem Jahr 1939, hat Massfeller das Wort »Zum Geleit« geschrieben: »Du sollst Dir möglichst viele Kinder wünschen.« Denn: »Erst bei drei bis vier Kindern bleibt der Bestand des Volkes sichergestellt. Nur bei großer Kinderzahl werden die in der Sippe vorhandenen Anlagen in möglichst großer Zahl und Mannigfaltigkeit in Erscheinung treten.« Doch sie beließen es bei einem Kind und nannten es zum Hohn: Monika. Die einzige.
Als wir 1963 heirateten, saß der Mann, der sich 1942 in der Eichmann-Runde den Kopf über die korrekte Behandlung von Mischlingen – Sterilisieren oder Evakuieren – zerbrochen hatte, noch immer im Bundesjustizministerium. Unser Familienstammbuch hieß nun »Stammbuch der Familie«. Das Geleitwort stammte allerdings nicht mehr von Massfeller, sondern von Univ.-Prof. Hans G. Ficker. Nunmehr außer Diensten als Staatssekretär für Inneres, Polizei, Justiz, Wehrmacht und Partei in Adolf Hitlers Reichskanzlei. Ficker war schon dermaleinst mit Massfeller eng verbunden. Beide saßen zusammen im kaum bekannten Ausschuss für Internationales Privatrecht und beschäftigten sich dort unter anderem mit »Problemen«, die sich aus dem »Gebietszuwachs des Reiches« ergaben. Dieser Ficker mahnte uns 1963 in unserem neuen Stammbuch der Familie: »Als die germanischen Stämme aus dem Grau der Vorzeit in die Geschichte des Abendlandes eintraten, war die Einehe bei ihnen bereits die einzig legitime …« Na und so fort bis zum Hinweis, dass die Ehe »auch vom deutschen Staate als die grundsätzlich unauflösbare Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau« angesehen werde.
Das war zu Hitlers Zeit noch großzüger. 1938 hatte Massfeller in seinem »Neuen Recht der Eheschließung« und 1939 Ficker im »Großdeutschen Eherecht« dem gesunden Volksempfinden Rechnung getragen, und Scheidungen insbesondere dann ermöglicht, wenn ein Partner nicht deutschblütig war.
Als der Bundestag 1952 einen Gesetzentwurf über die Gleichberechtigung von Mann und Frau beriet, warnte Massfeller: »Eine schematische Gleichstellung von Mann und Frau« habe »den Schöpfern des Grundgesetzes fern gelegen«, als sie die Gleichberechtigung in die Verfassung schrieben. Wenn Eheleute sich nicht einigen können, stehe, so dekretierte Massfeller, dem Mann der »Stichentscheid« zu. Denn diese Entscheidungsbefugnis – Grundgesetz hin, Grundgesetz her – könne »nach der abendländischen Tradition« nur »dem Mann« übertragen werden. Denn der Schutz von Ehe und Familie (Artikel 6 Grundgesetz) dürfe nicht vom Artikel 3 (Gleichberechtigung) gefährdet werden.
Und so gilt es auch bei der Entscheidung über das Wohl des Kindes, auch hier steht »nach der abendländischen Tradition« dem Vater der »Stichentscheid« zu, wenn die Eltern sich nicht einigen können. Kurz, Franz Massfeller war, wie es in der »Akte Rosenburg« heißt, die »personifizierte Kontinuität« im Familienrecht.
Der dreifache Massfeller
Eine Dissertation beim Rechtswissenschaftlichen Seminar I an der Westfälischen Wilhelms-Universität (Ministerialrat Franz Massfeller 1902–1966), vorgelegt von Cora Ciernoch-Kujas, hat dem Blut- und Familienexperten in einer bewundernswert lakonischen Sprache ein hervorragendes Führungszeugnis in drei Teilen ausgestellt: 1. »Massfeller war ein Jurist der Weimarer Zeit. In dieser Epoche erlernte er die juristischen Techniken. Er wird als Jurist mit hervorragenden Fähigkeiten erkannt und in das Justizministerium berufen.« 2. »Massfeller war ein Jurist des Nationalsozialismus. In dieser Zeit erhält er im Ministerium ein eigenes Ressort, veröffentlicht erstmals Urteilsanmerkungen und Abhandlungen. Massfeller legt in den ersten beiden Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft Normen wie den § 1339 BGB und die Gesundheitsgesetze, im Sinn der neuen Machthaber aus.« 3. »Massfeller war ein Jurist der Bundesrepublik Deutschland. Er war fleißig und bemüht, das in ihn gesetzte Vertrauen des Berufungsausschusses zu rechtfertigen und zu untermauern.«
Das Gesamtzeugnis: »So wie das Berufsleben Massfellers verlaufen ist, spricht einiges dafür, dass er in allen politischen Systemen, mit denen er während seines Berufslebens konfrontiert wurde, stets bemüht war, die an ihn gestellten Aufgaben als Ministerialbeamter so gewissenhaft wie möglich zu erfüllen. Er fühlte sich dem jeweiligen Staat, dem er als Beamter diente, verpflichtet.« Und dann fügt die Doktorandin unter Hinzuziehung von Massfellers Personalakte ausdrücklich hinzu: »Während der NS-Zeit war er lediglich 10 Tage, während seiner Laufbahn insgesamt lediglich 84 Tage krank. Auch diese Tatsache zeugt von seiner Grundhaltung.«
Bleiben wir bei dieser Grundrechenart: In den zehn Jahren seiner Beamtentätigkeit für den faschistischen Staat war Massfeller im Durchschnitt jedes Jahr einen Tag krank. In den 18 Jahren seines Dienstes für den demokratischen Staat von Weimar und von Bonn waren es insgesamt 74 Tage, im Durchschnitt nahm er sich hier 4,11 Krankheitstage pro Jahr. Seine Loyalität für den faschistischen Staat war demnach mehr als viermal so hoch wie für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Wie sonst auch hätte er vor 75 Jahren an der Folgetagung zur Wannsee-Konferenz über die »Endlösung der Judenfrage« teilnehmen dürfen?
Als er sich 1950 im Bonner Bundesjustizministerium bewarb, wusste man, dass er 1936 am Kommentar des Blutschutz- und Ehegesundheitsgesetzes mitgewirkt hatte. Ob er eben deshalb an Gesetzentwürfen zum Eherecht und zur Gleichberechtigung von Mann und Frau herangezogen wurde, ist nicht bekannt.
Die Brüder fehlen
Jedenfalls arbeiteten das Ministerium und das höchste Gericht, der Bundesgerichtshof, Hand in Hand. An der Spitze des ersten Zivilsenats stand das – mutmaßlich ehemalige – NSDAP-Mitglied Hermann Weinkauff. Er hatte 1953 ein Gutachten zur Gleichberechtigung von Mann und Frau abgegeben. Dieses Gutachten des höchsten deutschen Gerichts war – doch das sprach damals keiner aus – verfassungsfeindlich. Kein Wunder, Präsident Weinkauff trieb sich gern in den Kreisen der Abendländischen Akademie herum, die einen monarchistischen Staat mit einem König allein von Gottes Gnaden errichten wollten. Und in diesem Sinne gutachtete der Weinkauff-Senat über »den Grundsatz von der Gleichberechtigung von Mann und Frau« nach Artikel 3,2 Grundgesetz: Mann und Frau seien streng verschieden »in ihrer seinsmäßigen, schöpfungsmäßigen Zueinanderordnung« zu sich und dem Kind in der Ordnung der Familie. Streng verschieden sind sie also nicht nur im eigentlich biologisch-geschlechtlichen Sinne in dieser von Gott gestifteten Ordnung, die daher für den menschlichen Gesetzgeber »undurchbrechbar« ist. Die Familie ist nach der Schöpfungsordnung eine streng ihrer eigenen Ordnung folgende Einheit; Mann und Frau sind »ein Fleisch«.
Innerhalb der strengen Einheit der Familie seien Stellung und Aufgabe von Mann und Frau durchaus verschieden: »Der Mann zeugt Kinder; die Frau empfängt, gebiert und nährt sie und zieht die unmündigen auf. Der Mann sichert, vorwiegend nach außen gewandt, Bestand, Entwicklung und Zukunft der Familie; er vertritt sie nach außen; in diesem Sinne ist er ihr ›Haupt‹. Die Frau widmet sich, vorwiegend nach innen gewandt, der inneren Ordnung und dem inneren Aufbau der Familie. An dieser fundamentalen Verschiedenheit kann das Recht nicht doktrinär vorübergehen, wenn es nach der Gleichberechtigung der Geschlechter in der Ordnung der Familie fragt.«
Verständlich, dass Präsident Weinkauff in seiner Festansprache zur Eröffnung des Bundesgerichtshofs sprach: »Noch fehlen allerdings Brüder, die ihren Platz in unserer Mitte haben sollten. Wir vergessen sie nicht. Wir denken an sie. Niemand wäre glücklicher als wir, wenn sie bald gemeinsam mit uns an dem gemeinsamen deutschen Recht mitarbeiten könnten.«
Daraus wurde nichts. Mit den meisten dieser Brüder war nicht mehr zu rechnen. Die »Akte Rosenberg«: »So waren bereits Ende 1945 38 zum Teil schwer belastete Mitglieder des Reichsgerichts von der sowjetischen Geheimpolizei verhaftet und in den Lagern Mühlberg an der Elbe und später Buchenwald interniert worden, wo 34 von ihnen umkamen. Das waren etwa ein Drittel der Mitglieder des Reichsgerichts.« Die wenigstens blieben uns in der Bonner Republik erspart.
Warum nicht auch einmal eine CDU-Politikerin zitieren, wenn sie so unheimlich recht hat? Die Kulturbeauftragte Monika Grütters erklärte zum 75. Jahrestag der Wannseekonferenz: »Schuldig ist auch, wer als kleines Rädchen im Getriebe zum reibungslosen Ablauf beigetragen hat. Denn die Nationalsozialisten konnten, was hier in Wannsee besprochen wurde, nur umsetzen, ›weil ihnen‹ – ich zitiere den BGH – ›eine derart strukturierte und organisierte industrielle Tötungsmaschinerie mit willigen und gehorsamen Untergebenen zur Verfügung stand‹«. Das allerdings dürfen wir erst jetzt erfahren, da die Rädchen wohlversorgt wurden und in Frieden gestorben sind.
Anmerkung
1 Vgl.: Manfred Görtemaker, Christoph Safferling: Die Akte Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit. München 2016