Attentate von Madrid: Offizielle Version bröckelt weiter
Attentate von Madrid: Offizielle Version bröckelt weiter
Gerhard Wisnewski
Die Prozesse gegen angebliche Terror-Attentäter bieten immer das gleiche Bild: Mutmaßungen, Unterstellungen und Spekulationen. Beweise – Fehlanzeige. Allenfalls mal ein »Kronzeuge«. So war es bei den Verfahren gegen den angeblichen 20. Hijacker Moussaoui in den USA, Abdelghani Mzoudi und Mounir al-Motassadeq in Deutschland und gegen vier angebliche Terrorhelfer in Stuttgart, wie am 16. Juli berichtet. Entweder gibt es letztinstanzlich Freisprüche wie bei Mzoudi, oder die Gerichte erzwingen aus Staatsräson Unrechtsurteile, wie im Fall Motassadeq. Die jüngsten Freisprüche für vier angebliche Attentäter von Madrid beweisen: Die Gerichte haben nichts in der Hand, was die offiziellen Versionen des Terrors stützen würde.
Madrid, Bahnhof Atocha, 11. März 2004, 8.00 Uhr. So sieht es wohl im Krieg aus: Der rot-weiße Pendlerzug wurde an mehreren Stellen von Bomben aufgerissen. Auf den Gleisen neben dem Zug liegen Körperteile von Menschen, Tote und Schwerverletzte, über die sich die ersten Helfer beugen. Notdürftig werden Kleidungsstücke über den Leichen ausgebreitet. Fast 200 Tote liegen in den Zügen, neben den Gleisen und in den Bahnhöfen Atocha, Pozo del Tío Raimundo und Santa Eugenia. Dazu kommen rund 1500 Verletzte. Ein Bild des Schreckens. Zwischen 7.39 und 7.41 Uhr waren in den Zügen und Bahnhöfen insgesamt zehn Bomben explodiert.
So schrieb ich in meinem Buch Verschlußsache Terror.
Bis heute sind die Attentate, bei denen 191 Menschen umgebracht wurden, weit von einer Aufklärung entfernt. Eine erste Gruppe von Verdächtigen kam am 3. April 2004 durch eine mysteriöse Bombenexplosion bei ihrer Festnahme ums Leben. »Der Kern der Gruppe, die die Anschläge ausführte, ist entweder in Haft oder bei dem Selbstmord am Samstag ums Leben gekommen«, sagte der spanische Innenminister Acebes befriedigt. Auch die deutsche Presse machte ihren Lesern weis: »Die Anschläge des 11. März mit 191 Toten in Madrid sind weitgehend aufgeklärt« (so der Wiesbadener Kurier unter Berufung auf dpa). »Der als Drahtzieher geltende Tunesier Serhane Ben Abdelmadschid (35) und vier weitere islamische Terroristen sprengten sich am Samstag bei einer Polizeirazzia in die Luft. Die Terrorzelle sei somit im Kern zerschlagen worden, teilte Spaniens Innenminister Angel Acebes gestern mit. Die Haupttäter seien entweder ums Leben gekommen, festgenommen oder zumindest identifiziert worden.«
Bravo. So etwas prägt sich ins Gedächtnis der Massen ein, und das ist auch erwünscht. Klappe zu, Affe tot. Erwiesenermaßen schuldig (oder gar rechtskräftig verurteilt) waren die Toten damit natürlich nicht. Einem Toten kann man schließlich vieles nachsagen. Im Kopf des Normalbürgers wird ein solches Attentat dennoch als aufgeklärt abgehakt. Die näheren und wirklichen Umstände kennt er natürlich nicht. Und zwar, weil sie ihm niemand erzählt und erklärt.
Fakt ist, dass sich das schon vor Jahren als aufgeklärt verkaufte Madrider Attentat als zunehmend unaufgeklärt erweist. Und zwar nicht nur wegen der toten Verdächtigen, sondern weil nun eine zweite Gruppe von Verdächtigen freigesprochen werden musste. Vier Männer, die noch 2007 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Sprengstoffschmuggels zu langen Haftstrafen verurteilt worden waren, wurden am 17. Juli 2008 von Spaniens Oberstem Gerichtshof für unschuldig erklärt. Ja, mehr noch: Selbst der als »Drahtzieher« verdächtigte Rabei Osman Sayed Ahmed kann auf freiem Fuß bleiben. Sein bereits zuvor erfolgter Freispruch wurde bestätigt. Nach dem toten »Drahtzieher« kam den Behörden damit schon der zweite »Drahtzieher« abhanden.
Was sagt uns das? Ganz einfach: Wenn die Gerichte selbst einen der angeblichen »Drahtzieher« freisprechen müssen, zeigt das, wie wenig Ahnung sie in Wirklichkeit von dem Attentat haben – oder haben wollen.