Augenzeugebericht aus einem unwürdigen Gerichtssaal
Von Elias Davidsson
Gestern, 14. März 2013, saß ich im Kölner Verwaltungsgericht und versuchte eine Verhandlung zu folgen, die die Hoffnung erweckte ein Durchbruch in der Rechtssprechung zu werden. Es handelte sich um die erste Verhandlung einer außerordenlich wichtige Klage von Wolfgang Jung aus Kaiserslautern wegen der Teilnahme Deutschlands an Angriffskriege. Wolfgang Jung wurde von zwei angesehene Anwälte begleitet: Dr. Peter Becker und Otto Jäckel. Beide Anwälte gehören der IALANA an, einer überparteilichen und unabhängigen internationalen Organisation von Juristinnen und Juristen gegen atomare, biologische und chemische Waffen – für eine gewaltfreie Friedensgestaltung an. Otto Jäckel ist gegenwärtig der Vorsitzender der IALANA. Die Klageschrift befindet sich hier: http://ialana.de/files/pdf/pressemitteilungen/13-03-14/Klage%20Ramstein.pdf.
Was ich – und andere Zeugen – erlebte, war aber kein welterschütterndes Ereignis, sondern nur die traurige Routine der unterwürfigen und armseligen deutschen Justiz. Mit dem Begriff Justiz sind nicht nur die staatlichen Institutionen gemeint (Richter, Staatsanwälte, Anwälte des Staates), sondern auch die unabhängige Anwälte, die sich als Verfächter der Demokratie und der Gerechtigkeit anmaßen und in der linken Szene gefeiert werden. Die Justiz stellte sich an jener Verhandlung, aus meine Sicht jedenfalls, wie eine Farce, in der zwei Akteure ein mündliches Gefecht zur Schau stellen. Obwohl die Justiz “im Namen des Volkes” agieren soll, belegte die Verhandlung, dass die Justiz – darunter auch die Anwälte des Klägers – sich nicht mit den Interessen “des Volkes” identifiziert.
Der Kläger ist ein ehemaliger Lehrer im Ruhestand. Er lebt in der Nähe von der Ramstein Air Base. Laut Wikipedia ist die Ramstein Air Base (kurz: Ramstein AB) “der größte Militärflugplatz der United States Air Force außerhalb der Vereinigten Staaten und das Hauptquartier der United States Air Forces in Europe, der United States Air Forces in Africa sowie das Hauptquartier des Allied Air Command Ramstein, einer NATO-Kommandobehörde zur Führung von Luftstreitkräften. Der Militärflugplatz liegt unmittelbar südöstlich von Ramstein-Miesenbach, rund zehn Kilometer westlich von Kaiserslautern, Rheinland-Pfalz…Rund 35.000 Militärangehörige und 6.000 Zivilisten arbeiteten 2004″ in diesem militärischen Stützpunkt.”
Da die USA die Ramstein Air Base für völkerrechtswidrige Handlungen mit der Genehmigung der deutschen Bundesregierung ausführen, behauptet der Kläger Deutschland leiste Beihilfe zu völkerrechtswidrige Taten, u.a. zur Ausführung von Angriffskriege. Als laihafter Völkerrechtler stimme ich dem Kläger zu. Die USA hat bekanntlich zahlreiche Angriffskriege in der Vergangenheit begangen (Vietnam, Laos, Kampudschea, Panama, Grenada, Irak, Afghanistan, Libyen, Pakistan, Jugoslawien, usw.) ohne, dass irgendjemand zur Verantwortung gezogen wäre. Über die völkerrechtswidrige Kriege der USA, u.a. gegen Afghanistan, führten die Anwälte des Klägers überzeugende Argumente an, die in der Klageschrift nachzulesen sind.
Der Richter und die Anwälte der Bundesregierung machten alles in ihrer Macht um eine Bewertung der völkerrechtlichen Aspekte der Klage zu vermeiden, denn damit hätten sie die Fundamenten der deutschen pro-amerikanischen Politik gerüttelt. Sie wählten daher eine klassische Methode, um den Kläger loszuwerden. Sie behaupteten der Kläger besäße kein Klagerecht weil er nicht keine unmittelbare Betroffenheit aufzeigen könnte. Wäre der Kläger von terroristischen Anschläge auf Ramstein unmittelbar gefährdet, könnte er – so die Argumentation – unter Umstände, eine Betroffenheit aufzeigen. Sollen nun Talibans aufgefordert werden Anschläge auf Ramstein auszuüben damit deutsche Gerichte endlich die Rechtsmässigkeit eines Angriffskrieges gegen Afghanistan untersuchen? Dies scheint jedenfalls die unterschwellige und ad absurdum geführte Botschaft des Richters gewesen zu sein.
Der Kläger berief sich auf den Recht eines jeglichen Bewohners der Bundesrepublik völkerrechtswidrige Handlungen der Bundesregierung zu rügen und die judikative Gewalt – wenn sie nicht aus eigener Initiative handelt – zu drängen, rechtswidrigen Handlungen der Exekutive zu verhindern. Wenn dem Bürger solche friedliche Mittel entzogen werden, würde der Bürger am Ende gezwungen den Recht in die eigenen Hände zu nehmen. Die Judikatur sei für demokratischen Bürger daher die angemessene Addresse in um rechtswidrige Handlungen der Exekutive zu bewerten, geschweige denn um die Teilnahme der Behörden an internationalen Verbrechen zu verhindern.
Der Richter, gewöhnt dem Staat zu dienen, hat anscheinend die Gewaltenteilung in der Demokratie vergessen. Die Aufgabe der Judikatur ist u.a. rechtswidrige Handlungen der Exekutive zu verhindern, nicht diese zu schützen, möglichst aus Eigeninitiative und nicht nur nach Drängen eines aufrichtigen Bürgers. Hier versuchte der Richter die politischen Interessen des Staates gegen die Bürger zu verteidigen. Er konnte sich nicht mal dazu bringen ein positives Wort der Anerkennung zu äußern, um die ehrenamtlichen Bemühungen eines besorgtes Bürgers, der sich gegen Kriege und für die Rechtsordnung einsetzt, zu honorieren. Schon aus diesen Gründen schien mir der Richter ungeeignet bzw überfordert den Recht auszusprechen.
Statt sich auf der Kernfrage des Klägers zu konzentrieren (Beihilfe zu Angriffskriege), verzettelten sich die Anwälte des Kläger auf nebensächlichen Punkte, als ob Quantität die Qualität ersetzen könnte. Sie erwähnten z.B. die berüchtigen Gefangenenflüge und der Einsatz von Drohnen für gezielten Tötungen als Beispiele von völkerrechtswidrige Handlungen der USA, in denen die Bundesrepublik möglicherweise eingewickelt sei. Solche Handlungen, auch wenn sie z.T. völkerrechtswidrig sind, stehen im Vergleich zu einem Angriffskrieg etwa im selben Verhältnis wie eine Ohrfeige zur einer Mordtat. Nur jemand, der nie ein Krieg erlebte, kann Krieg und Drohnenanschläge in einem Atemzug erwähnen. Die Anwälte bezogen sich, um die Betroffenheit des Klägers zu betonen, auf die vermeintliche Gefahr eines terroristischen Anschlags auf Ramstein, und beriefen sich auf die verlogenen Legende, dass die Anschläge des 11. September 2001 von Islamisten begangen wurden: “Der Bürger muss befürchten, dass Angegriffene zurückschlagen, etwa durch Selbstmordanschläge, wie beim Attentat vom 11. September 2001 geschehen.” (Klageschrift, Seite 27) Die Anwälte stellen aber selbst fest dass “die Verursachung und der Hergang des 9/11-Attentats noch immer heftig umstritten sind.” (Klageschrift, Seite 3). Ihre Kenntnis des Sachverhalts scheint allerdings sehr oberflächig gewesen zu sein, wie die folgende Behauptung belegt: “Am 11. September 2001 sollen saudi-arabische Piloten zwei vollbesetzte Passagiermaschinen in den Nord- und den Südturm des New Yorker World Trade Centers gesteuert haben.” (Klageschrift, Seite 3). Laut der öffentlichen Behauptungen der US-amerikanischen Behörden war einer dieser Piloten ein Ägypter (Mohamed Atta) und der andere ein Bürger der Emiraten (Marwan Alshehhi): Keiner dieser vermeintlichen Piloten war Saudi. Auch die Behauptung der Anwälte die Maschinen wären “vollbesetzt” gewesen ist ihre eigene Erfindung. Im Gegenteil war die geringe Besetzung der Maschinen so auffällig, dass die 9/11 Kommission sich gezwungen sah von den Fluggesellschaften eine Erklärung zu diesem Sachverhalt zu liefern.
Die Anwälte des Klägers betonten Angriffskriege seien völkerrechtswidrig. Das ist zwar richtig aber ist nur eine halbe Wahrheit. Völkerrechtswidrig ist im Prinzip jede Verletzung eines internationalen Abkommens. Die Begehung eines Angriffskrieges ist aber viel mehr: Sie ist ein internationaler Verbrechen und steht, neben Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, auf der Liste der vier größten Kategorien von internationalen Verbrechn in der Charta des internationalen Strafgerichtshofs. Es ist nicht zufällig dass die Charta des Nürnberger Strafgerichts 1945 den Verbrechen gegen den Frieden (heute Angriffskrieg) als einer der schwersten Verbrechen des Naziregimes betrachtete und daher einige Führer des Regimes dafür zum Tode verurteilte.
Dieser Urteil zeugte von der Abscheu der internationalen Gemeinschaft gegenüber dem Verbrechen gegen den Frieden, der andere Verbrechen – Massenmord, Vergewaltigung, massive Zerstörung der Infrastruktur einer Nation, Folter, usw. – beinhaltet bzw. ermöglicht.
Merkwürdigerweise, erwähnte keiner der beiden Anwälte dass Angriffskriege nicht nur völkerrechtswidrig sondern auch internationale Verbrechen darstellten, wofür die Verantwortlichen zum Gericht gestellt werden sollten. Staatsverbrechen sind nun als “rechtswidrige Handlungen” oder “Einsätze” verharmlost.
Die Einstellung der beteiligten Juristen in der Verhandlung zeugte von ihrer Arroganz. Obwohl Gerichte im Namen des Volkes operieren, scheinen die beteiligten Juristen – Richter, Staatsanwalt, aber auch die Vertreter des Klägers – ihre Rolle zu verkennen. In Fällen wie dieses sind Gerichtsverhandlungen keine private, sondern eine gesellschaftliche Angelegenheit. Es handelt sich um die Interessen der sämtlichen Bevölkerung und sogar über die Interessen der sämtlichen Menschheit. Die Juristen beider Seiten der Klage und der Richter sprachen aber so leise, so dass die wenige Vertreter “des Volkes” im Gerichtssaal es schwierig hatten, die Verhandlungen zu folgen. Mikrofone gab es keine (wenn der Gericht kein Geld hat, wäre ich bereit ein Mikrofon zu spenden). Auch nach wiederholten Aufforderungen aus dem Saal, die Juristen sollten lauter sprechen, hatte sich wenig geändert. Sie flüsterten weiter als ob sie nicht wollten, dass man sie versteht. Ich bekam den Eindruck daß sie es bevorzugt hätten hinter geschlossenen Türen “innerhalb der Familie”, zunftmässig, zu verhandeln. Diesen Eindruck habe ich schon etliche male bei Gerichtsverhandlungen bekommen. Ein Wortprotokol der Verhandlung gab es nicht. Die Anwälte des Klägers haben es auch nicht verlangt. Sie hätten verlangen können, dass die Verhandlungen auf einem Aufnahmgerät aufgezeichnet und diese dann auf dem Internet gestellt werden. Hätte der Richter diese Forderung abgelehnt, wäre dies auch ein interessanter Lehrstück für die Öffentlichkeit gewesen. Was im Gerichtssaal gesagt wurde, können wir deshalb nicht zuverlässig zitieren. Menschen, die keine Zeit hatten, die Verhandlung beizusitzen – darunter die große Mehrheit der Friedensaktivisten in Deutschland – müssen sich daher mit brüchigen Berichte aus zweiter Hand, wie dieser, abfinden. So arbeitet die deutsche Justiz im Zeitalter des Internets: Heimlich, undemokratisch und arrogant. Für die Demokratisierung und Transparenz der Justiz hat sich bis heute keine Juristenorganisation gemeldet, auch nicht solche die sich als Verfechter der Demokratie und des Friedens behaupten. Und solange die Öffentlichkeit sich mit einer beinah heimlichen Justiz abfindet, wird in Deutschland keine Demokratie errichtet.