Bundesamt für Verfassungsschutz installiert neue Einheit zur Internetüberwachung
Griff in Beziehungskisten
Bundesamt für Verfassungsschutz installiert neue Einheit zur Internetüberwachung. Datenschützer warnen vor Massenbespitzelung
Von Ralf Wurzbacher, Junge Welt, 17. April 2015
Demonstration gegen die Kommunikationsüberwachung durch Geheimdienste im Juli 2013 in Frankfurt am Main
Foto: Kai Pfaffenbach / Reuters
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Der deutsche Inlandsgeheimdienst will der US-amerikanischen NSA (National Security Agency) in nichts nachstehen. Um zu wissen, wer mit wem und worüber im Netz kommuniziert, baut das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) seine Überwachungsapparatur technisch und personell deutlich aus. Wie aus einem von Datenschützern ins Internet gestellten Geheimpapier hervorgeht, richtet die Behörde derzeit für mehrere Millionen Euro eine Referatsgruppe mit sechs Abteilungen und 75 Schnüfflern in Vollzeit ein. Sie sollen beispielsweise bei Chats in sozialen Medien wie Facebook mitlauschen, Bewegungsprofile und Beziehungsnetzwerke erstellen sowie »verdeckte Informationen erheben«. Kritiker sehen damit den Weg zur Beschnüffelung unzähliger unschuldiger Bürger geebnet.
Eigentlich darf das Bundesamt nach geltender Rechtslage nur bei konkretem Verdacht online spitzeln. Das Artikel-10-Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, kurz G 10, erlaubt dem Verfassungsschutz die Überwachung von Verdächtigen »im Einzelfall«. Spätestens nach sechs Monaten müssen die fraglichen Eingriffe geprüft und gespeicherte Informationen bei fehlender Erforderlichkeit gelöscht werden. Zudem unterliegen sämtliche Maßnahmen der Genehmigungspflicht durch die G-10-Kommission des Bundestages. Offiziell dienen die bislang im Rahmen von G 10 eingeleiteten Maßnahmen nicht der Beschaffung von Daten sondern allein ihrer besseren Verarbeitung.
Kritiker halten das für Augenwischerei. Laut der Plattform Netzpolitik.org, die das mit »VS-Vertraulich« eingestufte Konzept »Erweiterte Fachunterstützung Internet« (EFI) am Mittwoch veröffentlicht hat, gehe es bei der neuen Einheit um die Entwicklung eines Systems der automatisierten Massendatenauswertung. Seinen Ausdruck findet das nach Darstellung der Netzaktivisten in der Aufgabenbeschreibung der Referate 3C4 und 3C5 an den Standorten Köln und Berlin. Sie sollen gemäß Wortlaut »Auswertungsberichte zu (…) angefallenen Metadaten fertigen, z.B. Übersichten der Kommunikationspartner und -häufigkeiten, zeitliche und räumliche Verteilung der Kommunikationen«. So werde aufgezeigt, »ob Hauptbetroffene verschiedener G-10-Maßnahmen in direktem Kontakt zueinander stehen oder denselben Mittelsmann kontaktieren«.
Fraglich ist nur, wie eifrig die Geheimdienstmitarbeiter in der Beziehungskiste von Verdächtigen wühlen. In besagtem Konzept findet sich kein Hinweis, wie viele Kontaktebenen abgeklopft, ob also auch Daten von Freunden, Bekannten und Verwandten mitanalysiert werden. Im NSA-Untersuchungsausschuss hatte die Datenschutzbeauftrage des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND eingeräumt, ihr Dienst dringe »bis in die vierte und fünfte Ebene der Kontakte« vor, und die Frage bejaht, »dass damit ein Bekannter eines Bekannten eines Bekannten eines Mandanten eines Rechtsanwalts erfasst wird«. Dazu kommt: Unter bestimmten Bedingungen kann der Inlandsdienst Daten vom BND abschöpfen. Bei einem Verdachtsfall können so mitunter Tausende weitere völlig unbescholtene Menschen ins Visier der Fahnder geraten.
Die neue BfV-Einheit ist schon seit längerem im Entstehen begriffen. Im Vorjahr hatten mehrere Medien darüber berichtet. Los ging es im April 2014 mit 21 Stellen, bis Jahresende waren es 51, die Erweiterung auf 75 Mitarbeiter mit fast 100 Aufgaben soll im Gange sein. Begründet wird das Projekt laut Konzept mit den veränderten Kommunikationsformen und -medien im Internet, die eine »strategische und organisatorische Neuaufstellung« erforderten.
Der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele hatte die Pläne und Ziele bereits im Februar als »illegal« und »unzulässig« bezeichnet. Gegenüber Netzpolitik.org legte er nach: »Künftige Massenüberwachungen solcher Art direkt an Datenservern scheinen mir gesetzlich nicht genehmigungsfähig zu sein.« Ulla Jelpke von der Bundestagsfraktion Die Linke erneuerte ihre Forderung nach Auflösung des BfV. Der Vorgang sei »ein weiterer Schritt zum Ausbau des Verfassungsschutzes zu einer umfassenden Schnüffelbehörde, die auch vor intimsten Daten im Internet nicht haltmacht«.