Christenherzl (1969)
H. Spehl an SUDWESTFUNK Baden-Baden, Kultur-Redaktion
Freiburg, 2. Februar 1969
Sehr geehrte Herren: Ich habe mir die Sendung "Die Söhne Israels heute" von Walter Strolz angehört (SWF, 2. Programm, 1. Februar 1969, 22.00 Uhr) und stehe fassungslos vor so viel Weltfremdheit, vor so viel Naivität, vor so viel redseliger Tiefe. Niemand kann und will Herrn Strolz daran hindern, daß er die obligatorische Buß- und Ablaßreise nach Israel unternimmt wie viele vor ihm. Man kehrt ein wenig ernüchtert aber doch mit einer Spur von Befreiung zurück, daß das deutsche Massaker an den Juden so schlimm auch wieder nicht gewesen sein kann, da doch der Gemordete so sichtbar lebt. Das ist alles sehr menschlich und man kann es verstehen. Aber was hat sich der SÜDWESTFUNK dabei gedacht, als er die Intimsphäre verletzte und Einblick in seelische Vorgänge vermittelte?
Man mag gar nicht glauben, daß Herr Strolz tatsächlich in Israel war, denn außer tausendfach klischierten Ansichten kann oder mag er nichts von sich geben. Er verläßt sich auf seine spärliche Bibliothek, zitiert vor allem aus der Bibel, aber auch aus einem dtv.-Taschenbuch und aus dem Massada-Bestseller des heroischen Archäologen Jigal Yadin. Man erfährt, daß Herr Strolz Martin Buber kennt und Rabin, den er offenbar für einen Rabbiner hält, da er ihn folgendermaßen zitiert: "Das jüdische Volk hat in sich die Fähigkeit und die Bereitschaft entwickelt, für die Heiligung des göttlichen Namens zu sterben". Zum Beweis, daß er wirklich in Israel war, und nicht a l l e s aus der Bibliothek hat, versichert er, die Hebräische Universität Jerusalem gesehen zu haben und den ‘Schrein der Schrift’ und die Orangenplantagen an Israels Mittelmeerküste und die Hafenanlagen von Haifa. Mit der politischen Realität scheint er nicht in Kontakt gekommen zu sein.
Stattdessen wird der Hörer in mehreren Anläufen mit der Frage konfrontiert, ob nun die Gründung des Staates Israel die messianische Zeit ankündigt, oder ob Israel ein Staat wie jeder andere ist. Aber da sind sich die Gelehrten nicht ganz einig, und auch die Reise von Herrn Strolz hat keine letzte Klarheit gebracht. E i n e Gewißheit scheint er immerhin mitgebracht zu haben: Daß nämlich Gott in Israel webt und wirkt, daß biblische Verheißung wirklich wurde, und daß man Israel überhaupt nicht verstehen kann, wenn man nicht die ganze Bibel gelesen hat. Und so wird die Sendung vollends zur Bibelstunde. Dem Autor kommt a l l e s biblisch vor: "Allein das Faktum, d a ß der Staat Israel – wenige Jahre nach der grauenvollsten Ausrottungsaktion innerhalb der langen Geschichte des Judentums -gegründet wurde, ist in seiner biblischen Bedeutung nicht auszuschöpfen."
Aber an dieser Stelle möchte ich mir erlauben, Herrn Strolz und den SÜDWESTFUNK darauf aufmerksam zu machen, daß es vielleicht weniger biblisch, aber dafür erheblich moralischer gewesen wäre, 1945 beispielsweise Baden-Württemberg auszuräumen, und den Staat Israel da zu gründen, wo die grauenvolle Ausrottungsaktion stattgefunden hat! Aber allen diesen Sühnechristen und Reuedeutschen, den Wiedergutmachern und Bibelauslegern ist noch nie in den Sinn gekommen, daß sich ihre Untaten fortgepflanzt haben: Daß nämlich ihr Antisemitismus auf Kosten von ein paar Millionen Palästinensern liquidiert wurde, und der Nahe Osten inzwischen zu einem Hexenkessel geworden ist. Herrn Strolz gelingt eine nie mehr zu vergessende Fehlleistung, wenn er zu seinem Besuch der Gedenkstätte Jad va-Schem für die Opfer unserer großen Vergangenheit anmerkt: "Jegliches Denken vergeht einem, wenn man diese monumentale Gedächtnisstätte betritt."
Da ist es weiter kein ‘Wunder, daß in seiner tiefenpsychologisch verkrüppelten Sendung ein Zitat wie das folgende keinen Platz hat. Es ist nicht biblisch, nicht gelahrt, schon gar nicht messianisch, eher profan, und vor allem sehr unbequem. Aber die SWF-Redaktion sollte aufmerken: Es stammt von der ehrwürdigen BBC London. Ein einfacher palästinensischer Bauer sagte dem BBC-Korrespondenten:
Daß Herr Strolz solche Fragen gar nicht erst an sich herankommen läßt, muß nach seiner Sendung als erwiesen gelten. Er muß wohl fühlen, daß sein kunstvolles messianisches Gebäude eine solche Belastung nicht aushält. So liest er weiter in der Bibel, derweil im Nahen Osten immer größere Katastrophen heraufziehen. Und wir anderen? Wir sollten ruhig weiterhin den S l o g a n verbreiten, daß die barbarischen Araber die Juden ins Meer werfen wollen, und hinterher das F a k t u m melden, daß man die Araber ein Stück weiter in die Wüste geworfen hat. Die nächste Verzweiflungstat der Araber wird dann nicht lange auf sich warten lassen. Und wenn sie ihr nächstes Selbstmordunternehmen starten, wird ihnen unser Entrüstungsschrei "Mörder!" wieder sicher sein. Und die Israelis werden unser volles Verständnis finden, wenn sie eines Tages auch noch die Atombombe hervorzaubern. Die Perfektion der israelischen Militärmaschine wird dann endgültig ins klinische Stadium treten. Da kann es leicht passieren, daß das alte Europa in einen Strudel gezogen wird, den wir in Bewegung gesetzt haben, ihn aber dann sich selbst überlassen wollten. Und es ist nicht ganz ausgeschlossen, daß dann Herr Strolz bei seiner Lektüre von einem Atomblitz überrascht wird.
Aber bis dahin soll er nicht aufgeschreckt werden. Ich beende meinen Brief, wie er seine Sendung: Ich versammle die paar Überlebenden des Atomblitzes und lasse sie reden, wie Theodor Herzl in seinem Zukunftsroman "Altneuland" sie reden ließ. Ein wenig zeitgemäßer freilich, aber nicht viel utopischer. Sie reden wie bei Herzl, aber sie machen einen sehr niedergeschlagenen Eindruck. Sind sie doch gerade noch einmal davongekommen:
In dieser Stimmung warf Friedrich Löwenberg die Frage auf, die sie nacheinander beantworteten. Jeder tat es in seiner Weise. Dies aber war die aufgestellte Frage:
"Wir sehen hier ein neues Unglück – wer hat das nun geschaffen?"
Der alte Littwak sagte: "Die Notlügen!"
Architekt Steineck sagte: "Das weitervertriebene Volk!"
Kingscourt sagte: "Die alten, verkehrten Mittel!"
Dr. Marcus sagte: "Die Unwissenheit!"
Joe Levy sagte: "Die Willfährigkeit!"
Professor Steineck sagte: "Die Naturschätze!"
Der englische Prediger Hopkins sagte: "Die einseitige Duldung!"
Raschid Bey sagte: "Die Demütigungen!"
David Littwak sagte: "Die leidige Zions-Liebe!"
Der SWF-Autor Walter Strolz aber stand feierlich auf und sagte: "Gott!"
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Dem SÜDWESTFUNK aber schreibe ich noch ein Nachwort. Auch bei Herzl folgt nach dieser Endszene eines:
… Wenn Ihr wollt, daß es nicht nur eine apokalyptische Vision ist – dann macht nur so weiter!
Mit freundlichen Grüßen (gez. H. Spehl)
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SÜDWESTFUNK Baden-Baden an H. Spehl
Baden-Baden, 24. Februar 1969
Sehr geehrter Herr Dr. Spehl: Ihren Brief vom 2. Februar haben wir an den Autor, Herrn Dr. Walter Strolz, weitergegeben. Ich möchte seiner Antwort an Sie nicht vorgreifen (4), aber doch darauf hinweisen, daß Strolz in seiner Sendung davon ausgeht, daß mit dem Staat Israel ein Faktum gesetzt ist, das seither nicht mehr aufgehört hat, die Menschen herauszufordern. Seine Gedanken darüber, wie sich Geschichte und Politik, Überlieferungen und Gegenwart zueinander verhalten, sind durchaus nicht so einseitig, wie es aus Ihren Zitaten hervorgehen könnte. Strolz wehrt sich ausdrücklich dagegen, die stattliche Existenz Israels unmittelbar mit Erfüllung einer biblischen Verheißung zu verknüpfen.
Mit freundlichen Grüßen (gez. Dr. Ludwig Klein)