Das Verwaltungsgericht Frankfurt verfehlt seine Pflicht, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu schützen
Das Verwaltungsgericht Frankfurt verfehlt seine Pflicht, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu schützen.
„Das Grundrecht und nicht das Versammlungsgesetz verbürgt die Zulässigkeit
von Versammlungen und Aufzügen;“(Brokdorf-Beschluss des BVerfG)
Kritik an den Urteilen des Verwaltungsgerichts Frankfurt
zum Frankfurter Kessel am 1. Juni 2013
Am 23. Juni 2014 entschied das Verwaltungsgericht Frankfurt a.M., die Klage des Anmelders der Blockupy-Versammlung zurückzuweisen. In der mündlichen Verhandlung wie auch im schriftlichen Urteil wird deutlich, dass das Verwaltungsgericht ausschließlich den Aussagen der Polizei glaubt, die Fakten nicht prüft und den diversen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zum Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht folgt.
Am 24. September 2014 entschied es entsprechend über die Klage eines Eingekesselten, der fast zehn Stunden lang seiner Freiheit beraubt worden war. Das Verwaltungsgericht wird somit seiner Aufgabe, jeden Eingriff in die Grundrechte der Bürger und Bürgerinnen sorgfältig auf seine Verhältnismäßigkeit zu prüfen, nicht gerecht. Der Anmelder der Blockupy-Versammlung und seine Anwältin legten Rechtsmittel gegen die Urteile ein, die nun ausführlich begründet wurden. Auch der Rechtsanwalt des Eingekesselten kündigte an, Rechtsmittel einzulegen.
Das Komitee für Grundrechte und Demokratie, das die Proteste von Blockupy im Frühjahr 2013 mit einer Demonstrationsbeobachtung begleitet und ausführlich in einem Buch darüber berichtet hat, fordert den Verwaltungsgerichtshof auf, sich endlich mit den tatsächlichen Vorgängen am 1. Juni 2013 auseinanderzusetzen. Darüber hinaus muss weiterhin politisch für dieses fundamentale Grundrecht gestritten werden. Schon im Frühjahr 2012 hatte die Versammlungsbehörde zunächst alle Versammlungen während der Blockupy-Protesttage in Frankfurt verboten. So wurde auch die Versammlung des Grundrechtekomitees „Für das uneingeschränkte Grundrecht auf Versammlungsfreiheit“ damals – rechtswidrig, wie das Verwaltungsgericht nachträglich feststellte – verboten. Der Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1985 (BVerfGE 69, 315) setzt den Maßstab, an dem der polizeiliche Umgang zu messen ist. Die Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit müssen immer neu verteidigt werden. Die Bürger und Bürgerinnen tun dies, indem sie sie in Anspruch nehmen. Das Grundrecht kann nicht durch beliebige versammlungsrechtliche Auflagen eingeschränkt und ad absurdum geführt werden.
Im Folgenden erläutern wir zentrale Fehleinschätzungen der Urteile.
Das Verwaltungsgericht missachtet den Brokdorf-Beschluss
Am 1. Juni 2013 wurden fast 1.000 Personen in Frankfurt von der Demonstration getrennt, eingeschlossen und dann polizeilich von der Versammlung ausgeschlossen. Sie wurden zu einem großen Teil unter Einsatz polizeilicher Gewaltmittel aus dem Kessel gebracht. Dann wurden ihre Personalien festgestellt.
Fehlende Verhältnismäßigkeit
1. In dem Urteil wird berichtet, dass die Polizei den Versammlungsleiter über einen „vermummten Block von 150 Personen“ informiert habe (S. 25). Wenn sich die Gefahrenabwehrenden Maßnahmen der Polizei gegen diese 150 Personen hätten richten dürfen, dann kann es nicht gerechtfertigt sein, dafür fast 1.000 Personen in Mitleidenschaft zu ziehen. Das BVerfG hat schon in seinem Brokdorf-Urteil 1985 festgestellt, dass nicht wegen „gewalttätigen oder aufrührerischen“ Taten einzelner eine ganze Versammlung aufgelöst werden kann.
„Steht kollektive Unfriedlichkeit nicht zu befürchten, ist also nicht damit zu rechnen, daß eine Demonstration im Ganzen einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt (vgl. § 13 I Nr. 2 VersG) oder daß der Veranstalter oder sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben (vgl. § 5 Nr. 3 VersG) oder zumindest billigen, dann muß für die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten bleiben, wenn einzelne andere Demonstranten oder eine Minderheit Ausschreitungen begehen (vgl. v. Münch, a.a.O., RdNr. 18 zu Art. 8 GG; Herzog, a.a.O., RdNr. 59 f., 89 f. zu Art. 8 GG; Hoffmann-Riem, a.a.O., RdNr. 23 zu Art. 8 GG; Blanke/Sterzel, a.a.O. [76]; Schwäble, a.a.O., S. 229 und 234; Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 6. Aufl, 1983, RdNr. 4 zu Art. 8). Würde unfriedliches Verhalten Einzelner für die gesamte Veranstaltung und nicht nur für die Täter zum Fortfall des Grundrechtsschutzes führen, hätten diese es in der Hand, Demonstrationen ‚umzufunktionieren‘ und entgegen dem Willen der anderen Teilnehmer rechtswidrig werden zu lassen (so schon OVG Saarlouis, DÖV 1973, S. 863 [864 f.]); praktisch könnte dann jede Großdemonstration verboten werden, da sich nahezu immer ‚Erkenntnisse‘ über unfriedliche Absichten eines Teiles der Teilnehmer beibringen lassen.“ (BVerfGE 69, 315)
Wenn in Frankfurt 2013 auch nicht die ganze Versammlung aufgelöst, sondern nur ein erheblicher Teil ausgeschlossen wurde, so gilt dieser verfassungsrechtliche Maßstab jedoch auch hier in doppelter Weise. Die von der Versammlung Ausgeschlossenen waren schon gemäß des Urteils selbst in ihrer Mehrheit nicht „unfriedlich“. Die erfolgte Einstellung eines großen Teils der Ermittlungsverfahren gegen die Eingekesselten belegt dies. Die restliche Versammlung von ca. 10.000 Personen wurde durch den Ausschluss eines Teiles der Versammelten ebenfalls verhindert. Die Solidarität gebot es selbstverständlich, den Ausgeschlossenen beizustehen und das Problem schwerwiegender Eingriffe in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu thematisieren.
Undefinierte Vermummung
2. Das Verwaltungsgericht tut so, als ob „Vermummung“ ein klar definierter Tatbestand wäre. Tatsächlich wird dies von den Polizeien der Länder und nach Gesamtzusammenhang sehr unterschiedlich interpretiert. Mal werden zwei Gegenstände, die der Vermummung dienen können, mal drei als Vermummung interpretiert. Rechtssicherheit haben die Bürger bei der Auswahl ihrer Kleidung folglich nicht. Insbesondere wird dies daran deutlich, dass die Schirme, die die Demonstrierenden eine Woche später auf der Protestversammlung gegen das Vorgehen der Polizei gegen Blockupy mitführten, nicht als Vermummung interpretiert wurden.
Dass der Versuch, Demonstrierende zu kriminalisieren, nur weil sie auf den ersten Blick und auf Videoaufzeichnungen nicht identifizierbar sind, insgesamt schon demokratisch unhaltbar ist, steht auf einem anderen Blatt. Willkürliche nachträgliche Interpretationen durchlöchern das Grundrecht erst recht. Vom Gericht wurde die Frage, wieviele und womit Personen vermummt waren, nicht geprüft. Von Regen/Sonnenschirmen, die den Rettungsschirm der EZB symbolisieren, Sonnenbrillen, Hals- und Kopftüchern geht keine unmittelbare Gefährdung der Sicherheit und Ordnung aus.
Seitentransparente gefährden die öffentliche Sicherheit nicht
3. Ungeprüft und entgegen vielfältiger anderer Darstellungen übernimmt das Gericht die polizeiliche Darstellung, dass in diesem Block entgegen der Auflagen Seile genutzt und Transparente verknotet wurden. Es wird wahrheitswidrig behauptet, es sei noch vor der Einkesselung zu Flaschenwürfen und Farbbeutelwürfen gekommen. In der Verhandlung war sogar davon die Rede, dass Seitentransparente per Auflage grundsätzlich verboten gewesen seien. Abgesehen davon, dass ein Verwaltungsgericht schon die Rechtswidrigkeit einer solchen Auflage prüfen müsste, gab es eine solche Auflage nicht. Seitentransparente bei einer Demonstration sind nicht Ausdruck von Gewaltbereitschaft und unmittelbarer Gefährdung von Sicherheit und Ordnung, sondern entsprechen der Inanspruchnahme des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit und sind Ausdruck der Wahrnehmung eines „unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens“. Das Bundesverfassungsgericht schreibt in der Brokdorf-Entscheidung: „In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, wobei die Teilnehmer einerseits in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umganges miteinander oder die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen.“
Staatsfreier, unreglementierter Charakter ohne rundum-Überwachung
4. In dem Urteil des Verwaltungsgerichts wird an mehreren Stellen die Rechtmäßigkeit des polizeilichen Vorgehens auch daraus abgeleitet, dass die ungehinderte und restlose polizeiliche Überwachung der Versammlung nicht lückenlos möglich war. Schirme behinderten beispielsweise die Einsicht auf die Versammlung durch die Hubschrauber. Es ist aber nicht die Pflicht einer Versammlung, für eine Rundum-Überwachungsmöglichkeit zu sorgen. Im Gegenteil, in den Diskussionen um die Videoüberwachung von Demonstrationen wird immer wieder betont, dass eine solche Überwachung die Ausnahme und nicht die Regel sein darf. Zum „staatsfreien unreglementierten Charakter“ von Versammlungen schreibt das Bundesverfassungsgericht schon 1985: „Auch bei solchen Eingriffen haben die staatlichen Organe die grundrechtsbeschränkenden Gesetze stets im Lichte der grundlegenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat auszulegen und sich bei ihren Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Mit diesen Anforderungen wären erst recht behördliche Maßnahmen unvereinbar, die über die Anwendung grundrechtsbeschränkender Gesetze hinausgehen und etwa den Zugang zu einer Demonstration durch Behinderung von Anfahrten und schleppende vorbeugende Kontrollen unzumutbar erschweren oder ihren staatsfreien unreglementierten Charakter durch exzessive Observationen und Registrierungen (vgl. dazu BVerfGE 65, 1 [43]) verändern.“
Demokratische Versammlungsleitung begründet keine polizeilichen Eingriffe
5. Das Verwaltungsgericht verkennt die Rolle eines Versammlungsleiters bei einer Großdemonstration auch 29 Jahre nach dem Brokdorf- Beschluss noch völlig. Das Bundesverfassungsgericht schreibt: „Da alle Beteiligten bei Vorbereitung und Durchführung grundsätzlich als gleichberechtigt gelten, passen die ursprünglich unproblematischen Vorstellungen vom Veranstalter und Leiter nicht mehr so recht. Im übrigen dürfte die Bereitschaft Einzelner, als Veranstalter und Leiter verantwortlich in Erscheinung zu treten, auch deshalb abgenommen haben, weil das Risiko, strafrechtlich und haftungsrechtlich herangezogen zu werden, mangels klarer Vorschriften und kalkulierbarer Rechtsprechung zumindest zeitweise unabsehbar war.“
Die demokratische Verfasstheit einer Versammlung (5 K 2334/13.F, S. 26), also auch der Versammlungsleitung, ist kein Hinweis, der polizeiliche Eingriffe erleichtern darf. Der Versammlungsleiter ist auch nicht der verlängerte Arm der Polizei. Er kann auf die Versammlungsteilnehmer einwirken, aber er kann nicht jeden einzelnen kontrollieren. Es wäre absurd, wenn der Versammlungsleiter festlegen und kontrollieren sollte, was in jedem einzelnen Fall „Vermummung“ bedeutet. Immer häufiger wird in den Auflagen geregelt, dass ein Versammlungsleiter jedweden Verstoß „unverzüglich“ zu „unterbinden“ hat, bei Verstößen gegen die Auflagen, verpflichtet sei, die Versammlung aufzulösen. Es ist ein Auflagenunwesen entstanden, das nicht mehr erst bei einer „Gefährdung für die Sicherheit und Ordnung“ ansetzt. Diese Art der Abschreckung vor der Anmeldung von heterogenen Großdemonstrationen hebelt letztlich das für eine Demokratie essentielle Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit aus. Die Polizei könnte darüberhinaus eine Versammlung erst auflösen, wenn die Versammlung insgesamt unfriedlich verläuft und von ihr eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung ausginge. Der Versammlungsleiter soll gemäß vieler – grundrechtswidriger – Auflagen dagegen schon bei einzelnen Verstößen die Versammlung auflösen.
Realitätsfernes Verwaltungsgericht
6. Auf die polizeilich vorgetragene Möglichkeit der Durchsuchung des gesamten Blocks von fast 1.000 Demonstrierenden nimmt das Verwaltungsgericht positiv Bezug. Es verkennt und ignoriert dabei, dass eine solche polizeiliche Durchlasskontrolle einen zeitlichen Aufwand bedeutet hätte, der die Versammlung faktisch ebenfalls unmöglich gemacht hätte.
gez. Dr. Elke Steven (0177 – 7621303)
(Komitee für Grundrechte und Demokratie)