Der Schnitzel-Trick am Flughafen
F.A.Z., 26.11.2010, Nr. 276 / Seite 36
Aus dem Maschinenraum
Der Schnitzel-Trick am Flughafen
Von Constanze Kurz
Während hierzulande die gelegentlichen Terrorfurchtwellen langsam in die Alltagsnormalität integriert werden, sind die Vereinigten Staaten bekanntlich im Zustand der Dauerpanik. Den Amerikanern, aber auch allen Durchreisenden ist in den letzten zehn Jahren einiges zugemutet worden. Da werden millionenfach biometrische Daten erfasst, ein großer Telefonüberwachungsskandal beschäftigte Medien und Justiz viele Monate, Folter wurde gar legalisiert. Bevor ein Reisender überhaupt ein Flugzeug nach Amerika besteigt, rattern schon die Datensätze über Essensvorlieben, Kreditkarten und Reisebegleitung durch die Fahndungscomputer – als machte eine Flugreise per se terrorverdächtig.
Seit Tagen dominiert nun aber eine Kontroverse um eine neue technische Zumutung die amerikanischen Schlagzeilen. Sie ist seit drei Jahren in der Erprobungsphase und nun mit knapp vierhundert Geräten im Dauereinsatz: “Porno-Scanner”, in Deutschland als “Nacktscanner” ebenfalls im Testgebrauch. Die einen finden es unerträglich, ihren Körper durchleuchten, potentiell verstrahlen, unbekleidet digitalisieren, womöglich gar speichern zu lassen. Die anderen verstehen die Debatte nicht, im Namen der Sicherheit sei dies ohne weiteres zu ertragen.
So richtig auf die Palme bringt die Bevölkerung aber die Prozedur, die erduldet werden muss, wenn man nicht durch die Scanner möchte. Aufgrund der Bedenken wegen der abgegebenen Strahlung, aber auch aus weltanschaulichen Gründen ist das technische Ausleuchten der Körper nämlich freiwillig. Allerdings ist im Falle der Ablehnung ein sogenannter Extended Pat-Down zwingend, zusätzlich auch dann, wenn der Metalldetektor Alarm schlägt oder das Nacktbild aus dem Scanner zu unscharf ist.
Extended Pat-Down bedeutet kein Abtasten im herkömmlichen Sinne, sondern ein genaues und nicht gerade zimperliches Befühlen und Betasten aller Körperteile, inklusive der männlichen und weiblichen Genitalien. Sanft ist das nicht, wie vor allem Menschen mit Behinderungen, Implantaten oder Prothesen beklagen. Dabei platzt schon mal ein medizinischer Urinbeutel, wie ein Mann am Detroiter Flughafen erleben musste. Und auch Träger metallener Hüften bekommen die Extrabehandlung mit den blauen Gummihandschuhen.
Wie immer lohnt es, sich die Details der Technik anzusehen. In Deutschland werden derzeit nicht die in Amerika üblichen Rückstreu-Röntgengeräte eingesetzt, bei deren häufiger Benutzung hierzulande wohl das Tragen eines Strahlungsdosimeters Pflicht wäre. Stattdessen kommt die brandneue, weitgehend unerprobte Terahertz-Technologie zum Einsatz, bei der die Reisenden mit Wellen im Grenzbereich zwischen hochfrequenten Mikrowellen und Licht bestrahlt werden. Wenn sie auf eine Oberfläche treffen, die nicht menschlicher Haut entspricht, soll sich das aufgefangene Reflektionsbild unterscheiden. In den Praxistests in Hamburg stellte sich allerdings heraus, dass alle möglichen Dinge verdächtige Reflektionen auslösen – bis hin zu Rockfalten.
Nacktscanner haben erhebliche Probleme, menschliches von tierischem Fleisch zu unterscheiden. In einer populärwissenschaftlichen Sendung wurde das eindrucksvoll vorgeführt: Der Proband spazierte mit einer Waffe am Körper durch den Terahertz-Scanner – die Waffe war verborgen unter einem rohen Schnitzel.
Spätestens nach dem nächsten Selbstsprenger mit Bombe im Bauch werden wohl auch Körperhöhlenuntersuchungen ins Standardprogramm am Flughafen aufgenommen. Dass das alles nicht viel nützt, sieht man schon daran, wie oft trotz ständiger Aufsicht Drogen, Waffen und Mobiltelefone in Haftanstalten eingeschmuggelt werden. Auf diese Weise ist der Kampf gegen den Terror offenkundig nicht zu gewinnen.
Die Vollkaskomentalität, die allenthalben von den Politikern zeternd beklagt wird, wenn es um soziale Mindeststandards geht, scheint in puncto Sicherheit bei denselben Leuten unumstößlicher Konsens zu sein. Jedem noch so theoretischen Risiko muss wenigstens durch öffentlichkeitswirksame, wenn auch weitgehend ineffektive technische Maßnahmen begegnet werden. Doch es geht längst nicht mehr um Sicherheit und effiziente technische Maßnahmen, nur noch um gefühlte Sicherheit, angereichert mit bloßer Schikane. Statt aber Sachdiskussionen zu führen und gerade technische Maßnahmen zu hinterfragen, überschlagen sich Teile der Presse geradezu in anschlagsvorfreudiger Panikmache. Selbst der derzeitige Kommandant des ehemaligen “Sturmgeschützes der Demokratie” gefällt sich in der Rolle des ministerialen Sicherheitssekundanten und befürwortet auf der Basis von wenig mehr als Hörensagen und Geheimdienstgeraune die Einführung der vom Bundesverfassungsgericht abgelehnten Vorratsdatenspeicherung. Ob ihm klar ist, dass er damit auch das faktische Ende des Informantenschutzes fordert?
Der ideologische Unterbau der derzeitigen Terrorfurcht-Exzesse ist eine bizarre Mischung aus blinder Technikgläubigkeit und anmaßendem Einfordern von Denkabstinenz beim Bürger: Man müsse nur die richtigen Scanner kaufen, dann sei alles schön sicher. Für die amerikanischen Flughäfen sollen bis Ende nächsten Jahres zunächst eintausend der Maschinen beschafft werden. Dafür sind 2,4 Milliarden Dollar fällig. Doch wer wissen möchte, was neue Befugnisse für den Sicherheitsapparat und teure Sicherheitsspielzeuge nachweisbar bringen, und sich dem großen Panikspiel verweigert, gilt bestenfalls als naiv, schlimmstenfalls als Terrorsympathisant oder gar als “inländischer Extremist”.
Als solche diffamiert und überwacht das amerikanische Department of Homeland Security neuerdings seine Kritiker. Wer sich dem nicht aussetzen will, was einem bei der Wahrnehmung eines der grundlegenden Menschenrechte – der Reisefreiheit – zugemutet wird, der soll sich gefälligst hinterm Ofen verkriechen. Das empfiehlt ein Kommentator der “Tagesschau”: “Telefonüberwachung, Onlinedurchsuchung, Datenspeicherung und ab und zu ein Fingerabdruck, das ist kein Teufelszeug.” Offenbar haben die Terroristen in seiner Logik schon gewonnen.