Der „Sturm 18“ Gewaltäter und die Rolle des Verfassungsschutzes
Claudia Wangerin, Junge Welt, 2. Mai 2015
„Hinter Schloss und Riegel“
Der „Sturm 18“ Gewaltäter und die Rolle des Verfassungsschutzes: Hessens Linke will Klarheit
Flucht- oder Verdunkelungsgefahr hatte nach Auffassung des Kasseler Landgerichts nicht bestanden als es Ende Januar den gerade wegen gefährlicher Körperverletzung und Nötigung zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilten Neonazi Bernd Tödter auf freien Fuß setzte. Das Urteil war noch nicht rechtskräftig. Tödter, bekannt als Gründer des eingetragenen Vereins „Sturm 18“, dessen Verbot Hessens Innenministerium seit Juli 2014 „prüft“, wurde aber am Mittwoch morgen erneut festgenommen: „Nach intensiven Ermittlungen“, so die Kasseler Polizei, steht er unter Verdacht, weitere schwere Straftaten begangen zu haben. Diesmal: Freiheitsberaubung, gefährliche Körperverletzung, Diebstahl und Nötigung. Tödter soll mit bis zu vier Komplizen einen 46jährigen Mann eine Woche lang in einer Wohnung festgehalten und mishandelt haben. Außer Tödter befindet sich noch ein 27jähriger in Untersuchungshaft, die Ermittlungen sollen sich aber auch gegen drei weitere Personen richten. In den ersten Aprilhälfte sei der 46jährige in eine Wohnung in der Kasseler Nordstadt gebracht und anschließend mit wechselnder Bewachung dort festgehalten, geschlagen und getreten worden.Die Täter nahmen ihm laut Polizei Handy und Rucksack ab und schoren ihm eine Glatze. Erst nach sieben Tagen sei dem Opfer die Flucht gelungen.
Tödters jüngste Verurteilung war erfolgt, weil das Gericht als erwiesen ansah, dass er im Sommer 2014 seine damals schwangere Freundin in den Bauch getreten hatte und sie kurz darauf dennoch animieren konnte, eine 16jährige zu misshandeln, die ihm Vergewaltigung vorgeworfen hatte. Dennoch war der Haftbefehl aufgehoben worden.
Gewaltdelikte prägen seit mehr als zwei Jahrzehnten den Lebenslauf des 40jährigen „Sturm 18“ Gründers. Schon als Jugendlicher prügelte er 1993 mit einem Kameraden einen Obdachlosen tot. Die Linksfraktion im hessischen Landtag fragt nun, warum Tödterin diesem Jahr die Möglichkeit zu neuen Gewaltexzessen bekam, obwohl er insgesamt schon 23 mal verurteilt wurde. „Dies ist für uns Anlass, in der nächsten Innenausschusssitzung detaillierte Auskunft zum bisherigen Verhalten von Polizei, Justiz und dem Landesamt für Verfassungsschutz zu verlangen,“ erklärte am Donnerstag der innenpolitische Sprecher der Linken, Hermann Schaus. Der Oppositionspolitiker weiß genau, warum es explizit auch den Inlandsgeheimdienst erwähnt: Schaus sitzt für Die Linke im hessischen Untersuchungsausschuss „19/2 (NSU“, der sich mit der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ und der Rolle der Behörden befasst. Fälle, in denen der Verfassungsschutz auch verurteilte Gewalttäter und führende Köpfe der braunen Szene als V-Leute anwarb, sind aus anderen Bundesländern bekannt. In Brandenburg erhielt der wegen Mordversuchs verurteilte Carsten Szczepanski nach seiner Anwerbung in den 1990er Jahren Hafterleichterungen. Tödter wiederum ist Zeuge im Münchner NSU-Verfahren, folgte aber seiner letzten Ladung nicht. Wer sich so verhalte, wechselweise intensive NSU-Kontakte zu Protokoll gebe und dann wieder leugne, und immer wieder schwerste Straftaten begehe, gehöre endlich hinter Schloss und Riegel, empört sich Schaus. Es sei unfassbar, dass die Justiz dies seit 20 Jahren nicht hinbekomme.