Der Verfassungsschutz und seine »Vertrauensleute«
http://www.neues-deutschland.de/artikel/809514.v-wie-verbrecher.html
10.01.2013 / Inland / Seite 5
V wie Verbrecher
Der Verfassungsschutz und seine »Vertrauensleute«
Von Hans-Gerd Öfinger und Markus Drescher
Bewahrheiten sich Aussagen eines Ex-V-Mannes, hat der Thüringer Verfassungsschutz quasi einen Auftrag zu Gewalttaten gegen Linke erteilt.
Eine umfassende und lückenlose Aufklärung im Zusammenhang mit aktuellen Aussagen eines früheren NPD-Funktionärs und V-Manns des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz fordert Bodo Ramelow, Chef der Linksfraktion im Erfurter Landtag. Wie Ramelow am Mittwoch auf nd-Anfrage bestätigte, verlangt er in einem Schreiben an Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht und Innenminister Jörg Geibert (beide CDU) eine Antwort auf die Frage, ob Angehörige des Verfassungsschutzes einen bezahlten Spitzel zu Gewalt gegen linke Aktivisten aufgefordert hätten.
Der frühere Erfurter NPD-Kreisvorsitzende und V-Mann des Verfassungsschutzes Kai-Uwe Trinkaus hatte vor kurzem im Internet behauptet, dass er 2007 von einem Vertreter des Inlands-Geheimdienstes »ungefragt« eine Liste mit Namen von vermeintlichen »Linksextremen« zum »vertrauensvollen Umgang« erhalten habe. Die Liste sei ihm mit den Worten »Ein paar hinter die Ohren hat noch keinem geschadet« und mit dem Hinweis ausgehändigt worden, diese vertrauliche Weitergabe der Namen sei »von ganz oben« genehmigt worden.
Falls sich diese Aussage bewahrheite und der Verfassungsschutz tatsächlich Namen unbescholtener Bürger aus einem Ermittlungsverfahren an einen V-Mann der Neonazi-Szene mit der Aufforderung zur Anwendung von Gewalt übergeben habe, so handle es sich hier um Geheimnisverrat und einen »ungeheuren Skandal«, der Konsequenzen haben müsse.
Seien die Behauptungen unwahr, dann müsse die Landesregierung gegen den Ex-V-Mann presserechtlich eine Unterlassungserklärung erwirken.
Ramelow drängt auf eine rasche Antwort noch vor der für Ende Januar erwarteten Konstituierung eines Landtagsuntersuchungsausschusses zum Fall Trinkaus. Für die Bildung des Ausschusses hatten sich Ende 2012 im Landtag LINKE, SPD und Grüne ausgesprochen. Die FDP votierte dagegen, die CDU enthielt sich. Der Ausschuss soll klären, ob die von Trinkaus ausgehenden Fälle von Bespitzelung, Herabwürdigung und Infiltration von Parteien, Fraktionen und Vereinen mit Wissen oder Billigung bzw. im Auftrag des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz (TLfV) und der Thüringer Landesregierung erfolgt sind. Ebenso will die Linksfraktion klären, ob die Landesregierung aus Informationen über Straftaten der extremen Rechten Konsequenzen gezogen habe.
Trinkaus, Ex-NPD-Kreischef in Erfurt, hatte sich im Dezember im Mitteldeutschen Rundfunk als ehemaliger Verfassungsschutz-Spitzel geoutet. Neben der Koordination von Neonazi-Aktivitäten und Störmanövern hatte er mit Wissen der Behörde auch einen jungen Neonazi als Praktikanten in die Linksfraktion eingeschleust und gezielt Falschmeldungen etwa über eine »braun-rote Kungelei« zwischen NPD und Linkspartei oder eine angebliche sexuellen Nötigung und Beleidigung durch einen Landtagsabgeordneten verbreitet.
Wieder V-Leute bei NPD-Verbotsfahren?
V-Leute sorgen auch beim angestrebten zweiten NPD-Verbotsverfahren für Ärger. Petra Pau, Mitglied im NSU-Bundestagsuntersuchungsausschuss, bekräftigte am Mittwoch gegenüber »nd« ihre Auffassung, dass aus der vorliegenden Materialsammlung nicht hervorgehe, dass darin keine Aussagen von V-Leuten enthalten sind. Ein Indiz dafür sei auch, dass bisher gut zwei Drittel der Länderinnenminister nicht bereit seien der Sammlung zu testieren, dass sie V-Leute-frei ist. Daher könne sie ihrer ihrer Fraktion, in deren Auftrag sie die gut 1500 Seiten gesichtet hatte, nicht empfehlen, für ein Verbotsverfahren zu stimmen.
Der Bundesgeschäftsführer der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten, Thomas Willms, erklärte gegenüber »nd«: »Aufgabe der zukünftigen Prozessbevollmächtigten des Bundesrates wird es sein, aus den bislang gesammelten Materialien Schriftsätze zu entwickeln, die jeder Prüfung standhalten. Dann steht einem NPD-Verbot nichts mehr im Wege.«
2)
http://www.neues-deutschland.de/artikel/809519.verbrechensanstifter.html
10.01.2013 / Meinung/Kolumne / Seite 4
Verbrechensanstifter
Markus Drescher über »Arbeits«-Methoden des Verfassungsschutzes
Verfassungsschutz (VS): Diese Institution soll ihrem Namen nach die Bundesrepublik vor Verfassungsfeinden schützen. Ihrem tatsächlichen Handeln nach, das nach dem Auffliegen der rechtsterroristischen Gruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« ans Licht kam und kommt, könnten die 16 Landesämter und das Bundesamt genauso gut auch Verbrecherschutz, Vernichtungsschaltzentrale oder Vertuschen und Säubern heißen. Konsequenzen aus dem Versagen, das an Mittäterschaft grenzt – wenn man nicht gleich von Absicht ausgehen möchte -, wurden nicht gezogen. Zumindest keine, die grundlegend etwas an dem undurchschaubaren und undemokratischem System VS geändert hätten.
Sollten sich die Aussagen des ehemaligen NPD- und V-Mannes Kai Uwe Trinkaus, die zugegebenermaßen mit sehr großer Vorsicht zu genießen sind, bestätigen, dass der VS ihm eine Liste mit Linken und dem unmissverständlichen Aufruf zur Gewalt gegen diese übergeben hat, wäre das keine Überraschung.
Überraschend leider wäre es, wenn danach etwas Anderes passieren würde als das nun schon zu Genüge gehörte Geplapper von »Pannen« oder »Einzelfällen«. Auch ob es jemals eine Aufklärung geben wird, scheint fraglich. Vermutlich sind die betreffenden Akten längst in einem Schredder verschwunden. Aus Versehen natürlich. Sollte der Fall wider Erwarten doch aufgeklärt werden, kommt ein neuer Name für den VS hinzu: Verbrechensanstifter.