Die Ära Begin oder Das zweite Gesicht der Zionismus
Übersetzung aus HAOLAM HAZEH (Tel Aviv), 31. Mai 1978
VOM BETRÜGERISCHEN ZUM GRAUSAMEN ZIONISMUS
ODER WIE DIE SABRES SAGEN:
VOM HALBHERZIGEN ZUM TOTALEN ZIONISMUS
von Kubby Niv
Wenn man sich klarmachen will, was sich in Israel gegenüber vor einem Jahr verändert hat, fällt einem zunächst nicht viel ein. Man kann sagen, daß die politische Revolution vom vergangenen Jahr (18) keinen wirklichen Wandel gebracht hat. Die Gehälter sind immer noch niedrig, die Inflation steigt weiter, und alle leben nach wie vor gut. Die Omnibusse fahren die gleichen Routen ab, halten wie früher, und sind wie immer überfüllt. Wir haben die Zeitungen, wir haben den Rundfunk, und im Fernsehen gibt es das übliche amerikanische Programm. Alles sieht danach aus, als habe sich gar nichts geändert.
Aber wenn man hartnäckig ist, kann man doch Unterschiede zwischen den 29 Jahren der Herrschaft den Arbeiterpartei und dem einen Jahr der Herrschaft der neuen Revisionistischen Bewegung herausfinden. Mit einiger Mühe findet man vielleicht zwei Unterschiede: Man kann, Gott sei Dank, endlich Dollars frei kaufen, und das israelische Team hat mit seinen Songs den Eurovisions-Preis gewonnen. Aber man wird zugeben, daß auch das nicht der Rede wert ist.
Und trotzdem ändert sich etwas. Etwas Tiefgreifendes, etwas in jeder Hinsicht Tiefgreifendes – von tiefer Wandlungskraft, tief in den Herzen. Die Ideologie, die den Staat Israel schon immer geleitet hat, der Zionismus also, wandelt sich langsam aber unaufhaltsam von einem betrügerischen Zionismus zu einem grausamen Zionismus – oder wie es diejenigen nennen, die diesen Wandel begrüßen: von einem halbherzigen, feigen und verlogenen Zionismus schreiten wir voran zu einem totalen, stolzen und wahrhaften Zionismus.
Ein erstes Symptom dieser tiefgreifenden Umwälzung, die über uns kommt, zeigte sich in der akademischen Fernsehdebatte über den Film “Hirbet Hiza’a” (19). Die intellektuellen Diskussionsteilnehmer, die das frühere Regime repräsentierten, versuchten, wie das so ihre Art ist, die betrügerische Tour: Für sie war “Hirbet Hiza’a” eine Ausnahme (und deshalb waren sie dafür, den Film öffentlich zu zeigen – als winziges Partikel der Wahrheit). Aber die Intellektuellen des neuen Regimes setzten dem die Wahrheit entgegen: “Hirbet Hiza’a” ist kein isoliertes Ereignis gewesen, sondern die wirkliche, die historische Wahrheit (und weil der Film demnach die Wahrheit repräsentiert, sollte man ihn n i c h t zeigen: denn er dient dem Feind). Bis zu diesem Punkt verlief in der Debatte alles wie gewohnt. Aber dann fügten die Repräsentanten des neuen Regimes ein neues Argument hinzu, neu jedenfalls als Erklärung in solcher Öffentlichkeit. Daß nämlich all dies nicht nur die Wahrheit ist, sondern daß es gut war, wie es war; und daß es nicht nur gut war, wie es war, sondern daß so weitergemacht werden muß (20). Und damit war die ideologische Fernsehdebatte beendet.
Schon nach kurzer Zeit begann die neue Ideologie Früchte zu tragen. Israel überfiel Libanon, und die israelische Armee hat dort so einige Sachen gemacht, im Vergleich zu denen sich t1Hirbet Hiza’a1′ wie eine unschuldige Geschichte für kleine Kinder ausnimmt.
Dann tauchten Geschichten aus den Gebieten auf, die für eine zukünftige ‘Autonomie’ ausersehen sind. Man hörte von israelischen Soldaten, die auf ihre Brutalität recht stolz sind. Es gab Geschichten über demütigendes Haarescheren in dem Stil, den wir aus den Filmen kennen, die beim jährlichen Holocaust-Tag vorgeführt werden (21). Die neuen Machthaber reagierten schnell und hart. Ein General wurde gefeuert, weil er gelogen hatte (22), aber die brutalen Soldaten machen mit ihren Jobs weiter.
Und jetzt kommt der Mann, der bis vor kurzem der Oberste Befehlshaber der israelischen Armee war. Die Geschichte aus der Debatte um “Hirbet Hiza’a” wiederholt sich haargenau. Bisher hat man uns üblicherweise erzählt, daß das Bombardieren von Zivilisten, oder die Plünderungen, oder gewisse Unstimmigkeiten in den offiziellen Verlautbarungen der Militärsprecher, isolierte Akte waren. Aber Motta Gur kommt daher und erklärt ohne Umschweife, daß das keine Ausnahmen waren, sondern ein System: Zivilisten zu bombardieren, zu plündern und zu lügen gehört zu den Aktivitäten der israelischen Armee, zumindest seit 1967. Das sind keine isolierten Akte, das ist die historische Wahrheit, sagt der ehemalige Generalstabschef. Und der General, jetzt als Reservist, bringt ebenfalls das neue Argument: das war nicht nur wohl getan, sondern so müssen wir weitermachen. Natürlich blieben diese Erklärungen des ehemaligen Generalstabschefs nicht ohne Reaktion. Der Bund marokkanischer Juden zeigte sich sehr verärgert, weil orientalische Juden mit Arabern verglichen worden waren. Und Herr Gur entschuldigte sich selbstverständlich sofort dafür (23).
Wir sehen also, daß es offenbar keinen Unterschied zwischen dem Regime der Arbeiterpartei und dem Regime von LIKUD gibt, denn all das wurde, wie Gur sagt, unter dem Regime der Arbeiterpartei genauso gemacht. Wo also ist der Unterschied?
Ohne Zweifel, beide Regierungen machen genau die gleichen Sachen. Aber da ist dennoch ein kleiner Unterschied: Der Arbeiterpartei war nicht ganz geheuer, was sie da trieb; sie suchte es zu verheimlichen, sie hat die Sachen ‘Ausnahmen’ genannt, sie hat gelogen und betrogen, damit die Leute nicht merkten, was sie trieb. Aber LIKUD ist auf diese Sachen stolz. Inzwischen versucht man auch bei LIKUD, ein wenig zu lügen und zu betrügen; aber das sind nur kleine Überbleibsel der Gewohnheiten der früheren Regierung. Man darf annehmen, daß LIKUD nach und nach das Lügen und Betrügen aufgeben und ganz offen auf die Brutalitäten stolz sein wird.
Beide Parteien sind in Wahrheit zionistische Parteien, und es ist eine Tatsache, daß sie sich genau gleich verhalten. Aber die Arbeiterbewegung hatte irgendwann in ihrer Geschichte gewisse Vorstellungen von allgemeiner menschlicher Moral, und deshalb hat sie eine Politik des betrügerischen Zionismus betrieben – tatsächliche Grausamkeit in Begleitung von feigem Betrug in den lnformationsmedien. Die Revisionistische Bewegung hat ihre eigene jüdische Privatmoral; geschichtlich bedingte Probleme mit der allgemeinen menschlichen Moral hat sie nicht. Und deshalb wird sie eine Politik des grausamen Zionismus betreiben – tatsächliche Grausamkeit in Begleitung von stolzer Ehrlichkeit in den Informationsmedien.
Was die tatsächliche Grausamkeit betrifft, so gibt es bis jetzt keinen merklichen Unterschied zwischen der Arbeiterbewegung und der Revisionistischen Bewegung. Der Unterschied besteht lediglich darin, wie die Aktivitäten serviert werden. Man könnte sagen, dies sei ein winziger Unterschied, eine Nuance, nicht der Rede wert. Aber das stimmt nicht. Der Unterschied st groß, tiefgreifend und bedeutungsvoll.
Wenn einer sich dessen schämt, was er tut, wenn er seine Taten zu verbergen sucht – er wird sich vornehmen, weniger und weniger solche Taten zu begehen, damit man ihn nicht erwischt. Wenn aber einer auf seine Taten stolz ist, wenn er sich seiner Taten sogar rühmt – er wird sie vermehren und vermehren, um Aufmerksamkeit und Lob zu ernten. Dieser winzige Unterschied ist so abgrundtief wie die Hölle.
Wir stehen erst am Anfang des neuen Weges. Aber dieser neue Weg ist ein sehr alter Weg. Und so, wie die Omnibusse weiterhin zu den gleichen Haltestellen fahren, wird uns der neue, sehr alte Weg zur gleichen Endstation bringen.