Die deutsche Doppelstrategie (in Ägypten)
Die deutsche Doppelstrategie
04.02.2011
Noch nicht entschieden
Wie der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, erklärt, wird die Lage in den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens an diesem Wochenende in München von Außen- und Militärpolitikern aus aller Welt besprochen werden. Die Konferenz beginnt an diesem Freitag und dauert bis zum Sonntag an; teilnehmen werden unter anderem die Bundeskanzlerin, die deutschen Minister für Äußeres, Verteidigung, Entwicklung und Finanzen, die Außenministerin der USA, der britische Premierminister, der russische Vizepremierminister und die Generalsekretäre von NATO und UNO. Nach wie vor ist es nicht abzusehen, wie die Gewalteskalationen in Ägypten sowie anderen Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens enden werden. Im Hinblick darauf erklärt Ischinger, es gebe “keine Patentlösung für das Dilemma, in das die Außenpolitik immer dann gerät”, wenn sie sich “zwischen dem Interesse an Stabilität und dem Interesse an Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten entscheiden soll”. Unabhängig vom Ausgang täten die Europäer allerdings “gut daran, die Entwicklung im Nahen Osten nicht anderen zu überlassen”. Es stehe dort eine “zutiefst europäische Gestaltungsaufgabe” bevor.[1]
Auf beiden Seiten
Angesichts der unklaren Lage schlägt Ischinger – einst ein hochrangiger Diplomat mit Posten in Washington und Paris, zeitweise Politischer Direktor und Staatssekretär im Auswärtigen Amt – eine “Doppelstrategie” vor. Als Beispiel nennt er den Umgang mit den Militärdiktaturen in Portugal und Spanien. Die Bundesregierung habe damals – etwa im Rahmen der NATO – mit den Diktatoren aus Madrid und Lissabon paktiert. Gleichzeitig habe Bonn “über unsere politischen Stiftungen” der spanischen sowie der portugiesischen Opposition “das Gefühl gegeben, dass sie von uns gehört werden, dass wir auf sie aufpassen, dass wir ihnen Kurse anbieten, dass wir ihnen beistehen”. Ganz wie damals auf der iberischen Halbinsel dürfe es auch in diesen Tagen keinesfalls geschehen, “dass Ägypter uns vorwerfen, wir hätten zu sehr im Bett mit der korrupten Führung gelegen”. Man müsse also “das realpolitisch Notwendige” tun, zugleich jedoch die Kontakte zu der Demokratiebewegung intensivieren – für den Fall, dass sie sich wie in Spanien und Portugal durchsetzen kann.[2]
Nie vergessen
Tatsächlich bildet das Vorgehen der damals noch recht jungen parteinahen Stiftungen in den 1970er Jahren in Spanien und Portugal das Modell, nach dem die deutsche Außenpolitik bis heute in einer Vielzahl von Ländern operiert. Während die sozialliberale Regierung in Bonn mit den Diktatoren in Madrid und in Lissabon kooperierte, unterstützte die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung jeweils die sozialistische Opposition. Als in Spanien nach dem Sturz des Regimes der Partido Socialista Obrero Español (PSOE) unter der Führung von Felipe González an die Regierung kam, verfügte Bonn über beste Kontakte in die neuen Machtzentralen. Ähnlich verlief die Entwicklung in Portugal, wo Mario Soares mit dem Partido Socialista (PS) 1975 die Wahlen gewann. Seine Partei war 1973 in einer Bildungseinrichtung der Friedrich-Ebert-Stiftung im westdeutschen Bad Münstereifel gegründet worden.[3] “Die Beziehungen zwischen Portugal und der Bundesrepublik sind exzellent”, erklärte Soares noch 15 Jahre später: “Das deutsche Volk hat viel zur Stärkung der Demokratie in meinem Lande beigetragen. Das werden wir nie vergessen.”[4] In Vergessenheit geraten ist hingegen die vormalige enge Kooperation der Bundesrepublik mit der portugiesischen Salazar-Diktatur.
Netzwerke
Die parteinahen Stiftungen sind heute auch in vielen Ländern Nordafrikas sowie des Nahen und Mittleren Ostens aktiv. Ob die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung derzeit gute Aussichten hat, die Proteste glaubwürdig zu begleiten, kann bezweifelt werden – die Sozialistische Internationale (SI), in der die deutsche SPD eine starke Stellung innehat, arbeitete noch bis zum Sturz des tunesischen Staatspräsidenten Zine el-Abidine Ben Ali mit dessen Partei zusammen.[5] Vor allem die Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU) und die Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP) sind in Nordafrika und dem Nahen Osten präsent. Die Naumann-Stiftung unterhält gute Kontakte zu einem der prominentesten ägyptischen Oppositionellen (german-foreign-policy.comberichtete [6]) und hat über das Network of Arab Liberals (NAL) enge Beziehungen zu Oppositionskreisen in Marokko, in Tunesien und in Jordanien aufgebaut. Als wie nützlich sich diese künftig erweisen werden, hängt vom Ausgang der nordafrikanischen und nahöstlichen Machtkämpfe ab.
Diktatorenhilfe
Die Aktivitäten der Friedrich-Naumann-Stiftung in den letzten Jahren lassen dabei recht deutlich erkennen, dass es bei der von Wolfgang Ischinger angepriesenen “Doppelstrategie” keineswegs um Demokratieförderung, sondern schlicht um Einfluss auf die Machtzentralen geht. So unterstützt die Naumann-Stiftung in Thailand bis heute die Partei des Ministerpräsidenten, die im vergangenen Jahr Massenproteste blutig niederschießen ließ.[7] In Honduras stellte sie sich bereits im Jahr 2009 auf die Seite von Putschisten, in deren Auftrag ebenfalls Demonstranten niedergeknüppelt wurden, und konnte zu ihnen dementsprechend relativ tragfähige Beziehungen aufbauen.[8] Während sich die Einflusspolitik der FDP-nahen Organisation in diesen beiden Ländern nicht wirklich als Beitrag zur Demokratisierung anpreisen lässt, kann die deutsche Politik in Nordafrika und im Nahen Osten, sofern sie dort über die Stiftungen die Opposition fördert, durchaus unter dem Banner von “Freiheit und Demokratie” operieren – und damit zugleich ihre jahrzehntelange Unterstützung für die dortigen Diktaturen vergessen machen.