Die Fortzeugung des Behemoth
Helmut Spehl
DIE FORTZEUGUNG
DES BEHEMOTH
Erwägungen
zu einer integralen
Wiedergutmachung
Freiburg 1978
Ich habe viele beobachtet, die durch ihre Kenntnis der schlimmen Ursachen geradezu verhindert wurden, die schlimmen Folgen zu bekämpfen.
BERTOLT BRECHT
Eines jener Unternehmen aus der Branche der Geschäftsgeisteswissenschaften, die sich durch das besondere Raffinement auszeichnen, das Innenleben der eigenen Clientel zu vermarkten, hat für 1977 einen schönen Erfolg der bundesdeutschen Bildungspolitik aufgespürt. Frau Doktor Elisabeth Noelle-Neumann, die von Allensbach aus regelmäßig die Bundesbürger observieren läßt, hat “einen Trend festgestellt, daß heute mehr Leute als früher ein einfaches Rechenexempel lösen, einen orthographischen Test bestehen und die historische Frage beantworten können, ob Luther vor oder nach dem Dreißigjährigen Krieg gelebt hat”. Es muß das Geheimnis von Frau Noelle-Neumann bleiben, wie sie just zu ihrem dreißigjährigen Geschäftsjubiläum auf den Dreißigjährigen Krieg kam. Aber bei dieser Wahl ist ihr entgangen, daß zumindest auf dem Sektor der Zeitgeschichte der Aufwärtstrend noch erheblich frappanter ist. Seit unsere Illustrierten zu Geschäftspartnern der zeitgeschichtlichen Forschung wurden, kann sogar von einer Renaissance des Geschichtsinteresses gesprochen werden. Auch ohne sich listigen Zugang zu bundesdeutschen Wohnzimmern zu verschaffen, wie es die Regeln der Demoskopierkunst fordern, kann konstatiert werden, daß die Bundesbürger über weit detailliertere Geschichtskenntnisse verfügen, als man in Allensbach zu vermuten scheint. Dokumentationsreihen der Art: “Hitlers Krankheit”, “Hitler der Feldherr”, “Hitler und die Frauen” oder “Hitler, ein großer Deutscher?” können und sollen schließlich nicht ohne Folgen bleiben. Es ist vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis durch bloßes Aussparen des Fragezeichens die Nachfrage nach solchem Kioskbildungsgut noch gesteigert wird. Es kann doch gar keinen Zweifel mehr geben, daß heute mehr Leute als früher die historische Frage, ob Hitlers Rüstungsminister Albert Speer ein verführter Gentleman oder ein Gentleman-Verführer war, richtig beantworten können. Frau Noelle-Neumann muß sich da schon den Vorwurf gefallen lassen, daß ihre kreuzlahmen Erkenntnisse hinter denen der hakenkreuzfidelen Massenpresse weit zurückbleiben. Wenn’s um die nähere Vergangenheit geht, schreckt man vor keinen Roß- und Ausschwitzkuren mehr zurück, und weder Geld noch Ruf darf eine Rolle spielen. Aus Offenburg meldet dpa, die BUNTE ILLUSTRIERTE habe 200 000 deutsche Mark ausgeschrieben für die marktgerechte Fluchtgeschichte des zu lebenslanger Haft verurteilten SS-Obersturmbannführers Kappler aus einem römischen Gefängnishospital. Und Verlagsleiter Burda berichtet, es habe um die Rechte an diesem Werk das größte Rennen des Jahres gegeben.
Ein Vergleich mit den Zuständen in den befreundeten Nachbarländern läßt das bundesrepublikanische Niveau noch deutlicher hervortreten. Frankreichs Staatspräsident Giscard d’Estaing mag Bundeskanzler Schmidt noch so freundliche Briefe schreiben, die beiden mögen noch so regelmäßig in Paris, Straßburg oder Bonn miteinander dinieren, es mußte einmal gesagt werden – und DIE WELT hat es am 13. September 1977 endlich gesagt:
Es hat in Frankreich eine Vichy-Regierung gegeben und eine Kollaboration mit den deutschen Besatzern. Das Wüten gegen die Bundesrepublik liegt auf derselben Ebene wie die Exzesse derer, die 1945 auf einmal Mitglieder der Resistance waren (oder gewesen sein wollten), gegen ihre französischen Mitbürger… Die Schreiber, die heute mit dem Federkiel gegen Deutschland in den Kampf ziehen, sind sicherlich nicht dieselben, die in der Resistance für ein freies Frankreich ihr Leben wagten. Sie verdeutlichen vielmehr, daß man sich dreißig Jahre lang selbst belogen hat, geglaubt hat, mit Kahlscherungen und Massenhinrichtungen das Problem erledigt zu haben. Stets hat man sich in Frankreich und Italien vor der geistigen Auseinandersetzung mit der Zeit gedrückt.
Heute wird sie verlangt. Man kann nicht länger die Bewältigung der eigenen Vergangenheit auf Kosten des Nachbarn betreiben.
Da ich zur Zeit der Erbversöhnung aufgewachsen bin, und solcher Pressekost schon lang entwöhnt, kann ich der Selbstenthüllung nur entnehmen, daß die Franzosen wirklich unbelehrbar sind. Ich weiß nicht wie sie die Vergangenheit bewältigen, sehe aber, daß sie ein neues Mal mit ausgedientem Kriegsgerät gegen Deutschland in den Kampf marschieren: Federkiele gegen Schreibroboter. Der Ausgang des deutsch-französischen Pressekrieges ist demnach nicht mehr fraglich. Ich wünschte allerdings, es würden immer nur verkehrte Fliegenköpfe rollen, Durchschüsse angeordnet, Blockaden aufgelöst und Leichen angekreuzt, wenn das Druckgewerbe Kriegsspiele intendiert.
So weit, so schlimm. Doch geht es mir um Schlimmeres. Ich ringe bloß nach Worten, wenn ich beschreiben soll, wie sie sich der Vergangenheit bemächtigen, die Biedermänner, die noch jedes fällige Reinemachen mit Schwung und “Schwamm drüber!” in Angriff nahmen. Man hat ja wenigstens gesehen, und auch schon mal gesagt, wes Geistes Kind sie sind. Aber es raubt mir den Atem, wenn ich die Leichtigkeit bedenke, mit der die Kinder eines eingespielten Geistes in Ein- und Übermut sich an der Gegenwart vergreifen und Schindluder treiben mit der Zukunft – und darin eine Tugend sehen. Es muß einmal gesagt werden, und wenn ich mir die Sprache leihen muß, die nicht bei mir, doch offenbar wie sonst erklärte sich die Wirksamkeit von Springers Sprach-Gewalt – bei vielen zündet:
Es hat in Deutschland eine Nazi-Regierung gegeben und mehr als Kollaboration mit den deutschen Judenmördern. Das Wüten gegen die PLO liegt auf derselben Ebene wie die Exzesse derer, die 1945 auf einmal Judenfreunde waren (oder gewesen sein wollten). Die Schreiber, die heute mit dem Federkiel für Israel in den Kampf ziehen, sind sicherlich nicht dieselben, die in der Nazizeit ihr Leben für die Juden wagten. Sie verdeutlichen vielmehr, daß man sich zwölf Jahre lang selbst belogen hat, geglaubt hat, mit Kahlscherungen und Massenhinrichtungen das Judenproblem erledigt zu haben. Man hat sich dreißig Jahre lang vor der geistigen Auseinandersetzung mit den Folgen gedrückt.
Heute wird sie verlangt. Man kann nicht länger die Bewältigung der eigenen Vergangenheit auf Kosten des palästinensischen Volkes betreiben.
Sollte man meinen. Aber man kann … und will es weiter treiben. Man verleiht Bundesverdienstkreuze für überwältigende Treue zu Israel und die Überwältigung von Palästinensern. Der Schlaf der Selbstgerechten ist demnach auch durch alptraumhafte Zwischenfälle nicht zu stören. Es wird auch den Dazugeborenen, die wohl der Zornes-, aber kaum der Schamröte fähig sind, nicht einfallen, die Aufteilung der Gewissensschuld zu überdenken. Man kann mir nicht so leicht den Glauben nehmen, daß Worte nichts vermögen, wenn nicht am eigenen Leib zu spüren ist, was angerichtet wurde. Solange also nicht die angehäuften Folgen über uns hereinbrechen. Und wäre es soweit, man würde mühelos den Schuldigen finden, der es am allerwenigsten ist. Doch habe ich auch, bei aller Hoffnungsschwäche, noch soviel Kinderglauben, daß ich mit leiser Einsicht rechne, weil ich die Gewohnheit des Nichtnachdenkens auf die des Nichtwissenwollens zurückführe, und diese auf das Einheitsangebot von fertigen Ansichten.
Verglichen mit dem öden Nuancenreichtum der eingespielten Meinung ist meine von komplexer Einseitigkeit. Ich sehe keinen Grund, das nicht vorauszuschicken. Ich habe nicht die Wahrheit, ich habe Wahrheiten zu sagen. Man wird mir gute Dienste leisten, wenn Tausende von farbigen Details, die ich nur scheinbar unterschlage, mit einbezogen werden. Man wird schon sehen, wie unansehnlich viele werden, wenn ich das Zwielicht schöner Halbwahrheiten mit Finsterem aus der anderen Wahrheitshälfte dämpfe. Ich will nicht bis zum Überdruß repetieren, was man als Biedermann von Welt seit dreißig Jahren für wiedergutgemachte Einsicht hält, doch rechne ich damit, daß alles im Gedächtnis haftet. Ich muß darauf bestehen, daß mir die vielen Nichtigkeiten, die ein so tugendhaftes Bild ergeben, nicht plötzlich unterschlagen werden.
Kaum greife ich nach dem Stein des Anstoßes und will die Sisyphusarbeit beginnen, kann ich an ihren Hohngesichtern sehen, daß sie zur Rohheit auch den Spott noch üben wollen. Man will mir raten, die Hypochondrie mit Weltschmerztabletten zu kurieren. Ich muß daher in aller Form erklären, daß ich von jenem Trübsinn, der Solidarität übt mit den Tieren und Futter ausstreut für die Dritte Welt, noch nie befallen war. Was sind mir denn von Menschenhand bewirkte Leiden, was war mir Vietnam, ist mir Chile, soll mir Angola sein? Was ist mir das Unrecht an dem Roten und dem Schwarzen Mann? Und wie ertrage ich die Erdbeben in der Türkei und die Sturmfluten Indiens? Was bin ich für ein Unmensch, dem der vielfältige Tod nicht erträglich zwar, doch erträglicher erscheint als die Verbannung eines einzigen Volkes aus der angestammten Heimat! Muß ich mich rechtfertigen, daß ich jenen mit dem erbärmlichen Griff nach dem Scheckbuch, diesen aber mit dem hoffnungsloseren nach der Feder beispringe? Und wenn ich, dem festgefahrenen Selbstverständnis nach, das Jüdische Volk mittreffe, das doch unermeßlich mehr gelitten hat, wie soll mir das verstanden werden?
Ich bin der Unmensch, den es keinen Schlaf kostet, wenn mir die Leiden fremder Völker zugetragen werden. Doch jede Zeile, die mir vorenthalten wurde seit ich der palästinensischen Kehrseite der schillernden Zionsbegeisterung begegnete, hat mich gelehrt: da büßt ein Volk für Deutschlands Sünden. Und je beflissener man dessen Elendsdasein dem Vergessen auslieferte, je mehr man sie Verbrecher hieß, als die Unbeugsamsten gewaltsam von sich reden machten, je mehr man sie mit Druckerschwärze teerte und mit Federkielen federte, umso tiefer habe ich gewußt: dieses Volk leidet für Deutschland. Es sind die Selektionen auf der Rampe von Auschwitz, die mich zum selektiv Betroffenen machten. Was ist mir Hekuba – seit es Yad Vashem gibt! Und seit zum Yad Vashem der Toten noch eines für die halbwegs Lebenden sich fügte – die Flüchtlingslager der Palästinenser. Nicht irgendeine Laune der Geschichte hat sie gezeugt. Sie sind die Fortzeugung des Behemoth. Es war entlang der Fährte vom Unstaat in Europa zur Staatenlosigkeit der Palästinenser, da ich in Atemnot geriet. Im Anfang war das Chaosungeheuer, das mordend durch Europa zog, den Kontinent im Koma hinterließ und fühllos machte für die Wehen, die einen Leviathan brachten, und dieser wieder jene über einen anderen Kontinent. Im Anfang war der Behemoth, der schlimme Herzensroheit institutionalisierte, der Totenlisten hinterließ und sklerotische Herzen bei den Überlebenden. Es ist der Behemoth, der seine Zeugungskraft bewahrt und manches Herz in Stein verwandelt und nach Dekaden nichts mehr fühlen läßt als Haß. Es ist die Geißel dieses Hasses, die Geiseln nimmt, um Herzen zu erweichen.
Ich bin nicht des geteilten Gewissens fähig, das leidgeprüften Israelis alles und aufgeopferten Palästinensern nichts zu schulden glaubt. Was war’s denn anderes als der Geist des Unstaates, der Europa unterwerfen wollte und sich im jähen Sturz zum Geist der Unterwürfigkeit verkehrte, aus dem die hintersinnige Judenfreundlichkeit entstammt. Die unzuverlässigste aller Schwächen, sich dem Starkgewordenen anzubiedern, schießt nun als Israelbegeisterung ins Kraut. Es ist zu befürchten, daß Israel nur die zu Freunden hat, die es im Augenblick erneuter Schwachheit mit Sicherheit verraten werden. Denn wäre tiefempfundene Einsicht in ein ungeheures Unrecht die wahre Triebfeder dieser Zionsfreunde, das Palästinenserdrama, das fortgezeugte Unrecht, hätte nicht verschwiegen werden können. Ein christlicher Gemeinsinn, der diesen Zionsstaat begründen, nein, erzwingen half, ihn über alle Maßen mit Worten, Waffen, Winkelzügen unterstüzte, und nicht den kleinen Finger rührte zur Ausmerzung der volksvernichtenden Untat an den Palästinensern, erscheint mir wie gemeiner Sinn. Und die Gemeinheit wäre unvollständig, wäre sie nicht in aller Feigheit begangen worden. Dem schwächsten aller Glieder, dem unbeteiligtsten dazu, hat man das Opfer zugemutet. An Rechtfertigungsversuchen hat es zwar nie gefehlt, doch kommt es schließlich darauf an, ob die Betroffenen sie akzeptieren. Und das sind nicht die Israelis und schon gar nicht wir. Die Schmach steht zur Betrachtung offen, und jedes Blendwerk, das sie verhüllen soll und doch nicht kann, häuft neue zu der alten Schmach. Das schleicht auf Tausenden von Wegen, hält sich für ungeheuer klug und gilt wohl auch als opportun – und ist doch nur die Fortzeugung des Ungeistes mit dem einen Namen: Hitler.
Die Worte müssen schmerzhaft sein, wo jedermann sich eingerichtet hat im mächtigsten Tabu der Nachkriegszeit. Wo jedermann zu wissen glaubt, was er zu glauben hat. Und einer babylonischen Begriffsverwirrung unterliegt. Denn nichts hat eine unermüdliche Schar von Zionisten, in kluger Übersicht der Lage, mit noch mehr Propagandalist betrieben, als die Verbreitung der Doktrin, daß sie das Jüdische Volk repräsentiert. Die Wirksamkeit der heißgeschmiedeten Waffe hat sich an jedem schon erwiesen, der sich erdreistet hat, ob Jude oder Goi, den Zionismus anzuprangern. Es zeigt sich an den Palästinensern, welch ungemein perfekte Falle da gelang. Wenn sie auszubrechen wagen aus dem Schweigen, erheben sie sich gegen das Jüdische Volk. Und jedes Wort, das eine frevelhafte Tat beim Namen nennt, muß dann zur antisemitischen Hetze werden. Wenn sie die Waffen heben gegen Usurpatoren, sind sie die Vollender des europäischen Genocid. Und jede Sympathie, die sie erwecken könnten, ist leicht im Keim, als der er auszugeben ist, erstickt. Sie vegetieren in den Lagern als die perfekten Gefangenen der Lage, und die Befangenen der Welt fungieren als die zuverlässigsten Beschließer. Bleibt nur zu fragen, was der ganze Aufwand taugte, ruhte er nicht auf dem einzig unabdingbaren Fundament des Zionismus: Hitler.
Was immer als nachhaltiger Erfolg im Sinn der zionistischien Idee gelten kann, er gedieh, durch hemmungslose Ausbeutung der freigelegten Energien, auf diesem unheilvollen Fundament. John und David Kimche, beide Zionisten alter Schule, haben den unermeßlichen Spielvorrat an Trümpfen ganz beiläufig so umschrieben:
Der Zionismus machte zwischen 1939 und 1945 eine katalytische Wandlung durch. Der Zionist der Jahre nach 1945 hatte so gut wie nichts mehr gemein mit einem Zionisten der Jahre vor 1939 … Es war die Katastrophe in Europa, die diese passive, abstrakte, religiös gefärbte, emotionale, aber p o 1 i t i s c h nahezu belanglose Sehnsucht in ein unaufhaltsames politisches Feuer verwandelte. Und sie lieferte dem Feuer das moralische Argument, auf das die nicht-jüdische Welt keine Antwort hatte und keine Antwort haben konnte[1].
Die zionistische Offenherzigkeit hat gar nicht selten diese Art, die zum schlimmsten Instrument der Irreführung wurde. Hat man bemerkt, wie die mit Leichtigkeit gelungene Aussparung (um nicht zu sagen der semantische Genocid) der arabischen Welt die europäischen Völker viel weniger zu Entwaffneten als zu Komplizen macht? Denn die Palästinenser immerhin hatten eine Frage: Wieso uns das Feuer, das jene in Europa schürten? Und erst die Unerhörtheit dieser Frage hat dem betretenen Gewährenlassen der ‘nicht-jüdischen’ Welt und dem moralischen Argument der zionistischen den Anruch der Perfidie verschafft.
Und schlimmer noch: die säkularen Folgekräfte des Hitler-Staates bereiteten auch der jüdischen Welt das zionistische Prokrustesbett. Vielleicht kann ich das billige Verstummen der ertappten Übeltäter in ehrlichere Sprachlosigkeit verwandeln, wenn ich darauf verweise, daß bis zum Schicksalsjahr 1933 niemand, neben den Palästina-Arabern, die usurpatorische Vermessenheit der Zionistensekte energischer bekämpfte als die jüdische Diaspora. “Unser Volk hat einen Herzl gehabt, aber unser Herzl hat kein Volk gehabt”, sagte Max Nordau in seiner Trauerrede auf Theodor Herzl[2]. “Als er seinen Weckruf an das jüdische Volk ertönen ließ, da sammelte sich statt der bestimmt erwarteten Millionen nur ein kleines Häuflein um ihn; … Selbst jetzt, nach neun Jahren leidenschaftlicher Propaganda, macht es erst etwa ein Sechzigstel der gesamten Judenheit aus. Ein Sechzigstel!”[3]. Der Widerstand der Millionen war ungeheuer, wie aus den wütenden Sätzen Nordaus herauszuhören ist: “Es war eine der großen Überraschungen, daß (den Männern der zionistischen Bewegung) bisher grimmig verzerrte Feindesantlitze nur aus der Mitte des Judentums entgegen grinsten, daß sie bisher nur von jüdischer Seite Angriffe erfuhren, und zwar Angriffe so niedriger Art, daß sie mitunter buchstäblich fassungslos wurden und sich die zahlreichen Beispiele selbstloser Begeisterung in ihren eigenen Reihen vorrechnen mußten, um nicht zur antisemitischen Lehre von der Erbärmlichkeit der jüdischen Rasse bekehrt zu werden… Wir werden mit den Elenden, die uns in den Rücken gefallen sind und weitere feige Anschläge gegen uns im Sinne führen, zur rechten Zeit abrechnen”[4]. Der erste zionistische Kongreß war nach München einberufen worden und mußte auf Grund des Protestes der Münchner Israelitischen Kultusgemeinde nach Basel verlegt werden. Herzl schrieb seinen, heute nicht mehr zitierten, bösen Aufsatz gegen die ‘Protest-Rabbiner’, und keine noch so leidenschaftliche Propaganda hat etwas daran ändern können, daß die deutsche jüdische Gemeinde bis 1933 antizionistisch oder nichtzionistisch eingestellt war[5]. Über die Verhältnisse in den USA berichtet Naomi Wiener Cohen, daß beispielsweise sämtliche jüdischen Zeitungen, die von einheimischen Juden im Jahre 1918 herausgegeben oder kontrolliert wurden, entschieden antizionistisch waren, und daß innerhalb des Reform-Judentums der USA bis 1935 der militante Antizionismus vorherrschte[6]. David Ben Gurion hat von 1915 bis 1918 in den USA, wie auch schon früher in Polen, prägende Erfahrungen mit dem erbitterten Widerstand der Juden gegen zionistische Eintreibungsfeldzüge gemacht. “Bedauerlicherweise muß ich sagen”, so hat er sein Werbefiasko beschönigt, “daß wir in Bezug auf die Zahl der Pioniere (für Palästina) nicht sehr erfolgreich waren”[7]. Im Osten, wo die Not der Juden am drückendsten war (in den Jahren 1881 bis 1917 betrug die jüdische Gesamtemigration 3 117 000 Personen; nahezu alle kamen aus dem Osten, nahezu alle gingen nach den USA), war die Situation dennoch kaum anders. Die übergroße Mehrheit der jüdischen Bevölkerung Polens unterstützte noch 1939 die scharf antizionistische jüdische Arbeiterpartei ‘Bund’. In den Stadtbeirat von Warschau wurden damals zum Beispiel 17 antizionistische Abgeordnete der Bundisten, 2 Nichtzionisten und ein Zionist gewählt[8].
Daß seither die überwältigende aber nicht überzeugende, weil überwältigte und nicht überzeugte Mehrheit der Diaspora-Juden als gestillte Zwangsteilhaber enge Zionistenbande knüpften, und diese sich von ihnen aushalten läßt, hat eine einzige Ursache: Hitler.
Der triumphierende Zionismus eines Ben Gurion und Weizmann hat sich selbstverständlich nicht gescheut, die Blindheit der Juden vor der aufziehenden Gefahr bloßzustellen. Inzwischen genügt der erhobene Zeigefinger um Judenscharen, nein, nicht nach Eretz Israel, aber immerhin zum Schweigen zu bringen. Oh ja, ich sehe die Hohnfalte, die mir zeigen soll, wie jämmerlich ich argumentiere. War nicht das Palästina der Zionisten der letzte Rettungsanker für so manchen Flüchtigen? Doch eben da beginnt die Tragik auch noch kriminell zu werden. Ein einziges verbindliches Wort der Zionisten, nicht auf die Gründung eines exklusiven Judenstaates hinzusteuern, hätte genügt – und nicht nur Palästina, auch ein großer Teil der arabischen Welt hätte Asyl geboten für mehr Verfolgte als jemals noch entfliehen konnten. Damit mir das nur nicht vergessen wird: die Einwanderungsbeschränkungen, die man in Palästina forderte, hatten einzig diesen Grund. Man kannte seine Pappenheimer. Ich rate, mal die USA, die Schweiz und England und wen sonst auch immer abzufragen, was deren Gründe waren, verfolgte Juden abzuweisen, denn dort gab’s keine Heimstättenwerker. Es war die ominöse Losung ‘Judenstaat’, die Tore schloß in Palästina und der arabischen Welt. Und eben diese Losung war es auch, der sich Millionen Juden in der Welt verschlossen. Die europäischen Juden sind nicht nur die Opfer des grauenhaften Nazi-Irrsinns, sie sind, genau besehen, die Opfer der Konkurrenz eines zweifachen Irrsinns geworden. Sie waren blind für die unmittelbare Katastrophe, doch umso hellhöriger für das fernere Donnergrollen. Man kennt ja das geschärfte Gehörorgan von Blinden. Und erst das Kriegsgetöse hat alle taub gemacht und stumm dazu.
Die tolle Besserwisserei, mit der sich, um der Mittel und Methoden, nicht der Ziele willen, zerstrittene Zionistenbrüder der Blindheit in den eigenen Reihen bezichtigen, zeigt auch naiveren Gemütern, daß der nachgereichte Weitblick kaum Substanz besitzt. In Revisionistenkreisen bewahrte man zum Beispiel Weizmanns Worte aus dem Jahre 1937 in zornigem Gedächtnis, daß der Zionismus “nur junge und die besten Juden brauchen kann. Wir wollen nur gebildete Leute in Palästina haben, um dort die Kultur zu heben. Die anderen Juden werden bleiben müssen, wo sie sind, und selbst mit ihrem Schicksal fertig werden”[9]. Und bei den zionistischen Arbeiterparteien erregte man sich über die faschistische Radikalität eben jener Revisionisten, deren Führer Jabotinsky unablässig solches schrieb und predigte: “Die Herzlisten müssen doch die ersten sein, die Herzls große Wahrheit verstehen, die Wahrheit, daß der Zionismus eine politische Bewegung ist, dessen Kampfmittel vor allem politische sind, wobei mit keiner Hachscharah und mit keiner Sehnsucht und überhaupt nicht mit menschlichen Nöten zu zählen ist. Man muß bereit sein, 3000 junge Leben hinzugeben für einen Protest, wenn er das kosten muß, und nicht nur 3000 (Einwanderungs-) Zertifikate, 3000 Zeichen des Schmutzes…”[10]. Der militante Zionismus der beiden Hauptfraktionen stand sich für eine Rettungsaktion, die diesen Namen verdienen könnte, selbst im Weg – um nicht zu sagen, daß er sich des philanthropischen Gehalts der Bewegung vollends entledigt hatte.
Denn die philanthropische Unschuld hatte die Bewegung schon verloren, als ihr Begründer Herzl sich anschickte, sie zu propagieren. Herzl schrieb am 9. Juni 1895 in sein Tagebuch: “Es muß anfangs scheinen, daß wir den Regierungen einen Dienst erweisen wollen. Wir opfern für Lösung der Judenfrage eine Milliarde. Dafür erhalten wir die Gefälligkeiten, die wir brauchen: Freilassung vom Militär u. dgl. Vor allem Duldung unserer Propaganda und gelegentlich (auf unseren Wunsch) ein ungnädiges Wort, aber unter Aufrechterhaltung der Ordnung.
Nach zehn Jahren ist die Bewegung unwiderstehlich, und die Juden werden uns bei Nacht und Nebel ohne Schuh’ und Strümpfe zulaufen. Sie werden durch keine Gewalt mehr zurückzuhalten sein … Sind wir erst draußen, so vertrauen wir auf unser Heer.” Und am gleichen Tag, an anderer Stelle: “Anfänglich werden wir von Antisemiten unterstützt werden durch recrudescence der Verfolgung”[11].
Ist erst die Unschuld dahin, kann man’s trefflich treiben. Das Kopulationsregister von Zionisten und Antisemiten ist dementsprechend lang. Und weil “andere Gegner als jüdische der Zionismus überhaupt nicht hat”, wie Nordau immer wieder sagte, und die “einfachen Christenherzen sehr viel besser sind als unsere Judenpfaffen”, wie Herzl in sein Tagebuch schrieb, ist, man ahnt es schon, das Konfessionsverzeichnis kurz und schlüssig. Da führt kein Weg vorbei, und aller Forscherfleiß kann gar nichts wenden, nur vertuschen: der Zionismus, dem sich Judenherzen schlossen, hat prominente Christenherzen höher schlagen lassen.
Ich greife nur mal so in das Register – und stoße auf das Herzl-Tête-à-tête mit den Ministern Plehwe und Witte, zwei hinreißend einfachen Antisemitenherzen, kurz vor der zweiten Welle der Pogrome im zaristischen Rußland. Es war Gesinnungslosigkeit auf den ersten Blick. Der Alltagskummer war schnell von der Seele – der Herzl wollte Juden und bekam keine, der Plehwe hatte Juden und wollte keine – und schon war man bei den intimeren Peinlichkeiten. Als Herzl, in sorgsam einstudierter Steigerung, um “certains encouragements” bat, glaubte Witte sehr viel schneller verstehen zu müssen als bei der flüchtigen Bekanntschaft schicklich sein konnte: “Mais on donne aux juifs des encouragements l’émigration. Par exemple les coups de pied”, sagte er ohne Umschweife[12]. Es sind immer die spontanen Ungeistesblitze, die zweifelhafte Partnerleidenschaften zünden. Doch kann ich mir nicht helfen: ich sehe die denkbar platte Seelenunterlage, auf der sie’s treiben, und kann’s kaum fassen, mit welch’ tiefgründig abgefühlter Metaphorik man das Herzl traf. Und wenn’s kein Zufall war, muß das kalte Grauen kommen. Gibt’s denn Dämonen für hehlerische Seelenharmonie? Den Seelenblick bei Kumpaneien? Wie, wenn’s kein Zufall war, will man sich die Lotterbettvision erklären, das Judenvolk diesmal nicht trockenen sondern bluten den Fußes und d e s h a 1 b ohne Schuh’ und Strümpfe bei Nacht und Nebel ins Heilige Land zu prügeln? Und wie das Gespür der Geschundenen, die während der folgenden Pogrome zu Hunderttausenden, an den offenen Armen der Zionsbankrotteure vorbei, ins Gelobte Land Amerika zogen?
Es hieße die Intimsphäre unnötig verletzen, die Fülle der Avancen und fruchtlosen Alliancen durchzuwühlen. Der vielversprechenden Liebhaber waren viele, der Potentaten wenig. Es muß der unscheinbare Rat genügen, das Studium der zionistischen Frühgeschichte vom Suchmotiv her anzugehen, daß Techniken der Kopulation, wie’s bei enttäuschenden Verhältnissen so geht, im Lauf der Zeit und mit der Übung ganz ungemein verfeinert und diskreter werden. Man muß nur sehen was bleibt, wenn Toiletten und Etiketten fallen. Das Einfache, freilich, ist das Schwere. Wer mag, soll sich an jenem buhlerischen Zwischenakt versuchen, bei dem’s die Zionisten mit potenteren anglikanischen Antisemitenjüngelchen trieben und das unlegitime Kind einfältigen Moslemherzen unterschoben. Der tolle Wechselbalg vom Jahrgang 17 hat freilich den Bankrott des Zionismus keineswegs so nachhaltig abgewendet, wie dieser glauben machen wollte – was immer Großbritannien mit diesem frühen Unrecht den Palästinensern abzubitten hätte. Da war schon weitaus relevanter, daß Amerika um diese Zeit die Einwanderungsbestimmungen drastisch verschärfte. Die vielbeschworene ‘Zionssehnsucht’ ist halt, genau besehen, auch nichts weiter als ein inverses Funktional der amerikanischen Immigrationsquote. Die große Chance für den Zionismus wuchs anders und anderswo heran und hat den schlimmen Namen: Hitler.
“Der Fortgang der Einwanderung im bisherigen Umfang muß im Laufe der kommenden Jahre Eretz Israel in ein jüdisches Land verwandeln, in einen jüdischen Staat”, schrieb David Ben Gurion am 27. Juli 1937 an seinen Sohn Amos. “Als vor 1933 die Einwanderung noch gering war, gab es noch keine so deutliche Verbindung zwischen der Einwandererfrage und der Frage nach der Gründung eines Jüdischen Staates. Als nach 1933 die Einwanderung stieg, 30 000, 40 000, 62 000 jährlich, da wurde der ganzen Welt klar, daß Eretz Israel sich in einen jüdischen Staat verwandeln kann”[13].
Ich bin nun allerdings der Meinung, daß mit dem Fortgang der Einwanderung kein Staat zu machen ist. Mit dem Hergang der Einwanderung, ich muß mich leider wiederholen, verhält sich’s nämlich so: die Zionisten brauchten Juden und bekamen keine, die Nazis hatten Juden und wollten keine, und aus der niederträchtigen Geschichtskonstante entsproß ein neuer Wechselbalg, dessen Alimentierung leicht den deutschen Obstinaten unterschoben werden konnte. Wieder wurden Juden durch die Welt geprügelt, doch dieses Mal mit einer verlockenden Nuance. Wer nicht bei Nacht und Nebel ohne Hab und Gut verschwinden wollte, trug sein Erspartes zur Wassermann-Bank nach Berlin oder zur Warburg-Bank nach Hamburg, und Nazistaatsraison und Zionistendenkungsart sorgten für den Lohn der Angst, der nur in Palästina vom Abrechnungskonto abzuheben war. Der Zionismus hat so seine Art, Denkzettel an Widerspenstige auszuteilen. Ich verrate da ein offenes Geheimnis, das erst nach Auschwitz zum quälenden Tabu geworden ist. Die Nazis haben geprügelt und geschwiegen, die Ben Gurion-Partei hat geschwiegen und kassiert, und die Jabotinsky-Partei hat, in rasenden Eifersuchtsanfällen, die Buhlschaft ausgeplaudert. Denn die ‘Gefälligkeiten’, ‘vor allem Duldung unserer Propaganda’, die hatten sich im Lotterbettgespräch die Ben Gurionisten alleine ausbedungen. Daß sich die ohnehin verkrachten Zionistenbrüder noch einmal und noch mehr entzweiten, erscheint nur dem absurd, der nichts von Leidenschaften und von Zionismus weiß. Die Liquidierung der deutschen Judenfrage – der Frage vorerst nur – war beiden doch die langersehnte Gunst des Augenblicks zur eigenen Konkursabwendung. Und als sie als Rivalen um die Gunst der Nazis warben und einen die Verschmähung traf, weil dessen Nachahmung von SA-Methoden arische Ehrbegriffe befleckte, da mußten haßerfüllte Mitgiftpfeile den anderen treffen. Wer Alpträumen nachhängen will, kann die Details des Polterabends zu Ehren Behemoths im Faschistenblatt CHASIT HA’AM des Jabotinsky-Jüngers Lewin finden. Man muß sich schon auf altbekannte Techniken der Zu- und Hinterhälterei besinnen, wenn man das absurde Blocksbergspektakel entwirren will. Ich kann ja mal ein paar der Fragen buchstabieren, für die ich keine Worte finde. Was glaubt man denn, wie es so kam, daß Waren Made in Germany’ in aller Welt, wo Juden lebten, dem Boykott verfielen nur in Palästina nicht? Wie kam es denn, daß es in Deutschland nur noch eine Zeitung gab, die, scharf bewacht zwar aber ungehindert, so mutige Attacken gegen das Dritte Reich drucken durfte – die zionistische JÜDISCHE RUNDSCHAU? Wie kommt es denn, daß die zionistische Menschenhandelsorganisation nur bei den höheren Ersparnisklassen Interesse zeigte? Wie kommt es denn, daß niemand nach den Motiven von so manchen Judenrettern fragte, die im Nachkriegsdeutschland an allen Ecken auf Anerkennung lauerten? Ob sie womöglich die Rettungsopfer nur halbtot schlagen ließen?
Ist schon der Hergang beklemmend, der Fortgang der Einwanderung, gepaart mit der fixen Judenstaatsidee, konnte nur noch Unheil über Palästina bringen. Wenn es noch des empirischen Beweises bedürfte, daß Heimsuchung die Synthese aus Heimsuche und Heimtücke ist, am Schicksal des palästinensischen Volkes ist er vollzogen. Der Nazi-Behemoth mit seinen schamhaarsträubenden Orgien des proklamierten Judenhasses, die noch die allerletzten Anstandsfassaden niederrissen, eröffnete dem Zionismus neue Horizonte. Nach demütigend vielen Jahren der Gefolgsverweigerung und kaum noch zu verhüllender Paralyse, erblickte das Häuflein von Palästinas Aktivisten im schnellen Anstieg der Einwandererzahlen endlich eine neuartige und verheißungsvolle Chance: das selbstgefertigte Mehrheitsrecht. Erst dieser hintergründige Majoritätswahn setzt die Berliner Stundenhotelgespräche, die, weit unter Preis, wohl auch schon mal als Realpolitik gehandelt wurden, in das angemessene Dämmerlicht. “Wer fremd ist im Lande, das entscheidet die Mehrheit. Darum wollen wir die Mehrheit werden”, so begann damals das demokratische Hexeneinmaleins[14]. Und daß die Jewish Agency der Welt als Judenrettungsorganisation erschien, wo sie Seelenkäufe zu Ausverkaufspreisen tätigte, gehört zu den raffiniertesten Selbstbetrügereien der Zeitgenossen Behemoths. Wo das Unausdenkbare schiere Wirklichkeit wird, ist alles nur Erdenkliche blasser Abklatsch. Die Karikatur von Demokratie, die Willensbildung ausschließt, um sie installieren zu können, wenn sie sich erübrigt hat, entstammt schließlich auch dem Geist der Zeit, der Spottgedichte auf Mehrheitsentscheidungen produzierte. Das Aufwiegen jüdischer gegen arabische Seelen, das inzwischen zum wenig Gutes verheißenden Tagesritual herangewachsen ist, hat hier seinen Ursprung. Wer den Mehrheitswahnsinn kennt, der seuchenartig palästinensische Juden befiel und palästinensische Araber bedrohte, muß vollkommen glaubwürdig finden, was die SS-Emissäre Adolf Eichmann (ja, ja, der Endlösungs-Eichmann) und Herbert Hagen im Memorandum über ihr Treffen mit dem Haganah-Abgesandten Feivel Polkes am 10. und 11. Oktober 1937 im Kairoer Café Groppi festgehalten haben: “Nationalistische jüdische Kreise (in Palästina)”, so hatte ihnen Polkes anvertraut, “drücken ihre große Genugtuung über die radikale deutsche Politik gegenüber den Juden aus, da diese Politik die jüdische Bevölkerung in Palästina vergrößert, so daß man in absehbarer Zukunft mit einer jüdischen Mehrheit über die Araber rechnen kann”[15].
Will man noch bezweifeln, daß nur ein menschenvernichtendes Gernegroßregime, die deutsche Selbstverwesung Dritten Grades, das untertanenlose Möchtegernregime verlocken konnte, Menschen am Gängelband als Stimmvieh aus dem Schlachthaus wegzuführen? Geschichte, von Abscheulichkeiten angestoßen und von Bedenkenlosigkeit bewegt, kann grausam sein und von fürchterlicher Logik. Eine Hand beschmutzt die andere, vor allem, wenn der Umstände halber diese jene nicht mehr wäscht. Denn die recrudescence der Verfolgung’, von deren Ausmaß wohl auch Herzl nicht mehr träumen mochte, konnte im Dritten Reich, in dem der Third Degree von allem Anfang an als Entgegenkommen erster Klasse galt, nicht lange auf sich warten lassen. Aber Ben Gurion stellt den Nagel auf den Kopf, um ihn zu treffen, wenn er der JERUSALEM POST der Zionsweisheit letzten Zirkelschluß mitteilt: “Wer da glaubt, daß der Nazi-Massenmord das Schlüsselereignis für die Entstehung Israels war, sieht das völlig falsch. Denn hätten die Millionen Juden nach dem Krieg noch gelebt, ihr Druck, einen Staat zu schaffen, wäre umso größer gewesen”[16]. Normalerweise abonniere ich Alpträume nicht per Jerusalemer Post, und meine Neigung, in Blutnäpfe zu treten, ist undenkbar gering. Aber man muß Tschitschikov auftun, wenn er immer wieder unschuldsvoll an Hintertüren pocht und die unterschobene Willensbildung für sein Staatsgründungsunternehmen mit dem Stimmengewicht von toten Seelen aufwiegt. Bei soviel chronischer Hartgesottenheit braucht einen gar nichts mehr zu wundern. Das grandiose Lehrstück, das sich bot, daß jeder neue Mord, den D e u t s c h e auf sich häuften, dem Staatszionismus ein Schock Argumente raubte, mit denen die P a 1 ä s t i n e n s e r in die Ungeheuerlichkeit verwickelt wurden, hat er nicht beachtet.
Oder eben doch – auf seine Art und doppelbödige Weise. Da bei den aufgehäuften Leichen und dem Krematoriumsgeruch, der heute noch zum Himmel stinken müßte, nachgerade alles für eine jüdische Heimstätte zu Lasten der besiegten Deutschen sprach und schlechthin nichts, legt man auch nur das kümmerlichste Einmaleins politischer Moral zugrunde, die arabische Judenstaatsverweigerung begründeter erscheinen lassen mußte als eben diese d e u t s c h e Sühneschuld, war ohne einprägsames Korrektiv die öffentliche Meinungsgunst nicht dauerhaft zu halten. Das machiavellistische Staatsexamen hat Ben Gurion, das muß ich attestieren, mit wirklicher Bravour bestanden. Er hat in großer Hast und gegen alle Widerstände den Judenstaat in Palästina ausgerufen und sich damit die Feindschaft der arabischen Welt, ja was glaubt man eigentlich, nicht tragisch zugezogen, er hat sich ihrer versichert und bedient! Und niemals gab es zuverlässigere Feinde, und impotentere dazu. Und nichts hätte den freigelegten Schuldnerv der christlichen Umwelt genauer treffen können als die meisterhaft geglückte Verkehrung von Not und Notwehr des palästinensischen Volkes in ein posthumes Genocid-Komplizentum mit den Nazis. Was ist da die Trompetenkatastrophe von Jericho gegen das Lügenmauerwerk, das von Jerusalemer Propagandatrompetern errichtet wurde und gehalten wird. Ben Gurion, der geniale Magier der Zeltumkehr, der Fakten investierte und damit Tünche für das Blendwerk produzierte, verfiel nicht einfach nur der Trugbildkraft der zionistischen Idee; er hat daraus den Fixpunkt für das obstinate jüdische Volk geformt. Und mit der eingehandelten Feindschaft der gesamten Moslemwelt, die in tausend Jahren nicht den Bruchteil Judenleid erzeugte, den ein einziger Nazi-Tag bescherte, hat er seinen Leviathan zementiert. Zwar gibt es keine Statistik unterlassener Schandtaten, doch mit dem Alltagslosungswort ‘En brera’ – ‘Es bleibt uns keine Wahl’, das die Verfassung Israels nicht nur ausdrückt sondern auch ersetzt, sind schon manche Skrupel jüdischer Zwangszionisten ausgeräumt worden.
Man wird noch etliche Dezennien mit den Denkmalspflegesätzen vorteilorientierter Feuilletonredakteure vorlieb nehmen müssen, die Ben Gurion partout als genialen Staatsbaumeister preisen, bevor gefragt wird, ob er mehr war als der langjährige Parteiparalytiker, dem ein Unstaat endlich auf die Beine half, und der gleich bei den ersten Gehversuchen das beste Porzellan zerschlug. Ob er sich beim unbedachten Nazi-Rendezvous vielleicht doch die progressive Paralyse holte oder nur den Größenwahn angewöhnte. Denn er hat immerhin den größeren Teil seines Lebenswerkes mit den Worten resümiert: “Niemals in 3500 Jahren war der ganze Mittlere Osten vereint gegen uns”. Es wird noch mancher Flüchtling den Jordan, den Nil und den Euphrat überqueren, bevor das heiße Eisen faßbar wird, daß der Grundstein, der dem Baumeister mißlang, zum Eckstein des Zionistenstaates wurde. Daß der Zionismus, als Lehrstück für die widerspenstigen Juden, Pogrom und Genocid so unausweichlich brauchte, wie deren ungeahntes Ausmaß der projektierten Mehrheitsfarce den Garaus machen mußte – und doch nicht machte. Denn als der europäische Judentod die Judennot der Zionisten auf die Spitze trieb, da unterlagen weitverstreute Skrupel dem Reiz der rabiaten Logik, daß nicht nur ein, daß zwei Wege zur undemokratischen Überzahl führen: die Eintreibung von Juden … und die Austreibung von Arabern. Hitlers Behemoth zeugte neue Kinder.
Das Denkspiel mit der insgeheimen Menschenfracht ist schon Herzl unterlaufen. “Die arme Bevölkerung trachten wir unbemerkt über die Grenze zu schaffen, indem wir ihr in den Durchzugsländern Arbeit verschaffen, aber in unserem eigenen Lande jederlei Arbeit verweigern”, notierte er am 12. Juni 1895 in sein Tagebuch[17]. Und Max Südfeld, der der südwärts weisenden Zionssehnsucht nicht gerade nachgegeben hat, als er das Pseudonym Max Nordau wählte, blieb auf dem Pfad der Tugendbolde, als er kurz nach dem ersten Weltkrieg auf die Frage, was mit den Arabern von Eretz Israel geschehen solle, antwortete, “man müßte sie in die arabischen Länder überführen”[18]. Das scheint vergessen und vergeben, aber um 1920 war es durchaus kein Geheimnis, daß “Zionisten offen Pläne diskutieren, alle Nichtjuden entweder zu vertreiben oder (aus Palästina) hinauszudrängen”[19]. Die Selbstverständlichkeit, mit der man einem Volk das Exil anzutun bereit war, um, ohne Auftrag der jüdischen Welt, das eigene zu beenden, ist wahrhaft atemberaubend. Denn die sich zu dieser Arroganz verstiegen waren vielleicht 60 000 in einem Palästina. von 650 000 moslemischen und christlichen Arabern, die jene in der alten Tradition arabischer Gastfreundschaft aufgenommen hatten.
Auf dem Kongreß des Weltrates der Po’ale Zion (des Vorgängers der israelischen Arbeiterparteien), 1937 in Zürich, wurde der Bevölkerungstransfer zum nicht mehr zu überhörenden Gemeingut. Da war kaum ein Redner, der nicht Proben einer erstaunlichen Selbstgerechtigkeit von sich gab:
Berl Katznelson: Die Frage eines Bevölkerungstransfers hat unter uns Anlaß zu der Frage gegeben: ist er erlaubt oder nicht? Mein Gewissen ist da völlig rein, absolut. Ein entfernter Nachbar ist besser als ein naher Feind. Die Araber werden nichts verlieren, wenn sie umgesiedelt werden, und wir werden sie ganz bestimmt nicht vermissen.
S. Lavi: Die Forderung, daß die Araber gehen und für uns Platz machen, ist vollkommen gerecht und moralisch, weil es genügend Platz gibt, wohin sie gehen können, während wir keinen Ort haben, wo wir sicher leben können.
Golda Meir: Ich würde zustimmen, daß die Araber das Land verlassen, und mein Gewissen wäre völlig rein.
S. Bankower: Was einen erzwungenen Bevölkerungstransfer betrifft, wäre ich, als Mitglied des Kibbuz Ramat Hakovesh, sehr glücklich, wenn wir von der liebenswürdigen Nachbarschaft der Araber von Mishi, Tirah und- Kalkilya erlöst werden könnten.
A. Lulu: Jemand hat hier gesagt, daß ein Bevölkerungstransfer eine politische Provokation wäre. Da ist überhaupt keine Provokation. Das ist ein logisches und gerechtes Programm, moralisch und human in jedem Sinn.
Berl Locker: Ben Gurion hat sein Konzept auf zwei Grundpfeilern aufgebaut – Unabhängigkeit und Bevölkerungstransfer… Aus dem, was er hier gesagt hat, kann man heraushören, daß der Transfer unabdingbar ist, und im Fall einer Teilung des Landes auch gesichert. Ich habe keine moralischen Einwände, und wenn die Ausgesiedelten entsprechendes Land zur Verfügung bekommen, wird ihnen ja kein Schaden zugefügt.
A. Harzfeld: Ben Gurion mißt dem Transfer der arabischen Bevölkerung große Bedeutung bei. Aber das ganze ist eine Illusion und alles Gerede hilft nichts. Den Transfer ist nicht durchzuführen. In der Umgebung von Akko, Safed und Metullah ist die arabische Bevölkerungsdichte groß, und diese Leute werden nicht gehen, und andere an ihrer Stelle würden es auch nicht tun.
A. Cisling: Ich bestreite keineswegs unser moralisches Recht, für einen Bevölkerungsaustausch einzutreten. Der Sinn des Vorschlags liegt doch darin, die Konzentration nationalen Lebens zu ermöglichen, und da sehe ich keine moralischen Flecken. Im Gegenteil. Er kann eine großartige menschliche Vision vorwegnehmen, die wahrscheinlich in einer anderen Weltordnung einmal verwirklicht wird… (Aber) eine vernünftigere und realistischere Möglichkeit wäre die, auf einen echten Bevölkerungsaustausch zwischen dem eines Tages entstehenden vereinigten Land Israel und Irak und anderen arabischen Ländern hinzuarbeiten zwecks Transfer von arabischen Juden nach Eretz Israel.[20]
Kann man sich einen Palästinenser denken, des Lesens unkundig und stocktaub und überdies noch stumm, den solches Treiben nicht berührte? Das Tollhaus, das da eingerichtet wurde, war in der Tat entsetzlich. Wo jeder jedem unentwegt versicherte, ihm sei das Zionskönigtum erschienen, und manchmal einer auch darauf bestand, Moses zu sein, bevor er sich dann doch entschied, die Gesten Josuas zu imitieren; wo man Araber, die sich wehrten, für Hitlerausgeburten hielt und Hitler für einen ungestümen Zionsfreund, und wirklich lupenreine Faschisten die Englishmen Faschistenschweine hießen – da hätte nur noch eines helfen können: das Haus zu einem geschlossenen erklären. Die Mandatsmacht England hat es nicht getan, weil sie zuerst, der eigenen imperialen Interessen halber, nicht wollte, und schließlich nicht mehr konnte, weil in Europa alle Dämme brachen.
Hitlers Unstern ging im Nahen Osten auf, als er im Westen unterging. Während man im Restdeutschland in aller Schäbigkeit die Kollektivschuldfrage bis zur Unkenntlichkeit zerredete, begriffen Palästinas Zionisten, daß man, dank Hitler, in nie erträumtem Maß das Sagen haben konnte. Die Geißel des Antisemitismus wurde zur Zuchtrute, die Tragödie zum gekonnten Weltspektakel. Kaum mehr als eine Million europäische Juden waren Himmlers Genocid entgangen, und in den befreiten Todeslagern hofften Hunderttausend, die nicht mehr in Europa bleiben wollten oder konnten, auf die Chance einer neuen Heimat. Das gänzlich Unfaßbare für die Zionisten war, daß von den ersteren nicht allzuviele ihrem Lockruf folgten, und daß die letzteren, die nach Marter, Pein und Todesangst auch noch die Fortsetzung des Lagerdaseins auf sich nehmen mußten, mehrheitlich für die USA votierten. Die ‘Jüdische kämpfende Brigade’, die sich zuerst als antifaschistische kriegsführende Truppe, dann als jüdische Besatzungsmacht verstanden wissen wollte, und beides nicht wurde und doch dem eigentlichen Vorhaben eifrig diente, tauchte, aus Palästina kommend, im Mai 1945 in Italien auf. Denn wo der Juden Not und die Not an Juden am größten, sind allemal die Zionswerber am nächsten. “Denke daran, daß allein schon unser Erscheinen vor dem deutschen Volk, mit unserem Emblem und unserer Fahne, einen Racheakt darstellt”, hieß es in den ‘Geboten des hebräischen Soldaten in Deutschland’ an fünfter Stelle, und an vorletzter: “Denke daran, daß Deine Mission die Rettung der Juden, die Immigration nach Israel und die Befreiung des Vaterlandes ist”[21], was nicht nur ein gelungenes Selbstporträt ist, sondern den Umständen nach bedeutet, daß nachts dem einen oder anderen Arier heimgeleuchtet wurde, und tagsüber der Rest der Juden heimgesucht. Gemessen an der Vergangenheit der einen und den Zukunftsaussichten der anderen, und bei der nicht gerade übermäßigen Belästigung, verglichen mit der lebenslänglichen, durch Emblem und Fahne, muß die Behandlung der ersten als überaus generös bezeichnet werden. Und damit nicht genug. Weil der eine oder andere hebräische Soldat doch arg übernächtigt zum Tageswerk erschien, erging schon bald darauf die ganz formelle Anweisung der Haganah an ihre Emissäre: “Aller Eifer, alle Verschlagenheit, aller Mut der jüdischen Kämpfer darf nur noch einem einzigen Ziel dienen: die Geburt des künftigen Staates Israel vorzubereiten”[22], was, kurz gesagt, bedeutet, daß man die Ungeschorenen künftig ungeschoren ließ.
Man wird nach alledem wohl ahnen, wer die in manchen Lagern kursierenden Gerüchte ausstreute, in amerikanischen Städten habe es Pogrome gegeben. Und ob die lange Hand ganz aus dem Spiel war, als es in Polen, unter den wenigen Überlebenden, tatsächlich zu antisemitischen Ausschreitungen und Opfern kam – man wird mich vollends für herzlos halten, doch ich denk’ halt an Herz!, und Herz! dachte so: “Das Volk muß nach Prinzipien zum Guten gelenkt werden, die es selbst nicht kennt”, und: “Wo sich Widerstände zeigen, werden wir sie brechen. Wir versuchen es überall mit freundlicher Güte und setzen es dann im Notfall durch mit harter Gewalt.” Man wird wohl ahnen, wievieler Einsatzleiter es bedurfte, halb abgewrackte Schiffsattrappen mit Menschenfracht maßlos bis zum Kentern vollzustopfen, und sie dann vor die Küste Palästinas und alle auftreibbaren Kameras der Welt zu dirigieren. Die Komparserie, die man da in die Enge trieb, brauchte nichts zu spielen, was nicht in ihren Zügen grauenhaft zum Ausdruck kam; und die da, zum äußersten getrieben, ins Wasser sprangen, waren keine Doubles, und die Verzweiflung war keineswegs gespielt, wenn britische Soldaten sie ergriffen und mit den Keimen einer Massenhysterie auf’s Schiff zurückverschleppten. Nur eines war von schlimmer Unwahrhaftigkeit: das war kein Judenrettungswerk, das war eine Staatstheaterinszenierung. Daß dessen Regisseure sich endlich treiben lassen konnten, daß es sie nicht genierte, der Welt ein Hochseeplagiat der Güterzugtransporte vorzuführen, daß jeder Wirbel, den sie linker Hand erzeugten, das Blut von tausend Schaubegierigen in Wallung brachte, daß sie mit vollem Recht ‘Gewalt’ schreien und damit wahre Springfluten von Allerweltsgefühlen in die gewünschte Richtung lenken konnten, daß bei so seichten Herzensbrechern die Gefühlswellen dennoch überschwappten das war ein einzigartiges Gezeitenphänomen und hat nur einen Namen: Hitler.
Die Schwere dieses Namens schuf das schwüle Klima, in dem fast jedermann zum Judenretter werden wollte, sofern die Rettungswilligen die zeitgemäße Gettovariante wählten. Von jenen aber, die für die USA votierten, saß die Mehrzahl drei Jahre nach dem Krieg noch immer in den Deportiertenlagern. Das ist die traurige und unterdrückte Kehrseite der unheimlichen Judenfreundlichkeit. Das war das Klima, in dem, mit schwerer Miene aber leichten Herzens, die Mächtigen der christlichen Welt den Ohnmächtigen der muslemischen, mit formvollendetem Kaiserschnitt durch Palästina, Behemoths Frucht in den Schoß legten, auf daß sie wachse. Die vielzitierte Einigkeit, mit der die UNheilpraktiker für Zeitaltersbeschwerden den Finger auf das wunde Palästina legten als sie die Judenfrage diagnostizierten, ist sie denn denkbar ohne Hitler, ohne jene Wachstumsgrenze, die jetzt als Auswuchs gelten kann? So abgelegen ist die Faschistenhölle keineswegs, daß nicht das Hohngelächter zu uns dringen könnte. Ist denn alles schon vergessen? “Europa kann nicht mehr zur Ruhe kommen, bevor die jüdische Frage ausgeräumt ist. Es kann sehr wohl möglich sein, daß über diesem Problem früher oder später eine Einigung in Europa selbst zwischen solchen Nationen stattfindet, die sonst nicht so leicht den Weg zueinander finden würden. Die Welt hat Siedlungsraum genügend. Das Judentum wird sich genauso einer soliden aufbauenden Tätigkeit anpassen müssen, wie es andere Völker auch tun.” Das sagte 1939 einer, bevor er aus dem Herzen eine Massenmördergrube machte[23]. Ich zögere, den Leser den Gefühlen auszusetzen, die kommen müßten, wenn er nur verstünde. Weiß er denn, wen er als Zionsfreund zum peinlichen Weggenossen hat? Und bedenken es die Juden, daß sie das Echo jenes Hohngelächters konservieren? “Der jüdische Befreiungskrieg (der revisionistischen Untergrundkämpfer) hat den Weg für eine Koalition der jüdischen mit der nichtjüdischen Welt geebnet”, schrieb HERUT, Menachem Begins Terroristenblättchen im April 1946, in aufgeblasener Überschätzung der anteilmäßigen Untaten. “Die nichtjüdische Welt hat kein Interesse an einer vorübergehenden Linderung der gegenwärtigen jüdischen Leiden. Die nichtjüdische Welt ist an einer endgültigen Lösung der Judenfrage interessiert, weil dieses Problem sie ganz direkt betrifft”. Was glaubt der Leser denn, wievieler Massengräber es bedurfte, bis einem deutschen Zionisten dieses Epitaph gelang: “Aus dem Untergang des deutschen Judentums ist so ein Segen für Palästina erwachsen” – und kann er nachvollziehen, wie das in palästinensischen Ohren klingen muß?[24]
Es führt kein Weg daran vorbei: als 1942 in Berlin die ‘Endlösung der Judenfrage’ beschlossen wurde, war die Entwurzelung der Palästinenser nur noch eine Frage kurzer Zeit. Das Schicksal mag manche Wendung nehmen, die Akteure ändern sich niemals. Neunzehnhundertachtundvierzig war es soweit; die verlogensten aller Sympathiewellen schlugen über den Palästinensern zusammen. Man komme mir nicht mit einem arabisch-israelischen Krieg, dessen ‘unglückselige’ aber letzten Endes selbstverschuldete Opfer die ‘Palästinaflüchtlinge’ wurden; man treibe die Niedertracht nicht auf die Spitze! “Der Bevölkerungstransfer muß kommen, so oder so”, das finde ich in Dutzenden von Schriften, Dutzend Reden. Und da es Krieg gab – welch’ Ereignis bei dem Unternehmen! – kam es eben “so”. Europa Juden-rein und Palästina Araber-rein, bei d e n Akteuren, die fünfzig Jahre in unheilträchtiger Symbiose lebten, bei der dem Ruf ‘Hinaus mit euch Juden!’ die Antwort folgte ‘Jawohl, hinaus mit uns Juden!’, bei der die Ungeduld zum kontinentalen Massenmord entartete und dieser wiederum den Massenexodus der Palästinenser zum läppischen Detail herunterkommen ließ; bei d e n Akteuren war ein schlimmes Ende abzusehen.[25] Die Gedenkstätten stehen zur Besichtigung offen. Das jüdische und das palästinensische Yad Vashem. Das Kainsmal der Deutschen und die Kainsfrage an die Juden. Die Mahnstätte der Namen und die Siechstätte der Namenlosen. Die eine in Stein gehauen, die andere aus Lehm geformt. Die eine mit Lippendiensten beinahe schon entweiht, die andere gemieden wie die Pest. Hier das obligate Pilger-Ritual, dort das desolate Märtyrer-Arsenal. Die Verzweiflung, die hier kaum mehr einen überkommt, ist dort der dreißigjährige Begleiter. Da die Frucht von tausend Jahren Judenhaß… und dort die von jahrzehntelanger Heuchelei dazu. Die Symbiose antagonistischer Fanatiker war es, die das selbstverständliche Zusammenleben der Semiten untergrub. Und die den Klimakteriumsspuk ausdeutbar macht, daß Juden, auf dem Höhepunkt der Blutschuld, der Christenwelt die Versöhnungshand entgegenstreckten und den abgestreiften Fehdehandschuh den Arabern hinwarfen. Ein Revirement also, das kaum absurder denkbar ist. Dov Joseph, gewiß ein unverdächtiger Zeuge, hat bekannt, daß er “unter den Moslems, die die große Mehrheit der Araber in Palästina stellen, niemals die Spur einer feindseligen Einstellung gegen die Juden gefunden hat, die mit Antisemitismus verglichen werden könnte”[26]. Der Leser sehe sich um, was Dunkelmänner daraus machten; und was er hierzulande findet: nicht nur die Spuren, nein, den Aussatz einer feindseligen Einstellung gegen die Palästinenser, die durchaus mit Antisemitismus verglichen werden kann. So wenig schlagen Behemoths Kinder aus der Art.
Und dessen Erben. This is a miraculous simplification of Israel’s tasks”, war der emotionelle Kommentar von Israels Staatspräsident Chaim Weizmann zum Massenexodus der Palästinenser[27], und dabei war die Durchführung des nächsten Wunders gar nicht simpel. Die Verhältnisse, ich muß midi nochmals wiederholen, die waren nämlich so: die Zionisten brauchten noch mehr Juden und bekamen keine, denn die Araber hatten Juden und vertrieben keine. Oder mit den Worten, mit denen die Menschenhandelsorganisation den Umstieg in die Kanonenfutterbranche annoncierte: “Generationen haben nicht dafür gelitten und gekämpft, um jetzt nur 800 000 Juden in diesem Land zu sehen. Es ist die Pflicht unserer Generation, die Juden in den arabischen und europäischen Ländern zu erlösen”[28]. Wer das Rotwelschkäppchen nur ein wenig lüftet, wird die Zionsstimme wölfisch finden. “Hätte ich die Macht, ich würde ein paar Dutzend junge Leute auswählen und sie in Länder schikken, wo Juden in sündiger Selbstzufriedenheit dahinleben. Die jungen Leute müßten sich als Nichtjuden ausgeben und die Juden mit antisemitischen Slogans traktieren: ‘Verdammte Juden’, ‘Juden raus nach Palästina!’, und dergleichen. Ich bin ganz sicher, daß als Folge solcher Aktionen die Emigration nach Israel zehntausendmal größer wäre, als die Erfolge von tausend Emissären, die seit Jahrzehnten tauben Ohren predigen”[29]. Und bei genauem Hinsehen bleckt der unersättliche Schlund die Zähne. “Zur Zeit der israelischen Unabhängigkeitserklärung lebten in Irak etwa 130 000 Juden, die sich als die Nachkommen der babylonischen Flüchtlinge aus der Zeit der Zerstörung des Ersten Tempels ansahen. Es war eine blühende Gemeinde, ein großer Teil der Juden war wohlhabend und gebildet. In jeder irakischen Regierung gab es mindestens einen Juden. Pogrome oder Unterdrückung wie in Osteuropa gab es nicht… In einer der geheimsten Operationen in Israels Geschichte wurden von israelischen Agenten in jüdischen Wohnvierteln Bomben gelegt, um Unsicherheit und Terror unter den irakischen Juden zu verbreiten.. . und sie auf diese Weise, unter dem Eindruck, daß es sich um das Werk von antijüdischen arabischen Terroristen handelt, zur Emigration nach Israel zu veranlassen”[30]. Bleibt zu der Mordsgeschichte nur noch nachzutragen, daß die so märchenhaft empfundene und märchenhaft benannte ‘Operation Ali Baba’ – ohne, wie sich denken läßt, die 40 Menschenräuber einzuflechten – die hochwillkommene Menschenbeute brachte. Von den 130 000 Juden des Irak blieben kaum 5000 in Baghdad zurück. Sesam öffne dich!, sagte der Anführer der Räuber, und siehe, der unersättliche Schlund öffnete sich und verschlang den generationenlang gehüteten Menschenschatz. Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen, sagte der Anstifter, und da die Juden n i c h t wollten, wurde aus dem Judenhunger der Zionisten das Märchen vom Zionshunger der Juden. Ich weiß von sephardischen Juden, die in ihren Siedlungen am Jordan der verlorenen Heimat Babylon nachtrauern, als ob sie das Erbe ihrer Väter antreten müßten, die um das verlorene Land Israel weinten. Denn so unwissend, wie sie waren, sind sie nicht mehr alle. Sie haben schon begriffen, daß sie die nächstgelegenen und folgerichtigen Opfer der eingeschleppten Zionistenseuche, und allem was sich damit infizierte, werden mußten. Und, den Christenherzen sei’s gesagt, was wurde nicht alles siech und süchtig im Nahen Osten. Da Haß und Feindschaft wuchsen, geschürt und provoziert und ungeschürt, was war schon leichter als von Mal zu Mal den Schafspelz umzulegen und Juden aus dem Jemen auszusiedeln und aus Marokko heimzuführen. Das hat gerettet und gerettet und tausend Jahre sephardische Geschichte ausgelöscht in einem Tag. Da haben Wölfezungen mit Engelsstimmen den Ausbruch der messianischen Zeit herbeigelästert und eine Auszug-aus-Ägypten-Hysterie erzeugt, als ob die Endzeit angebrochen wäre. Da wurde, auf beschnittenem und unbeschnittenem Papier, das Judenleid in Europa mit dem mit eigener Hand erzeugten in Arabien zu einem Letternbrei zerrührt, daß es zum Himmel stinkt. Da war doch einfach niemand mehr, der noch zu fragen wagte: Gevatter, warum habt ihr denn einen so großen Mund?, um damit aller Welt die Augen aufzutun, daß nur der Behemoth solch abgearteten Menschenhunger begründen und erhalten konnte.
Was glaubt man denn, woher die Kräfte kamen für ein lupenrein rassistisches Alijah-Gesetz, das mit monotoner Automatie Juden, so man ihrer habhaft werden kann, den Zionistenfleck anheftet und, beinahe Kopf für Kopf, autochthone Palästinenser zur Staatenlosigkeit verdammt. Und welche Mächte Israelis an das Zwangsasyl gebunden halten, und welcher Bann sie schweigen last, wenn es sie nicht mehr hält. Wer weiß denn schon, daß um die 500 000 Israelis Israel verlassen haben[31]; ein Bruchteil also, der anderswo bei weitem reichte, der sogenannten DDR, qua mit den Füßen durchgeführtem Plebiszit, den ideologischen Bankrott tagtäglich vorzuhöhnen, bevor der Mauerbau die Wohnpflicht zementierte und dem Plebiszit drüben und dem Hohngelächter hüben den Garaus machte. Wie hält man’s mit dem sogenannten Judenstaat, und wie hält’s dieser mit dem Plebiszit? “Dear Brother”, heißt es in einem “Offenen Brief an einen angehenden Yored”, einen Israeli also, den es drängt hinabzusteigen von der Höhe des Judenstaates in die Tiefen der Diaspora; “Dear Brother, bitte geh auf Zehenspitzen aus dem Land, mach keinen Lärm, vermeide alle Publicity, jede Stellungnahme in der Presse oder den anderen Medien und beschmiere unser Land nicht… Du willst doch sicher nicht die Stimmung von denen verderben, die schon bei uns sind, und die Flügel der anderen stutzen, die darauf brennen, zu uns zu kommen”[32]. Weiß denn der Leser von den Menschenschlangen, die zeitenweise Tag für Tag in Tel Aviv der US-Botschaft ein Konterfei des Zionismus auferlegen, wie es wahrhaftiger nicht auszumalen ist? Weiß er, daß die naturgegebene Kumpanei, die in den Dreißiger Jahren so wirksam war, jetzt auch in der anderen Richtung Früchte trägt? Daß nämlich Tausende von Israelis nicht einmal mehr ein amerikanisches Touristenvisum ausgestellt erhalten, weil Christen und Zionisten mit vollem Recht befürchten, das sei nur der Vorwand für eine Reise ohne Wiederkehr[33]. Das alles ist beileibe nicht Geschichte, es ist die Wirklichkeit, die wir zum völlig unbekannten Nachbarn haben. So wie es Wirklichkeit geworden ist, daß Juden aus der UdSSR, die das zionistische Propagandaimperium, mit einem Aufwand sondergleichen, “aus dem Haus der Knechtschaft in die Freiheit der westlichen Welt”[34] hat dirigieren können, nun die Freiheit der westlichen Welt haben, in Rom in Elendslagern zu vegetieren – weil sie sich weigern, nach Israel hinaufzusteigen. Seit Jahren wird an ihnen das Exempel statuiert, daß jeder russische Jude, der es wagt der Attraktivität des Judenrettungsnetzes zu widerstehen, sich hilflos in den Maschen fängt. Amerikanischer Weizen gegen russische Juden, Futter also gegen Kanonenfutter, so etwa lauteten die Geschäftsbedingungen, in weitaus verfänglicheren Worten zwar, die eine gut geschmierte Zionistenlobby im amerikanischen Kongreß beschließen ließ. Denn die Zionisten brauchten Juden und bekamen keine, und die Russen haben Juden und … was müh’ ich mich – wer’s nicht fühlt, wird’s nimmermehr verstehen wollen. Was 1971 für die Judenretter über alle Maßen hoffnungsvoll begann, was ihnen Menschensalden brachte, die in dieser übervölkerten Welt nur noch die Israelis unter triumphalem Schmatzen aufaddieren mögen, ist mittlerweile für den Zionismus zum plebiszitären Desaster und für die Christen zur nostalgischen Judenlast geworden. Was tun? Ich schlage vor, mal nachzusehen, ob nicht vielleicht die altbewährte Kumpanei…
Dreihundert sollen es sein, die da als Zionsverweigerer in Ostia bei Rom unter Verhältnissen kampieren, als schriebe man das Elendsjahr 1945 – so wird allerorts geschrieben, als habe man Verhältnisse, die von den Zionisten nicht vorgeschrieben werden. Dreihundert, das sind genug als Schrecknis für die restlichen, doch lange nicht genug, um Menschenrechtler ernsthaft auf den Plan zu bringen. Ein einziges Mal hat irgendjemand vorgezählt, und seither gilt die Zahl als akzeptabel[35]. Zusätzlich will die in Zionsfragen übergeifrige WELT erfahren haben, weil sich vielleicht doch manchmal einer wunderte, daß das neueste Judendrama so gut wie keines ist, da “die amerikanische Regierung beschlossen hat, weitere 5000 ehemalige Sowjet-Bürger jüdischen Glaubens… in die USA einreisen zu lassen”[36]. Es ist nicht weiter nötig, sich zu wundern, weshalb das happy end von 300 Obstinaten der 16fachen Zahl amerikanischer Visa bedarf, denn die Wahrheit ist ein bißchen anders: “Die amerikanische Regierung vergibt Visa an jüdische Flüchtlinge aus der UdSSR nur dann, wenn sie gemäß dem Jüdisch-Orthodoxen Gesetz Juden sind”, wenn sie also nachweisbar eine jüdische Mutter, Großmutter, Urgroßmutter und Ur-Urgroßmutter hatten, oder vor einem orthodoxen Rabbiner konvertiert haben. “Entsprechend einer Übereinkunft zwischen dem US State-Department und der jüdischen Organisation HIAS, welche die Zertifikate über die jüdische Abstammung ausstellt, gestattet die amerikanische Regierung die Einreise von russischen Juden nur dann, wenn sie als solche anerkannt sind. Diese Prozedur ist die Ursache, daß in Rom etwa zehntausend ehemalige sowjetische Bürger zusammengepfercht sind. Sie lehnen es ab, nach Israel zu gehen, und sie können keine Visa für die USA bekommen, weil HIAS die korrekte jüdische Abstammung nicht anerkennt”[37].
Von Zeit zu Zeit wird denen, die ohnehin die Fährte des Desasters eingeschlagen haben, in unfaßbarer Monotonie erlaubt, sich alles zu erlauben. Das ist dann immer abgedeckt durch eine schlimme Hypothek. Und diese da heißt Hitler.
Das säkulare Unheil ist allerdings nicht ganz so leicht mehr konvertibel. Noch sind die Pressewege offen, und beinahe alles, was durch diese hohle Gasse in westliche Wohnzimmer und Kanzleien kommt, enthält den moralingesäuerten Absud aus der Edelfäule des Faschismus, der Christen die erbärmliche Narkose und Moslems die erbarmungslose Toxikose auferlegt. Doch die Gilde derer, die dem Zionistenstaat das Überlebenskapital erschnorrt, hat schon bemerkt, daß sich die Zeiten ändern. Vielleicht lernt der Leser, der bis hierher durchgehalten hat, auch noch ahnen, was diese Gilde aus Auschwitz machte und wegen Auschwitz machen konnte und heute nicht mehr praktiziert, weil sie das dort vergossene Blut in solchen Mengen auf die Börse warf, daß nach dem unvermeidlichen Kursverfall der Aufwand nicht mehr lohnt. Auf dieser geldscheinheiligen Erde, die von den Skrupellosen immer neu vereinnahmt wird, ist nichts so wirklich wie das Gespenstische. Doch eh’ ich mich mit meinem eigenen Vorrat an aufgelesenem Zynismus äußere, veräußere ich vom letternschwarzen Plunder, der mich regalweise umgibt, ein Selbstporträt des Zyonismus, das mit der Balkenüberschrift beginnt: SIEHE, DER HÜTER ISRAELS SCHLAFT NOCH SCHLUMMERT NICHT.” Gemeint ist hier, wie sich’s gehört bei der Gesellschaft, die das Volk der Bibel zum Volk der Bibelkonkordanz herunterkommen ließ, nicht GOTT, DER HÜTER, gemeint sind hier die Gott-Behüte-Buben, die zwei Dekaden lang, man wird’s gleich sehen, auf Massengräbern Dollarblüten zogen. “Dreißig Berufsjuden’ der amerikanischen Diaspora haben soeben in einem Jerusalemer Spezialkurs die Technik gelernt, wie man mehr Geld aus mehr Juden herausholt”, so lautet der Untertitel, der dick unter dem Psalter 121 steht, denn in diesen Kreisen schreckt man nicht nur vor der Entwertung keiner Werte zurück, man anerkennt grundsätzlich nur Valuten. Und was dann kommt, läßt keine weiteren Fragen kommen:
Möchten Sie gern die Quelle kennenlernen, aus der unsere schnorrenden Mitbrüder den Mut und die Seelenstärke schöpfen, jedes Jahr zu den guten Juden der amerikanischen Diaspora hinabzusteigen, um ihnen in biederem Tonfall zu sagen: Letztes Jahr habt ihr 350 Millionen gespendet, warum dieses Jahr nicht das Doppelte? Die Quelle für Mut und Seelenstärke befindet sich in Jerusalem, im Institute for Leadership Training der Jewish Agency.
Der Kurs für die Fund-Raiser ging vor wenigen Tagen zu Ende. Dreißig Fund-Raiser waren aus der kranken amerikanischen Diaspora gekommen und arbeiteten einen Monat lang acht Stunden am Tag und verbesserten alle Techniken des Mehr-Geld-aus-mehr-Juden-holen…
Was macht man mit einem Juden, der nichts spenden will und einfach halsstarrig ist? Für solche Fälle gibt es einige Neuerungen. Das Thema Hitler-Genocid ist total erledigt. Kein erfahrenen Fund-Raiser würde heute noch zu einem amerikanischen Juden gehen und sagen: wenn Sie nichts spenden, wird Israel ausgelöscht und ein zweites Genocid wird üben das amerikanische und das Weltjudentum hereinbrechen. Ein amerikanischer Jude glaubt überhaupt nicht an die Möglichkeit eines Genocid in Amerika. Der alte Angeltrick des ‘IhreEltern-gingen-in-die-Gaskammen-und-das-wird-auch-Ihnen-bevorstehen-wenn-Sienichts-spenden’ funktioniert auch nicht mehr. Das Genocid ist einfach ‘out’.
Aber wie verkauft man den Juden Israel heute? Als Staat mit einer Menge Probleme und Kriegen. Blut und Kriege waren immer gut für den United Jewish Appeal. Die Jahre 1967 und 1973 waren die erfolgreichsten für die jüdische Schnorrmaschine. Entebbe war ebenfalls ein Geld-Hit. Aber wieviele Kriege und wieviele Entebbes können zu Ehren des amerikanischen Judentums organisiert werden? Es gibt deshalb auch einige Ersatzthemen. Die russischen Juden waren ein recht gutes Thema. In letzter Zeit hat es allerdings etwas gelitten, seit mehr Juden nach USA wollen als nach Israel. Um die Quelle für Mut und Seelenstärke wieder aufzufüllen, wurden alle Berufsjuden’ des Führungskurses auf eine Tour ins Galil und auf die Golan-Höhen geschickt; sie konnten die Judaisierung des Galil in action’ erleben, und man ließ sie die Schule von Ma’alot (Schauplatz eines blutigen Geiseldramas im Mai 1974) betasten. Man brachte sie morgens um 3 Uhr auf die Spitze von Massada und ließ sie den Sonnenaufgang erleben. Und man brachte sie auf die Anhöhe der Ruine Gamla in Süd-Golan. Gamla hat jetzt Massada als Artikel der jüdischen Schnorrmaschine überrundet. Der Grund ist der, daß in Massada, nach Flavius Josephus, ungefähr tausend Juden in Verzweiflung Selbstmord begingen, in Gamla aber beinahe fünftausend. Und in Amerika gilt: je mehr, je besser[38].
He, Yorick, das also ist von Dir geblieben! Und von den Betroffensten, die glaubten, nach Auschwitz könne keine Lyrik mehr geschrieben werden! So wäre denn aus diesem Todessumpf, in dem der Behemoth sich suhlte, auch diese Pflanze noch erblüht. So wäre denn vollends erwiesen, daß der Quell, aus dem der Zyonismus Mut und Seelenstärke schöpft, mitnichten in Jerusalem zu finden ist; der Morast stammt aus Europa. Was da als Leadership trainiert ist eine fröhliche Sumpf-Drainage, die immer neue Sümpfe schafft. Und alles was da kreucht und fleucht, schlingt und wuchert, buhlt und balzt, sich wichtig macht und duckt, Tachles redet und nicht mehr Schmonzes, was da mit Angelruten peitscht, das Kapitalverbrechen kapitalisiert, schnorrt und Geld gibt, damit die Moslems Fersengeld zu geben haben – das alles wird versorgt vom Ausfluß einer einzigen Kloake: Hitler.
Man sollte mal, ein einziges Mal, zu Ende denken: “So manchem deutschen Israel-Freund, und auch vielleicht so manchem Israeli, mutet es gewiß als Häresie an, wenn man offen ausspricht, was sie nur ganz still zu denken – wenn auch nicht ganz zu Ende zu denken wagen: Israel vermochte sich mit der Regierung des ‘Nazi’ Kurt Georg Kiesinger besser zu arrangieren, als mit derjenigen des einwandfreien Willy Brandt. Franz Josef Strauß ist für viele Deutsche ein Schreckgespenst, mag auch so manchem israelischen Ästhetiker als unsympathischer, hemdsärmeliger, den Frieden Europas und der Welt bedrohender Bajuware erscheinen, – wer vermag es jedoch zu leugnen, daß er vom Standpunkt Israels aus der bestgesinnte Verteidigungsminister war, den die Bundesrepublik je besaß?”[39]. Der unsympathische Bajuware, der der Gesinnung halber auch Ästhetiker überzeugt, war nämlich, genau gesagt, der bestgesinnte Rüstungsminister, den Israel je besaß. “Wir stellten mit Westdeutschlands Verteidigungsminister Franz Josef Strauß ausgezeichnete Beziehungen her”, schreibt Shimon Peres, einer der Konspiranten jener Dezembernacht des Jahres 1957, in der in Straußens Privatwohnung in Rott am Inn ein Strauß von Waffenschiebern die neudeutsche Brüderschaft mit dem Zionistenstaat begründete. “Das Ergebnis war, daß wir von Deutschland nicht nur bezahlte Waffen bekamen, sondern auch große Mengen von Waffen, für die wir nichts bezahlten. Die westdeutschen Lieferquellen waren für Zahal (die israelische Armee) während des Sechstage-Krieges von 1967 eine große Hilfe”[40]. Um den so üblichen wie üblen Verharmlosungen zuvorzukommen, müssen hier noch ein paar klare Sätze folgen: “Das geheime Militärabkommen, das noch heute kaum bekannt ist, war von extrem großem Umfang… Das Adenauer-Deutschland hat keinerlei finanzielle oder politische Gegenleistung verlangt. Es handelt sich um ein echtes Sühnegeschenk mit Ungeheuerem Nutzen für Israel”[41]. Franz Josef Strauß 1967, fünf Monate bevor der ungeheure Nutzen über die Araber Cisjordaniens, des Sinai und der Golan-Höhen hereinbrach: “Einige Zeit später (gemeint ist 1958, nach dem Treffen vom Dezember 1957) kam Shimon Peres wieder zu mir und unterrichtete mich im einzelnen über die Sicherheitsprobleme des Staates Israel. Es war dabei von vorneherein klar, daß es der Regierung Ben Gurion nicht um Expansion, d. h. um Aggression und Eroberung gegenüber den arabischen Staaten ginge, sondern um die Selbsterhaltung Israels”[42]. Franz Josef Strauß 1977, nachdem sogar ihm klar wurde, was von vorneherein klar war: “Der CSU-Vorsitzende Strauß hat Israel vorgeworfen, eine ‘Expansionspolitik’ zu betreiben. Bei einem Besuch in Amman erklärte der CSU-Chef in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview mit der Zeitung JORDAN TIMES, ohne einen Rückzug Israels aus den 1967 besetzten arabischen Gebieten seien die Aussichten für eine Regelung des Nahostkonflikts gleich Null”[43].
Das wäre denn die stinkendste aller Sumpfblüten, die ihre Wucherkraft dem Behemoth verdankt. Und der, so nebenbei bemerkt, ein Kiesinger verdankt, daß Juden auch mal was Nettes von ihm sagen – und nicht nur Ohrfeigen in Auftrag geben. Ben Gurion zum Beispiel: “Bei Adenauers Begräbnis habe ich auch Kiesinger getroffen. Er war ein Nazi … Kiesinger ist ein angenehmer und verständiger Mensch. Und was war, das war…”[44]. Herr Strauß nimmt bescheidenerweise nur für sich in Anspruch, daß die Bonner Republik der Waffenkumpanei mit Peres und Ben Gurion die freundlichen, statt der befürchteten, Deutschland-Kommentare zu verdanken hat, die die internationale Presse 1961 zum Jerusalemer Eichmann-Prozeß druckte (*42). Wer diese kanonische Fortzeugung des Bösen, mit der ein Rhöndorfer Neurosenzüchter den deutschen Aussatz mehr wegzumogeln als wegzumendeln suchte, in seiner unheilvollen Trächtigkeit nicht versteht, dem kann nicht mehr geholfen werden. Was können, in dieser Wüstenei von Mendelsöhnen, da schon die 525 000 weggemogelten Wüstensöhne zählen, die ihre Flucht und Austreibung von 1967 dem Abwehrwaffendenken der echt deutschen Talmi-Sühne mitverdanken[45].
Was ist der Untergang von Byzanz gegen das Aufkommen eines Byzantinismus, der den Zionisten einen Verwirrspielraum verschaffte, der in der Geschichte seinesgleichen sucht. Was ist die Vogelgehirnperspektive von Regenbogenillustriertenlesern gegen den Abgrund von Informationslücken, über dem hier, und im gesamten Westen, Politik gemacht wird. Man zeige mir ein einziges Einblasinstrument in dieser Republik, das so klingt, wie es notiert wird! Man zeige mir einen einzigen Informationslückenbüßer, der nicht nach den Orgelpfeifen tanzt, die beschmutzte Hände an blutverkrusteten Manualen intonieren nach Art der israelischen Tagesstimmung! Und wenn dann hie und da das Klangfarbenbild nicht mehr stimmt, kann jeder x-beliebige Israeli die Sündenregister ziehen. Das schweigt und vertuscht und desinformiert, daß sich die Balkenüberschriften biegen; das baut auf die Verschwiegenheit, das Tätscheln und Vergessenmachen, daß Gott erbarm. So geht’s halt in einer anciennisierenden Republik. Erst schenkten sie, sehr weit von oben, den Zionisten das Gehör, jetzt sind sie ihnen hörig. Ein leises Kitzeln der Achillesferse kann müde Redaktionen und Ministerrunden in Panikstimmung bringen. Man fürchtet nichts so sehr wie Schelte von den Zionisten und hört darum auf deren altruistische Lageanalysen mit einem Altruismus, der, um das alte Wort hervorzukramen, wirklich einmal artfremd ist. Hat nicht das Heer von Hehlern, das jetzt zaghaft und betreten die Rückzugsresolutionen der UNO unterstützt, den Tiefschlagabtausch eingeläutet, mit dem der menschenhungrige Schafsfellgolem für’s erste seinen territorialen Appetit befriedigte? Hat nicht das desinformierte Pfahlbürgertum die Grenzpfähle mitversetzen helfen? Und nicht nur mit den Steuergeldern, die man ihm veruntreut hat. Macht nur die palästinensische Filterprobe, und ihr werdet sehen, wie sehr im moralischen Spektrum der Bundesrepublik, vom elenden bis zum edlen Ende, von Springer bis zu Heinrich Böll, die Bandeneigenschaft der Hartgesottenheit dominiert. An den Palästinensern, der Sündenbockausgabe letzter Hand, versündigen sich alle. Vom Schuld-und-Sühne-Drama, das sich in stilleren Regionen glaubhaft müht und quält, doch stets um den letzten Akt, die Sühneschuld, beschnitten bleibt, bis hin zum Schwert-und-Pflugschar-Plagiat, das sich mit chauvinistischen Exkrementen exkulpieren will und schon vom Konzept her des palästinensischen Bösewichts bedarf – die Ausdrucksbreite ist beträchtlich, die Einsichtslosigkeit gespenstisch. Deutschland trage keine Verantwortung für den Nahostkonflikt, sagte Staatssekretär Conrad Ahlers, der damalige Regierungssprecher, nach dem Blutbad bei der Münchner Olympiade[46]. Das ist kein Halberstarktenidiom, nicht Bosheit und nicht Insolenz; das ist das Regelgeräusch der Instinktdrüsen. Man hatte schon die Nazi-Pest, jetzt hat man sich den Goi’schen Zionismus zugelegt, die Krankheit, für deren Therapie sie sich ausgibt. Es wäre doch gelacht, wenn unsere Pestsellerautoren nicht auch diese Plage gut verkaufen könnten. Man glaubt sich schon so lange frei von Kümmernis und hält darum die Nachkriegsgenese für die Genesung, das Kurare für die Kur. Man darf als protegierter Pestsäulenheiliger nah bei der Bundesladerampe stehen und selektieren: die Guten ins Kröpfchen, die Schlechten ins Töpfchen; die Israelis ans Herz, die Palästinenser in die Pfanne. Der eingepflanzte Herzlschirittmacher funktioniert, und man trägt ihn so eingewöhnt wie, ähnlich den Pflanzern und den Siedlern, gewöhnlich für den Nahostkonflikt keine Verantwortung. Wer immer sich bemerkbar machen kann, dank seiner Literatenstimme, seiner Wahlprozente oder seiner Rotationsmaschine, und sich, ob stilisiert oder geschmiert, bemerkbar macht es ist allemal der Goi’sche Zionismus. Am Leidensweg der Palästinenser scheiden sich die Geister nicht. Die Nagelprobe, sieht man nur ganz illusionslos hin, geht keineswegs auf Philosemitismus – man ist pro-zionistisch und hat demnach auch fernerhin die Wahl. Auch Herr Grass fährt nach Israel, wenn er was Nettes über Juden schreiben will, und nicht nach New York, wo immerhin mehr Juden, auch Nazi-Opfer, leben als im Zionistenstaat. Das israelische Anliegen, der einzige Consensus omnium dieser Republik, macht selbst weltanschauliche Antipoden zu Anliegern. Es ist im allerschlimmsten Sinne leider nicht so, daß nur ein Einfall von Ionesco zwei Antipoden vom Kaliber Böll und Springer in einem Kibbuz zusammenführen und ihr Talent für warme Handdrücke auf die Probe stellen könnte. Der blaue Dunst der Edelfäule des Behemoth kann uns das Schauspiel jederzeit realiter verschaffen.
Kein Zweifel, die geistige Disposition für ein weiteres Desaster ist geschaffen. Es sollen, wie ich gerüchteweise höre, sogar schon diesbezügliche Gerüchte kursieren. Aber ich kann den Leser beunruhigen: die Selbstrettungsgesellschaft der besser Informierten, die sich insgeheim formiert, wird nichts mehr ändern können. Die Führungsrolle des Umrüstungsministers Strauß verheißt gar ausgesprochen Schlimmes. Die gordische Lösung, die er knotet, dürfte schließlich dem Danaidenfaß den Boden aushauen. Die Rott am Inner Rotten, also eine Art Kreisauer Kreis der CSU, also eine Art Verabredung getäuschter Roßtäuscher zum Dämmerschoppen, die instinktsicheren Schiffsrotten also, denen man die Verleugnung ihrer Verdienste um die Befreiung von Judäa und Samaria schon gestattet hat, die Zechpreller also und Apostaten ihrer selbst, sind dabei, vom Schuld-und-Sühne-Sühneschulden-Karussell abzuspringen. Doch sie und alle, die gleich ihnen, mit rechtem oder linkem Tritt, den Absprung vorbereiten, werden nichts mehr wenden. Der Leviathan, den sie päppeln halfen, daß es eine Art hat, ist erwachsen.
Ich kannte ihn schon als er noch klein war, von den Juden geschnitten und zum Schoßkind der Antisemiten wurde. Ich weiß noch, wie sie ihm die Unarten lehrten, und wie die Juden sie vergeblich auszutreiben suchten; wie sie ihn deckten – und je schlimmer die Delikte waren, desto mehr. Jetzt fühlt er sich erwachsen, und mit der ihm eigenen Verbissenheit, mit immer neuen Lageanalysen zur Verursachung unhaltbarer Lösungen, frißt er sich weiter vor in arabisches Land. Noch sind die Kinder nicht geboren, die vor ihm werden fliehen müssen. Der Schuldenberg, der jetzt als Sühne gilt, wird weiter wachsen. Und wenn die Sühneschulden nicht beglichen werden, wird man in immer größeren Flüchtlingslagern immer noch mehr Kinder lehren, wie alles kam: für wessen Schlächterei sie geradestehen müssen, welches Seelenkrüppeltum sie verketzert und die Bedränger hegte sondergleichen. Sie werden sich mit Blut besudeln wie schon ihre Väter, die mit ohnmächtigen Mordkommando-Unternehmen das elend vorenthaltene Recht ertrotzen wollten. Ob, was wir taten, mehr zu unserer Zeichnung beiträgt, als was wir unterlassen oder was wir geschehen ließen, ich kann es nicht entscheiden. Wenn ich hineingreife in die langen Regale der Hahnebücherei, wenn ich das Räderwerk aufspüre, in das die Palästinenser gerieten, wenn ich bei der Räderwerksbesichtigung auf die Mordgesellenstücke stoße, die den Palästinensern unterschoben werden, wenn ich den Schieblehrbetrieb bedenke, in dem eine oktroyierte Maßstabslosigkeit sich per Augenmaß vermißt, die Palästinenser auf den Abfallhaufen der faschistischen Geschichte zu kehren; wenn ich den Abfall sehe, der hier Geschichte machte, vom antisemitischen Führerstaat bis zur prozionistischen Republik von Rädelsführern, von der Mörder- zur Selbstmördergesellschaft, der ich zutraue, daß sie sich vor lauter Mogelei noch in einen dritten Weltkrieg hineinmendelt; wenn ich bis zu den letzten Dingen vorstoße – dann stoße ich auf die Posener Rede eines deutschen Henkers und die Düsseldorfer Rede eines deutschen Denkers, die ich mir nicht mehr auseinandernehmen lasse:
Ich will hier vor Ihnen in aller Offenheit auch ein ganz schweres Kapitel erwähnen. Unter uns soll es einmal ganz offen ausgesprochen sein, und trotzdem werden wir in der Öffentlichkeit nie darüber reden… Ich meine jetzt die Judenevakuierung, die Ausrottung des jüdischen Volkes. Es gehört zu den Dingen, die man leicht ausspricht. ‘Das jüdische Volk wird ausgerottet’, sagt ein jeder Parteigenosse, ‘ganz klar, steht in unserem Programm, Ausschaltung der Juden, Ausrottung, machen wir.’ Und dann kommen sie alle an, die braven 80 Millionen Deutschen, und jeder hat seinen anständigen Juden. Es ist ja klar, die anderen sind Schweine, aber dieser eine ist ein prima Jude. Von allen, die so reden, hat keiner zugesehen, keiner hat es durchgestanden. Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte[47].
Wenn die Bundesrepublik heute… einer Mehrheit von Deutschen viel mehr als ihr eigenes Heim gilt als die Weimarer Republik es je tat, so liegt das zweifellos zu einem guten Teil daran, daß es in der Bundesrepublik praktisch keine Juden mehr gibt. Was ich hier sage, klingt zynisch und ist in der Tat eine gefährliche, bedenkliche Beobachtung. Aber sie muß gemacht werden. Der befremdende Erfolg der Bonner Republik im Inneren und dadurch auch nach außen hin, die vergleichsweise Entspanntheit, die heute das öffentliche Leben in Deutschland bezeichnet, sie haben etwas damit zu tun, daß die deutschen Juden geflohen oder ausgemordet sind. Man könnte den Akt der Austreibung, den Akt des Massenmordes insofern als er folgreich bezeichnen…[48].
Was so sprach, vor der jeweiligen Elite der Nation, spricht für viele. Nicht für alle, doch alle haben teil. Die gentilemen mit der weisen Western-Art kennen die jeweiligen Essenzen, die ein- und hingenommen werden müssen, damit man beständig anständig bleibt. Die Quintessenz ist nämlich die, daß man sich zu Hause fühlt seit die Palästinenser keines mehr haben. Man fühlt sich in dem Augiasstall, den unser aller Herkules von Juden ausgemistet hat, weit mehr zu Hause als die Israelis in dem ihren, den ihnen, dank jenem, der Zionismus einzubrocken in der Lage war. Die Lage in den Flüchtlingslagern schließlich, die ist so, daß dort die derzeit eigentlichen Juden hausen: die Juden der Zionisten, der Christen und so mancher Muselmanen. An Antisemiten fehlt es also nicht. Es fehlt an Judenrettern.
Ich danke meiner Frau für ihre unschätzbare Hilfe und ihr anhaltendes Interesse. Sie hat mir jahrelang ungezählte Artikel, Broschüren und Flugblätter aus dem Hebräischen und Arabischen übersetzt. Ich danke meinen wenigen jüdischen, palästinensischen und deutschen Freunden für die Mithilfe bei der Informationsbeschaffung und vor allem für ihren Zuspruch.
Quellenverzeichnis und Anmerkungen
[1] John and David Kimche: Both Sides of the Hill. London 1960. S. 20
[5] Hans Lamm: Zionismus in Deutschland – Gestern und heute. In: Israel und Wir, Keren Hajessod-Jahrbuch 1955/1963. Frankfurt/Main 1966. S. 59
[6] Naomi Wiener Cohen: The Reaction of Reform Judaism in America to Political Zionism. In: American Jewish Historical Society Publ. New York. Juni 1951. S. 361
[9] Ben Hecht: A Child of the Century. New York 1955. S. 497; vergl. auch Ben Hecht: Perfidy. New York 1961. S. 19
[11] Theodor Herzl: Tagebücher (Gesammelte Zionistische Werke in fünf Bänden). Tel Aviv 1934. Bd. II, S. 58 u. S. 63
[13] David Ben Gurion: Michtawim el Paula w’el Hajeladim (Briefe an Paula und die Kinder). Tel Aviv 1967.
[15] Zitiert nach Klaus Polkehn: The Secret Contacts – Zionist-Nazi Relations 1933-1941. In: Journal of Palestine Studies, Vol. V (1976) Nr. 3/4 S. 74
[18] Zwi Shiloah: Eretz gedola le’Am gadol (Ein großes Land für ein großes Volk). Tel Aviv 1970. S. 99
[19] Rev. W. J. Couper, M. A.: Zionism and Christian Missions. United Free Church of Scotland Publ. Glasgow 1920. S. 20
[20] David Ben Gurion (Hrsg.) : Darchei Medinjuteinu (Wege unserer Politik). Report über den Kongreß des Weltrates der Po’ale Zion, 29. Juli bis 7. August 1937 in Zürich. Tel Aviv 1938.
[23] Adolf Hitler in der Sitzung des Großdeutschen Reichstags vom 30. Januar 1939. Zitiert nach: Detlef Junker (Hrsg.) : Deutsche Parlamentsdebatten. Frankfurt/Main 1971. Bd. 2, S. 291
[24] Ausschnitt aus HERUT zitiert nach: Menachem Begin: Bamachteret (Im Untergrund). Tel Aviv 1959. Bd. 3, S. 120.
Das ‘Epitaph’ ist entnommen: Richard Lichtheim: Die Geschichte des deutschen Zionismus. Jerusalem 1954. S. 270. Der Satz steht im letzten Absatz des Buches und muß daher wohl als Resümee gelten.
[25] Irreführende und gefälschte Zeugnisse zur Verschleierung der Tatsache, daß die meisten Palästinenser vertrieben wurden, sind mit beträchtlichem Aufwand verbreitet worden. Während aber im nichthebräischen Sprachraum die Vorstellung von den Israelis, die dem Massenexodus der Araber verzweifelt Einhalt gebieten wollten, weiter aufrecht erhalten wird, hat sich im hebräischen Sprachraum das Bild seit einigen Jahren völlig geändert. Der offizielle Ben Gurion-Biograph, Dr. Michel Bar-Zohar, der die Tagebücher Ben Gurions noch zu dessen Lebzeiten auswerten durfte, äußerte sich zum Beispiel am 26. Februar 1978 in Kol Israel (dem staatlichen israelischen Rundfunk) in einer Sendereihe über die 50er Jahre folgendermaßen:
“Ben Gurion war während seines ganzen Lebens gegen Gewaltanwendung… Jedoch während des Unabhängigkeitskrieges (1948) ordnete er ausdrücklich an, Araber aus eroberten Gebieten hinauszuwerfen, nicht sie zu töten, aber sie hinauszuwerfen. Das war sein Konzept, und darüber wäre seine Regierung beinahe gestürzt. Als Cisling im Kabinett die Frage stellte, warum denn die Häuser der geflohenen Araber zerstört werden, und warum sie weggejagt werden, sagte Ben Gurion, daß wir einen jüdischen Staat wollen… Und nach dem Krieg hoffte er immer, daß sich eine Gelegenheit bieten würde, die noch verbliebenen Araber wegzujagen.” (Übersetzung nach der Tonbandaufzeichnung der genannten Sendung.)
In der in Hebräisch vorliegenden Ben Gurion-Biographie gibt Bar-Zohar einige Details, die den vertrauten Seelenmechanismus erkennen lassen, wie bei politischen Verbrechen solchen Ausmaßes durch bewußt widersprüchliche Anordnungen die Schaffung von Mitschuldigen und damit eine Entlastung des Gewissens angestrebt wird: “… Ben Gurions Bestreben ging immer dahin, eine größtmögliche Zahl von Arabern aus dem Staatsgebiet zu entfernen und dafür zu sorgen, daß sie auch nach dem Krieg nicht zurückkehren. Er hat offiziell keine Aktion befohlen, die das Ziel hatte, nicht geflohene Araber zu vertreiben. Aber er gab seinen Kommandanten und Soldaten Winke in dieser Richtung. Nach der Eroberung von Lod und Ramleh gab es in dem für die, Dani’-Operation zuständigen Stab eine Diskussion. Beide Städte wurden durch Flankenangriffe erobert, und die Araber flohen nicht. Ungefähr 60 000 blieben am Ort. Jigal Alon, der Kommandeur der Operation, stellte die Frage: Was soll man mit ihnen machen? Ben Gurion, Galili, Yadin und Rabin nahmen an der Erörterung teil. Ober eine Stunde wurde darüber gesprochen, einige waren dafür, daß man die Araber vertreiben müsse. Ben Gurion machte den Mund nicht auf. Er hörte schweigend den Worten der Teilnehmer zu. Man kam zu keinem Ergebnis und man wandte sich einem anderen Thema zu. Und jetzt beteiligte sich der Alte an der Debatte. Als die Runde sich auflöste, gingen Rabin und Alon mit Ben Gurion hinaus. Alon fragte Ben Gurion: Was also soll man mit den Arabern machen? Ben Gurion machte, nach den Worten von Rabin, eine energische Handbewegung und es entfuhr ihm: ‘Vertreib sie!’… Ähnliches passierte nach der Eroberung von Nazareth. Als die Stadt erobert war erfuhr Ben Gurion, daß Moshe Carmel befohlen hatte, alle Einwohner Nazareths zu entwurzeln (hebr. ‘akar; kann sowohl entwurzeln wie auch ausrotten bedeuten). Der Kommandant des Regiments zögerte. Als Ben Gurion eine entsprechende Anfrage erhielt, telegraphierte er sofort (am 18. Juli 1948), sie sollten die Einwohner nicht entfernen… Jedoch als der Alte kurze Zeit später nach Nazareth kam, schaute er sich entsetzt um und fragte (den Stabschef von Moshe Carmel): ‘Warum so viele Araber? Warum habt ihr sie nicht vertrieben?’…” (Michel Bar-Zohar: Ben Gurion. Tel Aviv 1977. Bd. 2, S. 775.)
[29] Artikel in DAVAR (Tel Aviv), dem offiziösen Blatt der Regierungspartei Mapai. Zitiert nach KEMPER (New York), 11. Juli 1952.
[31] MA’ARIV (Tel Aviv) vom 16. September 1977 macht z. B. folgende pauschalen Angaben: Nur 21% des Jüdischen Volkes lebt in Israel, 15% aller israelischen Bürger leben im Ausland. Die israelische Gemeinde in Kanada macht 12% der kanadischen Juden aus.” Die meisten der bekannt gewordenen Zahlen der ‘Yordim’ (wörtlich: diejenigen, die hinuntersteigen) stammen aus israelischen Quellen und sind mit Sicherheit zu klein. Siehe zum Beispiel die Angaben in THE INTERNATIONAL HERALD TRIBUNE vom 22. Februar 1977; LE MONDE vom 26. April 1977. Es gibt (nicht sehr glaubwürdige) Schätzungen, wonach in den letzten sieben Jahren 900 000 Israeli das Land verlassen haben sollen.
[32] Dov Barnir, politischer Kommentator von AL HAMISHMAR, in: ISRAEL HORIZONS AND LABOR ISRAEL, Vol. 24, No. 2 (Februar 1976)
[33] Eine Darstellung der versuchten Tricks und angewandten Überredungskünste zur Erlangung eines amerikanischen Touristenvisums z. B. bei Benny Landau: Unterwegs zur verbotenen Küste. MA’ ARIV, 19. August 1977. Photo von der Warteschlange vor der amerikanischen Botschaft in Tel Aviv in MA’ARIV vom 13. Juli 1977. Eine bissige Satire (mit dem Einfall, daß der einzige wirksame Druck, den Präsident Carter auf die israelische Regierung ausüben könnte, die Ankündigung wäre, jedem Israeli, der das wünscht, ein US-Visum und die begehrte grüne Karte zur Arbeitserlaubnis auszustellen) von B. Michael in HA’ARETZ vom 5. August 1977.
[35] Vergl. z. B. THE GUARDIAN, 2. Februar 1977; Luise Rinser:
Wer Israel verläßt, den verläßt es. DER SPIEGEL Nr. 15/1977. S. 169; DIE WELT, 20. Dezember 1977.
[40] Shimon Peres: War in the Desert. In: Naftali Arbel: The Sword and the Plowshare. Tel Aviv 1968. S. 53
[41] Steve Eytan: L’Oeil de Tel Aviv. Paris 1970. S. 104. – Die Existenz, aber nicht der Umfang, der von Strauß initiierten und von Adenauer gedeckten und vor allen deutschen Gremien geheimgehaltenen Waffenlieferungen ist Ende 1964 durch eine Indiskretion der NEW YORK TIMES bekanntgeworden. Die Regierung Erhard beschloß daraufhin, die restlichen zur Lieferung vorgesehenen Waffen über Frankreich nach Israel zu schleusen. Sieben Schnellboote, die fast ausschließlich von Deutschland finanziert wurden, ankerten noch in Cherbourg, als General de Gaulle im Dezember 1968, nach der Zerstörung von 13 libanesischen Passagierflugzeugen durch ein israelisches Kommando auf dem Beiruter Flughafen, ein totales Waffenembargo für Israel verfügte. Zwei dieser deutschen Schnellboote wurden von den Israelis, ohne Aufsehen zu erregen, am 4. Januar 1969 gestohlen, die restlichen fünf in der Weihnachtsnacht des gleichen Jahres. Das zweite Gangsterstück löste einen Skandal aus. Die deutsche Verwicklung wurde verschwiegen.
[42] Franz Josef Strauß über seine Kontakte mit Shimon Peres, dem damaligen stellvertretenden israelischen Verteidigungsminister. Interview vom 19. Januar 1967, abgedruckt in: Rolf Vogel (Hrsg.): Deutschlands Weg nach Israel. Stuttgart 1967. S. 137
[44] Interview mit David Ben Gurion unter der Überschrift: “In Jaffa ist es den Juden erlaubt zu wohnen – und in Hebron nicht?” YEDIOTH AHARONOT, 11. Oktober 1968.
[45] Nach Angaben des CHRISTIAN SCIENCE MONITOR vom 30. April 1969 flüchteten 175 000 Palästinenser zum zweiten Mal vor den Israelis, 350 000 sind neu registrierte Flüchtlinge. Ein beträchtlicher Teil verließ die besetzten Gebiete, unter dem Einfluß von psychologischem Terror, lange nach Abschluß der Kampfhandlungen vom Juni 1967. Noch im folgenden Jahr, von Januar bis Mai 1968, registrierten allein die jordanischen Behörden 22 000 Flüchtlinge.
[47] Heinrich Himmler: Rede vor SS-Gruppenführern am 4. Oktober 1943 in Posen. Zitiert nach J. C. Fest: Das Gesicht des Dritten Reiches. München 1964. S. 162
[48] Golo Mann: Rede vor dem Rhein-Ruhr-Klub e. V. am 14. Juni 1960 in Düsseldorf, bestellt von der Leitung dieses Industriellen-Klubs. Abgedruckt in: Golo Mann: Der Antisemitismus – Wurzeln, Wirkung und Überwindung. Frankfurt 1961. S. 28 (das Bändchen enthält lediglich diese Rede).
Es gibt einen nahezu unbekannten zionistischen Familienroman, THOMAS UND SEINE SÖHNE, wie ihn nur das deutsche Leben schreiben kann. Hier, trotz des Stilbruchs, die markantesten Stellen im Telegrammstil:
Golo Mann
Gründung des ‘Deutschen Komitees Pro Palästina zur Förderung der Jüdischen Palästinasiedlung’ am 15. Dezember 1926; initiiert von einer Handvoll deutscher zionistischer Juden, ca. 75 % nichtjüdische Mitglieder, darunter zwölf führende Reichstagsabgeordnete. Gründungsmitglied: THOMAS MANN.
Eintragung im Tagebuch: “Die (Nazi-)Revolte gegen das Jüdische hätte gewissermaßen mein Verständnis, wenn nicht… das Deutschturn so dumm wäre, meinen Typus mit in den selben Topf zu werfen und mich mit auszutreiben.” – “Was ist das mit dieser ‘deutschen’ (Revolution), die das Land isoliert, ihm Hohn und verständnisvollen Abscheu einträgt ringsum? Die nicht nur die Kerr und Tucholsky, sondern auch Menschen u. Geister wie mich zwingt, außer Landes zu gehen?” – Zur Nachricht von der Ermordung des jüdischen Kulturphilosophen Theodor Lessing im tschechischen Exil am 31. August 1933 durch gedungene Nazi-Mörder: “Mir graust vor einem solchen Ende, nicht weil es das Ende, sondern weil es so elend ist und einem Lessing anstehen mag, aber nicht mir.” Tagebuchautor: THOMAS MANN, 1933/34 im Schweizer Exil.
Rituelle Exkulpationsfeierstunde des Rhein-Ruhr-Klubs am 14. Juni 1960; Höhepunkt: eine Rede, die sich reingewaschen hat; Redner: GOLO MANN.
Auszug aus der Schlußsequenz der Rede:
“Nun, meine Ausführungen galten dem Antisemitismus, und ich darf nicht schließen, als ob es ihn überhaupt nicht gegeben hätte. Es gab ihn, es gibt ihn auch heute noch… Mit uns allen steht es aber so, daß es unsere Pflicht und Schuldigkeit ist, unsere antisemitischen Gefühle strenger zu kontrollieren, als vor der jüdischen Katastrophe. Das ist vor allem eine Frage der Selbstzucht und des Willens. Wer nicht erzogen werden will, wer nicht aufgeklärt werden will, der kann es gerade in dieser Sache von außen her nicht. Hier haben wir etwa den Staat Israel. Er ist, man kann das wohl sagen, das arbeitsamste, tapferste, opferwilligste, am stärksten idealistische Gemeinwesen, das es heute auf Erden überhaupt gibt. Nichts von ‘jüdisch-zersetzend’ hier, nichts von jüdischer Geschäftemacherei oder jüdischer Drückebergerei oder jüdischer Körperschwäche und was noch. Hier sind die Juden Soldaten, und gute Soldaten, das haben sie gezeigt und sie sind Arbeiter, und gute Arbeiter, das haben sie gezeigt und blühende Gärten aus der Wüste gemacht… Ich bewundere die Politik der deutschen Regierung gegenüber Israel, sie ist geradlinig und unbeirrbar und von hohem moralischen Willen diktiert…”