Die Hungerblockade
Die Hungerblockade
Saudische Kriegsallianz riegelt Jemen ab. Der US-geführte Westen liefert Waffen und schickt Drohnen. Millionen Menschen droht der Tod. In Genf tagt eine »Geberkonferenz«
Von Gerd Schumann, Junge Welt, 25. April 2017 Das Onlineportal tagesschau.de berichtete am 23. Februar von einer Pressekonferenz am Sitz der Vereinten Nationen und wunderte sich. »›Was für ein Podium‹, sagt ein Journalist beeindruckt: Tatsächlich reichen auf der Bühne die Sitzplätze nicht für alle aus. Für UN-Generalsekretär António Guterres also, für Stephen O’Brien, Chef des UN-Nothilfeprogramms, für Helen Clark vom UN-Entwicklungsprogramm UNDP, für das Kinderhilfswerk UNICEF, das Welternährungsprogramm und auch noch die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO.« An jenem Donnerstag im Februar in New York geht eine große Inszenierung über die Bühne der Weltorganisation, die der Tragödie angemessen scheint: Im Südsudan, in Somalia, im Jemen und im Nordosten Nigerias seien 20 Millionen Menschenleben oder mehr direkt vom Hungertod bedroht, die größte Zahl seit Bestehen der UNO – zum Vergleich: Der Erste Weltkrieg forderte knapp zehn Millionen Opfer. Nunmehr sollte sich die so oft bemühte, tatsächlich aber nicht existente »internationale Gemeinschaft« endlich bewegen, so der Appell: Allein bis Ende März würden 4,4 Milliarden Dollar benötigt.Ergebnis im April: »Bisher sind erst zehn Prozent der benötigten Gelder überwiesen worden« (Deutsche Welthungerhilfe, 10.4.), die Nothilfegruppe Care – »die mit dem Carepaket« (Eigenwerbung) – spricht von sieben Prozent, und beide machen das, was bei zurückliegenden Hungerlagen immer und seit Jahrzehnten gemacht wurde: Sie fordern zu Spenden auf (Care: »… hilf mit zehn Euro einem Kind zu überleben«). Kontonummern flimmern über Bildschirme in die Wohnzimmer der Nation.
Wenige Tage später ist das Thema aus den Medien weitgehend verschwunden. Der Rest mutet an wie Folklore. Der Spiegel zeigt zwei Wochen nach dem UNO-Aufruf unter der Überschrift »Essen, das vom Himmel fällt« ein Foto von ausgemergelten, aber glücklich lachenden Frauen im Südsudan. »Bis zu fünf Stunden« seien sie »in der sengenden Sonne unterwegs gewesen«, um an von UN-Frachtflugzeugen abgeworfene Hilfsgüter zu gelangen.
Südsudan, ein »Failed State« mit Ansage: Das nach Jahrzehnten der Zerrüttung mit westlicher Waffenhilfe geschaffene, per Referendum vom Sudan abgespaltene Land verfügt über viel Erdöl. Und seit der Staatsgründung 2010 über noch mehr Elend. Im vergangenen Jahr wurden erstmals Formen von Kannibalismus gemeldet.
Am 12. April 2017 dann warnt das Flüchtlingshilfswerk UNHCR vor einer Wiederholung der Katastrophe vor sechs Jahren, als am Horn von Afrika 260.000 Menschen vor den Augen der Welt verhungerten. Und wieder wird zu einer »internationalen Geberkonferenz« geladen, diesmal am heutigen 25. April in Genf. Und wieder werden danach je nach Sammelergebnis Erfolgsmeldungen oder neue Appelle verkündet werden, wie zuletzt bei der bereits fünften »Geberkonferenz« für syrische Flüchtlinge in Syrien und den Nachbarländern Anfang April in Brüssel. In deren Auswertung kritisierte die UNO, wie der Deutschlandfunk am 5.4. berichtete, »dass die für dieses Jahr zugesagten Gelder bisher kaum geflossen seien. Bei der Versorgung der fünf Millionen Flüchtlinge in den Nachbarländern Syriens drohten deshalb Engpässe«. Dass die gegen die Regierung von Präsident Baschar Al-Assad verhängten Sanktionen des Westens einer der Fluchtgründe sind, wird nicht erwähnt.
Und hinsichtlich der besonders stark betroffenen Hungerstaaten Jemen, Somalia, Südsudan und Nigeria warnt derweil der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel: »Niemand kann mehr eine Ausrede haben, er wisse nicht, was auf die Menschen zukommt.« Also werde »die Lage im Jemen« am 25. April besprochen, die Lage in Somalia dann in London am 11. Mai. Und Gabriel übernimmt die gängige Version von den Ursachen für Flucht und Hunger: Die »Klimaveränderung« und die »Bürgerkriege« seien Schuld.
Der Angriffskrieg
Das Königreich Saudi-Arabien, das, 1932 als Staat konstituiert, gerne als regionale Großmacht anerkannt sein möchte, führt seit zwei Jahren einen Angriffskrieg gegen Jemen. Der Nachbar im Süden der Arabischen Halbinsel liegt am Golf von Aden, der über die strategisch äußerst wichtige Meeresenge Bab Al-Mandeb (Tor der Tränen) mit dem Roten Meer verbunden ist. Mehr als 20.000 Schiffe jährlich befahren die Haupthandelsroute zwischen Europa, Ostafrika und Asien. Hier verläuft aber auch der Fluchtweg für die Hungernden, die dem Elend in Ostafrika entkommen wollen. Für diese Menschen ist der Jemen längst kein Ziel mehr, denn dort leiden selbst »fast sieben Millionen Menschen extreme Not und sind von Hunger bedroht«, so die Hilfsorganisation Oxfam Ende März.
Der Krieg dauert an, und der Hunger ist dessen Produkt. Riad leitet die Militärintervention »Operation Decisive Storm« (»Operation Entscheidungssturm«), die von allen Golfmonarchien außer dem Sultanat Oman, also von den Emiraten Kuwait und Katar, dem Königreich Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie außerdem von Ägypten, Jordanien, Marokko, Sudan und Senegal mitgetragen wird. Jüngste Meldungen dazu besagen, dass bislang mehr als 1.500 Kinder getötet und 2.500 verstümmelt wurden. UNICEF zufolge gab es mehr als 200 Angriffe auf Schulen und etwa 100 auf Krankenhäuser. Seit Beginn der Kriegshandlungen starben mehr als 10.000 Zivilisten, die Dunkelziffer sei wahrscheinlich deutlich höher, vermutet die UNO.
Auch bei den ersten großangelegten Drohnenattacken der U. S. Army unter Präsident Donald Trump, die die Kriegs- und gezielte Tötungspolitik seines Vorgängers Barack Obama fortsetzen, sind in dem Land Menschen, vor allem Unbeteiligte, getötet worden. Am 28./29. Januar, ganze acht Tage nach Trumps Einzug ins Weiße Haus, demonstrierten US-Spezialkräfte mit einer Attacke, bei der etwa 30 Zivilisten starben, welche Politik der Präsident im Jemen zukünftig zu verfolgen gedenkt.
Konfliktpartei Deutschland
Außer von Washington wird die saudische Kriegsallianz zudem von Paris, London und Berlin unterstützt. Die deutsche Beteiligung besteht aus Waffenlieferungen sowie politischer Rückendeckung. Dazu schweigt Gabriel. Er sagt nicht, wenn er von Hunger im Jemen redet, dass die Bundesregierung 2016 – damals noch unter Federführung des von ihm zuvor geleiteten Wirtschaftsministeriums – Ausfuhrgenehmigungen für Waffen an die saudische Monarchie im Gesamtwert von knapp 530 Millionen Euro erteilt hat, eine Verdoppelung gegenüber 2015. Er sagt nichts zum Stand der Verhandlungen über die Lieferung von 25 U-Booten aus Emden und Kiel sowie von 270 Kampfpanzern vom Typ »Leopard 2«.
Nichts auch davon, dass Saudi-Arabien zur – neben Israel – stärksten Militärmacht des Nahen und Mittleren Ostens aufgerüstet wurde. Das Königreich und das benachbarte Scheichtum Katar waren 2013 »die zweit- und viertgrößten Empfänger deutscher Rüstungsgüter« weltweit. Trotz des völkerrechtswidrigen Angriffs auf Jemen winkte Berlin allein im April 2015 »Exporte von hundert Kleindrohnen, Funkzubehör und Ersatzteilen für gepanzerte Fahrzeuge im Wert von 12,8 Millionen Euro durch« (Spiegel online, 13.5.2015).
Freigegeben wurden jüngst die Lieferungen von Hubschraubern und »Patrouillenbooten« der »44-m-Klasse«. Im Jemen-Krieg greifen die Saudis nicht nur zu Land- und Seeblockaden, sondern riegeln die von den Aufständischen gehaltenen Gebiete auch aus der Luft ab. Doch statt von der Aufrechterhaltung des Belagerungszustandes mit Hilfe von Kriegsschiffen aus deutscher Produktion zu sprechen, hebt Gabriel deutsche Zahlungen für Hungerhilfe hervor. »Aus Sorge vor einem neuen Flüchtlingszustrom aus Afrika« engagierten sich Deutschland und Europa aber nicht. »Wir tun das, weil die Not der Menschen ungeheuer groß ist«, so Gabriel. »Und weil wir glauben, dass es auch eine Frage der Ehre ist« (tagesschau.de, 12.4.2017).
Am Horn von Afrika
Mitte März beschossen Kampfhubschrauber ungeklärter Herkunft ein Flüchtlingsboot im Golf von Aden. Die Menschen wollten von Somalia aus auf dem Seeweg in den Sudan gelangen und dann von dort auf dem Landweg weiter über Libyen und das Mittelmeer Europa erreichen. 42 Somalier starben nicht weit von Dschibuti, wo die Bundesmarine seit 15 Jahren agiert – zunächst im Rahmen der nach dem »11. September« gestarteten Antiterroroperation »Enduring Freedom«, dann seit 2008 als Teil der EU-Militäroperation »Atalanta«. Das EU-Mandat zur Bekämpfung von »Piraten« wurde mehrfach verlängert, zuletzt bis Dezember 2018. Dschibuti ist für den Westen geostrategisch bedeutend. Neben der EU-Truppe befinden sich dort mit 4.000 Soldaten der einzige ständige US-Stützpunkt in Afrika sowie die größte französische Basis auf dem Kontinent mit 2.100 Angehörigen.
Welche konkrete Rolle »Atalanta« heute spielt, da es kaum noch zu »Piraterie« und zu »Überfällen« auf Schiffe kommt – von 2013 bis 2017 seien es »knapp über zehn« gewesen, so offizielle Quellen –, ist unbekannt. Bekannt ist lediglich, dass die Mission weiterhin das südliche Rote Meer, den Golf von Aden und große Teile des Indischen Ozeans vor allem vor Somalia überwacht und seit 2012 luftgestützt mit Gewalt gegen »Verdächtige« auch küstennah an Land vorgehen kann.
Bundeswehr in Mogadischu
Außerdem wurde »Atalanta« auf Beschluss des EU-Rats um zwei »Ausbildungsmissionen« zur »Unterstützung« der somalischen Armee ausgeweitet. »Sie bildet Soldaten der somalischen Streitkräfte aus und berät das Verteidigungsministerium beim Aufbau von Sicherheitsstrukturen. Die Bundeswehr beteiligt sich an dieser Mission« (Quelle: »Bundeswehr im Einsatz. Wir dienen Deutschland«). Ziel sei, dass Somalia zukünftig »seine Gewässer selbst kontrollieren und staatlichen Ordnungsanspruch durchsetzen kann«. Fluchtverhinderung eingeschlossen? Das entspräche dann allerdings keinesfalls der ursprünglichen Intention des UN-Sicherheitsratsbeschlusses in Sachen »Piraterie«. Ebensowenig, dass eine »zivil geführte Ausbildungs- und Beratungsmission 2015 aus Dschibuti nach Mogadischu verlegt wurde«. Jedenfalls würde die Bundesmarine inklusive Militärausbilder am Horn von Afrika und in Mogadischu hervorragend in das Berliner Konzept zur Flüchtlingsbekämpfung vor Ort passen – im Fall des Standorts Dschibuti gegen verzweifelte Menschen aus den vom Westen produzierten »Failed States« Somalia und Südsudan.
Offiziell soll die in Dschibuti stationierte deutsche Marine den Schutz für die Schiffe des Welternährungsprogramms gewährleisten. Das gilt für Somalia. Um für den Jemen vorgesehene Transporte kümmert sich schließlich die u. a. in Deutschland produzierte saudische Kriegsmaschinerie. Riad spielte, so die Bundesregierung, »mit seinem politischen Gewicht eine Schlüsselrolle für die Sicherheit und Stabilität in der gesamten Region« und sei »ein unverzichtbarer Partner bei der Lösung der regionalen Krisen« (FR, 13.3.2017).
»Failed State« Jemen
Sein enges Verhältnis zum Westen unterscheidet Saudi-Arabien grundsätzlich vom Jemen. Dort vertrieb die nationale Befreiungsbewegung NLF die Kolonialisten. 1976 »verschwand der letzte britische Hochkommissar Humphrey Trevylan mit einem flüchtigen Winken am Flugzeug, das ihn nach London zurückbrachte. Zum Abschied spielte die Kapelle der Royal Navy die Melodie von ›Fings Ain’t Wot They Used T’Be‹ (Nichts ist mehr wie früher)« – so beschreibt der Historiker und Autor Tariq Ali die Szenerie. Dem saudischen Herrscherhaus wurde damals schon angst und bange.
Die Angst vor der »arabischen Straße« hält bis heute an und bestimmt die saudische Innen- und Außenpolitik entscheidend mit. Die ausländischen, häufig schiitischen Arbeitskräfte, ohne die die Schätze unter dem Wüstensand nicht ans Tageslicht gebracht werden könnten – in Saudi-Arabien sind es Abermillionen Arbeiter, die vor allem in der ölreichen Ostprovinz leben –, bilden ein ständiges Unruhepotential, das sich jederzeit bemerkbar machen könnte. Und als solches wird es von den Ausbeutern auch wahrgenommen – und zwar grenzübergreifend.
Als es in Bahrain, einem Staat bestehend aus 35 Inseln im Persischen Golf, im Zuge der »Arabellion« im März 2011 zu sozialen Protesten kam, schickte Riad zu deren brutaler Niederschlagung 1.000 Soldaten und 500 Polizisten, besetzte das kleine Königreich, rettete dem sinnesverwandten sunnitischen Monarchen die Haut und der U. S. Navy den Stützpunkt für deren V. Flotte. »Saudi-Arabien wird bis zum Tode kämpfen, um ein Übergreifen des Konflikts auf seine schiitischen Bewohner zu verhindern«, zitierte die FAZ in einem Artikel vom 30. Dezember 2013 eine junge Aktivistin und nannte das Problem, das jede repressive Herrschaft fürchtet: Die Unterdrückten könnten irgendwann die Paläste stürmen.
Der Jemen-Krieg kostet Riad je nach Quelle zwei bis sieben Milliarden Dollar im Monat – und das in einer Zeit drastisch reduzierter Staatseinnahmen infolge des Ölpreisverfalls bei gleichzeitig uferlosem, verschwenderischen Luxus der Saud-Familie mit ihren 6.000 oder 7.000 Prinzen nebst Entourage.
Schwarzes und blaues Gold
Als US-Präsident Franklin D. Roosevelt 1943 den britischen Botschafter Edward Wood, 1. Earl of Halifax und ehemaliger Vizekönig von Britisch-Indien, im Weißen Haus empfing, stand eine Neuaufteilung der Welt des Öls an. Das koloniale Empire trat in sein Zerfallsstadium ein, auch die Herrschaft über den arabischen Raum, die sich London mit Paris teilte, geriet ins Wanken. Innerhalb des imperialistischen Lagers wurden die Karten neu gemischt. Roosevelt als Vertreter der kommenden Supermacht USA sagte also zu Halifax: »Das persische Öl gehört Ihnen. Das Öl im Irak und in Kuwait teilen wir uns. Und was das saudische Öl betrifft, das gehört uns.«
Das war nicht verhandelbar, und so ist es im wesentlichen geblieben. Die USA haben die europäischen Kolonialmächte auf ihre Art ersetzt, gingen ökonomische und politische Bindungen ein und bauten – zeitgemäß – auf regional verankerte Diktatoren, im Fall der sechs Golfmonarchien auf Familienclans. Deren Oberhäupter stützen ihre Herrschaft als Könige, Emire oder Sultane durchweg mit Unterdrückungsapparaten und setzen – mit Ausnahme des Sultanats Oman – ideologisch und juristisch auf reaktionäre Auslegungen des sunnitischen Islams, zuvorderst den Salafismus und Wahhabismus.
Die Golfmonarchien gelten trotz aller Modifizierungen der Beziehungen im Laufe der Jahrzehnte als Garanten des ökonomischen und geostrategischen Zugriffs auf die mit üppigen Bodenschätzen gesegnete Arabische Halbinsel. Zwar floss, vor allem nach Gründung der OPEC 1960 und einer schrittweisen Verstaatlichung der Ölindustrie, ein größerer Teil der Erlöse in die Schatullen der arabischen Feudalklasse. Doch blieb diese ein durchweg zuverlässiger Partner des Westens und zugleich »Öltank der USA«, wie der Münchner Wirtschaftswissenschaftler Fred Schmid schreibt.
Die globale Bedeutung der Golfmonarchien wächst weiter. Wirtschaftlich wegen der vorhandenen Vorräte an »blauem Gold« (Erdgas vor allem aus Katar) und »schwarzem Gold«, geostrategisch schon allein wegen ihrer militärpolitischen Funktion in dieser schwer umkämpften Region. Nahm in der jüngeren Vergangenheit vor allem Saudi-Arabien als in jeder Beziehung und mit Abstand größter Staat dort die Rolle der Vorhut gegen »den Kommunismus« und die sich vom Kolonialismus befreienden Nachbarn Ägypten, Jemen, Syrien, Irak und die Maghreb-Länder ein, so fungiert es in der Gegenwart als Speerspitze gegen die sogenannten dunklen Mächte des Ostens mit seinem Intimfeind Iran und auch gegen die Verdammten dieser Erde im Süden.
Dieser Status Saudi-Arabiens wird, so der Stand der Dinge, unter US-Präsident Donald Trump noch wichtiger. Das macht die Lage gefährlicher, wenn nicht unberechenbar. »Wir wollen uns von der gescheiterten Politik der strategischen Geduld abkehren«, bemerkte US-Vizepräsident Michael Pence in Zusammenhang mit Nordkorea am 17. April 2017 – eine Drohung mit Krieg auch im »Alleingang«.
Ordnungsmacht USA
Deutlich ist längst, dass der Folterstaat Saudi-Arabien (neben dem Besatzerstaat Israel) der wichtigste Verbündete des Westens in der Region bleibt – auch militärisch. Das Königshaus gibt mehr als 13,5 Prozent seines Staatshaushalts für »Verteidigung« aus. In Zahlen: 87,2 Milliarden Dollar (2015), das ist Platz drei auf der Weltrüstungsskala hinter China mit geschätzt etwa 200 Milliarden Dollar und den USA (2016: 596 Milliarden Dollar). Im März 2017 kündigte der Milliardär im Weißen Haus an, den US-Militäretat um weitere 54 Milliarden Dollar oder zehn Prozent zu erhöhen. Ein Großteil der Summe soll explizit für die Modernisierung von Atomwaffen eingesetzt werden.
Die USA werden inzwischen, nach einem kurzen Zwischenspiel angeblicher »Unklarheit« über Trumps außenpolitische Strategie und seinen »Konfusionskurs« (Spiegel online, 20.4.2017), wieder als »Ordnungsmacht« und NATO-Führungsmacht verortet. Was den Nahen Osten betrifft, befinden sie sich auf einer Linie mit den reaktionärsten Kräften Israels und teilen weitgehend die Position des Königreichs Saudi-Arabien.
Teheran würde demzufolge – nach offenbar nur temporärer Entspannung – zurück in die Rolle des Hauptfeindes gedrängt. Bereits im US-Wahlkampf hatte Trump das Atomabkommen vom Juli 2014 als »schlechtesten Deal aller Zeiten« bezeichnet. Kürzlich nun stufte sein Außenminister die Vereinbarung als gescheitert ein. Sie werde »auf den Prüfstand gestellt«, so Rex Tillerson. Der Iran bleibt offensichtlich Kandidat für einen »Regime-Change« im Rahmen des US-Projekts »Greater Middle East«.
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar überbrachte der israelische Verteidigungsminister Avigdor Lieberman seinem US-amerikanischen Amtskollegen James Mattis eine klare Botschaft. Die drei größten Bedrohungen des Nahen Ostens seien »der Iran, der Iran und der Iran«, zitiert ihn die Onlinezeitung Times of Israel. Der saudische Außenminister Adel Al-Dschubeir erklärte, dass ihn die neue US-Regierung optimistisch gestimmt habe. Saudi-Arabien und Trump verfolgten dieselben Ziele: »Unter Trump wird Teheran lernen müssen, dass seine Aktionen einen Preis haben, dass sie sich nicht ungestraft in Konflikte in ihrer Nachbarschaft einmischen dürfen, dass sie das internationale Recht achten müssen« (Spiegel online, 18.2.2017).
Feind Iran
Riad wird nicht müde zu behaupten, dass die aufständische Huthi-Bewegung im Jemen nicht nur das Geschäft Irans erledigt, sondern auch von Teheran in jeder Beziehung unterstützt wird. Das mag auf den ersten Blick plausibel erscheinen, da auch die Huthi den Schiiten zugerechnet werden; Beweise für den Vorwurf, sie seien eine Art fünfte Kolonne und würden nicht nur ideologisch, sondern auch materiell und rüstungstechnisch von Iran unterstützt, blieben allerdings aus.
In der jemenitischen Geschichte spielten weniger Islamauslegungen eine Rolle. Viel wichtiger war und ist die soziale Frage. Angesichts des anhaltenden Elends von Armut und Hunger wächst allerdings die Gefahr, dass innerjemenitisch konfessionelle und ethnische Spannungen wachsen. Die islamistischen Fundamentalisten von »Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel«, ideologisch den saudischen Wahhabiten nahestehend, doch zugleich – wegen deren Beziehungen zum Westen – Kritiker des Königreichs, bauen ihre Positionen aus.
Die Kriege in Afghanistan und Irak wurden von den Stützpunkten der USA und Großbritanniens in den Golfmonarchien aus geführt. Die seit 1953 nahe Riad angesiedelte United States Military Training Mission (USMTM) ist zuständig für die Ausbildung der saudischen Armee. Insgesamt gibt es, über die Halbinsel verstreut, acht US-Militärbasen, darunter in Katar, von wo aus das U. S. Central Command (Centcom) die Kriege in Afghanistan, Irak und Syrien koordiniert, und in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Katar hatte seit dem Abzug der Briten als »Schutzmacht« 1971 nicht nur deren Ersetzung durch die USA gewünscht, sondern sich daran auch großzügig finanziell beteiligt. Geld spielt keine Rolle.
Reichtum und Hunger
Die Einwohner der beiden Staaten am Persischen Golf zählen mit einem Pro-Kopf-Einkommen zwischen etwa 70.000 (VAE) und 140.000 Dollar (Katar) zu den Privilegierten dieser Erde. Das gilt jedoch nur für die jeweiligen Staatsbürger: Den 225.000 autochthonen Kataris zum Beispiel stehen etwa 1,7 Millionen Migranten gegenüber, die für einen geringen Lohn ihre Arbeitskraft in der Öl- und Gasindustrie oder auch der Bauwirtschaft verkaufen.
Die sieben Vereinigten Emirate als – nach Saudi-Arabien – zweitgrößte Volkswirtschaft der arabischen Halbinsel beherbergen nicht nur die meisten der Konzernzentralen für den Mittleren Osten, sondern auch knapp vier Millionen ausländische Arbeiter. Das entspricht 80 Prozent der Bevölkerung. In Dubai steht der mit 828 Metern und 189 Stockwerken höchste Wolkenkratzer der Welt, »Burdsch Khalifa«, benannt nach dem Präsidenten der VAE, darin ein »Armani-Hotel«, 1.100 Eigentumswohnungen, Aussichtsplattform in 500 Metern Höhe und ein Nobelrestaurant im 122. Stock. Neben Geld- gibt es auch Goldautomaten, wo man sich unzenweise kleine Barren ziehen kann. In Abu Dhabi wird jede Dattelpalme, jede Akazie und Tamariske mit kleinen Schläuchen einzeln bewässert. Tausende Kilometer reicht das Netz, durch das kostspielig entsalztes Meereswasser fließt.
Derweil verdursten und verhungern einige hundert Kilometer weiter südlich die Menschen. Das jemenitische Pro-Kopf-Einkommen lässt sich derzeit nicht statistisch erheben. Es wird vielleicht zwischen 250 und 350 Dollar jährlich liegen.
Das Dauerthema Hunger handelt auch von Besitzverhältnissen. »Acht Männer reicher als die halbe Welt«, überschreibt die FAZ (16.1.2017) einen Artikel zur weltweiten Vermögensverteilung laut Oxfam. 500 Konzerne kontrollieren Reichtümer, die größer sind als die kumulierten Guthaben der 133 ärmsten Länder. »Wir erleben eine Refeudalisierung der Welt. Und diese neue Feudalmacht trägt das Antlitz der transkontinentalen Privatgesellschaften«, schrieb der Soziologe Jean Ziegler schon 2005.
Derweil Feudalmächte alter Prägung Jemen abriegeln und sich die Hotelgäste zu Dubai am Goldautomaten vergnügen, fallen einige Brosamen von den Tischen weniger »Geberländer«. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, wird es heißen. Die unverschämt ungerechte Verteilung der globalen Güter bleibt ausgespart. Es werden Spenden gesammelt