Die Kriminellen haben gewonnen
Sie haben gewonnen
Reform des Verfassungsschutzes
Von Sebastian Carlens, Junge Welt, 26. März 2015Es waren wilde Tage im November 2011. Die BRD wurde gewahr, dass eine rechtsterroristische Killerbande mehr als zehn Jahre lang mordend durchs Land ziehen konnte, ohne dass die staatlichen Stellen nur einen Finger krumm gemacht hätten, um des »Nationalsozialistischen Untergrundes« habhaft zu werden. Mehr noch: Ohne die Heerscharen an sogenannten Vertrauensleuten, die im Auftrag der diversen Inlandsgeheimdienste um den »NSU« herumscharwenzelten, wäre es wohl nie zur Attentatsserie der Neonazis gekommen. Der erste Sprengstoff: von »V-Leuten« besorgt. Die erste konspirative Wohnung: von einem Spitzel angemietet. Das Geld für neue Pässe: vom Verfassungsschutz bezahlt. Die ganze Geschichte war von vorne bis hinten so anrüchig, dass kurzzeitig sogar die alte Tante FAZ in die Nähe des Linksradikalismus geraten konnte: »Die großen, durch niemanden kontrollierten Apparate schaffen sich den Gegenstand, der ihre Existenz rechtfertigt, irgendwann selbst«, erschraken die tapferen Herrschaftsjournalisten vor der Kreatur. »Die Dienste dienen nur sich selbst«, erkannte das Blatt. »Es ist deshalb richtig, sie aufzulösen«. Wie gesagt, es waren wilde Tage.
Die Verwirrung fing sich rasch. Das, was der FAZ da passiert war, kennt die Psychologie als projektive Identifikation. Ein unbewusster Schutzmechanismus, der nicht integrierbare, »böse« oder »schmutzige« Aspekte der eigenen Persönlichkeit auf andere überträgt, vom Selbstbild abspaltet, um subjektiv unbeschadet bestehen zu können. So etwas wie der »NSU« kann, darf nicht als Produkt dieser Gesellschaft begriffen werden, selbst wenn die Erkenntnis dämmert, dass es sich dabei um ein Gezücht der eigenen Geheimdienste handeln könne: Sie »schaffen sich den Gegenstand, der ihre Existenz rechtfertigt«. Wie eine Feuerwehr, die selbst die Brände legt, um anschliessend mehr Geld und Personal zu fordern.
Beides wird der Verfassungsschutz nun bekommen. Und mehr Kompetenzen auch, teilte Innenminister Thomas de Maizière am Mittwoch mit. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wird als Zentralstelle aufgewertet. Nun ist endlich auch klar geregelt, welche Straftaten »V-Leute« ganz offiziell begehen dürfen. Staatsanwälte können davon absehen, Verbrechen zu verfolgen, die »im Einsatz« verübt wurden. Hätte es das 2011 schon gegeben, vielleicht müsste sich Frau Zschäpe dann nicht seit bald zwei Jahren vor Gericht verantworten.
Der aggressive Ausbau der Geheimdienste entspricht dem expansiven Programm der Herrschenden – deshalb Belohnung statt Abwicklung, Ausbau statt Zerschlagung. Was der BND für den Rest der Welt, ist der Verfassungsschutz für die Heimatfront. Die Chuzpe der Dienste, ihre Hochrüstung nun ausgerechnet mit dem Hausgebräu »NSU« zu rechtfertigen, kann man zynisch finden. Noch schlimmer ist: Sie haben gewonnen, und zwar restlos.