Die Linke stellt sich hinter die Europäische Union
Die Linke stellt sich hinter die Europäische Union
Von Johannes Stern
18. Februar 2014
Der Europaparteitag der Linkspartei am Wochenende in Hamburg war ein deutliches Zeichen an die herrschende Klasse in Deutschland und Europa. Die Linkspartei stellte sich geschlossen hinter die Europäische Union und signalisierte damit ihre Bereitschaft, diese gegen den wachsenden Widerstand der Bevölkerung zu verteidigen.
Der Parteitag unterstrich, dass alle Flügel und unterschiedlichen Strömungen der Linkspartei in dieser Frage übereinstimmen. Die Delegierten verabschiedeten einen Programmentwurf, der keinen Zweifel an ihrer Unterstützung für die EU ließ, und wählten überwiegend Kandidaten, die offen für einen EU-freundlichen Kurs stehen.
Mit 76,5 Prozent wurde Gabi Zimmer, die derzeitige Vorsitzende der Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordischen Grünen Linken (GUE/NGL) im Europäischen Parlament und ehemalige Bundesvorsitzende der PDS, zur Spitzenkandidatin gewählt. Auf den weiteren Listenplätzen folgen mit Thomas Händel, Cornelia Ernst und Helmut Scholz weitere langjährige Mitglieder des Europäischen Parlaments.
In ihrer Rede sprach sich Zimmer gegen „eine düstere Zeichnung der Europäischen Union“ aus, „mit der man gar nichts mehr zu tun haben will“. Die Linkspartei müsse „um diese Europäische Union kämpfen“, denn „nie war zwischen den Bürgerinnen und Bürgern der Vertrauensverlust zu den politischen Institutionen in der EU und in den Mitgliedstaaten so hoch wie jetzt“.
Der Bundestagsfraktionsvorsitzende Gregor Gysi betonte, dass sich in der Frage der Verteidigung der EU alle Flügel der Linkspartei einig seien. Alle Konflikte, die es darüber im Vorfeld des Parteitags gegeben habe, seien „bereinigt“ worden. In Wirklichkeit sei es „nicht um einen inhaltlichen Streit“ gegangen, „sondern es waren unglückliche Formulierungen, die wir überwunden haben“.
Gysi spielte damit auf die Auseinandersetzung über eine Passage in der Einleitung des ursprünglichen Programmentwurfs an, die die EU als „neoliberale, militaristische und weithin undemokratische Macht“ bezeichnet hatte. Der Parteivorstand hatte die Formulierung zunächst gestrichen, um dann kurz vor Beginn des Parteitags eine komplett neue Fassung der Einleitung vorzulegen. Der verabschiedete Text enthält nun keinerlei EU-kritische Formulierungen mehr und fordert lediglich, „die Europäische Union zu einer wirklichen Solidargemeinschaft (zu) entwickeln“. Die EU habe „ihr Ziel, Frieden – auch sozialen – zu schaffen und zu erhalten, aus den Augen verloren“.
Diese Aussagen sprechen Bände über den zynischen und rechten Charakter der Linkspartei. Die EU hat nicht die Interessen der Bevölkerung „aus den Augen verloren“, sondern steht diesen diametral entgegen. Die EU ist das Instrument, mit dem die herrschende Klasse in Europa alle sozialen und demokratischen Rechte zerschlägt, die sich die Arbeiterklasse erkämpft hat. Die EU steht sinnbildlich für Massenarbeitslosigkeit, neokoloniale Kriege und den Tod tausender Flüchtlinge, die beim Versuch ertrinken, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen.
Das pro-EU-Programm wurde auch von den angeblich EU-kritischen Teilen der Linkspartei unterstützt. Die stellvertretende Vorsitzende Sahra Wagenknecht stellte sich hinter den neuen Entwurf und lobte die „ausgewogene“ Kandidatenliste. In einem Interview in der Montagsausgabe der linksparteinahen Jungen Welt betonte sie, dass sie in Wirklichkeit nie die Abschaffung des Euro angestrebt habe. Die Vorstandsmitglieder Wolfgang Gehrcke und Dieter Dehm, die den EU-kritischen Entwurf vorgelegt hatten, zogen ihn vor der Abstimmung offiziell zurück.
Die Haltung der sogenannten EU-Kritiker, die bisweilen fälschlicherweise als Parteilinke bezeichnet werden, zeigt, dass der ursprüngliche Programmentwurf nichts mit einer grundsätzlichen Ablehnung der EU zu tun hatte. Er reflektierte lediglich die Furcht von Teilen der Partei, dass eine zu offene Unterstützung der EU deren Fähigkeit schmälern könnte, die wachsende Opposition der Bevölkerung gegen die EU zu kontrollieren.
Die Redebeiträge der führenden Vertreter der Partei machten deutlich, dass die Linke die EU nicht trotz, sondern wegen ihrer undemokratischen, unsozialen und militaristischen Politik unterstützt. Die Linkspartei vertritt wie alle anderen Bundestagsparteien die Interessen des deutschen Imperialismus, der die EU nutzt, um seine wirtschaftlichen und geopolitischen Ziele zu verfolgen.
Gysi forderte: „Die europäische Integration muss bei aller Kritik gegen ihre falschen Freunde verteidigt werden als eine ursprünglich linke und humanistische Idee. Das ist auch unsere Aufgabe. Allerdings: Europa, das schließt auch Osteuropa ein, das schließt auch Russland ein. Wir wollen das ganze Europa.“
Gleichzeitig warnte er, dass ein Zusammenbruch des Euro „ein Rückschritt bei der europäischen Integration“ wäre, den „gerade wir nicht wollen“. Die Wiedereinführung nationaler Währungen würde die Spekulation erleichtern, „den sozialen Verfall deutlich beschleunigen“ und „die deutsche Exportwirtschaft hätte mit ernsten Schwierigkeiten zu rechnen. Deshalb sage ich euch: Nein, auch wir müssen den Euro retten.“
In seiner typischen abstoßenden und zynischen Art stellte er klar, dass die Linkspartei auch die Anwendung militärischer Mittel gutheißen werde, um deutsche und europäische Interessen zu verteidigen. „Ich bin ja immer für ungewöhnliche Vorschläge zu haben: Mir hat mal einer gesagt: Was hältst du denn von einer kleinen EU-Armee zum Schutze der EU, wenn alle nationalen Streitkräfte und Atomwaffen abgeschafft werden? Das klingt doch ganz nett. Über so was kann man ja mal diskutieren.“
Die Parteivorsitzende Katja Kipping ging noch einen Schritt weiter. Sie stellte sich hinter die neue Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die aggressiv die Rückkehr des deutschen Militarismus nach Afrika und in andere Regionen vorantreibt.
Als mit von der Leyen „zum ersten Mal in diesem Land eine Verteidigungsministerin“ ernannt worden sei, „gab es eine Welle der Kritik, an der wir uns aus gutem Grund nicht beteiligt haben“, sagte Kipping. „Man muss nicht gedient haben, um in diesem Bereich gute Arbeit zu leisten. Frau auch nicht. Und ich gebe zu: Die Vorstellung, dass den an militärische Männlichkeit gewöhnten Generälen jetzt eine Frau als oberste Befehlsinhaberin gegenüber steht, hat bei mir auch ein Schmunzeln zur Folge gehabt.“
Die Aussage von Kipping zeigt den reaktionären Kern der Identitätspolitik, die von der Linkspartei und ihren pseudolinken Anhängseln vertreten wird. Die Linkspartei nutzt die Tatsache, dass erstmals eine Frau das Verteidigungsministerium leitet, um den deutschen Militarismus zu unterstützen. Als ob es für Millionen Arbeiter in Deutschland und weltweit einen Unterschied machen würde, ob ein Mann oder eine Frau die Rückkehr des deutschen Imperialismus auf die Weltbühne organisiert.
Der Europaparteitag markiert eine weitere scharfe Rechtswende der Linkpartei. In der zugespitzten politischen und sozialen Situation in Deutschland und Europa bereitet sie sich darauf vor, Regierungsverantwortung zu übernehmen und die unpopuläre Kriegs- und Kürzungspolitik der Bourgeoisie zu verschärfen. Die bedingungslose Unterstützung der EU und von Auslandseinsätzen der Bundeswehr galten bisher als Hürden für eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene. Die Linkspartei hat sie fast vollständig genommen, was von der herrschenden Elite zunehmend honoriert wird.
Zeit Online bezeichnete den Parteitag als einen „Schritt in Richtung Regierungsbeteiligung“. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner sprach sich in der Leipziger Volkszeitung für „regelmäßige Gesprächskontakte auf Spitzenebene“ mit der Linkspartei aus. Die SPD solle bei den nächsten Bundestagswahlen 2017 mit dem Ziel antreten, „Angela Merkel muss weg“. Die Linkspartei sei „ein potentieller Partner, wenn wir sie nicht in die Schmuddelecke stellen“. Gespräche mit vertrauenswürdigen Partnern wie Gregor Gysi oder Dietmar Bartsch müssten schnell beginnen.