Die Strategie der kommunistischen Bewegung im antifaschistischen Kampf
Wissen, wer der Gegner ist
Die Strategie der kommunistischen Bewegung im antifaschistischen Kampf
Von Jürgen Lloyd, Junge Welt, 13/14. Mai 2015
Ohne Kenntnis der imperialistischen Strukturen kein erfolgreicher antifaschistischer Kampf. Aktion mit DKP-Beteiligung gegen den Aufmarsch rechter Gruppen am 9. Mai 2015 in Berlin
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Am 2. Mai 2014 lud die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) nach Berlin zur Antifakonferenz unter dem Titel »8. Mai 2015: Tag der Befreiung vom Faschismus – Der Kampf geht weiter! Rolle und Aufgaben der Kommunistischen Partei im antifaschistischen Kampf gestern und heute« ein. jW veröffentlicht an dieser Stelle – redaktionell bearbeitet – den Beitrag von Jürgen Lloyd, Leiter der Karl-Liebknecht-Schule in Leverkusen. Dieser und die weiteren Konferenzvorträge sollen demnächst als Broschüre erscheinen und zudem unter news.dkp.de abrufbar sein.
Der Abdruck des Referats von Lloyd, das die Grundlagen des antifaschistischen Kampfs skizziert, bildet zugleich den Auftakt einer Diskussion um antifaschistische Strategie heute, die auf diesen Seiten geführt werden soll. (jW)
Als ich Mitte der 80er Jahre anfing, in der antifaschistischen Bewegung aktiv zu werden und Mitglied der Vereinigung der Verfolgtend des Naziregimes/ Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) wurde, entsprach das nicht dem erklärten Willen meiner Parteiführung. Ich war nämlich noch Mitglied der SPD, und diese hatte 1948 einen Unvereinbarkeitsbeschluss in bezug auf die VVN gefasst, der erst 62 Jahre später aufgehoben wurde. Ich trat dennoch ein und traf dort auf Kommunisten. Zum Beispiel den in diesem Jahr verstorbenen Aachener Gewerkschafter und Antifaschisten Hein Kolberg oder den jungen damaligen Leiter der Neofaschismus-Kommission der VVN Nordrhein-Westfalen, Hartmut Meyer, oder auch Jupp Angenfort, der unser Landesvorsitzender war. Ich lernte mit ihnen die orientierende Kraft kennen, die diese Kommunisten mit ihrer wissenschaftlichen Weltanschauung uns anbieten konnten. Und es waren marxistische Wissenschaftler – ich nenne hier nur Kurt Gossweiler aus der DDR und Reinhard Opitz aus Westdeutschland –, die ein umfassendes Bild von Faschismus erarbeiteten, das nicht nur einzelne Erscheinungen darstellte, sondern ein Verständnis dafür herstellt, was Faschismus war und wie der Kampf gegen ihn sich in das Ringen um historischen Fortschritt einordnen lässt.
Das führte dazu, dass ich hier, in der antifaschistischen Bewegung, verstehen gelernt habe, was es bedeutet, Geschichte als Geschichte von Klassenkämpfen zu deuten, welche Rolle der marxistische Klassenbegriff und die Leninsche Analyse des Imperialismus haben, um den Faschismus als unseren Gegner exakt bestimmen zu können.
Der Antifaschismus spielte und spielt in den Biographien vieler von uns gespielt hat eine große Rolle, hatte Einfluss auf unseren je individuellen Weg zur kommunistischen Bewegung. Ich denke, hier dürfte kaum eine Genossin/ein Genosse unserer Partei sein, für den der Antifaschismus nicht auf die eine oder andere Weise eine Bedeutung dafür hatte, dass sie oder er den Weg zur kommunistischen Partei gefunden hat. Obwohl das viele unterschiedliche, individuelle Biographien sind, ist dieser Faktor doch einer der Gründe dafür, warum wir wissen und auch aussprechen können: Die DKP war stets eine antifaschistische Partei! Und die DKP wird auch nie etwas anderes sein können!
Das gilt uneingeschränkt für alle Altersklassen. Zu nennen wäre etwa unser hochbetagter Genosse Heinz Kessler, ehemaliger Verteidigungsminister der DDR, aber auch die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ), der uns nahestehende Jugendverband, die seit Jahren das Thema »Faschismus und Antifaschismus« gewählt hat, um in ihrer Osterschule ihren neuen Genossinnen und Genossen einen Einstieg in die Weltanschauung zu vermitteln, die uns, SDAJ und DKP, eint.
Dies – die Bedeutung des Antifaschismus für die Kommunisten – ist aber nur die eine Seite des Verhältnisses von antifaschistischer Bewegung und kommunistischer Partei. Die andere, die auch zu diesem Verhältnis gehört, die wir aber eben nie mit dieser ersten Seite verwechseln dürfen, ist die Bedeutung und Rolle, die wir Kommunistinnen und Kommunisten für die antifaschistische Bewegung haben.
Damit kommen wir zur zentralen Fragestellung dieses Konferenzbeitrags: Welche Strategie hat die kommunistische Bewegung im antifaschistischen Kampf? In dieser Frage steckt bereits eine grundlegende Feststellung: Eine Strategie zu haben und zu verfolgen bedeutet, planvoll auf Grundlage einer Einsicht in Ursachen und Wirkung zu handeln. Wenn es so etwas, wie eine antifaschistische Strategie gibt, dann ist Antifaschismus also etwas, was überlegt und planvoll angegangen werden kann. Auf der Basis von Einsichten; auf der Basis eines erarbeiteten Verständnisses von Wirklichkeit; auf der Basis, dass wir möglichst exakt bestimmen können, wer unser Gegner ist.
Die Frage nach einer solchen Strategie der kommunistischen Bewegung setzt also bereits voraus, dass Kommunistinnen und Kommunisten planvoll und überlegt ihre Arbeit in der antifaschistischen Bewegung angehen können.
Es macht unser unverzichtbares Selbstverständnis als kommunistische Partei aus, die Welt für erkennbar und veränderbar zu halten, unseren Kampf auf einer wissenschaftlichen, aus Argumenten hergeleiteten und diskutierbaren Grundlage zu führen. Im Programm schreiben wir dazu: »Die DKP leistet Beiträge zur wissenschaftlichen Analyse der Gesellschaft, um begründete Erkenntnisse für politisches Handeln zu gewinnen.«
I.
Kommunistinnen und Kommunisten bauen ihren antifaschistischen Kampf auf einer Strategie auf.
Strategische Überlegungen zum Antifaschismus müssen für uns mit der Analyse dessen beginnen, was es da zu bekämpfen gilt. Deshalb ist die Arbeit an unserem Faschismusverständnis so unverzichtbar. Das Bemühen um eine zutreffende Einschätzung dessen, was Faschismus ist und das Bemühen um eine erfolgreiche antifaschistische Strategie sind notwendig miteinander verflochten. Und sie waren es auch stets in der Geschichte der kommunistischen Bewegung. Mit der Bestimmung, der Faschismus an der Macht sei die offene, terroristische Form der Herrschaft der reaktionärsten und am meisten imperialistischen Elemente des Kapitals, also der von Georgi Dimitroff so formulierten Charakterisierung der faschistischen Herrschaft durch die Kommunistische Internationale, hat das Bemühen um ein exaktes Faschismusverständnis und um eine richtige antifaschistische Strategie ein auch heute – recht genau 80 Jahre später – gültiges und für uns nutzbringend verwendbares Ergebnis gebracht. Im Faschismus herrschen eben nicht – das wurde vor 80 Jahren von den Kommunisten erkannt und benannt – der Pöbel oder die vom Abstieg bedrohten Mittelschichten oder die Nazipartei, deren Führer oder Anhänger oder eine wie auch immer geartete Koalition aus diesen Kräften. Der Faschismus, sobald er die Macht antritt – das wurde von den Kommunisten analysiert und diese Erkenntnis wurde in der Geschichte auch jedes Mal bestätigt –, setzt die Klasseninteressen der reaktionärsten und am meisten imperialistischen Teile des herrschenden Monopolkapitals durch. Faschismus, das hat Dimitroff in seinem Referat auf dem VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale 1935 deutlich gemacht, ist nicht lediglich ein Instrument des Kapitals, sondern er ist die Herrschaft des imperialistischen Monopolkapitals selbst; eine Existenzform dieser monopolkapitalistischen Herrschaft. Diese Einsicht bildet die Grundlage der auf dem VII. Weltkongress beschlossenen antifaschistischen Bündnisstrategie. Und sie sollte auch heute die Grundlage unserer Arbeit in antifaschistischen Bündnissen sein.
II.
Unsere antifaschistische Strategie muss darauf basieren, dass wir wissen, wer der Gegner ist. Sie muss auf einer Analyse des zu bekämpfenden oder zu verhindernden Faschismus gründen.
Die beiden Feststellungen – dass der Faschismus die Klasseninteressen des Monopolkapitals durchsetzt und dass er dies auf terroristische, gewaltsame Weise vollzieht – diese beiden Feststellungen ermöglichen uns, alle jene Teile der Bevölkerung, die nicht dem monopolkapitalistischen Lager zuzuordnen sind, als potentielle Bündnispartner gegen den Faschismus zu verstehen. Es sind ihre Interessen, gegen die jene des Monopolkapitals durchgesetzt werden sollen. Wir betrachten – wie jede andere politische Erscheinung in einer Klassengesellschaft – auch den Faschismus als Teil des Klassenkampfes. Das bedeutet, dass wir den Kampf gegen den Faschismus entlang dieser Klassenauseinandersetzung organisieren: das Monopolkapital auf der einen Seite, die übergroße Mehrheit der Bevölkerung auf der anderen Seite. Sich entlang dieses Linie in den politischen Kämpfen zu orientieren – das ist Leitsatz und Inhalt unserer Bündnispolitik. Dies ermöglicht uns, eine enorme Breite der antifaschistischen Bewegung anzustreben. Aber wir dürfen erkannte Grundlagen und die daraus gezogenen Schlüsse nicht miteinander verwechseln. Nicht die Breite ist jedoch das Kriterium unserer Bündnisarbeit, entscheidend ist die konkrete Klassenauseinandersetzung, um die es im antifaschistischen Kampf geht. Die umfassende Breite antifaschistischer Bündnisarbeit, ist eine Konsequenz, die sich für uns notwendig aus der inhaltlichen Bestimmung ergibt, und sie muss stets auf diesen Inhalt bezogen bleiben, damit sie ihren Sinn nicht verliert.
III.
Antifaschistischer Kampf ist eingebettet in den Kampf zwischen den Klasseninteressen des Monopolkapitals und den antimonopolistischen Interessen der Bevölkerungsmehrheit.
Die Bedingungen, unter denen wir leben, sind nicht die des Faschismus, sondern die eines bürgerlich-parlamentarischen Systems. Antifaschistischer Kampf bedeutet daher die Verhinderung des Faschismus. Die Analyse, auf die wir unseren Kampf stützen, muss daher die Gründe und Bedingungen für die Entstehung von Faschismus erklären. Wir müssen verstehen, wann, unter welchen Bedingungen, wie und warum das Monopolkapital zur faschistischen Form seiner Herrschaft übergeht. Wir benötigen dieses Verständnis, um bestimmen zu können, wie wir es daran hindern können.
IV.
Das Verständnis der Entstehungsgründe und –bedingungen des Faschismus ist Grundlage für den Kampf um seine Verhinderung.
Es ist kein Zufall, dass wir gerade in dieser Frage mit einer Vielzahl von fehlerhaften oder unzureichenden Einschätzungen konfrontiert sind. Die vielleicht folgenreichste davon ist die Annahme, Faschismus entstehe aus der Gesinnung, Mentalität oder Ideologie der Faschisten oder der von ihnen »verführten« Anhänger. Diesen falschen Annahmen entspricht eine beschränkte Orientierung des antifaschistischen Kampfes auf die Vermeidung und Bekämpfung solcher Gesinnung. Faschismus ist aber weder eine Meinung noch eine Ideologie, sondern eine Form bürgerlicher Herrschaft. Und da die Monopolbourgeoisie zur Errichtung des Faschismus nicht ausschließlich darauf angewiesen ist, eine willige Massenbewegung zur Verfügung zu haben, sondern auch die Möglichkeit hat, ihre faschistische Diktatur vermöge eines militärischen Gewaltapparats zu installieren, ist die Beschränkung des Antifaschismus auf Bemühungen zur Bekämpfung der faschistischen Ideologie eine ungenügende Strategie. Mehr noch: Diese Einengung erweist sich in Grenzbereichen als anfällig für reaktionäre Orientierungen, für die Beförderung von Kriegen und Sozialabbau.
Mit Demagogie, Angst, der Verbreitung reaktionärer Feindbilder und anderen Mitteln wurde und wird die Bildung faschistischer Massenbewegungen befördert. Aber letztere sind nie selbst der Grund für Faschismus, sondern können stets lediglich als Mittel zur Errichtung seiner Herrschaftsformen beitragen. Das Vorhandensein eines Mittels für den Übergang zum Faschismus – nämlich entweder die Verfügung über eine Massenbasis oder die Verfügung über einen zur Errichtung der Diktatur mobilisierbaren Gewaltapparat – ist eine der Bedingungen für sein Entstehen. Die zweite Bedingung ist die Schwäche der Arbeiterklasse und anderer für den antifaschistischen Kampf erreichbarer Teile der Bevölkerung. Die Schwäche kann insbesondere durch Spaltung und/oder ideologische Desorientierung verursacht sein.
Von diesen Bedingungen zu unterscheiden, ist der Grund für die Errichtung des Faschismus. Der lag und liegt stets in einer Spezifik der aktuellen Interessen des Monopolkapitals oder eines seiner Teile. Diese Interessen müssen ihm als unverzichtbar und unmittelbar durchsetzbar gelten. Andererseits darf ihre Realisierung im Rahmen der parlamentarischen Ordnung nicht mehr als zuverlässig gewährleistet erscheinen. Das Zusammentreffen dieses Grundes und der beiden Bedingungen kennzeichnet die Situation, in der Faschismus zur akut drohenden Gefahr wird.
V.
Wir müssen bei der Erarbeitung einer antifaschistischen Strategie unterscheiden zwischen dem Entstehungsgrund von Faschismus und den Bedingungen, die für seine Errichtung gegeben sein müssen.
Wir wissen und sprechen das auch klar aus: Nur durch die Überwindung der kapitalistischen Herrschaft kann Faschismus grundsätzlich ausgeschlossen werden. Die antifaschistische Bewegung kann und wird deshalb letztlich nur erfolgreich sein, wenn sie antikapitalistisch ist.
Aber wir vergessen darüber nicht: Auch unter kapitalistischen Verhältnissen ist ein antifaschistischer Kampf möglich und unverzichtbar nötig. Dieser Kampf muss bei den Bedingungen für die Errichtung von faschistischer Herrschaft anknüpfen und sich wirksam gegen die Möglichkeit des Monopolkapitals richten, zum Faschismus übergehen zu können. Dies erfordert die Gewinnung breiter Teile der Bevölkerung für einen Kampf um die eigenen Interessen, deren Gegensätzlichkeit zu den Klasseninteressen der Monopole erkannt wird. Nur in dieser Form können wir Antifaschismus zu der Wirksamkeit bringen, die notwendig ist. Das Kriterium dafür kann von uns klar bestimmt werden: Der antifaschistische Kampf muss so weit entwickelt sein, dass er sowohl der Entstehung einer mächtigen faschistischen Massenbewegung den Boden entzieht als auch einen solchen Einfluss auf die Beschäftigten des militärischen Gewaltapparates hat, dass auch dieser nicht mehr für die Errichtung einer faschistischen Diktatur einsetzbar ist.
Dazu wird es nicht reichen, alleine die Ablehnung der schrecklichen, hässlichen, blutigen Form zum Thema zu machen, in der Faschismus auftritt. Um den antifaschistischen Kampf zu seiner notwendigen Breite und Stärke zu entwickeln muss er auch als einer gegen die Inhalte vorangebracht werden, deren gewaltsame Realisation der Faschismus an der Macht ist. Er muss gegen das Interesse der Großbourgeoisie geführt werden, ihren Einflussbereich per Krieg zu erweitern – also als Kampf für Frieden. Er muss gegen das Interesse an verstärkter Ausbeutung, an Sozialabbau, an Spaltung der Gegenkräfte durch Rassismus und Nationalismus geführt werden – also als Kampf für erweiterte demokratische und soziale Rechte. Kurz: Er muss – gleich, ob alle Mitstreiter das so verstehen oder nicht – als antimonopolistischer Kampf der übergroßen Bevölkerungsmehrheit gegen die Klasseninteressen der Monopolbourgeoisie geführt werden.
Dazu aber brauchen und dürfen wir nicht auf den Sturz des Kapitalismus zu warten. Dieser Kampf ist auch jetzt möglich und erst recht nötig. Aber nur, wenn wir uns um seine inhaltliche Bestimmung nicht herumdrücken. Nur dann kann Antifaschismus das bereits genannte Kriterium seiner Wirksamkeit erfüllen: Nämlich dem Monopolkapital, bzw. dessen reaktionärsten und am meisten imperialistischen Teilen, den Weg zur Errichtung seiner faschistischen Herrschaftsform zu verlegen.
In ihrem Programm behaupten die Kommunistinnen und Kommunisten der DKP, »Wer die Welt verändern will, muss sie erkennen«. Zu unseren Erkenntnissen über der Wirklichkeit der faschistischen Gefahr in imperialistischen Gesellschaften gehört, dass wir unterscheiden, und dabei gleichzeitig den bestehenden Zusammenhang erkennen, zwischen dem Grund von Faschismus und den Bedingungen, unter denen seine Errichtung droht. Die Strategie der kommunistischen Bewegung im antifaschistischen Kampf beruht auf dieser Einsicht. Es zeichnet uns Kommunisten aus, diese Einsicht erarbeitet zu haben und sie uns stets neu anzueignen. Es kommt aber darauf an – das hat uns Marx gelehrt –, auf dieser Grundlage die Welt zu verändern.
Vor 70 Jahren haben die KP der Sowjetunion und die Rote Armee uns genau dies vorgemacht.