Die Zerstörung Syriens: Eine gemeinschaftliche kriminelle Unternehmung
Die Zerstörung Syriens: Eine gemeinschaftliche kriminelle Unternehmung
von Diana Johnston
Übersetzung FritztheCat
Eine massive Propagandakampagne, die das öffentliche Bewusstsein über Syrien auf zwei Faktoren reduziert: Kinderopfer und humanitäre Hilfe.
Alle behaupten, sie wollen den Krieg in Syrien beenden und im Nahen Osten wieder Frieden herstellen.
Nun, fast alle.
„Bei dieser Play Off Situation sollten beide Teams verlieren, zumindest sollte keiner gewinnen – einigen wir uns auf ein Unentschieden“, sagte Alon Pinkas, ein früherer israelischer Generalkonsul in New York zur NYT im Juni 2013. „Lass sie beide bluten, zu Tode bluten: das ist strategische Denkweise hier.“
Efraim Inbar, der Direktor des „Begin-Sadat Center for Strategic Studies“ betonte den selben Punkt im August 2016:
„Der Westen sollte eine weitere Schwächung des IS verfolgen, aber nicht seine Zerstörung … Schlechten Jungs zu erlauben, schlechte Jungs zu töten, das klingt sehr zynisch, aber es ist nützlich und sogar moralisch so zu handeln, wenn es die schlechten Jungs beschäftigt hält und sie den guten Jungs weniger Schaden zufügen können … Darüber hinaus tragen Instabilität und Krisen manchmal die Vorzeichen für positive Veränderung … Die amerikanische Administration scheint nicht in der Lage zu sein, die Tatsache zu erkennen, dass der IS ein nützliches Werkzeug zur Unterminierung Teherans ehrgeiziger Pläne für eine Dominanz im Nahen Osten sein kann.“
OK. Nicht wirklich alle.
Aber bestimmt will doch die humanitäre Webseite Avaaz den Krieg beenden und Frieden herstellen.
Oder etwa nicht?
Avaaz lässt gegenwärtig eine Petition zirkulieren, die über eine Million Unterschriften gesammelt hat und eineinhalb Millionen erreichen will. Es ist wahrscheinlich, dass sie die bekommen. Mit Sprüchen wie diesen:
„In Aleppo wurden seit letzten Freitag 100 Kinder getötet.“
„Genug ist genug!“
Avaaz schreibt weiter: „Es gibt keinen einfachen Weg zur Beendigung dieses Kriegs, aber es gibt nur einen Weg, um diesen Terror aus der Luft zu verhindern – Menschen von überall müssen eine Flugverbotszone zum Schutz der Zivilisten fordern.“
Flugverbotszone? Klingt das nicht vertraut? Das war der Plan, der dazu diente, Libyens Luftverteidigung zu zerstören und der 2011 das Land für Regimewechsel öffnete. Das wurde eifrig von Hillary Clinton beworben, die bereits damit auf Band ist, dass sie den gleichen Spielzug in Syrien favorisiert.
Und wenn der Westen „Flugverbot“ sagt, dann bedeutet das, einige dürfen fliegen und andere nicht. Bei der Flugverbotszone in Libyen konnten Frankreich, Britannien und die USA so viel fliegen wie sie wollten, unzählige Zivilisten töten, Infrastruktur zerstören und den islamischen Rebellen dabei helfen, Teil des Landes zu werden.
Die Avaaz-Petition macht dieselbe Unterscheidung. Einige sollten fliegen und andere nicht.
„Lasst uns einen lautstarken globalen Ruf an Obama und andere Führer senden, sich Putin und dem Terror Assads entgegenzustellen. Dies könnte unsere letzte und beste Chance sein, den Massenmord an schutzlosen Kindern zu beenden. Unterzeichnen Sie.“
Es geht also nur um den Massenmord an schutzlosen Kindern, und um das aufzuhalten sollen wir den Drohnenkönig Obama anrufen, damit er den „Terror aus der Luft“ beendet.
Nicht nur Obama, sondern auch andere „gute“ Führer, die Mitglieder der NATO:
„An Präsident Obama, Präsident Erdogan, Präsident Hollande, PM May und andere Führer der Welt: Wir Bürger rund um den Globus sind entsetzt über das Massaker an Unschuldigen in Syrien, wir rufen Sie dazu auf, eine Flugverbotszone in Nordsyrien einschließlich Aleppo einzurichten, damit die Bombardierung syrischer Zivilisten aufhört und um sicherzustellen, dass die humanitäre Hilfe die erreicht, die in größter Not sind.“
Das Timing dieser Petition hat Aussagekraft. Sie kommt genau zu dem Zeitpunkt wo die syrische Regierung durch die Rückeroberung von Ost-Aleppo auf ein Ende des Kriegs hinarbeitet. Sie ist Teil einer gegenwärtig massiven Propagandakampagne, die das öffentliche Bewusstsein über Syrien auf zwei Faktoren reduziert: Kinderopfer und humanitäre Hilfe.
In dieser Sichtweise verschwindet der Rebell. Und auch ihre ausländischen Unterstützer, das saudische Geld, die wahhabitischen Fanatiker, die ISIS-Söldner aus aller Welt, die US-Waffen und die französische Unterstützung. Bei dem Krieg geht es nur um die seltsamen Launen eines „Diktators“, der aus Spaß hilflose Kinder bombardiert und humanitäre Hilfe blockiert. Diese Sichtweise reduziert den fünf Jahre dauernden Krieg in Syrien auf jene Situation wie sie in Libyen geschildert wurde, zur Rechtfertigung der Flugverbotszone: Es geht nur um einen bösartigen Diktator der sein eigenes Volk bombardiert.
Für das Publikum, das die Weltnachrichten gerne in Form von Märchengeschichten konsumiert, passt da alles zusammen. Unterzeichne auf deinem Computer eine Petition und rette die Kinder.
Die Avaaz-Petition zielt nicht auf das Ende des Kriegs und die Herstellung von Frieden. Sie zielt eindeutig auf die Verhinderung der Offensive der syrischen Regierung zur Rückeroberung Aleppos ab. Die syrische Armee hat in fünf Jahren Krieg heftige Verluste erlitten, die potentiellen Rekruten zur Vermeidung eines gefährlichen Militärdienstes im Grunde nach Deutschland eingeladen. Syrien braucht eine Luftmacht, um seine Verluste zu verkleinern. Die Avaaz-Petition ruft nach einem Abwürgen der syrischen Offensive und stellt sich damit auf die Seite der Rebellen.
Moment mal – soll das bedeuten, sie wollen dass die Rebellen siegen? Nicht ganz. Die einzigen Rebellen, die vermutlich stark genug sind um zu gewinnen, das ist ISIS. Das will wirklich niemand.
Um diesen Krieg zu gewinnen, so wie es bei den meisten Kriegen ist, muss eine Seite als Sieger hervorgehen, das ist eine banale Tatsache. Wenn klar wird wer auf der Siegerstraße ist, dann kann es erfolgreiche Verhandlungen geben, für Dinge wie Amnestie. Aber dieser Krieg kann nicht „durch Verhandlungen beendet werden“. So ein Ergebnis würden die Vereinigten Staaten nur unterstützen, wenn Washington die Verhandlungen für eine Einsetzung ihrer Marionetten – pardon, die im Westen lebenden pro-demokratischen Exilanten – benutzen könnte. Aber so wie es aussieht würde die Mehrheit des Syrer, die die Regierung unterstützen, diese als Verräter ablehnen. Und die Rebellen würden sie als Abtrünnige ablehnen. Daher muss eine Seite gewinnen um den Krieg zu beenden. Das am wenigsten schlimmste Ergebnis wäre, wenn die Assad-Regierung die Rebellen besiegen würde, damit der Staat erhalten bleibt. Dazu müssen die syrischen Streitkräfte den Ostteil Aleppos, der von Rebellen besetzt ist, zurückerobern.
Die Aufgabe von Avaaz ist es, die öffentliche Meinung zu einer Ablehnung dieser militärischen Operation zu bringen. Indem man sie als nicht weiteres als eine gemeinsame russisch-syrische Anstrengung zur Ermordung von Zivilisten darstellt, insbesondere von Kindern. Daher rufen sie nach einer Militäroperation der NATO, damit die syrische und russische Flugzeuge abschießen (das ist die Bedeutung von „no-fly“), die der Offensive der syrischen Armee Luftunterstützung bieten.
Selbst solch drastische Maßnahmen führen zu keiner Beendigung des Kriegs. Sie sollen die gewinnende Seite schwächen, damit sie nicht siegen kann. Um eine Pattsituation zu verlängern. Es bedeutet die Herstellung von Chancengleichheit („even playing field“) – um einen absurden Begriff zu benutzen, der im Bosnienkrieg populär war. So als wäre ein Krieg eine Sportveranstaltung . Es bedeutet die Verlängerung des Kriegs, bis von Syrien nichts mehr übrig ist. Und was von der syrischen Bevölkerung noch übrig ist, das füllt dann die Flüchtlingslager in Europa.
So berichtete die New York Times im September 2013 aus Jerusalem:
„Das Zusammenspiel der israelischen und amerikanischen Positionen, auch wenn sie von den Führern der beiden Länder nicht ausdrücklich erwähnt wurden, könnte einen wichtigen Beitrag an Unterstützung für Herrn Obama sein, wenn er die Erlaubnis des Kongresses für chirurgische Luftschläge in Syrien sucht.“
Und fügt hinzu: „Israels Sorgen über die nationale Sicherheit haben in Washington eine breite, parteiübergreifende Unterstützung, und das American Israel Public Affairs Committee (AIPAC), diese einflussreiche Pro-Israel-Lobby in Washington, sprach sich am Dienstag für das Vorgehen Herrn Obamas aus.“ (Das war als Obama vorhatte, „Präsident Bashar al-Assad für dessen Gebrauch chemischer Waffen zu bestrafen, ohne die Absicht, ihn von der Macht zu vertreiben“ – bevor sich Obama stattdessen entschied, gemeinsam mit Russland das chemische Arsenal Syriens abzubauen. Eine Entscheidung, für die er bis heute von der Pro-Israel-Lobby und der Kriegspartei verurteilt wird.) Die Stellungnahme von AIPAC „sagt jedoch nichts über das bevorzugte Ergebnis in dem Bürgerkrieg…“
So ist es. Wie der 2013 Bericht aus Jerusalem fortfährt: „während die Hoffnungen auf ein Entstehen einer moderaten und säkularen Kraft schwinden, die einen demokratischen Wandel und sogar einen konstruktiven Dialog mit Israel ermöglicht hätte, da erhält ein dritter Ansatz an Gewicht: Lasst die schlechten Jungs sich selbst ausbrennen. ‚Die Fortdauer des Konflikts dient absolut den Interessen Israels‘, sagte Nathan Thrall, ein in Jerusalem stationierter Analyst der International Crisis Group.“
Die einfache Wahrheit ist, dass Syrien das Opfer einer lange geplanten gemeinschaftlichen kriminellen Unternehmung ist, die den letzten unabhängigen säkularen und arabisch nationalistischen Staat im Nahen Osten zerstören soll, nach der Zerstörung des Irak 2003. Man schreibt die bewaffneten Aufstände 2011 der staatlichen Unterdrückung „friedlicher Proteste“ zu, aber es wurde seit Jahren geplant und von ausländischen Mächten unterstützt: Saudi Arabien, Türkei, die USA und Frankreich, unter anderem. Die französischen Motive bleiben mysteriös, außer den Verbindungen zu Israel, das die Zerstörung Syriens als ein Mittel sieht um den Erzrivalen in der Region, den Iran zu schwächen. Saudi Arabien hat ähnliche Absichten zur Schwächung des Iran, aber aus religiösen Motiven. Die Türkei, die frühere imperiale Macht in der Region, hat eigene territoriale und politische Ambitionen. Eine Zerteilung Syriens würde ihnen allen gefallen.
Die unverfrorene und völlig offene Verschwörung zur Zerstörung Syriens ist ein großes internationales Verbrechen und die oben erwähnten Staaten sind Mitverschwörer. Sie werden bei dieser gemeinschaftlichen kriminellen Unternehmung von angeblich „humanitären“ Organisationen wie Avaaz begleitet, die mit ihrem Anschein von Schutz für Kinder Kriegspropaganda verbreiten. Das funktioniert, denn die meisten Amerikaner können einfach nicht glauben, dass ihre Regierung solche Dinge tun könnte. Denn normale, einfache Menschen haben gute Absichten und hassen es, wenn sie sehen wie Kinder getötet werden. Sie stellen sich vor, dass ihre Regierung genauso ist. Es ist schwer, diesen beruhigenden Glauben abzulegen. Es ist viel natürlicher zu glauben, dass die Kriminellen böse Menschen aus einem Land sind, über das sie wirklich überhaupt nichts wissen.
Völlig ausgeschlossen, dass diese kriminelle Unternehmung jemals das Interesse eines Anklägers am Internationalen Strafgerichtshof erwecken wird, eine Institution die, wie die meisten internationalen Organisationen, total unter US-Kontrolle steht. Zum Beispiel ist der stellvertretende UN-Generalsekretär für politische Angelegenheiten, der die politischen Themen für den Generalsekretär Ban Ki Moon analysiert und aufbereitet, ein amerikanischer Diplomat, Jeffrey Feltman. Er war eine Schlüsselfigur in Hillary Clintons Team, als sie den Regimewechsel in Libyen durchführte. Und zu den Mittätern dieser kriminellen Unternehmung gehören all die Pro-Regierungs „Nicht-Regierungs“- Organisationen wie Avaaz, die die Scheinheiligkeit in neue Höhen treiben, indem sie das Mitleid für Kinder ausbeuten, um dieses Kapitalverbrechen gegen die Menschlichkeit und gegen den Frieden auf der Welt zu rechtfertigen und zu verlängern.
Diana Johnstone ist Autorin von Fools’ Crusade: Yugoslavia, NATO, and Western Delusions. Ihr neuestes Buch ist Queen of Chaos: the Misadventures of Hillary Clinton. Sie kann unter diana.johnstone@wanadoo.fr kontaktiert werden