Ungeachtet anhaltender Vorwürfe wegen schwerer Kriegsverbrechen weitet die Bundeswehr ihre Unterstützung für die Streitkräfte Äthiopiens aus. Wie der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium Thomas Kossendey bestätigt, bietet Berlin Addis Abeba für 2011 ein bilaterales militärisches Kooperationsprogramm an. Es umfasst unter anderem die Ausbildung von Offizieren für Heer und Luftwaffe. Beteiligt ist eine Organisation der sogenannten Entwicklungshilfe. Die äthiopische Regierung wird von Berlin schon seit Jahren unterstützt, da sie sich als Statthalterin des Westens in Ostafrika nützlich macht. So hat sie in den vergangenen Jahren in Abstimmung mit Washington und Berlin ihre Streitkräfte nach Somalia entsandt, um dort missliebige Kräfte niederzuschlagen. Dabei habe sie sich schwerer Kriegsverbrechen schuldig gemacht, berichten Menschenrechtsorganisationen, die der Armee zudem vorwerfen, bei der Bekämpfung von Aufständischen innerhalb Äthiopiens ebenfalls keine Rücksicht auf das Kriegsrecht zu legen. Schwere Vorwürfe gegen die deutsche Äthiopien-Politik erhebt der äthiopische Regimegegner Dr. Berhanu Nega im Gespräch mit dieser Redaktion. Wie Berhanu urteilt, ist jegliche Hoffnung, der Westen werde bei der Demokratisierung Äthiopiens behilflich sein, von vorneherein zum Scheitern verurteilt.
Regionalmacht
Hintergrund der deutschen Unterstützung für das äthiopische Militär ist die hohe geostrategische Bedeutung des Landes. Äthiopien gilt nicht nur als Regionalmacht am Horn von Afrika, das wegen seiner Nähe zu wichtigen Seehandelswegen (Golf von Aden, Rotes Meer) sowie zur Arabischen Halbinsel besondere Aufmerksamkeit im Westen genießt. Es gehört zudem zu denjenigen Staaten Afrikas, die mit einer relativ hochgerüsteten Armee nach einer hervorgehobenen Stellung auf dem gesamten Kontinent streben. Nicht von ungefähr hat die Afrikanische Union (AU) ihren Sitz in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba, die unter anderem wegen ihrer christlichen Tradition vom Westen als Anlaufstelle in einer islamisch geprägten Umgebung genutzt wird – und sich in der Tat als ein verlässlicher Kämpfer für westliche Interessen erwiesen hat. Berlin unterstützt daher schon seit Jahren das Regime in Addis Abeba mit umfangreichen Entwicklungshilfegeldern sowie mit politischer Kooperation. Ebenfalls seit Jahren wird regelmäßig heftiger Protest gegen die deutsche Äthiopien-Politik laut: Kritiker lasten den äthiopischen Streitkräften schwere Kriegsverbrechen an und werfen dem Regime in Addis Abeba Wahlfälschungen, brutalste Repression und Massaker an Oppositionellen im Landesinnern vor (german-foreign-policy.com berichtete [1]).
Unterstützung fürs Militär
Seit dem Jahr 2002 ergänzt Berlin die politische Kooperation mit Addis Abeba um Unterstützung für das Militär. Nur kurze Zeit nach dem Ende des äthiopisch-eritreischen Krieges (1998 bis 2000) startete die Bundeswehr Trainingsmaßnahmen für äthiopische Soldaten. Im Jahr 2002 reisten zehn äthiopische Militärs zur Ausbildung bei der Bundeswehr in Deutschland an. Die Zusammenarbeit beim Training der Soldaten dauerte an – und begünstigte die Invasion Äthiopiens in Somalia Ende 2006, bei der die äthiopischen Streitkräfte ein dem Westen missliebiges Regime von der Macht in Mogadischu vertrieben. Die Kriegsverbrechen, die die Armee Äthiopiens dabei verübte, riefen bei Menschenrechtsorganisationen heftige Proteste hervor (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Berlin hielt das nicht von weiterer Unterstützung für das äthiopische Militär ab. Insgesamt wurden bis heute 116 äthiopische Soldaten von der Bundeswehr trainiert. Im Jahr 2008 nahm das deutsche Militär sogar einen äthiopischen Offizier in den zehn Monate währenden “Lehrgang ‘Generalstabs-/Admiralstabsdienst mit internationaler Beteiligung'” (LGAI) an der Bundeswehr-Führungsakademie in Hamburg auf – erstmals in ihrer Geschichte.
150 Zivilisten exekutiert
Wie der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium Thomas Kossendey jetzt ankündigt, wird die Bundeswehr ihre Kooperation mit den äthiopischen Streitkräften ausbauen – ungeachtet der Tatsache, dass ihnen erneut gravierende Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, diesmal jedoch bei der Bekämpfung von Aufständen im Landesinnern. Schon 2008 hieß es, die äthiopische Armee habe in der östlichen Somali-Region schwere Verbrechen begangen. Dort ist eine Aufstandsbewegung aktiv, die Autonomie oder Sezession der Somali-Region verlangt. Addis Abeba geht seit Mitte 2007 mit verschärfter Gewalt gegen die Milizen vor. Wie es in einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch aus dem Jahr 2008 heißt, hat die äthiopische Regierung nicht nur widerrechtlich Handelsblockaden verhängt und Hilfslieferungen gestoppt, wodurch die Zivilbevölkerung erheblich in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die äthiopische Armee hat zudem Zwangsrekrutierungen durchgeführt und Zivilisten in Gefangenenlagern interniert sowie gefoltert. Laut Human Rights Watch wurden allein 2007 durch äthiopische Militärs mindestens 150 Zivilisten exekutiert.[3] Kürzlich wurden erneut Berichte über Kriegsverbrechen der äthiopischen Streitkräfte bekannt.
Offiziersausbildung
Die Berliner Reaktion auf die Berichte stellt sich laut Staatssekretär Kossendey folgendermaßen dar: Äthiopien erhält für 2011 erstmals das Angebot eines “bilateralen Kooperationsprogramms”, das aus “neun Einzelmaßnahmen” in mehreren “Themenblöcken” besteht. Dazu zählen außer dem Sanitätswesen die Ausbildung äthiopischer Soldaten für Interventionen im Namen der UNO, auch die “Transformation der Streitkräfte” und insbesondere die Ausbildung äthiopischer Offiziere aus Heer und Luftwaffe. Zudem wird laut Kossendey eine Bundeswehr-Beratergruppe nach Äthiopien entsandt. Sie soll ab Ende 2010 “unter Federführung des Auswärtigen Amtes” die “Transformation des Technischen Kollegs in Holeta von einer zivil-militärischen Berufsausbildungseinrichtung” in eine angeblich “überwiegend” zivil ausgerichtete Einrichtung unterstützen. Das Militärvorhaben wird “in Kooperation mit der GTZ” durchgeführt, der größten Organisation der sogenannten deutschen Entwicklungshilfe.[4] Alles in allem erweitert die Bundesregierung damit Fähigkeiten und Spielräume des schwer belasteten äthiopischen Militärs für künftige Kriege und Projekte der Aufstandsbekämpfung.
Keine Kraft für die Demokratie
Die deutsche Unterstützung für das äthiopische Regime – auch jenseits der militärischen Beihilfe – ruft bereits seit Jahren schwere Proteste hervor. Berlin stützt das Regime in Addis Abeba, das den deutschen Interessen in Ostafrika willig zuarbeitet, mit umfangreicher “Entwicklungshilfe” und mit weiteren Maßnahmen (german-foreign-policy.com berichtete [5]). Menschenrechtsorganisationen, aber auch äthiopische Oppositionelle, die von der brutalen Repression ins Exil gezwungen wurden, laufen schon lange dagegen Sturm – ganz vergeblich. Zu ihnen gehört Dr. Berhanu Nega, der 2005 mit erdrückender Mehrheit zum Bürgermeister der äthiopischen Hauptstadt gewählt wurde, danach von der Regierung gemeinsam mit zahlreichen weiteren Oppositionspolitikern inhaftiert wurde und heute im Exil lebt – in Addis Abeba wurde inzwischen gegen ihn wegen seiner Oppositionstätigkeit die Todesstrafe verhängt. Exemplarisch beschreibt Berhanu im Gespräch mit dieser Redaktion, wie der Westen demokratische Ansätze in Äthiopien fallenlässt, ja zum Teil sogar unterdrückt, um die gedeihliche Kooperation mit dem diktatorischen Regime nicht zu gefährden. Wie Berhanu urteilt, gebe es keinerlei Hoffnung, “dass der Westen eine Kraft für die Demokratie in Äthiopien” werde. Der Regimegegner verlangt jedoch die Einstellung der westlichen Diktatorenhilfe: “Gebt uns wenigstens eine Chance, unsere Probleme selbst zu lösen!”[6]
[3] Human Rights Watch: Collective Punishment. War Crimes and Crimes against Humanity in the Ogaden Area of Ethiopia’s Somali Regional State, Juni 2008
[4] Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister der Verteidigung, Thomas Kossendey, vom 22.09.2010 auf die Frage 9/162 des Bundestagsabgeordneten Christoph Strässer vom 15.09.2010