Dschihad made in Germany: Das Vermächtnis des Max von Oppenheim
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09.02.2011 / Thema / Seite 10
Dschihad made in Germany: Das Vermächtnis des Max von Oppenheim
Von Werner Rügemer
Im Pergamonmuseum auf der Berliner Museumsinsel wurde am 28. Januar die Ausstellung »Die geretteten Götter aus dem Palast vom Tell Halaf« eröffnet. Tell Halaf – ein Hügel im heutigen Syrien. Der Palast – das war der Fürstensitz eines aramäischen Reiches vor 3000 Jahren. Die geretteten Götter – das sind monumentale Götterfiguren aus Basalt, die den Eingang des Palastes zierten. »Gerettet« wurden sie zweimal: Zuerst als sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch Max von Oppenheim ausgegraben und in die Hauptstadt des Deutschen Reiches geschafft wurden.1 Zum zweiten Mal, indem die Trümmer, die von ihnen nach einem Bombenangriff 1944 übriggeblieben waren, von 2001 bis 2010 aufwendig wieder zusammengesetzt wurden: Die Presse feierte das »größte Restaurierungsprojekt der vergangenen Jahrzehnte«.
Max von Oppenheim wurde 1860 als Sohn des Bankchefs in die Bankiersfamilie Oppenheim hineingeboren. Max’ Eltern konvertierten zum Christentum, katholische Variante, weil das für die Geschäfte mit den katholischen Monarchen in Österreich-Ungarn günstiger war, während die anderen Teile der Familie sich zur protestantischen Variante entschlossen, da dies für die Geschäfte im protestantischen Preußen günstiger war. In der gleichen Zeit wurden die Bankiers von ihren jeweiligen neuen Glaubensbrüdern geadelt.
Max von Oppenheim war Kommanditist der Bank. Er hatte zwar wenig Neigung, dort zu arbeiten, aber er engagierte sich im Kontext ihrer Interessen. Sie war an der Neuguinea-Compagnie ebenso beteiligt wie an der Compagnie des Chemins de Fer du Congo, die in der äußerst brutal geführten Kolonie des belgischen Königs die Eisenbahnen baute und hohe Gewinne einfuhr.
Max von Oppenheim, dessen Onkel Heinrich von Kusserow die »Schlüsselfigur« der Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt war, projektierte für Kölner Unternehmer und Bankiers eine Plantage im »fruchtbarsten Teil Deutsch-Ostafrikas«. Er erwarb 1893 weitläufige Ländereien in der Landschaft Usambara (heutiges Tansania). Durch Erlaß des Reichskanzlers wurde er Eigentümer. Danach gründete er die Rheinische Handei-Plantagengesellschaft. Mit Hilfe einheimischer Zwangsarbeiter wurden Kaffee und Sisal angebaut. Erst mit dem »Nationalsozialismus« ging die Gesellschaft 1945 unter.
Die Bank Oppenheim gehörte zum Konsortium der Deutschen Orientbank (DOB) und sie war die führende Auslandsbank des Deutschen Reiches. Sie finanzierte z.B. die Eisenbahn für die deutschen Kolonien in China. Ein Großprojekt war die Bagdadbahn, die schließlich vom größten Baukonzern Philipp Holzmann gebaut wurde. Dem folgte die Aufrüstung der Türkei Atatürks.
Geheime Erkundungen
Max von Oppenheim durchstreifte in mehreren Expeditionen das zerfallende Osmanische Reich ebenso wie die englischen und französischen Kolonien im Nahen Osten und in Nordafrika. Er kleidete sich arabisch, erlernte arabische Sprachen, erforschte das Leben der Beduinen und gab sich als ihr Blutsbruder. Landeskundliche Informationen waren stets auch im Fokus der kolonialistischen Perspektive.
Von 1896 bis 1910 war Oppenheim dem kaiserlichen Generalkonsulat in Kairo als Legationsrat, dann als Ministerresident attachiert. Er wurde mit 8000 Reichsmark jährlich aus einem geheimen Kommissionsfonds bezahlt. Der Vater gab ihm 30000 Mark dazu, damit er seinen standesgemäßen Lebensstil fortsetzen konnte, etwa für diverse Ehefrauen auf Zeit und für zehn livrierte Dienerinnen und Diener; einmal kaufte er sich auf dem Sklavenmarkt eine Leibeigene.
Das Auswärtige Amt bot ihm komfortable Bedingungen: Er konnte monatelange Expeditionen unternehmen, aber auch mehrmonatige Aufenthalte in einer der Oppenheimschen Residenzen in Deutschland waren drin. Am Ende durfte er mehr als ein Jahr Urlaub auf Staatskosten nehmen. 467 Berichte schickte er während des Jahrzehnts an den jeweiligen Reichskanzler und an den Kaiser direkt. Wenn er zu Besuch in Berlin war, dann berichtete der Kundschafter der interessiert lauschenden Majestät während des Hummeressens »genau über die Stimmungen der Muhammedaner in den verschiedenen Ländergebieten«. Der Kaiser gab sich ja als »Freund aller 300 Millionen Mohammedaner auf der Welt«, denn im verfallenden Osmanischen Reich wollte er Beute machen, und sein Agent Oppenheim machte da sehr gerne mit.
Georg von Siemens, Sprecher der Deutschen Bank, bittet 1899 den Geheimdiplomaten, eine Expedition zur Festlegung der Trassen der Bagdadbahn zu leiten. Das Auswärtige Amt verweigert aber die Zustimmung, um die ebenfalls interessierten Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich nicht zusätzlich zu verärgern. Oppenheim unternimmt die Expedition dann als Privatperson und macht Vorschläge zur Trassenführung.
Ein Zufallsfund
Bei der Streckenerkundung für die Bagdadbahn stieß Oppenheim auch auf die vom Wüstensand überdeckten Reste des Tell-Halaf-Palastes. Er wechselte mühelos in die Rolle des Archäologen und verabschiedete sich aus dem diplomatischen Dienst, um ab 1911 den Palast auszugraben.
Mit einer Karawane aus 1000 Kamelen ließ er modernstes Gerät, darunter eine Feldeisenbahn, zum Grabungsort schaffen. Oppenheim ließ sich ein aufwendiges festes Grabungshaus mit Feldtelefon und westeuropäischem Luxus bauen (»Mein Wüstenschloß«). Für regelmäßigen Nachschub an Cognac, Sekt und Fachinger Mineralwasser war ebenfalls gesorgt.
Für die Grabungen wurden bis zu 550 Männer, Frauen und auch Kinder als Tagelöhner engagiert. Die tägliche Arbeitszeit betrug auch bei größter Hitze zehn Stunden. Bei Streiks gegen die schlechten Arbeitsbedingungen sah der kolonialistische Ausgräber nur »Undankbarkeit« und »Aufsässigkeit«. Sein Motto lautete: »Die Leute sind wie Kinder zu behandeln.«
Die Kosten des Unternehmens bestritt der Bankierssohn aus seinem Privatvermögen, das aus den Zinsen seiner Kommanditeinlage von 240000 Reichsmark in der Bank und aus einer Gewinnbeteiligung gespeist wurde. Sein Vater gab allein in den ersten zwei Jahren 750000 Reichsmark dazu – nach heutigem Wert etwa sieben Millionen Euro.
Die Ausgrabungen dauerten zunächst von 1911 bis 1913. Prunkstück ist der monumentale Torbau, dessen Dach von Götterfiguren getragen wird, die auf Tierfiguren aufruhen. Oppenheim bat Kaiser Wilhelm II. um Unterstützung, damit die Funde gegen die Widerstände in der Türkei abtransportiert werden konnten. Der Monarch betrachtete Deutschland als »Universität der Welt«: Deshalb ließ er wie Napoleon und das britische Empire die Kulturgüter der Kolonien und anderer Territorien in die Hauptstadt Berlin schaffen, z.B. den Pergamonaltar.
Der Archäologe als Terrorstratege
Zu Kriegsbeginn im August 1914 meldete sich Oppenheim wieder im Auswärtigen Amt zurück. Dem Kaiser legte er die »Denkschrift betreffend die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde« vor. Darin faßte er die von ihm zuvor erkundeten panislamistischen Strömungen zusammen, die »im Kampf um Sein oder Nichtsein« für deutsche Interessen instrumentalisiert werden sollten. Türkei, Ägypten, Indien, Irak, Persien, Marokko, Algerien, Tunesien, auch Afghanistan: Land für Land nannte der Gelegenheits-archäologe die muslimischen Führer, die als Freunde zu gewinnen waren. Im kolonialen Hinterland des Erzfeindes England sollten freiwillige Verbände bewaffnet werden, »um die Engländer totzuschlagen«. Geld sollte dabei keine Rolle spielen.
Die arabischen Massen sollten zum Dschihad, zum Heiligen Krieg aufgestachelt und ausgestattet werden: »das gewöhnliche Volk durch Aufrufe und andere Mittel zur Gärung bringen«, heißt es in der Denkschrift. Für die Agitation der Pilger in Mekka, Medina und Dschidda beabsichtigte man, Büros vor Ort einzurichten. In Moscheen und islamischen Schulen sollten deutsche Berater verdeckt mit militanten Muslimbruderschaften zusammenarbeiten, Muslime zu Terroristen ausgebildet werden, um die »Ölfelder von Baku in Brand zu setzen«. Den Suezkanal, die Lebensader des britischen Commonwealth, sollten die von den Oppenheim-Helfern gelenkten Gotteskrieger mit Sabotageakten überziehen.
Der kriegführende Archäologe mußte keineswegs erst auf den CIA warten, um nach dem Konzept der »Strategie der Spannung« zu verfahren: Er schlug vor, »möglichst viele kleine Putsche, Attentate etc. zu veranlassen, ganz gleichgültig, ob diese gelingen oder nicht«. Denn daraufhin würden, so spekulierte er, die Engländer die Unterdrückung verschärfen: »Je grausamer die Repressionen einsetzen und je mehr sie, wie vorherzusehen, Unschuldige treffen, desto mehr werden sie die Wut und den Fanatismus des Volkes vermehren.« Gläubige Muslime aufhetzen, Unschuldige in den Tod schicken – da hatte der katholische Bankierssohn keine Skrupel.
Das Auswärtige Amt verschaffte ihm einen gefälschten Paß auf den Namen Martin Ohnesorge. Er sollte mit den Muslimführern den Dschihad inszenieren, der sich »über Mekka auf die übrige islamische Welt verbreiten« und seine »Wellen bis nach Indien schlagen soll«. Max von Oppenheim steht somit »am Anfang eines durch Nichtmuslime heraufbeschworenen Dschihad«.2
Bis 1917 leitete er die von ihm selbst konzipierte »Nachrichtenstelle für den Orient«. Das Geld kam vom Auswärtigen Amt und aus der Privatschatulle des Bankiers. Neben 20 ausländischen Mitarbeitern sind 15 deutsche Archäologen, Orientalisten und Übersetzer dabei, so der Islamforscher Carl Heinrich Becker, der Indologe Helmuth von Glasenapp und der Politologe Ernst Jäkh.
In den ersten Kriegsjahren eröffnete das neue Amt 36 »Nachrichtensäle« für die Dschihad-Agitation in den Staaten mit muslimischer Bevölkerung. Flugblätter und Bücher wurden in 24 Sprachen unter das Volk gebracht, z.B. in Arabisch, Türkisch, Persisch, Urdu, Hindi, Gurmukhi, Chinesisch, Turkotatarisch, Russisch, Georgisch, Siamesisch, Amharisch (Abessinien) und in maghrebinischen Dialekten. Es wurden für Analphabeten Comics mit einfachen Bildern verbreitet, muslimische Kriegsgefangene wurden in Sonderlagern zusammengefaßt und mit Hilfe von Gefangenenzeitungen aufgehetzt. Zeitschriften und Zeitungen wurden subventioniert, einheimische Redakteure bestochen. Mit besonderem Eifer schrieben die Mitarbeiter der Nachrichtenstelle unter falschen Namen Leserbriefe an die einheimischen Zeitungen.
In der Nachrichtenstelle arbeitete auch der islamische Theologe Scheich Salih mit, der im Auftrag des Auswärtigen Amtes den Heiligen Krieg aus dem Koran ableitete und dessen Schrift »Die Wahrheit über den Glaubenskrieg« 1915 ins Deutsche übersetzt wurde.
Franzosen und Briten wurden in den Medien der Nachrichtenstelle als grausame Unterdrücker gebrandmarkt, Deutschland als der beste Freund der Muslime und als Anwalt für das Selbstbestimmungsrecht der Völker gepriesen. »Die Manipulation analphabetischer Massen im Krieg durch moderne Medien bildete eine neue Stufe der psychologischen Kriegsführung«, so der Historiker Wolfgang G. Schwanitz.3
Mit Judenhassern im Bund
Der »Dschihad made in Germany« hat seine Ziele nicht erreicht. Die Hoffnung, daß die arabischen Massen nur auf die Deutschen gewartet hätten, um gegen ihre Unterdrücker loszuschlagen, beruhte auf einer Illusion. Die Elite des Deutschen Reichs überschätzte in ihrer macht- und geldgierigen Arroganz die eigenen Kräfte und Kenntnisse auch hier.
Die muslimischen Anführer, auf die Oppenheim zählte, waren selbst korrupt und bei der Mehrheit ihrer Völker und Stämme nicht viel weniger verhaßt als die Kolonialmächte. In der arabischen Welt sprach sich herum, daß die neuen Islamfreunde doppelzüngige Heuchler waren, denn in ihren ostafrikanischen Kolonien machten sie islamistische Aufstandsbewegungen gnadenlos nieder.
Doch der Terroristenführer Oppenheim blieb unbelehrbar. Den nunmehr Achtzigjährigen trieb die Zurückhaltung der Hitlerschen Kriegsführung gegenüber dem Nahen Osten um. Am 25. Juli 1940 sandte Max von Oppenheim seine überarbeitete Denkschrift an das Auswärtige Amt. Die Grundidee blieb gleich: Muslime sollten im kolonialen Hinterland des deutschen Hauptfeindes England zum Dschihad angestachelt werden, das Deutsche Reich die »fanatischen Heerscharen des Orients« mit Waffen, Geld, Rundfunk- und Sendegeräten ausstatten. Politischer Mord war erlaubt: Im Irak etwa sei der probritische Außenminister Nuri As-Said eventuell gewaltsam zu beseitigen,so der Terrorstratege.
Zeitgemäß zählte Oppenheim neben den Briten nun auch die Juden zu den Feinden. Als ideologische Zentralfigur sah er statt Scheich Salih in Konstantinopel nun den Judenhasser und Hitlerfreund Amin Al-Husaini, den Mufti von Jerusalem. Der residierte mit großem Gefolge auf Einladung Himmlers in Berlin und rief über die deutschen Radiosender den Dschihad für Palästina und den ganzen Orient aus. Mehrfach schlug er vor, zionistische Treffen in Jerusalem und Tel Aviv bombardieren zu lassen. Der Mufti sollte von den Nazis als Regierungschef für ganz Palästina eingesetzt werden. Mit Himmler verhandelte er über den Verbleib der Juden, die er aus Palästina entfernen wollte, und machte sich im KZ Oranienburg kundig, wie man Juden einsperrt.
Ein Jahr nach Oppenheims Denkschrift hieß es in einer Weisung Hitlers: »Ausnutzung der arabischen Freiheitsbewegung. Die Lage der Engländer im Mittleren Osten wird bei größeren deutschen Operationen umso schwieriger sein, je mehr Kräfte durch Unruheherde oder Aufstandsbewegungen zeitgerecht gebunden werden.« Das muß keineswegs heißen, daß diese Weisung direkt auf Oppenheim zurückging. Seine Auffassung hatte ja Tradition im Auswärtigen Amt und war in der Naziführung verbreitet.
Die Strategie griff an einigen Stellen, so beim antibritischen Putsch im Irak. Der Suezkanal wurde vermint. Aber der Dschihad kam nicht voran wie geplant. Das lag aber wieder nicht an der Einsicht der deutschen Strategen. Vor allem die Niederlage der deutschen Wehrmacht im nordafrikanischen El Alamein ebenso wie die alliierte Besetzung des Iran verhinderten den von Hitler gewollten »regionalen Holocaust« nach dem Muster Oppenheims, urteilt Schwanitz.
Die Haushistorikerin der Bank Sal. Oppenheim, Gabriele Teichmann, Leiterin des privaten Bankarchivs, verdrängt die brisanten Inhalte der Terrordenkschrift an das Naziregime. Es wäre ja auch verräterisch: Dieselbe Bankiersfamilie, die das Vermächtnis Max von Oppenheims fördert, gehört gleichzeitig zu den großen und sich damit brüstenden Stiftern der nationalen Gedenkstätte des Staates Israel, Yad Vashem, in dem der Holocaust dokumentiert und angeprangert wird.
Von den Nazis entschädigt
Von 1927 bis 1929 führte Oppenheim die Grabungen zu Ende und ließ die restlichen Fundstücke mit Zustimmung der französischen Mandatsverwaltung nach Deutschland schaffen. Die westlichen Ausgräber betrachteten das Grabungsgut als ihr Eigentum, kleinere Teile überließen sie den Einheimischen. Kunst- und Kulturraub waren normal.
Der Archäologe gründete 1929 die Max von Oppenheim-Stiftung. Ihr gehören die Funde vom Tell Halaf bis heute. Er stellte die Stücke seit 1930 in einer ehemaligen Industriehalle in Berlin-Charlottenburg aus. Bei einem Bombenangriff im November 1943 wurden die Exponate zertrümmert. Allerdings mobilisierte das Regime in dieser Mangelzeit genug Mittel und Menschen, um bis August 1944 die 27000 Bruchstücke mit neun Treckerladungen zur Museumsinsel zu transportieren und im Heizungskeller des Pergamonmuseums zu sichern.
Haushistorikerin Teichmann betont stets, daß Max von Oppenheim zunächst wegen seiner jüdischen Herkunft Schwierigkeiten hatte, in den diplomatischen Dienst des Wilhelminischen Reiches aufgenommen zu werden. Ebenso beklagt die Historikerin immer wieder, daß die Oppenheims wegen ihrer Einstufung als »Halbjuden« gegen Ende des Zweiten Weltkrieges von den Nazis bedroht worden seien.
Groß kann die Bedrohung für Max von Oppenheim nicht gewesen sein. Nach dem Ersten Weltkrieg war er durch Kredite seiner Familie, seiner Bank und des Kölner Stahlhandelsunternehmers Otto Wolff hochverschuldet. Es war das Naziregime, das ihn noch mitten im Krieg erlöste. Er hatte mit dem Deutschen Reich wegen der Übernahme seiner Stiftung verhandelt. Als sein Museum mit den Exponaten 1943 durch den Bombenangriff zerstört wurde, entschädigte ihn das Hauptamt für Kriegssachschäden in der Höhe aller Kredite. Er war schuldenfrei, und seine Familie wie seine Bank hatten ihr Geld wieder.
Die Trümmerstücke wurden von der dann der DDR unterstehenden Museumsverwaltung als westdeutscher Kunstbesitz geführt, nicht enteignet und auch nicht weggeworfen. Nach dem Zusammenbruch der DDR gab die Max von Oppenheim-Stiftung den Trümmerbestand als Leihgabe an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Seit 1999 förderten die Deutsche Forschungsgemeinschaft, das Auswärtige Amt und vor allem die Bank Oppenheim durch ihre drei Bank- und Familienstiftungen – Max von Oppenheim-Stiftung, Alfred Freiherr von Oppenheim-Stiftung, Sal. Oppenheim-Stiftung – die Rekonstruktion der Trümmer.
So wurden den 27000 Bruchstücken während acht Jahren mittels modernster Methoden ihre ursprünglichen Formen zurückgegeben. Die größte und teuerste Restaurierung der letzten Jahrzehnte ist zweifellos eine handwerklich und wissenschaftlich große Leistung.
Neue imperiale Selbstdarstellung
Die geretteten Götter sind Teil des »Masterplans« der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zur Neugestaltung der Berliner »Museumsinsel«. Die Tell-Halaf-Figuren sollen nach der Ausstellung als pompöses neues Eingansportal des Vorderasiatischen Museums fungieren.
Im vereinigten Großdeutschland soll die Museumsinsel zu einem neuen Zentrum des Weltmassentourismus aufsteigen, die Besucherzahl von bisher 1,1 Millionen jährlich bis 2025 auf 4,5 Millionen gesteigert werden. Alle bisherigen Finanzplanungen sind überholt, irgendwoher muß das Geld herausgepreßt werden. Allein für das Pergamonmuseum werden nach offizieller Darstellung 384 Millionen Euro ausgegeben, intern ist klar, daß auch dieses Limit überschritten wird. Der bankrotte Staat will sich hier in neuer Arroganz glänzend der Welt präsentieren.
Der Hauptsponsor der Götter-Restauration, die Bank Oppenheim, ging 2009 bankrott, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Das verhinderte indes nicht, daß Stiftungssprecher Christopher von Oppenheim gemeinsam mit Henry Kissinger, John Kornblum (Ex-US-Botschafter) und Mathias Döpfner (Springer) zu den Trustees der American Academy (Berlin) gehört. Und die Stiftung Max von Oppenheim bleibt Eigentümer der »geretteten Götter«. Die Ausstellung wird von der Crème der deutschen und transatlantischen Banken- und Konzernelite gefördert: Allianz, Bank of America, J.P. Morgan Chase, KPMG, Bertelsmann media worldwide, Daimler Financial Services, Metro Group, Deutsche Bahn Mobility Networks, e.on, Siemens, Union Investment, Linde, Würth, Dussmann sowie dem Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF).
Das ZDF sponsert, die ARD sendet. Das Erste Programm präsentierte Max von Oppenheim als »Mittler zwischen den Welten«.4 Der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier plapperte darin folgsam und wohl auch überzeugt in die Kamera: »Max von Oppenheim war einer der Pioniere auch in der deutsch-arabischen und der deutsch-türkischen Zusammenarbeit, und ist in dieser Hinsicht auch ein Vorbild für die Arbeit von heute.«
Anmerkungen
1 Zur Ausstellung vgl. die beiden Begleitbände: Nadja Cholidis/Lutz Martin (Hg.): Tell Halaf. Im Krieg zerstörte Denkmäler und ihre Restaurierung, Berlin 2010; dies. (Hg.): Die geretteten Götter aus dem Palast vom Tell Halaf, Regensburg 2011
2 Zu den in den Begleitbüchern verschwiegenen Fakten vgl. Salvador Oberhaus: »Zum wilden Aufstande entflammen«. Die deutsche Propagandastrategie für den Orient im Ersten Weltkrieg am Beispiel Ägypten, Saarbrücken 2007
3 Wolfgang G. Schwanitz: »Max von Oppenheim und der >Heilige Krieg<«, in: Sozial.Geschichte 19/2004, S. 28-59; darin ist auch die später erwähnte antisemitische Denkschrift dokumentiert, die Oppenheim 1940 dem Naziregime vorlegte
4 ARD: Ankündigung der Dokumentation »Faszination Orient. Das Leben des Max von Oppenheim«, 30.9.2009
»Die geretteten Götter aus dem Palast vom Tell Halaf« (bis 14. August), Pergamonmuseum, Am Kupfergraben 5, 10117 Berlin. Öffnungszeiten: Montag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Donnerstag 10 bis 22 Uhr, Eintritt 12, ermäßigt 6 Euro. Weitere Informationen unter www.gerettete-goetter.de
Von Werner Rügemer erschien zur Bank Oppenheim »Der Bankier. Ungebetener Nachruf auf Alfred Freiherr von Oppenheim«, 3. geschwärzte Ausgabe, Frankfurt 2006