Eine Strategie für Israel in den 80er Jahren
Von Oded Jinon*
* Übersetzung aus KIVUNIM (Richtungen) [Zeitschrift für Judentum und Zionismus, veröffentlicht von der Abteilung für Aufklärung/Zionistische Weltorganisation, Jerusalem], Nr. 14, Februar 1982, Seite 49-59. Übersetzung von Ursula Spehl. Der Autor, Oded Jinon, ist Journalist und war früher im israelischen Außenministerium beschäftigt. Die im Folgenden mit einem Stern gekennzeichneten Anmerkungen sind diejenigen von Oded Jinon, die Kommentare sind vom Herausgeber der KLARTEXTE, Helmut Spehl.
Der Anbruch der achtziger Jahre stellt den Staat Israel vor die Notwendigkeit einer neuen Perspektive bezüglich seines Standortes, seiner Ziele und seiner nationalen Aufgaben, hier im Lande und draußen. Dies ist um so vitaler, als dem Land, der Region und der ganzen Welt verschiedene Entwicklungsprozesse zentraler Art bevorstehen. Wir leben heute im Frühstadium einer neuen Epoche der Menschheitsgeschichte, die mit vorangegangenen Epochen keinerlei Ähnlichkeit aufweist, und deren Charakteristiken von allen bisher bekannten völlig verschieden sind. Wir brauchen deshalb zum einen ein Verständnis für die zentralen Prozesse, die dieser historischen Epoche ihren Stempel aufdrücken,
und zum andern einen globalen Überblick und eine operative Strategie, die mit den neuen Gegebenheiten in Einklang stehen. Die Existenz, das Gedeihen und der Bestand des Jüdischen Staates wird von seinen Fähigkeiten abhängen, sich einen neuen Weg und ein neues Rahmenwerk für sein innenpolitisches Tun und Lassen zu eigen zu machen.
Die neue Epoche zeichnet sich durch verschiedene Charakterzüge aus, die wir bereits ausmachen können, und die eine echte Revolution unseres gegenwärtigen Lebensstils ankündigen. Der dominierende Prozeß ist der Niedergang der humanistischen und rationalen Weltanschauung, jener Hauptsäule der Lebensweise und der Errungen schaften der westlichen Zivilisation seit der Renaissance. Die Auffassung von den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Belangen, die auf dieser Basis entstanden ist, hat einige ‘Wahrheiten’ für richtig gehalten, die heutzutage dahinschwinden. So zum Beispiel die Ansicht, der Mensch als Individuum sei der Mittelpunkt des Universums, und alle Dinge dieser Welt seien dazu da, seine materiellen Bedürfnisse zu befriedigen. Diese Auffassung erweist sich als nicht mehr haltbar, seit klargeworden ist, daß das kosmische Rohstoffreservoir den Anforderungen des Menschen, seinen wirtschaftlichen oder seinen demographischen Zwängen nicht angemessen ist.
In einer Welt von 4 Milliarden Menschen, und mit Wirtschaftskräften und Energiequellen, die nicht proportional mit den Bedürfnissen der Menschheit anwachsen, ist die Erwartung unrealistisch, dem Wunsch und dem Streben nach grenzenlosem Konsum, auf dem die westliche Gesellschaft hauptsächlich beruht, könne Genüge getan werden.*
Die Vorstellung, daß Ethik auf dem gemäß seinen materiellen Bedürfnissen verlaufenden Weg des Menschen keine Rolle spielt, verflüchtigt sich heutzutage angesichts einer Welt, deren wenige Werte immer mehr dahinschwinden. Die Maßstäbe für die allereinfachsten Dinge gehen uns verloren, insbesondere im Zusammenhang mit der simplen Frage – was gut ist, und was böse.
Die Vorstellung, daß das Streben und die Fähigkeiten des Menschen ohne Grenzen sind, bricht angesichts der leidigen Gegebenheiten des Lebens und der Auflösung der Weltordnung in sich zusammen. Diese Vorstellung, die der Menschheit Freiheit und Unabhängigkeit verheißt, erscheint im Licht der traurigen Tatsache, daß Dreiviertel der Menschheit unter totalitären Regimes lebt, absurd. Sozialismus und vor allem Kommunismus haben aus der Forderung nach Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit Spott und Hohn gemacht. Das positive Element dieser beiden Ideologien steht nicht zur Debatte, aber es ist doch offensichtlich, daß sie an den Realitäten gescheitert sind, und daß die Mehrheit der Menschen die Freiheit, die Unabhängigkeit und die Hoffnung auf Gleichheit und Gerechtigkeit verloren hat. Im atomaren Zeitalter, in dem wir nun 30 Jahre (und eben noch) in relativer Ruhe leben, haben Werte wie Brüderlichkeit, Frieden und Koexistenz der Völker keine Bedeutung mehr, wenn eine Supermacht wie die UdSSR an einer militärischen und politischen Doktrin eigener Art festhält, die davon ausgeht, daß ein atomar geführter Krieg nicht nur möglich und um der Ziele des Marxismus willen notwendig ist, sondern daß ein solcher Krieg auch überlebt, ja sogar gewonnen werden kann.*
Im Gefolge von politischen, militärischen und wirtschaftlichen Wandlungen ändern sich die grundlegenden Konzepte der Gesellschaft, insbesondere der westlichen Gesellschaft. Das atomare und konventionelle Potential der UdSSR macht den Geschichtsabschnitt, dem wir soeben entrücken, zur letzten Gnadenfrist vor dem großen Sturm, der einen beträchtlichen Teil unserer Welt in einem multidimensional geführten, globalen Krieg zerstören wird. Im Vergleich dazu werden die letzten Weltkriege wie ein Kinderspiel erscheinen. Die Schlagkraft der atomaren wie der konventionellen Waffen der UdSSR, ihre Quantität, ihre Präzision und ihre Beschaffenheit, wird einen Großteil unserer Welt in mehr als einem Sinne innerhalb weniger Jahre auf den Kopf stellen, und wir müssen uns auch in Israel so schnell wie möglich darauf einstellen. Hier liegt die Hauptbedrohung auch unserer Existenz, und allgemein der Existenz der westlichen Welt.*
Der Kampf um die Rohstoffe in der Welt, und nicht etwa nur das arabische Ölmonopol, vielmehr der Zwang des Westens, einen Großteil seiner Rohstoffe aus der Dritten Welt importieren zu müssen, verändern die Welt wie wir sie kennen. Wenn uns bewußt wird, daß zu den Hauptzielen der UdSSR die Unterwerfung des Westens mittels sowjetischer Kontrolle der gigantischen Bodenschätze im Persischen Golf und im südlichen Teil von Afrika gehört, werden wir uns das Ausmaß der globalen Konfrontation vorstellen können, der wir entgegengehen.
Die Gorshkov Doktrin fordert die sowjetische Seeherrschaft und die Kontrolle über die mineralreichen Gebiete der Dritten Welt. Dies und die gegenwärtige sowjetische Atomdoktrin, die von der Möglichkeit ausgeht, einen atomaren Krieg zu führen, zu gewinnen und zu überleben, wobei die Militärmacht des Westens zerstört und seine Einwohner zu Sklaven im Dienst des Marxismus-Leninismus werden, sind die eigentlichen Gefahren für den Weltfrieden und für unsere eigene Existenz.
Seit 1967 haben die Sowjets den Ausspruch von Clausewitz: “Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit atomaren Mitteln” zum Motto gemacht, das ihre gesamte Politik diktiert. Schon heute sind sie dabei, ihre Ziele in unserer Region und in der ganzen Welt in die Tat umzusetzen, und die Notwendigkeit, ihnen entgegenzutreten, wird zum Hauptelement jeder Sicherheitspolitik in unserem Land und selbstverständlich auch der Sicherheitspolitik der übrigen freien Welt. Dies ist unsere eigentliche außenpolitische Herausforderung.*
Die arabisch-muslimische Welt ist infolgedessen nicht das strategische Hauptproblem, das in den achtziger Jahren auf uns zukommt, trotz der Tatsache, daß vor allem von ihr, ihrer wachsenden militärischen Stärke wegen, der größte Teil der Bedrohung Israels ausgeht. Diese Welt mit ihren ethnischen Minderheiten, ihren Splitterparteien und ihren inneren Krisen, ist auf erstaunliche Weise selbstzerstörerisch, wie wir bereits in Libanon und im nicht-arabischen Iran, und neuerdings auch in Syrien, sehen. Sie ist unfähig, ihre grundlegenden Probleme erfolgreich anzupacken, und stellt deshalb auf lange Sicht keine wirkliche Gefahr für den Staat Israel dar. Es besteht allenfalls eine kurzfristige Gefahr infolge ihrer unmittelbaren militärischen Stärke. Ohne wirklich revolutionäre Wandlungen durchzumachen, wird diese Welt in den uns umgebenden Regionen auf lange Sicht nicht existenzfähig sein. Die muslimisch-arabische Welt ist wie ein provisorisches Kartenhaus gebaut, zusammengefügt von Fremden (Franzosen und Engländern in den zwanziger Jahren), ohne die Wünsche und Sehnsüchte der Bewohner in Betracht zu ziehen. Sie wurde in 19 Staaten aufgeteilt, jeder bestehend aus Kombinationen von Minderheiten, die sich feindlich gesinnt sind, so daß mittlerweile sämtliche arabisch-muslimischen Staaten der Gefahr ethnisch-sozialer Selbstzerstörung ausgesetzt sind, und in einigen dieser Staaten wütet bereits ein Bürgerkrieg.*
Die Hauptmasse der Araber, 118 Millionen von insgesamt 170 Millionen, lebt in Afrika, hauptsächlich in Ägypten (gegenwärtig 45 Millionen). Sämtliche Maghreb-Staaten, Ägypten ausgenommen, bestehen aus einer Mischung von Arabern und nicht-arabischen Berbern. In Algerien, im Kabile-Gebirge, gibt es tatsächlich schon einen Bürgerkrieg zwischen den beiden Völkern dieses Landes; und zusätzlich zu den inneren Konflikten sind Algerien und Marokko in einen Krieg um die spanische Sahara verwickelt. Militanter Islam gefährdet die Integrität von Tunesien, und Kadhafi führt seine zerstörerischen Kriege gegen arabische Brüder, wobei zu bedenken ist, daß Libyen ein Land fast ohne Bevölkerung ist und keine starke und mächtige Nation werden kann. Aus diesem Grund hat Kadhafi die Vereinigung mit Ländern wie Ägypten und Syrien angestrebt, die schon eher echte Staaten sind. Sudan, der meistzerrissene Staat der arabisch-muslimischen Welt, besteht aus vier einander fremden Bevölkerungen; eine sunnitisch-muslimisch-arabische Minderheit herrscht über eine Mehrheit nicht-arabischer Afrikaner, Heiden und Christen. In Ägypten gibt es eine sunnitische Moslem-Mehrheit, die einer starken, in Oberägypten dominierenden Minderheit von annähernd 7 Millionen Christen gegenübersteht. In seiner Rede vom Mai 1980 drückte sogar Sadat die Befürchtung aus, daß diese einen eigenen Staat wollen, eine Art ‘zweites’ christliches Libanon in Ägypten.*
Alle arabischen Staaten im Osten von Israel sind zerrissen, zweigeteilt und von inneren Konflikten geschüttelt, mehr noch als die Maghreb-Staaten. Syrien unterscheidet sich von Libanon im Grunde nur durch sein straffes Militärregime, aber der regelrechte Bürgerkrieg, der sich jetzt zwischen der sunnitischen Mehrheit und der herrschenden schiitischen Minderheit der Alawiden (lediglich 12% der Bevölkerung) abspielt, weist auf die Ernsthaftigkeit der inneren Probleme hin.
Auch Irak unterscheidet sich von seinem Nachbarn nicht wesentlich, obwohl hier die Mehrheit schiitisch und die herrschende Minderheit sunnitisch ist. 65% der Bevölkerung hat politisch nichts zu sagen, die Macht liegt in den Händen einer Elite von 20%, und daneben gibt es noch die starke kurdische Minderheit im Norden. Wären da nicht das straffe Regime, die Armee und die Öleinkünfte – die Zukunft des Irak würde sich nicht vom gestrigen Schicksal von Libanon und dem heutigen von Syrien unterscheiden. Die Spuren der Spaltung und des Bürgerkrieges sind dort schon heute zu erkennen, vor allem seit in Iran Khomeini an die Macht gekommen ist, den die Schiiten des Irak, an Stelle des gegenwärtigen irakischen Präsidenten Saddam Hussein, als ihren natürlichen Führer ansehen.
Sämtliche Golfstaaten und Saudi-Arabien sind auf Sand gebaut, in dem es nichts gibt außer Öl. In Kuwait machen die Einheimischen lediglich ein Viertel der Bevölkerung aus, in Bahrein bilden die Schiiten die Mehrheit, sind aber von der Macht abgeschnitten. In den Vereinigten Arabischen Emiraten bilden die Schiiten die Mehrheit und die Sunniten regieren. Das gleiche gilt für Oman und Nordjemen, und sogar im marxistischen Südjemen gibt es eine beträchtliche schiitische Minderheit. In Saudi-Arabien besteht die Bevölkerung zur Hälfte aus Ausländern (Ägypter, Jemeniten und andere), und eine saudische Minderheit ist an der Regierung.
Jordanien ist in Wirklichkeit palästinensisch, beherrscht von einer transjordanischen beduinischen Minderheit, aber der Großteil der Armee, und selbstverständlich auch die Bürokratie, ist palästinensisch. Amman ist tatsächlich so palästinensisch wie Nablus (in der israelisch besetzten Westbank; Zusatz d. Übers.). Alle diese arabischen Länder haben starke und verhältnismäßig schlagkräftige Armeen, aber auch hier gibt es einen Haken. Die jetzige syrische Armee ist hauptsächlich sunnitisch, mit einem von den Alawiden gestellten Offizierskorps. Die irakische Armee ist mehrheitlich schiitisch, mit sunnitischen Offizieren. Auf lange Sicht ist dies von großer Bedeutung, denn auf die Dauer wird es nicht möglich sein, sich auf die Loyalität einer Armee zu verlassen, deren Einigkeit auf dem einzigen gemeinsamen Nenner beruht – der Feindschaft gegenüber Israel, und schon heute reicht das nicht aus.*
Genau wie bei den Arabern, die untereinander gespalten sind, verhält es sich bei den übrigen muslimischen Staaten. Die Bevölkerung des Iran besteht aus einer persisch sprechenden Hälfte und einer ihrem ethnischen Ursprung, ihrer Sprache und ihrer Natur nach türkischen Hälfte. Die Türkei zerfällt in ungefähr 50% türkisch-muslimische Sunniten und zwei starke Minderheiten: 12 Millionen schiitische Alawiden und 6 Millionen kurdische Sunniten. In Afghanistan gibt es 5 Millionen Schiiten, die ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. Im sunnitischen Pakistan leben 15 Millionen Schiiten, die eine Gefahr sind für die Existenz dieses Staates.
Dieses Bild von den nationalen ethnischen Minderheiten, von Marokko bis Indien und von Somalia bis zur Türkei, zeigt den Mangel an Stabilität und kündigt einen raschen Zerfall überall in der Region rund um Israel an. Wenn dieses Bild zusammen mit der wirtschaftlichen Lage betrachtet wird, erkennen wir, daß die gesamte Region wie ein Kartenhaus gebaut ist und jeder Aussicht entbehrt, mit ihren ernsthaften Problemen fertigzuwerden.[Kommentar]
In dieser riesigen, zerrissenen Welt gibt es ein paar sehr reiche Gruppen und eine gigantische Masse von armen Leuten. Die meisten Araber haben ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 300 Dollar. In Ägypten ist dies ebenso wie in den meisten Maghreb-Ländern, außer in Libyen, und im Osten überall, außer im Irak. Libanon ist ein zerbrochener, wirtschaftlich ruinierter Staat, in dem es keine Zentralgewalt mehr gibt, sondern fünf de facto souveräne Machtgruppen (im Norden Christen unter der Herrschaft des Franjieh-Clans und unterstützt von den Syrern, im Osten ein unmittelbares Beutegebiet der Syrer, im Zentrum eine christliche Enklave unter der Kontrolle der Falangisten, südlich davon und bis zum Litani das hauptsächlich palästinensische Gebiet der PLO, und schließlich noch Major Haddads Staat aus Christen und einer halben Million Schiiten). Syrien befindet sich in einer noch schlimmeren Lage, wobei selbst die Finanzhilfe, die es nach der Vereinigung mit Libyen zukünftig erhalten wird, nicht ausreichen kann, um die Existenzprobleme zu meistern, eine große Armee zu unterhalten und den Wirtschaftszerfall zu stoppen. Die Lage Ägyptens ist am schlimmsten: Millionen leben am Rande des Hungers, die Hälfte der Bevölkerung in diesem dichtestbesiedelten Gebiet der Erde ist ohne Arbeit und ohne Behausung. Mit Ausnahme der Armee gibt es nicht einen einzigen zuverlässig funktionierenden Bereich, der Staat befindet sich in einem Zustand permanenten Bankrotts, und die einzige Finanzhilfe ist die amerikanische als Folge des Friedens mit Israel.*
In den Golfstaaten, in Saudi-Arabien und in Libyen häuft sich Geld und Erdöl wie sonst nirgendwo auf der Welt, aber davon profitieren nur winzige Eliten, denen die breite Unterstützungsbasis und die Selbstsicherheit fehlt, und deren Existenz keine Armee sichern kann. Die saudi-arabische Armee mit all ihrer Ausrüstung kann das Regime im Fall von wirklichen inneren oder äußeren Bedrohungen nicht schützen, und was 1980 in Mekka geschah, ist nur ein Beispiel. Dies also ist das Bild der düsteren und sehr stürmischen Lage rund um Israel, die für uns eine Herausforderung darstellt und Probleme und Risiken birgt, die aber auch, zum ersten Mal seit dem Sechstagekrieg von 1967, weitreichende Chancen bietet. Die Chancen und Gelegenheiten, die Israel damals ungenutzt ließ, werden sich in den achtziger Jahren in einem Ausmaß und in Dimensionen einstellen, die heute überhaupt nicht vorstellbar sind.
Die ‘Friedens’-Politik und die Rückgabe von Territorien, die unserer Abhängigkeit von den USA zuzuschreiben sind, verhindert die Verwirklichung der neuen Möglichkeiten, die zu unseren Gunsten entstehen. Seit 1967 haben sämtliche israelischen Regierungen unsere nationalen Ziele recht kleinlichen Regierungsnöten und defaitistischen Stimmungen aufgeopfert, wodurch unsere Fähigkeiten drinnen und draußen ungenutzt blieben. Daß wir in der Frage der arabischen Bevölkerung der neuen Gebiete, die wir im Zuge eines uns aufgezwungenen Krieges [Kommentar] dazugewinnen konnten, keine Schritte unternommen haben, ist der schlimmste strategische Fehler, den wir am Morgen nach dem Sechstagekrieg begangen haben. All die heftigen und gefährlichen Konflikte vom damaligen Tag bis heute hätten wir uns ersparen können, wenn wir den westlich des Jordans lebenden Palästinensern Transjordanien gegeben hätten [Erfahrungsgemäss haben die meisten Leser bei der Übersetzung aus dem Zionistischen erhebliche Schwierigkeiten. “Den Palästinensern Jordanien geben” bedeutet in allen Kultursprachen soviel wie: “Die Palästinenser aus Israel fortschaffen” – H.S.]. Das Palästinenserproblem, vor dem wir heute stehen, hätten wir auf diese Weise neutralisiert, aber statt dessen haben wir Lösungen gefunden, die ja wirklich keine Lösungen sind – wie der territoriale Kompromiß oder die Autonomie, was im Grunde das gleiche ist.*
Heute eröffnen sich unseren Augen gewaltige Möglichkeiten, und eben diese müssen genutzt werden, soll Israel als Staat überleben.
Im Laufe der achtziger Jahre muß der Staat Israel in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht einen tiefgreifenden Wandel und eine radikale Änderung seiner Außenpolitik durchlaufen, um den globalen, regionalen und wirtschaftlichen Herausforderungen dieses neuen Zeitalters gewachsen zu sein. Der Verlust der Ölfelder im Golf von Suez infolge des Friedensvertrages mit Ägypten und der Verlust des ungeheuren Potentials an Öl, Gas und Mineralien auf der Halbinsel Sinai, die geologisch mit den reichen ölproduzierenden Ländern in unserer Region identisch ist, wird uns schon in naher Zukunft einen Energieengpaß einbringen und unsere einheimische Wirtschaft zerrütten, weil ein Viertel unseres Bruttosozialproduktes und ein Drittel des Staatshaushaltes zum Kauf von Erdöl verwendet wird.*
Die Suche nach Rohstoffen, Öl und Gas im (israelischen) Negev und in der Küstenebene ist nicht dazu angetan, diese Sachlage in naher Zukunft zu ändern.
Die Rückgewinnung der Halbinsel Sinai mit ihren unmittelbaren und potentiellen Rohstoffquellen ist deshalb schon heute ein politisches Ziel allerersten Ranges, dessen Verwirklichung durch die Abmachungen von Camp David und durch die Friedensverträge mit Ägypten behindert wird. Die Schuld liegt selbstverständlich bei der heutigen israelischen Regierung und bei den Regierungen, die der Politik der Gebietsrückgabe den Weg geebnet haben, also bei den Regierungen der Arbeiterparteien seit 1967. Die Ägypter brauchen den Friedensvertrag nach der Rückgabe von Sinai nicht einzuhalten, [Das letzte Teilstück der Halbinsel Sinai wurde im April 1982 von Israel geräumt und im Rahmen der Verträge von Camp David an Ägypten zurückgegeben – H.S.] und sie werden zweifellos alles ihnen Mögliche tun, um wieder in den Schoß der arabischen Welt aufgenommen zu werden, damit sie des Pulsschlags der arabischen Welt und der militärischen Unterstützung der UdSSR wieder teilhaftig werden. Die amerikanische Unterstützung ist nur für kurze Zeit gesichert, sie unterliegt den Friedensabmachungen, und die innen- und außenpolitische Schwächung der USA wird zu einer Reduzierung der Hilfeleistungen führen. Ohne Erdöl, ohne die Einkünfte aus dessen Verkauf und mit den heutigen enormen Ausgaben dafür, werden wir die Zeit nach 1982 unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht durchstehen, und wir werden dafür sorgen müssen, daß der status quo wiederhergestellt wird, wie er in Sinai vor dem Besuch von Sadat in Jerusalem und vor dem mit ihm fatalerweise abgeschlossenen Friedensvertrag vom März 1979 bestanden hat.*
Zwei Wege bieten sich Israel an, um dieses Vorhaben zu verwirklichen, ein direkter und ein indirekter, wobei der direkte der weniger realistische ist. Das liegt einmal an der Natur unseres Staates und seiner Regierung, und zum anderen an der Raffinesse Sadats, der, neben dem Krieg von 1973, unseren Rückzug aus dem Sinai als Glanzleistung seiner Regierungszeit für sich verbuchen kann. Israel wird seinerseits keinen Vertragsbruch initiieren, weder heute noch 1982, es sei denn, der wirtschaftliche und politische Druck wird übermächtig und Ägypten liefert Israel den Vorwand für die vierte Besetzung des Sinai innerhalb unserer kurzen Geschichte. Es bleibt daher nur der indirekte Weg. Die wirtschaftliche Lage in Ägypten, das Wesen seines Regimes und seine pan-arabische Politik dürfte nach dem April 1982 eine Konstellation schaffen, die Israel zu direkten oder indirekten Maßnahmen nötigen wird, um den Sinai als strategische, wirtschaftliche und energiepolitische Reserve auf lange Sicht zurückzugewinnen. Ägypten ist auf Grund seiner inneren Schwäche militärisch und strategisch kein Problem, und es könnte auf mancherlei Wegen in die Situation zurückgetrieben werden, wie sie nach dem Juni 1967 herrschte.*
Der Mythos von Ägypten als dem kraftvollen Führer der Araberstaaten war schon nach dem Suezkrieg von 1956 angeschlagen, und er hat auf jeden Fall das Jahr 1967 nicht überlebt, aber unsere verfehlte Politik, die zur Rückgabe des Sinai führte, hat den Mythos in ein ‘Faktum’ verwandelt. Realistisch betrachtet ist jedoch Ägyptens Stärke im Vergleich zu Israel, und auch zur arabischen Welt, seit 1967 um fast 50% zurückgegangen. Ägypten ist nicht mehr die politisch führende Kraft in der arabischen Welt, und seine Wirtschaft steht auf schwachen Füßen. Ohne ausländische Unterstützung wird sie schrie!! zusammenbrechen.*
Kurzfristig wird Ägypten durch die Rückgabe der Sinai-Halbinsel auf unsere Kosten einige Punkte sammeln, aber wirklich nur kurzfristig, bis 1982, und dies wird das Kräfteverhältnis nicht zu seinen Gunsten ändern, möglicherweise sogar zu seiner Zerstörung führen. Ägypten ist seinem Wesen und seinem innenpolitischen Image nach tatsächlich schon heute eine Leiche, was um so klarer wird, wenn wir die sich vertiefende muslimisch-christliche Spaltung in Betracht ziehen. Ägypten territorial in getrennte geographische Bezirke auseinanderzubrechen, ist in den achtziger Jahren das politische Ziel Israels an seiner Westfront.
Ägypten ist ein gespaltenes und zerbröckelndes Konglomerat von Machtfaktoren und stellt für Israel nicht nur keinerlei Bedrohung dar, sondern ist ein Garant für Israels Sicherheit auf lange Sicht, und die Sache liegt schon heute im Bereich unserer Möglichkeiten. Länder wie Libyen, Sudan und noch weiter entfernt liegende, werden in ihrer gegenwärtigen Form nicht weiterexistieren, vielmehr den Niedergang und die Auflösung Ägyptens teilen. Zerfällt Ägypten, werden auch alle übrigen zerfallen. Die Vision eines christlich-koptischen Staates in Oberägypten neben einer Anzahl von schwachen Staatsgebilden mit bloß regionaler ägyptischer Regierung, statt der bisherigen Zentralregierung, ist der Schlüssel zu dieser geschichtlichen Entwicklung, die durch den Friedens-Vertrag aufgehalten wurde, aber auf lange Sicht unvermeidbar erscheint.*
Die Westfront, die auf den ersten Blick problematischer erscheint, ist in Wirklichkeit weniger kompliziert als die Ostfront, wo die meisten der für das Ausland schlagzeilenkräftigen Ereignisse stattgefunden haben. Der vollständige Zerfall des Libanon in fünf Provinzen ist der Präzedenzfall für die gesamte arabische Welt, einschließlich Ägypten, Syrien, Irak und Arabischer Halbinsel. Die spätere Auflösung von Syrien und Irak in ethnisch oder religiös einheitliche Gebiete, nach dem Vorbild von Libanon, ist Israels langfristiges Hauptziel an der Ostfront, während die Zerschlagung der Militärmacht dieser Staaten das heutige, kurzfristige Ziel ist. Syrien wird entsprechend seiner ethnischen Strukturen in mehrere Staaten auseinanderbrechen, genau wie es heute in Libanon geschieht. *7 An der Küste wird auf diese Weise ein schiitischer Alawiden-Staat entstehen, im Gebiet von Aleppo ein sunnitischer Staat, im Gebiet um Damaskus ein weiterer, seinem nördlichen Nachbarn feindlicher sunnitischer Staat, und endlich die Drusen, die vielleicht einen Staat auf unserer Golan-Höhe, gewiß aber im Hauran und im nördlichen Jordanien errichten werden. Dieser Staat wird auf lange Sicht den Frieden und die Sicherheit in der gesamten Region garantieren, wobei dieses Ziel bereits heute in unserer Reichweite liegt.*
Irak, auf der einen Seite reich an Erdöl, auf der anderen Seite reich an Spannungen und latentem Haß, ist ein sicherer Kandidat für Israels Ziele.[Kommentar] Die Zersetzung des Irak ist noch wichtiger als die Syriens. Irak ist stärker als Syrien Kurzfristig bedeutet die irakische Macht die stärkste Bedrohung für Israel. Ein irakisch-syrischer oder ein irakisch-iranischer Krieg wird Irak sprengen und seinen inneren Zerfall bewirken, noch bevor er zu einem Kampf gegen uns auf breiter Front in der Lage ist. Jede Form von innerarabischen Konfrontationen wird uns kurzfristig nutzen und den Weg zum höheren Ziel abkürzen, nämlich Irak in Sektenbereiche zu zerstückeln, wie Syrien und Libanon. In Irak ist eine Aufteilung in Provinzen auf ethnischer Basis möglich, genau wie in Syrien zu ottomanischen Zeiten. So wird es rund um die drei bedeutenden Städte Basra, Baghdad und Mosul drei (oder mehr) Staaten geben, und die schiitischen Gebiete im Suden werden vom mehrheitlich sunnitischen und kurdischen Norden abgetrennt. Möglicherweise wird bereits die gegenwärtige iranisch-irakische Konfrontation diese Polarisierung verschärfen.*