Elektronische Spitzelbehörde
Elektronische Spitzelbehörde
Die Zahl heimlicher Ortungsimpulse des Inlandsgeheimdienstes hat sich innerhalb eines Jahres verfünffacht. Juristen halten das für rechtswidrig
Von Matthias Monroy, Junge Welt, 4. März 2015
![]() »Stille SMS«? Die Empfänger merken nicht, dass sie von Behörden angefunkt werden – und so ihren Standort preisgeben
Foto: Eloy Alonso/Reuters
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Der Bundesverfassungsschutz schickt immer mehr »stille SMS« auf Mobiltelefone. Dies teilte das Bundesinnenministerium auf Nachfrage der Linkspartei-Abgeordneten Andrej Hunko und Jan Korte mit. Im ersten Halbjahr 2013 hatte die Behörde noch rund 28.000 dieser heimlichen Ortungsimpulse versandt. Inzwischen stieg die Zahl auf rund 142.000 an. Laut Spiegel sei der Anstieg durch eine »stetig wachsende Zahl von Dschihadreisenden nach und aus Syrien und Irak« zu erklären. Einen Beleg für die Annahme lieferte das Magazin aber nicht. Das Bundeskriminalamt (BKA) und die Bundespolizei haben die Spähmaßnahme indes weniger als im Vorjahr genutzt. Zahlen, die den Zoll betreffen, sind mittlerweile ohne Angaben von Gründen als Verschlussache eingestuft.
Eine solche SMS wird von den Behörden generiert und bleibt auf dem Display der betroffenen Handy-Nutzer unsichtbar. Dadurch entsteht ein Kommunikationsvorgang, der dann mit richterlichem Beschluss im regulären Verfahren bei den Mobilfunkanbietern abgefragt werden kann. Auch die Standortdaten der Telefone werden dort protokolliert, deren Besitzer können also auf wenige Meter genau lokalisiert werden. Werden beispielsweise jede Stunde heimliche Kurznachrichten verschickt, entsteht ein aussagekräftiges Bewegungsprofil. Die nun vorliegende Antwort erklärt allerdings nicht, wie viele Personen betroffen waren.
Die Rechtmäßigkeit des Versandes »stiller SMS« ist unklar: Polizeibehörden behaupten, es handele sich dabei nicht um Nachrichten mit »kommunikativen Inhalten«, also sei der Schutzbereich des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses nicht tangiert. Das Abhören von Telekommunikation darf seitens der Behörden aber nur als passiver Vorgang erfolgen. Der Versand einer Kurznachricht ist ein aktiver Vorgang. Auch Juristen sind skeptisch: Die derart zustandegekommenen Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile stellen nach Einschätzung des Juniorprofessors an der Freien Universität Berlin, Tobias Singelnstein, einen erheblichen Grundrechtseingriff dar.
»Handys sind zum Telefonieren da, nicht um deren Besitzer heimlich zu verfolgen«, kritisierte deshalb Andrej Hunko. »Die zunehmende und kaum zu kontrollierende Überwachung durch Geheimdienste und Sicherheitsbehörden stellen derzeit die größte Gefahr für die IT-Sicherheit dar«, ergänzte Jan Korte. Die Abgeordneten hatten sich auch zur Zahl von Funkzellenabfragen erkundigt. Dadurch kann festgestellt werden, welche Telefone mit welchen Rufnummern sich zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Gebiet befanden. Funkzellenabfragen werden zwar vorwiegend von den Bundesländern genutzt, ihre Zahl nimmt aber auch bei Bundesbehörden zu. Das BKA hat demnach im zweiten Halbjahr 2014 sieben Funkzellenabfragen durchgeführt (vorher drei). Die Zahl der Funkzellenabfragen durch die Bundespolizei wird wie vergangenes Halbjahr mit »weniger als 50« angegeben.
Wesentliche Teile der Antwort werden aber aus Gründen des »Staatswohls« nicht offen behandelt und sind entweder als Verschlussache oder als geheim eingestuft. Zur Begründung heißt es unter anderem, der »Modus operandi, die Fähigkeiten und Methoden« der von der Anfrage betroffenen Behörden dürften nicht bekannt werden, da sonst die »Effektivität ihrer Informationsbeschaffung« gemindert würde. Dies könne »für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland schädlich sein«. Auch die von den Fragestellern geforderte Offenlegung von Suchbegriffen, mit denen der Bundesnachrichtendienst Knotenpunkte des Internet durchsucht, wird nicht in die Tat umgesetzt.