Es weht ein böser Wind
ES WEHT EIN BÖSER WIND
Von Amnon Rubinstein*
*Übersetzung aus dem Hebräischen. HA’ARETZ, 19. März 1982. Originaltitel: “Ruah ra’a ba’a”. – ‘Ruah’ bedeutet im Hebräischen sowohl ‘Wind’ wie auch ‘Geist’. – Amnon Rubinstein war Dekan der juristischen Fakultät der Universität Tel Aviv, Knesset-Abgeordneter (Dash) und Koalitionsmitglied in der ersten Regierung Begin.
Letzte Woche brachte HA’ARETZ ein Photo mit einem Slogan, der an eine Mauer in Jerusalem geschmiert worden war. “Araber raus!” hieß es da, und der Davids-Stern, der den Slogan verzierte, war ein Hakenkreuz-ähnliches Gebilde. Es war die israelisch-jüdische Version von “Juden raus!” (im hebräischen Original in deutsch). Ähnlich wie die Zeitungsannoncen, die von Rabbi Kahane und Rabbi Ariel zu den vergangenen Knesset-Wahlen publiziert wurden [Kommentar], in denen die Juden vor der arabischen Gier nach sexuellen Beziehungen mit jüdischen Frauen gewarnt werden sollten, erinnert auch dies an die antisemitischen Schriften, die wir nur zu gut kennen.
Man möchte fairerweise sagen, daß nur äußerste Randgruppen der Gesellschaft in solche Zwischenfälle verwickelt sind, nur extremistische und rassistische Elemente, die in den Hauptströmungen der israelischen Gesellschaft nicht zu finden sind. Aber diese Randgruppen operieren nicht in einem Vakuum. Nicht genug damit, daß Rabbi Ariel – den ich nur mit großer Überwindung einen Rabbi nennen kann – beim Generalstab der israelischen Armee als Militär-Rabbiner beschäftigt war; auch andere Militär-Rabbiner haben ähnlich scheußliche Dinge geschrieben, die von jener Art von rassistischer Verunglimpfung, die wir als Juden in der Vergangenheit immer gegeißelt haben, geradezu triefen.
Aber in Wahrheit steht es noch viel schlimmer. Die wachsende Resonanz, die solche geistesgestörten Randgruppen in der israelischen Gesellschaft finden, ist nur eines von vielen Zeichen, daß Israel seinen Weg und seinen moralischen Halt verloren hat.
Der Autor dieser Zeilen hat die schwarzen Prophezeiungen und apokalyptischen Warnungen vor gefährlichen Gefühlsstimmungen, die angeblich die israelische Demokratie zu untergraben drohen, stets angezweifelt, und ich habe den Glauben noch nicht verloren, daß die israelische Gesellschaft der Regenerierung fähig ist und wieder auf den Weg der Normalität und Humanität zurückfinden wird. Dennoch wird jeder, der mit offenen Augen und ohne rosarote Brille auf Israel blickt, eine erschreckende Wahrheit sehen. Es weht ein böser Wind, der zionistischen Vision und dem humanistischen Charakter des Judentums geradewegs zuwider, und schlägt allem ins Gesicht, was wir aus Israel machen wollten.
Das vielleicht schlimmste Zeichen für den bösen Wind kann man darin sehen, daß es schwierig geworden ist, zwischen den extremistischen Randgruppen und den Hauptströmungen unseres politischen Lebens zu unterscheiden, und den Rassismus eines Rabbi Ariel abzugrenzen gegen die festverhafteten und weitverbreiteten Verhaltensweisen der israelischen Öffentlichkeit.
Als Beispiel können wir einen Routinebericht heranziehen, der vergangene Woche in KOL HA’IR erschienen ist. Da war von einem Hausbesitzer die Rede, der israelischen Arabern, die ja, wie wir alle wissen, in einer hebräischen Stadt keine Unterkünfte finden können, eine Wohnung vermieten möchte. Die betreffende Wohnung befindet sich jedoch in einem Haus, in dem auch die Büroräume der “Techijah”-Partei untergebracht sind. Das Blatt zitierte ein Sekretariats-Mitglied dieser Partei mit den Worten: “Nun ja, was ist das Problem, mit 20 Arabern fertig zu werden? Wenn sie Ärger machen, werden wir sie uns vornehmen und mit Knüppeln gehörig verprügeln!” Die “Techijah”-Partei ist keine Bewegung am Rand der Gesellschaft. Sie stellt drei Knesset-Abgeordnete und wird, allen Erwartungen nach, diese Zahl bei den nächsten Wahlen verdoppeln. Die Partei wird von Professor Juval Neeman geleitet, einem ehemaligen Präsidenten der Universität Tel Aviv, und sie wird von Leuten unterstützt, die in der akademischen Welt Rang und Namen haben. [Zu Professor Juval Neeman siehe KLARTEXTE Nr. 3 – H.S.] Nicht ein einziger von ihnen fand es nötig, sich von jenen Worten zu distanzieren. Ist dies noch eine Randerscheinung, oder handelt es sich um mehr?
Parteigänger jener ehrenwerten Professoren beherrschen den Studentenrat in Jerusalem wo sie bei den Wahlen an der Hebräischen Universität die meisten Stirnmen erhielten. Diese Studenten befolgen das “Prügelrezept” schon seit geraumer Zeit, und nicht nur mit hölzernen Knüppeln, sondern auch mit metallenen Ketten und Stangen. Als einer von ihnen vor einen Disziplinar-Ausschuß zitiert wurde, bedrohte er die Universitätsbehörden mit Gewalttätigkeiten. Ist auch das noch eine Randerscheinung?
Angeblich “unbekannte” Bewohner von Kirjat Arba (der jüdischen Trabantenstadt von Hebron) attackieren in der Manier von Feiglingen das Haus einer arabischen Witwe, die unmittelbar an der Gemarkungsgrenze wohnt; sie soll mit Hilfe von Handgranaten und Knüppeln aus ihrem Haus vertrieben werden. Ist dies noch eine Randerscheinung? Wie steht’s mit dem hartnäckigen Versagen der Armee und der Polizei, die Schuldigen aufzuspüren? Wie steht’s mit der Weigerung der für den Aufbau des Jüdischen Viertels von (Ost-) Jerusalem zuständigen Baugesellschaft, einem zionistisch gesinnten, aber christlichen Ausländerehepaar eine Wohnung zu vermieten, mit der Begründung, sie seien keine Juden? Ist auch dies ohne Bedeutung? Und wie steht’s mit den geräuschvollen Verlautbarungen der staatlichen Baugesellschaft, daß sie in den gemischten Städten auch nicht eine einzige Wohnung an einen Araber zu verkaufen gedenkt, “seiner eigenen Sicherheit halber”? Ist auch dies eine Nebensächlichkeit?
Jedermann kann sehen, sofern er nicht blind ist, daß es sich um eine gefährliche Situation handelt, die Israels Zukunft und seine Demokratie bedroht. Chauvinismus hat auch in den Herzen der israelischen Jugend Wurzeln gefaßt. Vor unser aller Augen gleiten sie dem Extremismus entgegen, ohne daß irgendetwas dagegen unternommen wird. In einer an der Tel Aviver Bar Ilan Universität und am Van Lir Institut durchgeführten Untersuchung unter Leitung von Dr. Mordechai Bar Lev und Dr. Perry Kedem wurden 1250 Studenten befragt. Die Mehrzahl hatte ihren Militärdienst bereits hinter sich und legte, keineswegs unerwartet, in vielen Fällen äußerst extreme Tendenzen an den Tag. Zu ihrer Meinung über “die Araber” befragt, äußerten sich 22 Prozent der Studenten abweisend oder feindselig. Die schärfste Feindseligkeit war bei denjenigen Studenten festzustellen, die religiösen Jugendbewegungen angehört hatten, aber zu einem beträchtlichen Prozentsatz auch bei solchen, die aus sogenannten linken Jugendbewegungen hervorgingen. Die Mehrheit, d.h. mehr als 70 Prozent, offenbarte völlige Gleichgültigkeit gegenüber den Israel-Arabern, und nur eine kleine und abseitige Minderheit zeigte überhaupt ein gewisses Interesse an Israels arabischen Staatsbürgern.
Daraus zogen die Wissenschaftler den Schluß, daß “die jungen Leute, die aus unseren Jugendbewegungen hervorgehen, zu Toleranz und Humanität kein inneres Verhältnis haben, obwohl man annehmen würde, daß zumindest einige der Jugendbewegungen solche Werte hervorgehoben haben.”
Wer israelischen Oberschulen einen Besuch abstattet, braucht allerdings keine derartigen Untersuchungen, und viele werden die obengenannten Ergebnisse als optimistisch bewerten angesichts des schrecklichen Eindrucks bei Gesprächen mit Schülern, die ihren Militärdienst noch vor sich haben. In vielen Oberschulen kann man die Schüler, mit der brutalen Offenheit der Sabres, sagen hören, daß “man sie einfach vertreiben muß”. Wen? “Die Araber.” Alle? “Ja, alle.” Auch die Araber mit israelischer Staatsbürgerschaft? “Ja, auch die.”
Dies ist der Eindruck, den zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens bei Besuchen in Schulen gewonnen haben. Schmuel Toledano hielt kürzlich in der Oberschule von Givataim (einem Tel Aviver Vorort) einen Vortrag. Die Schulsprecher versicherten ihm, daß 80 Prozent der Schiller für die Vertreibung sämtlicher Israel-Araber seien. Man bot sogar an, eine Abstimmung zu dieser Frage zu organisieren, um die Behauptung zu beweisen. Der Knesset-Abgeordnete Michael Bar Zohar sprach vor Schülern der Tihon Alef Oberschule und wandte sich dabei gegen den Brauch der Sprengung von Häusern als Vergeltung dafür, daß arabische Kinder im Alter der angesprochenen Schüler Steine werfen. Seine Ausführungen verursachten einen allgemeinen Aufschrei. “Doch, doch, man muß ihre Häuser in die Luft jagen”, schrien die Schüler. Weil Steine geworfen wurden? “Klar, unbedingt.” Ohne Gerichtsverfahren? “Ja, warum denn nicht?” Ein Schüler der Bezirksschule von Sche’ar-Hanegev, die von Kindern aus den umliegenden Kibbutzim besucht wird, versicherte mir auf meine Geschichte hin, daß die meisten Schüler in seiner Schule ebenfalls die Vertreibung der Araber befürworten. Offenbar haben also auch dort extremistische Ansichten unter der jungen Generation Wurzeln geschlagen.
Von Randgruppen und nebensächlichen Erscheinungen kann also nicht die Rede sein. Es handelt sich vielmehr um einen neuen Geist, einen satten Nationalismus, einen hedonistischen Chauvinismus, der allen humanen Werten der zionistischen und jüdischen Tradition zuwiderläuft …