EU-Waffen nach Syrien
28.05.2013 / Titel / Seite 1
Außenminister beraten in Brüssel über Aufhebung des Embargos. Entwurf sieht Aufrüstung der Aufständischen und Sabotage von Verhandlungen vor
Die EU will das syrische Pulverfaß weiter füllen. Das zeichnete sich am Montagnachmittag als Ergebnis eines Außenministertreffens der 27 Mitgliedsländer in Brüssel ab. Nach einer angeblich »hochkontroversen« Debatte über Waffenlieferungen an die Aufständischen in Syrien meldeten AFP und dpa Entwarnung: Das bis zum 31. Mai 2013 vereinbarte Embargo soll aufgehoben werden. Mehrere EU-Staaten hatten sich daran ohnehin nie gehalten. Eine endgültige Einigung stand bei jW-Redaktionsschluß aus.
Großbritannien und Frankreich verteidigten laut Reuters in Brüssel vehement ihre Forderung, das Lieferverbot aufzuheben. Österreich und vier weitere Staaten bestanden darauf, alle Sanktionen unverändert zu verlängern.
Das als Kompromiß bezeichnete Papier sieht vor, daß die Aufständischen Waffen unter strengen Einschränkungen und auf der Grundlage von Einzelfallentscheidungen erhalten sollen. Diese Erlaubnis soll aber zunächst bis zum 1. August ausgesetzt werden. Zugleich würden demnach alle Sanktionen gegen Syrien vom 1. Juni an um zwölf Monate verlängert. Hinter diesem Vorgehen steht laut Agenturen die Absicht, die taktischen Gegensätze in der EU zu überwinden und politischen Druck auf die Regierung in Damaskus während der geplanten Syrien-Verhandlungen auszuüben. Waffen sollen nur an die nationale Koalition der syrischen Opposition geliefert werden dürfen. Die Frage, ob und wie die Art der lieferbaren Waffen eingegrenzt werden soll, sei zunächst noch offen.
Außenminister Guido Westerwelle äußerte sich besorgt, die EU-Staaten könnten im Streit auseinandergehen. Dann würden ab Samstag kein Waffen embargo und keine Wirtschaftssanktion gegen die Regierung von Präsident Baschar Al-Assad mehr gelten. Der britische Außenminister William Hague bekräftigte dagegen die Forderungen nach Waffenlieferungen und schloß einen Alleingang Londons nicht aus: »Es ist wichtig, das Richtige für Syrien zu tun. Das ist wichtiger als die Frage, ob die EU in der Lage ist, in jedem Detail gemeinsam zu handeln.« Hague verwies auf die in Genf von den USA und Rußland geplante Syrien-Konferenz: »Wir denken, es ist wichtig, zu zeigen, daß wir zu einer Änderung des Waffenembargos bereit sind, damit das Assad-Regime ein klares Signal bekommt, daß es ernsthaft verhandeln muß.« Sein österreichischer Kollege Michael Spindelegger widersprach dem und lehnte auch eine teilweise Lockerung des Waffenembargos ab. Die EU sei eine »Friedensunion« und müsse sich aus Kriegen heraushalten. Österreich will seine rund 380 Soldaten der UN-Blauhelmtruppe auf den Golanhöhen abziehen, falls die EU Waffen nach Syrien liefern sollte. Dies könnte nach Ansicht von Diplomaten das Ende des gesamten Einsatzes bedeuten.
Die Außenministerkonferenz wurde von Meldungen über einen angeblichen Chemiewaffeneinsatz durch syrische Regierungstruppen begleitet. Die in Paris erscheinende Tageszeitung Le Monde berichtete am Montag, ihr Mitarbeiter habe Mitte April nach einem Angriff auf Dschobar schlecht sehen können und tagelang mit Atemnot gekämpft. Zugleich veröffentlichte die ARD einen Bericht ihres Hörfunkkorrespondenten in Amman, wonach sich BND-Präsident Gerhard Schindler in der ersten Mai-Woche in Damaskus aufgehalten habe. Ziel des Besuches sei es gewesen, »die Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten beider Länder wieder aufzunehmen.«
jW-Bericht
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http://www.jungewelt.de/2013/05-28/039.php
28.05.2013 / Ausland / Seite 6
Opposition in der Defensive
Syrische Regimegegner können sich nicht auf gemeinsames Vorgehen verständigen
Von Karin Leukefeld
Seit fünf Tagen sitzen sie zusammen, doch die verschiedenen Fraktionen der Nationalen Koalition haben sich in Istanbul trotz heftiger Debatten und offenbar erheblichem Druck von seiten der USA bisher nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen können. Auf der Tagesordnung stehen die Neuwahl eines Präsidenten, die Bildung einer Exilregierung, die unter dem Vorsitz des vor einigen Wochen bereits gewählten »Regierungschefs« Ghassan Hitto in den sogenannten befreiten Gebieten im Norden Syriens arbeiten soll. Strittig ist auch die Bildung einer Delegation, die an den für Juni geplanten Genf-II-Gesprächen teilnehmen soll.
Heftige Diskussionen gibt es um die Erweiterung der von der syrischen Muslimbruderschaft dominierten Nationalen Koalition um Vertreter von Gruppen, die die säkularen Interessen der Syrer, deren Minderheiten (Drusen, Kurden, Christen, Alawiten) und die Frauen repräsentieren sollen. Der bekannte syrische Oppositionelle Michel Kilo und seine Syrische Demokratische Plattform verlangen die Erweiterung um 25 Personen aus diesem Spektrum. Bis Montag konnte sich die Koalition lediglich auf die Erweiterung um acht Personen einigen.
Die Auseinandersetzungen machen regionale und internationale Interessen deutlich, die den Krieg in Syrien anheizen. Während Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate sich für eine (säkulare) Erweiterung der Nationalen Koalition stark machen, um den Einfluß der Muslimbruderschaft zu reduzieren, lehnen die Türkei, Katar und in gewisser Weise auch Frankreich diese ab. Ein Mitglied der Nationalen Koalition, das anonym bleiben wollte, sagte arabischen Medien, Saudi-Arabien und die USA hätten gedroht, weder Geld noch Waffen zu liefern, sollte man der Erweiterung nicht zustimmen. »Sie haben sogar gesagt, Baschar Al-Assad werde an der Macht bleiben«, empörte sich die Person.
Bei den Kämpfen um die Stadt Kusair im syrischen-libanesischen Grenzgebiet ist am Sonntag die syrische Journalistin Yara Abbas von Scharfschützen getötet worden. Abbas arbeitete für den syrischen Sender Al-Ikhbariya. Unbestätigten Angaben zufolge sollen weitere Kollegen aus ihrem Team bei dem Angriff verletzt worden sein.
Verschiedenen Berichten zufolge sollen die syrischen Truppen, die in Kusair von Kämpfern der libanesischen Hisbollah unterstützt werden, bis zu 80 Prozent des Ortes und der Umgebung unter ihre Kontrolle gebracht haben. Am Samstag sollen sie auch den Militärflughafen Dabaa nördlich der Stadt wieder eingenommen haben. Die Kämpfe hielten am Sonntag an.
Der Exil-Oppositionelle und Übergangspräsident der Nationalen Koalition, George Sabra, rief derweil alle Kämpfer der bewaffneten Opposition auf, Kusair zu verteidigen. Der Ort ist für die bewaffneten Aufständischen von großer Bedeutung, weil er an einer für jeden Nachschub wichtigen Verbindungsstraße zwischen Baalbek im Nordlibanon und der Stadt Homs liegt.
Aus Sicht der Hisbollah ist der Kampf um Kusair auch ein Kampf gegen die Vorherrschaft Saudi-Arabiens, Katars, der Türkei, der USA und Israels, die die Aufständischen in Syrien unterstützen. »Wenn Hisbollah die Schlacht um Kusair verliert, werden sie als nächstes von Islamisten im eigenen Land angegriffen«, sagte ein Gesprächspartner, der über enge Kontakte zur Hisbollah verfügt, gegenüber jW. Schon jetzt habe die Führung in Damaskus für Verhandlungen in Genf eine bessere Ausgangslage als die Opposition, so der Gesprächspartner weiter. »Hätten sie vor einem Jahr Verhandlungen mit dem Regime zugestimmt, hätten sie besser dagestanden. Heute ist die Opposition nicht nur zerstritten, auch militärisch ist sie in der Defensive.«