»Europäisches Gericht für Afrika« – Das Internationale Strafgerichtshof in den Haag
»Europäisches Gericht für Afrika«
Warum Pretoria Den Haag ignorieren musste
Von Christian SelzMaximal 140 Zeichen passen in eine Twitter-Nachricht. Dass das immer noch genug Platz für abstruse Geschichtsklitterung ist, bewies am Montag der Direktor der US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), Kenneth Roth. »Die Welt stand an der Seite Südafrikas, um gegen Apartheid zu kämpfen, aber es (Südafrika) steht für Straflosigkeit bei Massenmord an Afrikanern«, zwitscherte der Jurist mit Blick auf die Nichtverhaftung des sudanesischen Präsidenten Omar Al-Baschir in die Weiten des Internets. Das ist, gerade aus der Feder eines US-Amerikaners, eine interessante Interpretation von Beistand: Washington nämlich strich beispielsweise Nelson Mandela erst im Jahr 2008 von seiner ominösen Terrorliste – 18 Jahre nach dessen Freilassung und 14 Jahre nach dem Ende der Apartheid. Die CIA hatte dafür ein halbes Jahrhundert zuvor tatkräftig bei der Verhaftung des südafrikanischen Freiheitskämpfers geholfen. Auch später galt der Beistand der USA stets dem weißen Rassistenregime in Pretoria. Nachdem letzteres dennoch abdanken musste, begann der Prozess zur Gründung der Afrikanischen Union (AU) als Staatenbund für die Vertretung der Interessen des Kontinents. Und um dessen Schwächung ging es nun in der Luftnummer um Al-Baschir. Der »Schlächter von Darfur« (Bild, taz), Wunschpartner der Europäischen Union bei der Abwehr von Flüchtlingen, war dazu nur Mittel zum Zweck. Hätte Südafrikas Regierung ihn festnehmen lassen, hätte das das Ende der innerafrikanischen Kooperation bedeutet.
Al-Baschir war als Repräsentant seines Landes zum Gipfeltreffen der AU nach Südafrika gereist und genoss so die Immunitätsgarantie des gastgebenden Staates. Dessen Präsident Jacob Zuma hat den sudanesischen Präsidenten also nicht »befreit«, wie Roth am Dienstag weitertwitterte, seine Regierung hat lediglich im AU-Rahmen Wort gehalten – und sie hat sich dazu über den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) hinweg gesetzt. Letzteren Schritt durfte Al-Baschir erwarten, da sich die Afrikanische Union längst enttäuscht von der Den Haager Institution abgewendet hat. Südafrikas Staatschef nannte den IStGH bereits 2013 »unvernünftig«. Die AU entschied sich zwar bisher noch gegen den Rückzug aus dem Gerichtshof, beschloss aber ebenfalls 2013, keine amtierenden Staatsoberhäupter auszuliefern. Dieser Beschluss ist für Südafrika bindend, Pretoria konnte Al-Baschir auch deswegen nicht festnehmen, ohne den Ausschluss aus der AU zu riskieren. Wenn die schärfste Kritik nun aus den USA kommt, ist das eine Ironie der Geschichte: Südafrika war federführendes Gründungsmitglied des IStGH, Washington hat das Gericht immer und grundsätzlich boykottiert – und dessen Niedergang so befördert.
Das hindert interessierte Kreise in den USA freilich nicht daran, den Gerichtshof für ihre Zwecke zu missbrauchen. So kam die Klage, mit der die südafrikanische Regierung durch den Obersten Gerichtshof in Pretoria gezwungen werden sollte, Al-Baschir festzunehmen, vom Southern Africa Litigation Centre. Die Organisation, die sich den Kampf für »Menschenrechte« auf die Fahnen geschrieben hat, ist ein Kooperationsprojekt des Juristenverbandes International Bar Association und der Open Society Initiative for Southern Africa (OSISA). Letztere wiederum ist ein Ableger des Open Society Institutes der Soros Foundation – und dessen erzneoliberaler Kopf, der milliardenschwere Fondsjongleur George Soros, ist gleichzeitig größter Einzelspender von Roths Human Rights Watch.
Finanzielle Abhängigkeiten sind es auch, die den IStGH auf dem Kontinent diskreditiert haben, von dem ausnahmslos alle seiner Angeklagten kommen. »Der Gerichtshof, dem sich viele afrikanische Staaten enthusiastisch angeschlossen haben, ist nicht mehr der, den wir heute haben«, erklärte der Direktor des Africa Research Centres, David Hoile, am Montag bei einer Pressekonferenz zum Abschluss des AU-Gipfels in Pretoria. Der IStGH sei statt dessen zu einem »europäischen Gericht für Afrika« verkommen, kritisierte er weiter und bemängelte, wieviel »wertvolle Zeit« auf dem Treffen der afrikanischen Staatschefs für das Thema Al-Baschir »verschwendet« worden sei. »Die Unabhängigkeit jedes Gerichts hängt von seiner Finanzierung ab«, argumentierte Hoile schließlich. »60 bis 70 Prozent des IStGH-Budgets kommen aus der EU. Die fünf großen Finanziers sind die fünf großen ehemaligen Kolonialisierer.«