Falsche Salafisten ermordeten Vittorio Arrigoni
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23.04.2011 / Ausland / Seite 8
»Nur Israel konnte von dem Verbrechen profitieren«
Mord an dem italienischen Aktivisten Arrigoni wird einer
Palästinenser-Gruppe angelastet. Ein Gespräch mit Ahmed Youssef
Interview: Umberto Di Giovannangeli
Ahmed Youssef (60) ist stellvertretender Außenminister der Gaza-Regierung
und einer der Vordenker der Hamas
Was sagen Sie zum Mord an dem italienischen Solidaritätsaktivisten und
Blogger Vittorio Arrigoni, der in der Nacht zum 15. April im Gazastreifen
umgebracht wurde?
Ich hatte die Ehre, ihn persönlich zu kennen und habe seinen Mut, sein
Engagement und seine Opferbereitschaft geschätzt. Ich weiß, daß es selbst in
diesen schrecklichen Momenten Leute gibt, die sich darum bemühen, sein
Andenken zu beschmutzen, indem sie ihn als »Freund der Hamas« diffamieren.
Dem ist nicht so, Vittorio war vielmehr ein Freund des palästinensischen
Volkes. Er hatte sich seinem Befreiungskampf angeschlossen und war zu einem
Beispiel für diejenigen in Europa geworden, die sich für Gaza einsetzen und
die israelische Blockade brechen wollten. Deshalb war der 36jährige zu einem
Ziel geworden, das eliminiert werden mußte. Vittorio ist ein Märtyrer, und
die Palästinenser werden ihn auch so in Erinnerung behalten.
Es gibt Leute, die behaupten, mit diesem Mord werde die Autorität der Hamas
im Gazastreifen in Frage gestellt …
Dieser Mord ist eine Herausforderung, eine Beleidigung für das gesamte
palästinensische Volk. Es gibt Menschen, die ein Interesse daran haben,
unseren Befreiungskampf in Mißkredit zu bringen und Gaza als unregierbaren
Dschungel darzustellen, in dem jede Niederträchtigkeit möglich ist. Wegen
seines solidarischen Engagements, wegen seines präzisen Anprangerns der von
Israel gegen die Bevölkerung von Gaza begangenen Verbrechen vor, während und
nach der Operation »Gegossenes Blei« im Dezember 2008 und Januar 2009 war
Arrigoni zu einem unbequemen Zeugen geworden, zu einem Feind, der beseitigt
werden mußte.
Wer hatte ein Interesse daran?
Wir sind zu dem Schluß gelangt, daß nur Israel von einem derartigen
Verbrechen profitieren konnte. Israel will all jene stoppen, die versuchen,
den Menschen im Gazastreifen zu helfen. Das war schon beim Überfall auf die
Free-Gaza-Flotte am 31. Mai vergangenen Jahres der Fall.
Worauf stützen Sie diese Beschuldigung? Immerhin hat sich eine
palästinensische Gruppe von Salafisten zur Entführung bekannt …
Die Ermittlungen laufen noch. Offenbar ist es Israel gelungen, diese Gruppe
zu infiltrieren und den Mord direkt oder in Tateinheit mit einigen Verrätern
zu begehen. Es gehört zur Strategie Israels, falsche Spuren zu legen, wenn
es darum geht, die Palästinenser zu diskreditieren und Menschen umzubringen,
die unbequem sind. Israel will die Palästinenser spalten, sich das Land
unter den Nagel reißen und der Hamas Schaden zufügen.
Es gibt alllerdings auch den Verdacht, daß Arrigoni Opfer einer Abrechnung
unter palästinensischen Fraktionen wurde …
Das ist abwegig. Vielmehr geht es Israel darum, den Gazastreifen zu einem
Dschungel abzustempeln, der sich in der Hand gemeiner Mörder befindet. Es
soll der Eindruck erzeugt werden, daß dort niemand mehr sicher ist; nicht
einmal diejenigen, die den Schutz der Hamas genießen.
Man kann allerdings nicht bestreiten, daß salafistische Gruppen in Gaza
aktiv sind.
Die haben aber nichts mit dem palästinensischen Widerstand zu tun. Das ist
nur eine Bande von degenerierten Gesetzlosen, die in Gaza Chaos und Anarchie
verbreiten wollen. Aber selbst diese Banditen wären nicht so weit gegangen,
Arrigoni umzubringen.
(Übersetzung: Andreas Schuchardt)
* Das Interview erschien zuerst in der italienischen Tageszeitung l ‘Unità
vom 16.4.2011