Freedens Narkose (1977)
H. Spehl an Redaktion BADISCHE ZEITUNG, Freiburg
Freiburg, 13. August 1977
Betrifft den Artikel: "Streit um zwei Dörfer in Israel" von Herbert Freeden, erschienen in der BADISCHEN ZEITUNG vom 11. August 1977.
Seit Jahr und Tag reserviert die BADISCHE ZEITUNG ihrem Jerusalemer Korrespondenten Herbert Freeden die Stammtheke auf der dritten Seite, und seit Jahr und Tag serviert er den Abonnenten, die ihn aushalten, die halbe Wahrheit in verlogenen Achtelportionen. Ein Mittäter, der vermutlich im Freiburger Hinterzimmer sitzt, hat diesmal die Schlagparole ausgegeben: "ARABER SEIT DREISSIG JAHREN IN STÄDTE ABGEWANDERT JUDEN BEBAUEN DAS VERLASSENE LAND – DIE FRÜHEREN EINWOHNER WOLLEN NICHT ZURÜCKKEHREN", und Herr Freeden darf, nach dieser Einstimmung auf die Landfaulheit von Arabern und auf die geradezu unglaubliche Opferbereitschaft von israelischen Kibbuzniks, den 29 Jahre langen Leidensweg von 2 500 christlichen Palästinensern mit einem solchen Satz besudeln: "Im Jahre 1951 entschied der Oberste Gerichtshof Israels zugunsten der christlichen Dörfler, aber die Militärbehörden legten Einspruch ein, angeblich aus Sicherheitsgründen, und bis heute leben die einstigen Dörfler außerhalb ihrer Heimatorte – allerdings aufgrund von Entschädigungen nicht schlecht: entweder in komfortablen Villen im arabischen Nachbardorf Gusch Chalaw oder in modernen Wohnungen in Haifa…"
Man muß wohl zitieren. Beim ersten Lesen stockt man noch nicht ob der Verlogenheit dieses Artikels, der die halbherzigen, tastenden Wiedergutmachungsversuche einer extremen Minderheit von Israelis zur Image-Pflege für einen Ministerpräsidenten ausschlachtet, bei dessen Amtsantritt auf Grund eines Regiefehlers statt des Politikerportraits der Steckbrief in die Presse gelangte. Es ist verständlich, daß Herr Begin um seine humane Fassade bemüht sein muß. Wenn aber der Korrespondent der BADISCHEN ZEITUNG dazu eine Wiedergutmachungs-Schmiere inszeniert, bei der Herr Begin sich sogar für die Rückkehr von "Dörflern" einsetzt, die gar nicht zurückkehren wollen, und wenn man noch "in Erwägung zieht, daß auch die Christen im Südlibanon sich gegen eine Rehabilitierung ihrer Stammes- und Glaubensgenossen erklärt haben’, wenn Herr Begin also seinen moralischen Impetus den Geschädigten geradezu aufnötigen muß, dann ist das nicht nur eine "kuriose Lage", sondern vor allem windige Propaganda.
Ich kann in einer Leserbriefspalte, die man mir vermutlich nicht einmal einräumen wird, die Aufaddierung jener Unzahl von banalen Widerlichkeiten nicht vornehmen, aus der sich die Tragödie von Biram und Ikrit aufbaute. Aber ich biete der BADISCHEN ZEITUNG in aller Form an, mein umfangreiches Material einzusehen. Ich biete mich an, auf einer jener halben Seiten, die man dem Propagandisten Freeden auch noch honoriert, nicht nur die wahre Tragödie von Biram und lkrit auszubreiten, sondern auch die unterschlagene Geschichte der übrigen 383 arabischen Dörfer, die damals dem Erdboden gleichgemacht wurden. Man ist längst nicht mehr auf Vermutungen angewiesen: Es gibt eine hebräische Presse, die aus politischer Mißgunst gelegentlich recht redselig ist. Es gibt die Tagebücher des Direktors der Siedlungsabteilung der Jewish Agency, Joseph Weitz, der seine kriminellen Bulldozer-Aktionen zur Ausläschung möglichst alles Arabischen als nationale Tat verstanden wissen will (und, nebenbei gesagt, auch honoriert bekam: laut DAVAR vom 26. Juni 1977 wurde nach Joseph VVeitz eine brandneue Siedlung in Nord-Sinai "Talmi-Joseph" benannt; aber das hat nur für Nichthebräer den passenden Beigeschmack von Wahrheit). Es gibt vieles, was Herr Freeden totschweigt, und mehr noch, was er ummünzt. Das Unrecht von Biram und Ikrit, dieser winzige Ausschnitt aus der unvollendeten Landnahme, wird ihm allenfalls dann zum Thema, wenn er eine Wiedergutmachungsorgie lancieren kann. Denn wann jemals zuvor hat Herr Freeden einem deutschen Setzer die Ortsnamen Biram und Ikrit zugemutet? Die BADISCHE ZEITUNG hat sie ein einziges Mal gedruckt, am 6. September 1972 auf Seite zwei: "Aktion Berem und Ikrit"; aber jene Depesche kam nicht aus Jerusalem, sondem aus Kairo – und gemeldet wurde nicht eine Wiedergutmachung an Villenbesitzern, sondern die Unterbrechung der Olympischen Spiele in München durch ein palästinensisches Kommando.
Erinnern wir uns: ‘Die Arabische Liga hatte die Präsenz einer israelischen Olympia-Mannschaft hingenommen, aber die Palästinensische Befreiungsbewegung (PLO) legte Einspruch ein; und so fanden die Schlußwettbewerbe ohne die israelische Ringer-Staffel statt" … so wäre das damalige Massaker zu umschreiben, bediente man sich der perfiden Methoden des Herrn Freeden. Denn, als am 31. Juli 1951 der Oberste Gerichtshof Israels zugunsten der christlichen Dörfler entschied, – so setzt Herr Freeden an, und ich fahre fort – daß die seit drei Jahren willkürlich aufrechterhaltene Evakuierung von lkrit illegal sei, haben etwa die Militärbehörden Einspruch eingelegt? Haben sie gar die Revision durchgesetzt? Es käme natürlich einer Perversion gleich, würde man von einer Streitmacht ausgerechnet Rechts-Streitsucht verlangen. So rückte denn am 25. Dezember 1951 eine Spezialeinheit gegen das ausgestorbene Dorf vor und machte den Spruch des Obersten Gerichtshofes buchstäblich gegenstandslos: man jagte Ikrit mitsamt dem Mobiliar in die Luft. Ein paar Spaßvogel schnappten sich den Dorfältesten von Ikrit und ließen ihn, das Gerichtsdokument in Händen, die Weihnachtsbescherung mitansehen.
Man wird sich kaum vorstellen können, weiche ungeheueren Konsequenzen diese Desavouierung eines Gerichts in einem modernen Rechtsstaat wie Israel hatte. Es war wie ein kleines Erdbeben – – – als am 16. September 1953 auch das Dorf Biram gemäß dem gleichen Rechtsverfahren in die Luft flog ….
Ich frage mich, was dieser Herr Freeden noch alles totschweigen muß, bevor ihm die BADISCHE ZEITUNG den Laufpaß gibt. "Viele interessante Dinge sind im Gespräch", meldete der Falschmünzer am 26. August 1972. Denn das war just die Zeit, als in Israel ein Symposion über Biram und Ikrit stattfand: "Zionismus – eine moralische oder gewalttätige Bewegung?" Jeschejahu Ben-Porat und Elieser Livneh äußerten sich dabei zum Beispiel so:
Ich bin erst seit 1945 im Land. Ende der 30er Jahre war ich bei den Jugendbewegungen in der Diaspora – nicht bei "Betar", nein, bei den Jugendorganisationen des Establishment: "Junge Makkabäer", "Gordonia", "Blau-Weiß". Da wurde mir nicht etwa der moralische Zionismus beigebracht, von dem hier geredet wird. Von meinem siebten Lebensjahr an wurde ich paramilitärisch unterwiesen und mit dem Gedanken an eine Eroberung des Landes vertraut gemacht. Als Kind in Osterreich wuchs ich mit dem Gefühl auf, daß der Tag kommen wird, an dem wir das Land mit Waffengewalt erobern werden. Man hat mir beigebracht, die Araber zu verachten. Man hat mir nicht gerade gesagt, daß sie ‘menschlicher Dreck’ sind, aber es hat sich seit damals eingegraben, daß Eretz Israel uns gehört, daß wir den Arabern gestatten, weiterhin dort zu leben, aber unter der Bedingung, daß sie uns nicht belästigen. Und wenn sie uns belästigen, werden wir sie hinauswerfen.
Als ich nach Eretz Israel kam und in einem Kibbutz lebte, da war das ganz genau so. Niemand erzählte mir, man sollte die arabischen Nachbarn respektieren. Kein Mensch sprach davon, daß es einen Jüdischen Staat geben wird, in dem Araber und Juden zusammenleben. Der unausgesprochene, und gelegentlich auch der ausgesprochene Gedanke war: die werden gehen, und wir werden bleiben. Nach 1945 war doch jedem von uns klar, daß es Krieg geben wird. Nicht etwa nur, um die Briten zum Teufel zu jagen, sondern auch, weil wir einen Krieg mit den Arabern brauchten. Als Kibbutznik schaute man sich in den ‘arabischen Nachbardörfern um, und in Gedanken hatte man sich das Land bereits untereinander aufgeteilt…
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… Und was Gewalt angeht – die ist ein Teil des menschlichen Systems. Es gibt gerechte Gewalt, und es gibt unfaire Gewalt. Und es gibt Gewalt, über die man geteilter Meinung sein kann. Die Eroberung von Eretz Israel ist jedenfalls eine der größten und heiligsten Pflichten… (54)
Man darf nun nicht glauben, daß Herr Freeden s o etwas interessant findet. Der Jerusalemer Sandmann für Erwachsene weiß, was man im Ausland wissen sollte, was in Israel im Gespräch ist:
Ich frage mich, wann endlich sich die BADISCHE ZEITUNG eines Korrespondenten entledigt, der seine Leser unter politischer Kuratel hält und selbst vor nackten Fälschungen nicht zurückschreckt. Beispielsweise schrieb er am 3. Dezember 1968: "Von den nach dem Sechs-Tage-Krieg (1967) geflüchteten Einwohnern (der besetzten Gebiete) kehrten 171 000 zurück und 15 000 Studenten aus den feindlichen Nachbarstaaten haben ihre Sommerferien in den von Israel verwalteten Territorien verbracht." Es ist natürlich überall aktenkundig, daß auf starken Druck der USA von den ungefähr 525 000 arabischen Flüchtlingen 16 000, und nicht 171 000, zurückkehren konnten. Aber Herr Freeden kennt halt die Wirkung gefälschter Zahlen ebenso gut, wie unsere Nach- und Neonazis, die vier Millionen ermordete Juden für akzeptabler halten, als sechs.
Ich frage mich, wann endlich die BADISCHE ZEITUNG diesem krummen Synkretisten des zionistischen Faustrechtsbewußtseins das Handwerk legt. Wann endlich die Leser für mündig erklärt werden. Wann endlich man bereit ist, den lange geahnten Realitäten des Nahen Ostens ins Auge zu sehen. Es sollte wahrhaftig genügen, das zionistische Abenteuer – an dessen Ermöglichung gerade wir Deutschen freilich ein gut Teil Mitschuld tragen – dreißig Jahre lang blind und bedingungslos unterstützt zu haben. Das Abenteuer gerät zusehends außer Kontrolle, denn der Schreibtischtäter sind zu viele. Die Freedens-Narkosen werden gemeingefährlich: man kann den Dritten Weltkrieg auch herbei l ü g e n ! Ich wage keine Prognosen, aber wir könnten nahe daran sein, daß diese hier zutrifft b i s z u m l e t z t e n B u c h s t a b e n :
BADISCHE ZEITUNG (Redaktionsleitung) an H. Spehl
Freiburg, 19. August 1977
Sehr geehrter Herr Dr. Spehl: Dem Abdruck Ihres Leserbriefes kann ich nicht zustimmen. Ich habe nichts gegen eine kritische inhaltliche Auseinandersetzung mit der Berichterstattung von Herrn Freeden, wohl aber bin ich entschieden dagegen, diese Auseinandersetzung in dem von Ihnen angeschlagenen Ton zu führen ("infam", "Falschmünzer’, "lügt", "Schreibtischtäter" etc.).
Ich habe Ihren Brief Herrn Freeden zur Information übersandt. Wenn er will, kann er Ihnen antworten, woran ich allerdings aus den oben erwähnten Gründen zweifle.
Wie gesagt, für sachliche Kritik wollen wir die Spalten unseres Leserbriefteils gern öffnen.
Mit freundlichen Grüßen (gez. Dr. Ansgar Fürst)
H. Spehl an Dr. Ansgar Fürst, Vorsitzender der Redaktionskonferenz der BADISCHEN ZEITUNG
Freiburg, 12. September 1978
Sehr geehrter Herr Dr. Fürst: Vor etwas mehr als einem Jahr habe ich auf eine Hörigkeit mit einer Ungehörigkeit reagiert. Aber auch ein Kotau hätte Herrn Freeden nicht aus den Spalten der BADISCHEN ZEITUNG verdrängen können. Er hat seine Stammtheke jetzt weiter hinten, auf der vierten Seite, aber ich interpretiere das nicht als eine Maßregelung.
"Vor kurzem", so schrieb er damals in seinem Artikel über den Streit um zwei Dörfer in Israel, "sagte Ministerpräsident Begin, er persönlich trete für eine radikale Wiedergutmachung an diesen Menschen (aus Biram und Ikrit) ein und er würde für eine Rückkehr in ihre Dörfer plädieren." Und Herr Freeden schloß seinen Artikel mit der Bemerkung, daß jetzt die Israelischen Sozialdemokraten "zusehen müssen, wie der Kredit für eine großzügige Wiedergutmachung historischen Unrechts an die nationalistische Likud-Regierung geht."
Herr Freeden hat seither vieles propagiert, aber über den Fortgang der großzügigen Wiedergutmachung hat er sich ausgeschwiegen. Seine Leser werden also einsehen, daß mittlerweile die israelischen Sozialdemokraten zusehen, wie sie das Nachsehen haben.
Wir beide aber, der Selektierer und der Sektierer, wir wollen uns, ahnungsvoller als jene, in der hebräischen Presse umsehen, dabei aber zusehen, daß wir kein Aufsehen erregen. Denn, nicht wahr, es geht um unser Ansehen, und von den Belangen der Palästinenser können wir absehen.
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Das Gebiet von Biram wurde von der Bezirkskommission für Planung und Bauwesen zum Wald-Schutzgebiet erklärt. Das Wohnen in einem solchen Gebiet ist strengstens verboten. Damit wird die Diskussion über die Rückführung der Vertriebenen gegenstandslos. Es ist bekannt, daß der Beschluß, das Gebiet von Biram zum Wald-Schutzgebiet zu erklären, schon vor einiger Zeit gefaßt wurde, daß die Angelegenheit aber geheim gehalten wurde…(58)
Und nun wollen wir hoffen, daß sich recht viele Redaktionsmitglieder auf den Weg machen zum ‘Wald des jüdischen Kindes’ und uns, zum doppelten Ruhm des Zionismus, in bestbewährter Weise Kunde bringen von dem Grün, wo vordem alles wüst und leer gewesen.
Mit freundlichen Grüßen (gez. H. Spehl)