Freiherr von Imhoffs Stapelmist (1971)
H. Spehl an Dr. Christoph Frhr. v. Imhoff,
Steilvertretender Chefredakteur, STUTTGARTER NACHRICHTEN
Freiburg, 17. November 1971
Sehr geehrter Herr Dr. Imhoff: Die Anregung zum Puzzlespiel verdanke ich einem Artikel der STUTTGARTER NACHRICHTEN vom 7. September 1968. Gleich neben dem Impressum, in dem Sie als stellvertretender Chefredakteur genannt sind, kann man lesen:
Zahlreiche jener Leute, die im Bonner Deutschland in der Presse und in Werbeagenturen sitzen … sind unter Goebbels geschulte ehemalige NS-Propagandisten gewesen. Heute haben viele das Bundesverdienstkreuz und schreiben philosemitische Artikel. Das ist der Kern einer Dokumentation, die Simon Wiesenthal, der ‘Eichmann-Jäger’ und Leiter des Jüdischen Dokumentationszentrums in Wien am Freitag im Presseclub Concordia der Öffentlichkeit übergab. Mehr als 60 Journalisten waren gekommen, darunter etliche Fernsehteams und Vertreter der internationalen Nachrichtenagenturen.
Wiesenthal betonte, daß er an dieser dokumentarischen Auswahl, die 39 führende deutsche Publizisten enthält, länger als ein Jahr gearbeitet habe… Wiesenthal betonte, daß seine Aktion durch die "Schreibweise" der Presse während der Nahost-Krise 1967 ausgelöst worden sei. Weil Wiesenthal der Ton in den deutschen Blättern "an etwas erinnerte", machte er ein Puzzlespiel: "Wir nahmen alte Zeitungen, den VÖLKISCHEN BEOBACHTER von vor 30 Jahren, und das REICH und wechselten einige Wörter aus. Wir tauschten das Wort ‘Jude’ mit ‘Araber’, das Wort ‘Nationalsozialismus’ mit ‘freier Westen’ oder ‘Nato’. Danach sahen die Artikel so aus, als seien sie nicht vor 30 Jahren, sondern vielleicht vor einem Jahr geschrieben worden."
Simon Wiesenthal betonte die Schwierigkeiten bei Recherchen in der Bundesrepublik. Deshalb sei die Dokumentation auch keineswegs vollständig. Neben den 39 Namen, hinter denen Mitgliedsnummern und Beitrittsdaten zur NSDAP, SS oder SA stehen, sind außerdem die Positionen von damals und heute verzeichnet. Wiesenthal legte mit seiner Dokumentation zahlreiche Veröffentlichungen der genannten Publizisten aus ihrer "braunen Zeit" vor, außerdem Arbeiten, die diese Leute heute verfaßten… Für etwaige Fragen hatte Wiesenthal seinen Karteikasten mit der Aufschrift "Bundesrepublik" mitgebracht. Sein Inhalt: mehrere hundert Karteikarten… (28)
Um nun zum Sinn meines Briefes zu kommen, öffne ich meinen Karteikasten und mache kein Puzzlespiel. Ich lasse alles wie es ist:
Chr. Frhr. v. Imhoff über die sog. "nationalpolnische Widerstandsbewegung im Rücken der deutschen Front" (DAS REICH, 7. Mai 1944):
Dr. Christoph Freiherr von Imhoff über die arabische Agitation gegen Israel (Hrsg. Deutsch-Israelische Gesellschaft. Bonn, Juli 1967):
Die Agitation nach der arabischen Niederlage im Sommer dieses Jahres zeigt, daß die arabischen Staaten mit unmittelbarer Unterstützung der Sowjetunion – altes daran setzen diese Linie fortzuführen. Israel aber setzt einen Anfang. Es siedelt ehemalige arabische Flüchtlinge in den westjordanischen Gebieten an, um die Lager aufzulösen und die Menschen einzugliedern…
Chr. Frhr. v. Imhoff über die deutschen Wohltaten an den Polen (DAS REICH, 7. Mai 1944):
…Wir begegneten in der Kreishauptmannschaft Radom einem Mustergut, auf dem zur Ablösung der meist völlig abgebauten und krebskanken Kartoffeln das Elitesaatgut für eine stärkereiche und krebsfeste Kartoffel vermehrt und den polnischen Bauern zur Verfügung gestellt wird… Beispiele wie diese, die sich auf Schritt und Tritt wiederholen – in der Grünlandwirtschaft, in den Sämereien, in der Pferde- und Rinderzucht, der Geflügelhaltung, in den Meliorationsarbeiten, im Obst- und Gemüseanbau – sind eine Art polnischen Votums im Kampf um die europäische Ernährungswirtschaft, zugleich aber auch eine polnische Vertrauenskundgebung für die deutsche Führung, die mit einer geringen Zahl von Instanzen praktisch und beratend zur Seite gestanden hat. Sie hat den Bauern Kunstdünger zur Verfügung gestellt, hat die Hauptmängel der Bodenverteilung durch eine Flurbereinigung beseitigt… Gelüftete Stallungen und Schuppen, Stapelmist, Kanalisation und Dachrinne sind neue Errungenschaften, die den polnischen Bauernhof so sauber machen wie den deutschen… Die saubere Kleidung in Stadt und Land zeigt an, daß sich trotz des Krieges das Lebensniveau auf breiter Basis gegenüber den Zeiten der alten Republik zu heben beginnt. Auch hier ist die Hand der deutschen Führung zu spüren; so hat man auf dem Lande parallel zur Organisation der polnischen Agronomen eine solche der Agronominnen geschaffen, die den Frauen in der Haushaltführung zur Seite stehen und sie anleiten in Heimarbeiten… Man braucht nur einmal in eine der 1729 Volksküchen, der vielen hundert Ferienkolonien, der 270 Kindergärten hineinzusehen, um zu erfahren, was hier an Wohltaten (geleistet, an sozialen Mißständen beseitigt und an Not täglich und stündlich gelindert wird…
Christoph von Imhoff über die israelischen Wohltaten an den Arabern in Israel (Israel – Die zweite Generation. Stuttgart 1964. S. 236 u. 244):
… Ich hatte das (israelische Moslemdorf Baqa) schon im Jahre 1957 kurz gestreift. Die kleinen niederen Lehmhäuser beherrschten das Bild. Schmutzige Straßen durchzogen die Ortschaft. Elektrisches Licht gab es nicht… Von alledem ist heute kaum mehr etwas zu finden. In sechseinhalb Jahren wurde ein großes Dorf bis zur Unkenntlichkeit verwandelt: Eine saubere Straße wird von weißen Häusern aus Beton mit flachen Dächern flankiert… Viele arabische Dörfer sind an das Elektrizitätsnetz angeschlossen; die arabische Agrarproduktion ist heute viermal so hoch wie in der Mandatszeit; die von Arabern bebaute und bewässerte Fläche hat sich verdreifacht. Veraltete Kultivierungsmethoden – a La Holzpflug werden mehr und mehr abgeschafft. Die Araber wissen heute etwas von landwirtschaftlichen Maschinen, die sich die Dörfer häufig als Gemeineigentum zulegen; sie haben gelernt, was Fruchtfolge und wissenschaftliche Düngung ist; sie beherrschen heute einen wesentlichen Bestandteil der Obst- Tabak- und Olivenwirtschaft des Landes. Es gehört noch im Jahr 1963 zu den typischen Bildern im Norden des Landes, daß Israelis für die Araber, teils mit der Hand, teils mit Maschinen Felsgestein, und Steine von den Äckern lesen, weil die Araber die Maschinen noch nicht handhaben können. So wird für sie die dunkle fruchtbare Erde zum Anbau erschlossen und nutzbar gemacht…
Hier werden also tatsächlich, wenn auch mühsam errungen, erste Erfolge sichtbar, die zugleich die Voraussetzung für ein besseres und materiell fundierteres Leben der Araber in Israel sind. Jedenfalls kann man heute in ihrer Lebenshaltung einen himmelweiten Unterschied zu jenen Jahren gewahr werden, in denen die britische Mandatsmacht über Palästina herrschte… Die materielle und soziale Gleichberechtigung von Arabern und Juden, gleich welcher Herkunft, ist heute in Israel also kein Diskussionsgegenstand mehr… (30)
Chr. Frhr. v. Imhoff über die rosige Zukunft (DAS REICH, 7. Mai 1944):
Christoph von Imhoff über die rosige Zukunft (Israel – Die zweite Generation. Stuttgart 1964. S. 284, 231 u. 279):
Ein wirtschaftlich sehr versierter Israeli sagte mir: ‘Wir können von dem allen, was wir haben, den Nachbarn abgeben – wenn es zu einer vernünftigen Zusammenarbeit mit den Arabern käme. Sie brauchen doch unsere landwirtschaftlichen Produkte, sie brauchen unsere industrielle Erfahrung. Wir könnten das alles geben und uns damit selbst den Kampf um die Märkte erleichtern."
Damit es zu keinem Mißverständnis kommt: Ihre politische Vergangenheit interessiert mich nicht. Ich glaube nicht an die pauschale Beweiskraft der NSDAP-Mitgliedsnummer. Ich gestehe Ihnen den politischen Irrtum zu, auch den mehrfachen politischen Irrtum. Hier geht es um den Verdacht der Kontinuität Ihrer Methode, durch Anhäufung grotesk nebensächlicher Details eine ungeheuerliche Wirklichkeit einzunebeln. Hier geht es um das womöglich konstante Mißverhältnis von Information und Propaganda. Hier geht es um die ungebrochene Vorliebe für die totale Verketzerung des jeweils gewählten Gegners. Es geht darum, wie wenig Sie dazulernen mußten. Es geht darum, ob Ihre weitverschlungenen Analysen nicht ehedem wie jetzt zum immer gleichen Ergebnis führen: Zur Bekräftigung der bestehenden Meinung.
Sie haben sich in den vergangenen vierzehn Jahren in Deutschland zu einem Spezialisten für Israel und den Nahost-Konflikt zu profilieren verstanden. Sie haben zahllose Artikel und verschiedene Bücher zu diesem Themenkreis veröffentlicht. Sie zeichnen verantwortlich für Broschüren der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Sie wurden im Deutschen Fernsehen als Fachmann präsentiert. Ihre Meinung ist in Deutschland gefragt; fragt sich also, was sie wert und wes Geistes Kind sie ist.
Ein journalistisches Weltverständnis, bei dem der deutsche Kunstdünger auf Polens Feldern vor den jüdischen Massengräbern in Polens Erde rangiert, hat wohl nach Entdeckung des Malheurs auch keine Skrupel aufkommen lassen, wenn das Leid und die Tränen des palästinensischen Volkes einer opportunistischen Wiedergutmachungsgestik geopfert wird. Die Schaustellung einer Bußfertigkeit, die sich eilig die Asche aus den Krematorien von Auschwitz auf’s Haupt streut, das millionenfache Sühneopfer aber unschuldigen Palästinensern überläßt und deren ohnmächtiges Aufbäumen mit Kübeln von Propagandaunflat übergießt, ist wahrhaftig des Lehrherren würdig. Druckerschwärze gegen Blut, Tinte gegen Tränen – es ist die Metamorphose des milieugeschädigten Schreibtischtäters zum Wiedergutmachungstäter.
Bleibt nur noch mitzuteilen, was in m e i n e m Karteikasten vermerkt ist: "Imhoff, Dr. phil., geb. 11. April 1912, seit 37 Jahren Journalist. Gehört vermutlich zur Spezies der Simonyi."
Das letztere werden Sie nicht verstehen. Die Tagebucheintragung von Theodor Herzl vom 4. März 1896 wird Ihnen weiterhelfen. Herzl notiert um diese Zeit die ersten Reaktionen auf sein soeben erschienenes Buch ‘Der Judenstaat’: "Mein wärmster Anhänger ist bisher – der Preßburger Antisemit Ivan v. Simonyi, der mich mit schmeichelhaften Leitartikeln bombardiert und mir jeden Aufsatz in zwei Exemplaren zuschickt."
gez. H. Spehl