Friedensparforce (1977)
H. Spehl an Dr. Hans Heigert, Chefredaktion SUDDEUTSCHE ZEITUNG
Freiburg, 24. Dezember 1977
Sehr geehrter Herr Dr. Heigert: Ich möchte mir erlauben, Ihnen zur persönlichen Information eine kleine Sammlung von Übersetzungen aus der israelischen Presse aus der Zeit nach dem Besuch von Präsident Sadat in Jerusalem zukommen zu lassen.
Wenn ich eine westliche Zeitung aufschlage, frage ich mich, woher wohl die Israel-Korrespondenten die Informationen beziehen, mit denen der zur Schau gestellte Friedens- und Verhandlungsoptimismus garniert wird, der wieder einmal grassiert. Ich darf doch wohl zum Beispiel annehmen, daß der Korrespondent der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, Herr Schräder, seinen klischierten Berichten nach zu urteilen, der hebräischen Sprache nicht mächtig ist. Was schon schlimm und unverzeihlich genug wäre. Aber er scheint auch seiner Sinne nicht mächtig zu sein, da er offenbar nach jahrelanger Tätigkeit noch immer nicht bemerkt, wie vorzüglich sich die Sprachbarriere dazu eignet, der Welt einen zionistischen Bären aufzubinden. Das ist wohl das mindeste, was man bei einem Vergleich der hebräischen Texte mit der hierzulande veröffentlichten Meinung sagen muß. Wo ist der Chefredakteur, der sich endlich eingesteht, daß in jener Weltregion mit dem hebräischen Analphabetismus auch der politische einhergeht? Und das ist keineswegs nur eine deutsche, das ist eine europäisch-amerikanische Suchaktion!
Ich habe natürlich den Verdacht, daß man nach wie vor gewisse Wahrheiten gar nicht erst zur Kenntnis nehmen will, geschweige denn sie publizieren. Wenn aber doch – – ein arbeitsloser Judaist, zusammen mit einem Redaktionsboten, der täglich am Münchner Hauptbahnhof MA’ARIV und HA’ARETZ besorgt, könnte einen Nahost-Informationsdienst aufziehen, der die verschlafenen Bundesrepublikaner vielleicht doch noch rechtzeitig darauf stoßen würde, daß jene ‘Lösung der Judenfrage’, die das Jüdische Volk in makabrer Weise den Zionisten auslieferte, keine besonders gelungene Lösung war. Vielleicht würde so manchem Dazugeborenen aufgehen, wie diskret und rührig unsere patriotische Creme, jene unübersehbare Schar von hinterhältigen Schabbes-Gojim des Zionismus, am ‘Judenproblem’ Anteil nahm, und welchen entsetzlichen sie demnach an der Schaffung des Palästinenserproblems hat – von Wilhelm II., der auf den Rapport über den ersten Zionistenkongreß kritzelte: "Ich bin sehr dafür, daß die Mauschels nach Palästina gehen; je eher sie dorthin abrücken, desto besser" – über Konrad Adenauer und eine ganze Reihe von Reichstagsabgeordneten, die anno 1926 ein "Deutsches Komitee Pro Palästina’ mitbegründeten, da kaum ein deutscher Jude auch nur im Traum an Palästina erinnert werden wollte – bis hin zu Franz Josef Strauß, der den Zionisten heimlich Waffen zusteckte und jetzt in schöner Verlogenheit hinterherpoltert, die Israelis seien Expansionisten. Von den unblutigen Vorversuchen des Adolf Eichmann, der 1937 auf Einladung von Zionisten inkognito nach Haifa reiste, und dem von Millionen Stimmungen getragenen, aus Tausend Herzfasern genährten Massenmord gar nicht zu reden, dessen Blutmagie seither jedem Zionisten jedes Tor öffnet, sofern er nicht ohnehin bei so manchem Goy offene Türen einrennt.
Wenn ich überdenke, was sich bei mir in dreizehn Jahren so alles an Totgeschwiegenem angesammelt hat, habe ich wenig Hoffnung, daß Präsident Sadats Friedensparforce für einen gestandenen Zionisten mehr bedeutet als ein Zwischenfall, den es um der Endziele willen umzufunktionieren gilt. Es ist ja nicht Sadats erster Selbstmordversuch auf offener Bühne, und Begin kann wahrhaftig auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Schon jetzt ist zu konstatieren, daß die erste Garnitur der westlichen Führungsschicht weiterhin bereit ist, jede Schmierenkomödie mitzuspielen. Da unternahm beispielsweise der israelische Außenminister, just zur Zeit der größten Schlagzeilensuggestion einer fieberhaften Friedensbemühung, eine Reise nach … ja was denkt man denn … Bonn, um die deutsche Regierung und die EWG aufzufordern, nein, anzuflehen, um Zions willen Präsident Sadats Friedensinitiative zu unterstützen. So wenigstens las man’s in der WELT. Und Begin, der wie alle seine Vorgänger niemals müde wurde, die verderbliche Einmischung der Großmächte zu beklagen, konnte nichts Dringlicheres erfinden, als Präsident Carter das zur Begutachtung vorzulegen, was seither über alle Medien als Friedensplan ausgegeben wird, noch bevor sein eigenes Kabinett, geschweige denn sein "Freund Sadat" unterrichtet war. Eine weitere Politikergeneration also, die den nahöstlichen Kunstfehler der vorigen durch Handauflegen zu kurieren gedenkt, statt endlich Hand anzulegen. Und ein Journalismus, der mangels hebräischer Lektüre und angesichts hebräischer Freudentänze armer Jerusalemer Sepharden dem Leser den Schluß zumutet, neuerdings werde Politik auf der Straße gemacht. Die SUDDEUTSCHE ZEITUNG läßt, nebenbei bemerkt, seit über einer Woche vor dem Kairoer Konferenzgebäude die palästinensische Fahne einträchtig neben der israelischen wehen, und sie wird sich ihre Auffassung von der heilen israelischen Welt gewiß nicht von einem Elijahu Ben Elissar (dem israelischen Verhandlungsleiter) verderben lassen, der die Fahne einholen ließ noch ehe die SÜDDEUTSCHE das geschichtsträchtige Konterfei klischiert hatte.
Bei solcher Konstellation habe ich wenig Zweifel, daß man die Weihnachtsbescherung des ägyptischen Präsidenten gar nicht erst aufschnüren und sich lieber an der eindrucksvollen Verpackung satt sehen will. Ich beginne diesen Anwar ei-Sadat zu bedauern, der in all seiner arabischen Naivität glaubt, der Druck der öffentlichen Weltmeinung im Verein mit der israelischen würde die Begin-Regierung zu den Konzessionen zwingen, die er für sein Überleben braucht. Es wird sich an ihm erweisen, wie wenig Verlaß ist auf die Meinung der Beschnittenen, die der Propaganda unterworfen werden, und die der Unterwürfigen, die der Information beschnitten sind. Es zeugt nicht gerade von intimer Kenntnis westlicher Bräuche, wenn Sadat sich auf eine Presse verläßt, die ihn derzeit wie eine Diva umwirbt, und die mit Sicherheit die Schönheitsfehler entdecken wird, sobald sich Begin von den Popveranstaltungen erholt und Kassensturz gemacht hat. Wenn Sadat stürzt, dann stürzt er wohl dank der Unterlassungssünden der westlichen Informationsmedien.
Ich bin gar nicht so sehr auf das Danaergeschenk gespannt, das ihm Begin morgen in Ismailia überreichen wird. Seit ich weiß, daß Begins Kabinett – immerhin die eindrucksvollste aller denkbaren Sammlungen nationalistischer Haudegen – seinen "Friedensplan" einstimmig gutgeheißen hat, bleibt nur noch das Ausmaß der Schurkerei abzuwarten, mit der Sadat von der restlichen arabischen Welt isoliert werden soll (59). Da Begin niemals Ansprüche auf die Halbinsel Sinai geltend gemacht hat, wohl aber seit vierzig Jahren unablässig das zionistische Besitzrecht über Cis- u n d Transjordanien als eine Selbstverständlichkeit ausgibt, der gegenüber ein mütterlicher Anspruch auf ihr Neugeborenes wie Winkeladvokatentum anmutet, ist die Entwicklung abzusehen. Der Einsatz von Freudentränengas auf allen Friedensschauplätzen wird daran nichts ändern. Ich werde wohl nie mehr erfahren, aus welchem Danaidenfaß unsere neue freie Presse schöpft. Ich sehe nur, daß sie nichts dazulernen will, keine Wahrhaftigkeit, keine Selbsteinsicht, nicht mal Hebräisch. Aber so wahr das Grußwort: "Zeit lassen!" bei Ihnen, in Alt-Bayern, ein schöner Brauch gewesen ist, in Neu-Israel, als Leitwort befolgt, wird es zur Katastrophe führen.
Ein gnädiges Schicksal steh’ uns bei, daß ich mich irre.
Mit freundlichen Grüßen (gez. H. Spehl)
Dr. Hans Heigert an H. Spehl
München, 6. Januar 1978
Sehr geehrter Herr Dr. Spehl: Haben Sie Dank für Ihre sehr ausführliche Stellungnahme, deren Inhalt mich freilich nicht überzeugen konnte. Mir scheint vielmehr, daß eine verhaltene Erregung, ein unterdrückter Zorn Ihre Zeilen diktierte. Wir sehen die Entwicklung im Staate Israel, in Palästina und ringsherum jedenfalls sehr viel differenzierter. Auch Ihre Vermutung, unser vorzüglicher Korrespondent habe keine Ahnung von dem, was in den jüdischen Zeitungen stehe, ist falsch, entspringt vielleicht ebenfalls einem gewissen Vorurteil. Sowohl er selbst als auch wir hier in der Redaktion vermögen durchaus zu vergleichen.
Wir hoffen mit Ihnen, daß Sie sich irren.
Mit freundlichen Grüßen (gez. Dr. Hans Heigert)
H. Spehl an Dr. Hans Heigert
Freiburg, 15. Januar 1978
Sehr geehrter Herr Dr. Heigert: Es wäre ja ein journalistisches Wunder, wenn ein nicht überzeugender Brief aus Freiburg, mit hebräischen Alltagsgeschichten aus Israel, bei Herrn Schröder in Jerusalem, via München, eine sehr schwache Stelle ganz leicht in Erregung versetzt hätte. Aber auszuschließen ist es nicht, seit ein psychogener Satz bei seinen Akten liegt, die ich für ihn verwahre. Da hat er doch tatsächlich termingerecht zu Protokoll gegeben, daß er eine Ahnung hat von dem, was in den jüdischen Zeitungen steht: "Mit dem Slogan ‘Bau Dein Haus in Yamit’ wirbt die israelische Regierung in den Z e i t u n g e n …", beginnt, wie so der Zufall spielt, sein Artikel vom 10. Januar in der SÜDDEUTSCHEN. Das hat er wohl im englischsprachigen Diasporablättchen JERUSALEM POST aufgelesen, denn daß Ihr vorzüglicher Korrespondent kein Hebräisch kann, dafür liegt jetzt ein Indizienbeweis vor (60). Der Mann, und seine Heimatredaktion, verdient mein Mitgefühl wie jeder US-Journalist, der zu Höfers Frühschoppeninternationale nur immer ‘Sorry’ beizusteuern in der Lage wäre.
Aber vielleicht sollte ich, da ich ja keine Händel suche, Ihr und Herrn Schröders Vergleichsvermögen, also die Konkursmasse, noch etwas aufbessern und ein starkes Stück aus meinem Vorurteilsvermögen einbringen:
Regierungschef Begin kann von Glück reden, daß die englischen Journalisten kein Hebräisch können. Denn könnten sie es, dann hätte London gekocht. Am letzten Abend seines Englandbesuches veranstalteten die HERUT-Aktivisten ihm zu Ehren eine Partei-Party. Begin selbst nahm nicht teil, jedoch nicht wegen seiner hochnäsigen Einstellung, Gott behüte, sondern einfach, weil er erkrankte. Er bat seine Frau, für ihn teilzunehmen. Und wer nicht die Freude dort gesehen hat, der hat noch niemals wirkliche Freude erlebt.
Soweit ist alles gut. Schließlich kommt nicht jeden Tag der Regierungschef nach London, und nicht jeden Tag kommt HERUT an die Macht. Und soweit das, was die Augen sehen konnten – aber wie steht’s mit den Ohren? Voll der guten Laune, dank koscherem israelischen Wein, sangen die Betarim, von denen einige in Uniform erschienen waren, Lieder der Bewegung. Und in Hochstimmung sangen sie die Hymne: "Die beiden Ufer des Jordan – dieses gehört uns und das andere auch…
"Ich glaube nicht, daß Sie einen wirklichen Frieden bekommen können, wenn Sie die Westbank behalten wollen", sagte der britische Regierungschef seinem israelischen Kollegen unter vier Augen. ‘Wenn wir am gemeinsamen Verhandlungstisch sitzen, werden wir über alles reden’, erwiderte der HERUT-Führer. Denn "alles ist offen für Verhandlungen".
Auch das Ostufer des Jordan, Herr Begin? (61)
Hebräisch müßte man können, und ein bißchen Zivilcourage müßte man haben, Herr Heigert!
Mit freundlichen Grüßen (gez. H. Spehl)
H. Spehl an Dr. Hans Heigert
Freiburg, 24. Dezember 1978
Sehr geehrter Herr Dr. Heigert: Meine bürgerlichen Umgangsformen sind nicht die besten, aber denkwürdige Jahrestage halte ich ein. Sie brauchen dennoch nicht zu befürchten, daß ich mich wiederhole. Ich werde mich nicht darüber auslassen, ob der israelisch-ägyptische Separatvertrag, den ich schon vor genau einem Jahr einen schurkischen genannt habe, nun doch noch oder doch nicht zustandekommt (62). Kostenlose Prognosen sind von mir nicht mehr zu erwarten. Weitere handsignierte Mitteilungen von Chefredakteuren, daß ihre Betrachtungsweise differenzierter ist als meine, helfen weder den Palästinensern noch mir weiter, und im übrigen kann ich die entsprechenden Differenzierkünste dem käuflichen Teil der Presse entnehmen. Sie werden mir ohnehin nicht mehr antworten wollen; der BEHEMOTH und die NACHRICHTEN AUS DER TABUZONE, die ich Ihnen dieses Jahr zugemutet habe, dürften die Sprachlosigkeit endgültig besiegelt haben. Ich sehe also keinen Grund zu irgendwelcher Zurückhaltung. Was zu beweisen war, ist bewiesen, und ich bin dabei, mir die erwartungsgemäß gescheiterte Aufklärung der Chefredakteure für die Aufklärung über die Chefredakteure nutzbar zu machen.
Selbstverständlich war ich niemals so vermessen oder so naiv, zu hoffen, daß die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG jemals in erkennbarer Weise meine Dienste in Anspruch nehmen würde, noch gar zu glauben, daß ich mit meinen jämmerlichen Auflagen gegen Ihren täglichen Auswurf von 400 000 anschreiben kann. Aber nicht einmal bei Ihrer Auflagenhöhe besteht Hoffnung, daß die paar gelegentlichen Sonderseiten über arabische Länder, die Sie sich neuerdings haben einfallen lassen, zur Täuschung der Araber und zur Enttäuschung der Leser ausreichen werden. So leicht läßt sich nicht mehr gut Wetter machen, wo selbst die Gebete eines amerikanischen Präsidenten die Schleusen des Himmels nicht mehr zu halten vermögen. Ich richte mich daher, meiner Wirkungslosigkeit bewußt und in ahnungsvoller Erwartung der Sintflut, auf die Durchsage von Wasserstandsmeldungen ein.
Wie’s derzeit in anderen Köpfen aussieht, bei den schnellen Brütern, denen die Überlebenswichtigkeit der Kernenergie dämmert, oder bei der eilfertigen Brut, die oft kaum zu schreiben und selten die Zeichen an der Wand zu lesen imstande ist, muß ich mehr erahnen als ergründen. Immerhin kann ich feststellen, daß die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG neuerdings verstreut Halbsätze unterbringt, die sie anderen noch vor kurzer Zeit entweder als verwerflichen Ausdruck jüdischen Selbsthasses, oder als versteckten Antisemitismus angekreidet hätte. Sie werden dazu neigen, diese Beobachtung meiner Spitzfindigkeit zuzuschreiben. Zuvor sollten Sie aber beispielsweise vergleichen, wie der Kolumnist des ‘Streiflicht’ den Juden Bruno Kreisky, der Begin eine Krämerseele nannte, noch vor kurzem zum "Herrn Karl" degradierte, und wie jetzt der schr., also nicht der ms., den peinlichen Auftritt einer ganzen Mischpoche von Friedenskrämerseelen beim Osloer Endspiel des Nobelpreisfiaskos zu beschreiben gelernt hat. Ob die Herren Schröder, der Münchner und der Jerusalemer, sich solche Unartigkeiten neuerdings selbst durchgehen lassen, ob’s auf Geheiß der Redaktion durchgeht, oder ob man vielleicht gemeinsam hofft, eine versuchsweise leichte Lockerung der Unterschlagungsdirektive werde die Ereignisfluten noch kanalisieren helfen; ob man sich als Hilfsschleusenwärter des amerikanischen Präsidenten vorkommt, den seine Schäfchen noch rechtzeitig ins Trockene bringen will, oder ob man, ehrgeizig voran wie immer, den Berufskollegen beibringen will, inwieweit den Wahrheitsgehalt der Tagesanzeiger den Alarm-Marken der Ölstandsanzeigen anzupassen ist – ich kann und mag den verschlungenen Wegen Ihres Handwerks nicht nachgehen. Aber ich habe schließlich die westliche, vor allem die deutsche Presse lange genug unter der Lupe, die Stächiometnie geordneter journalistischer Umsetzungen ist mir hinreichend geläufig, und der alchimistische Experimentiergestank, den zur Zeit aus allen Nahost-Spalten aufsteigt, ist so penetrant, daß ich mir denken kann, wie’s aussieht: Die Infonmations-Artisten in den Chefetagen – ratlos! So werde ich also zum zweiten Mal eine Propagandagötterdämmerung miterleben. Und sollten mich die einstürzenden Fassaden ein weiteres Mal verschonen, muß mit mir als kenntnisreichem Chronisten gerechnet werden.
Reden wir jetzt nicht lange von den Wortgewalttätigkeiten und Hemmungslosigkeiten einer gewissen Pressespezies, die zu erkunden es kaum des falschen Namens und der falschen Bartlosigkeit eines Wallraffke bedarf. Halten wir uns nicht mit Springers WELT-BILD auf. Reden wir von einer Pressemisere, die keine Grenzen kennt. Sagen wir mit aller Deutlichkeit, daß der deutsche Journalismus ein zweites Mal stimuliert werden konnte, statt disparate Standpunkte zu vertreten (was normalerweise den Horizont ersetzt), die servile Linie einzuschlagen. Sich also einer segensreichen Unzulänglichkeit, die allein die Macht der Medien hemmt, zu entledigen, und statt dessen den unzulänglichen Segen einer Dienstleistung anzustreben. Und wieder entstand ein lupenreines Blendwerk von fataler Verführungskraft. Irgendwann muß einem ja aufgehen, mit oder ohne Kenntnis des Lebenswerkes von Karl Kraus, daß die Informationskatastrophe während des Untergangs des europäischen Judentums mit mangelhaftem Wissen nur ebenso unzureichend zu erklären ist, wie der Informationsskandal zugunsten des Aufstiegs des Zionismus mit überreichlichem Gewissen. Die hochkarätigen Falsifikate, damals wie heute, entstammen tieferen Plattheiten.
Vor ein paar Wochen haben Deutschlands Meinungsbildner, mit entsetzlicher Verspätung, dem Entsetzen über die sogenannte Reichskristallnacht von 1938 Ausdruck gegeben. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG hat dazu eine Umfrage veranstaltet und ist, wie zu erwarten, nur auf Leute gestoßen, die damals "Mitleid, Abscheu und Ohnmacht" empfunden haben. Und da es Leute gibt, die schlechterdings jede Gelegenheit ausnutzen, hat die damalige Bilanzbuchhalterin Maria Strauß, Schwester des derzeitigen Bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, die Ieichtverständliche Bemerkung beigesteuert, daß im Elternhaus Strauß nur kompromißlose Gegner des Regimes zu finden waren. Seit 1945 weiß man, daß es in anderen Bürgerhäusern ganz genau so war. So steht man wieder einmal vor dem Zeitungsrätsel, die Gewalttätigkeiten der Straße erklären zu müssen, wo die kompromißlose Gegnerschaft der Hausinsassen als gesichert gilt. Glücklicherweise werde ich niemals von umfragenden Lokalreportern belästigt. Aber würde man sich’s antun, ich würde einen gewagten Hinweis geben. Der Münchner Lokalteil hätte nämlich in eigener Sache beisteuern können, daß die damalige Elite der deutschen Redakteure und Verleger am 10. November 1938, also einen Tag nach der ‘Reichskristallnacht’, im Führerbau am Münchner Königlichen Platz, nicht etwa, wie die Elite der deutschen Hausinsassen, ihre Ohnmacht bedauert, sondern den Lobpreisungen ihrer M a c h t gelauscht hat: "Ich möchte nun feststellen", sagte der Anführer zu den versammelten Durchführern aus den Chefetagen der parteiamtlichen und der bürgerlichen Presse, selbstverständlich unter Ausschluß der Öffentlichkeit:
Wir haben versucht, in Deutschland die Presse zu einer wirksamen Waffe auszugestalten. Und ich darf wohl am Abschluß dieses Jahres Ihnen allen aussprechen, daß ich mit diesem Versuch mehr als zufrieden bin. Die Wirksamkeit hat sich in glanzvoller Weise bewährt und erwiesen. Wir haben nun vor uns wieder ganz große Aufgaben. Über a l l e m steht eine Aufgabe, meine Herren: Wir müssen jetzt mit allen Mitteln S c h r i t t f ü r S c h r i t t das Selbstbewußtsein des deutschen Volkes stärken! Was wir benötigen ist eine in sich gefestigte starke öffentliche Meinung, wenn möglich sogar noch hineinreichend in unsere intellektuellen Kreise (Bewegung und Gelächter im Zuhörerraum). Nur so, wissen Sie, wird auf die Dauer eine erfolgreiche Politik gemacht werden können…
Wenn Sie mir, sehr geehrter Herr Heigert, eine komplette Liste der heutigen Mitarbeiter und Redakteure Ihres Hauses zukommen lassen, werde ich Ihnen die damaligen Beleuchter ankreuzen, die ihr Licht solange nicht unter den Scheffel, und andere Preise, stellten, bis die Stimme des Volkes selbst langsam nach der Gewalt zu schreien begann. Soviel zur Festlegung der Tonlage.
Aber es geht wohltemperiert weiter. Kürzlich hat ein beträchtlicher Teil der deutschen Presse den unsäglichen Herrn Filbinger so dick abschießen lassen, daß man das Opfer bedauern müßte, handelte es sich nicht um Herrn Filbinger. Er hat, wie allgemein bekannt, eine gewisse unrühmliche Rolle als Marinerichter gespielt, was aber in diesem Staat noch kein Malheur zu sein brauchte – hätte er nicht die Dummheit begangen, sich plötzlich als Presserichter aufzuspielen. So begann sein Ende als Landesfürst mit einer deutlichen Verstimmung des Freiburger Zeitungsfürst. Analoges kann jenen Herren, die damals die Vorzüge des großen Raubzuges unter1s Volk brachten, und heute die Nachteile der ‘Reichskristallnacht’ auszubügeln suchen, aus inneren Gründen nicht widerfahren. Und so können sich ehemalige PK-Mannen wie der Jupp Müller-Marein von der ZEIT oder der Welter von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN, um nur diese zu nennen, sicher fühlen wie in Abrahams Schoß, auf dem sie groteskerweise zweimal groß werden durften.
Joachim Kaiser hat am 16. Oktober in der FAZ den Lesern, ganz en passant, die "Krämpfe, Berufswechsel, Schreibhemmungen mancher Journalisten" zu bedenken gegeben, "die sich in jungen Jahren während der Nazizeit, wie die meisten anderen, den Sprachregelungen beugten und später schwer daran trugen". Das bleibt unbestritten, die gab es; aber anders als der Kultur-Kaiser, komme ich, als Kenner der Subkultur-Päpste und weit unabhängiger als ein Kaiser, zu dem Schluß, daß die Berufswechsel jener Journalisten nicht zu begrüßen, sondern zu bedauern sind. Dem unbekannten Schutzpatron der Zeitungsleser sei’s geklagt: Wir haben die falschen verloren als wir die Falschen behielten. Denn es ging halt, wie es meistens geht: Beim Umrühren schwimmt der Satz oben. Und der hat darauf gesetzt, daß man mit Schreibhemmungen in bestimmten Fragen, zu denen vorrangig die palästinensische gehört, den Berufswechsel abwenden, die Krämpfe beenden und den erlernten Propagandakrampf weiter nutzbar machen kann.
Sie werden mir verärgert vorhalten, daß ich den jüngeren Journalisten unrecht tue, deren Vergangenheit nicht kompromittiert ist. Ich frage Sie dann, wie es mit der Gegenwart steht. Nennen Sie mir einen einzigen verantwortlichen Redakteur, der eine einzige meiner zahlreichen Übersetzungen aus der hebräischen Presse nachdruckt. Der also lediglich den grotesken Mut besitzen müßte, seine vorgeblichen Freunde zu zitieren. Ich weiß so gut wie Sie, daß ich einen solchen, in Israel alltäglichen Text nicht einmal als Annonce zur Werbung von Abonnenten für meine NACHRICHTEN AUS DER TABUZONE gedruckt bekomme. Seien Sie auf der Hut, daß ich das mit der SÜDDEUTSCHEN nicht eines Tages durchspiele! Vielleicht kann ich eines schonen Tages einen bescheuerten Annoncenexpediteur ausfindig machen und ihn über’s Ohr, also über die Hörigkeit hauen. Ich werde Ihnen das schwindelhafte Ausmaß des Informationsskandals, der den Nachkriegsjournalismus kennzeichnet, nicht weiter vorrechnen müssen, wenn der simple Nachdruck eines hebräischen Artikels eingestandenermaßen zum Skandal werden muß, den jeder Chefredakteur fürchtet wie die Pest.
Aber reden wir nicht nur von d i e s e n Skandalen. Es gibt auch Opfer. Nicht so viele, und nicht zu blutige – aber wieder Semiten. Die tägliche Darbringung des palästinensischen Sühneopfers auf den Beschneidtischen der Fernsehanstalten und den Verschreibtischen der Druckimperien ist ein weiterer Skandal, der windigste von allen. Ich weiß nicht, was sich Redakteure heute dabei denken, vermute aber: das gleiche wie damals – also nichts. Ich weiß nicht, welche banalen Zensurund Selbstzensureinrichtungen sie heute befolgen, vermute aber, daß bei dieser Frage eine konforme Abbildung nicht möglich ist. Und ich weiß nicht, wie Redakteure heute reagieren, wenn ihnen ungelegene Nachrichten zu Gesicht kommen, vermute aber: genau wie damals – denn sie sind stets auch die Opfer der eigenen Unarten. Aber eines weiß ich mit aller Sicherheit, ich hab mir’s angehört, weil ich’s gedruckt nicht glauben wollte: Die Journalistengesellschaft amüsierte sich an jenem Abend des 10. November 1938 köstlich, während draußen die Synagogen noch rauchten. Man fand es rasend komisch, als Hitler die Warnungen der Intellektuellen lächerlich machte. Man war vergnügt, reagierte mit Heiterkeit und brach in Gelächter aus, wenn Hitler die "intellektuellen Kreise", oder die "intellektuellen und hysterischen Schichten" auch nur erwähnte. Ein ausgesprochen gelungener Regieeinfall, der todsichere Lachschlager. Und urn ein Haar wäre Beifall ausgebrochen, als der Führer ausrief: "Wenn ich so die intellektuellen Schichten bei uns ansehe, leider, man braucht sie ja, sonst könnte man sie eines Tages ja, ich weiß nicht, ausrotten oder so was." Hören Sie sich’s an, Herr Dr. Heigert, bei Ihnen urn die Ecke, im Münchner Institut für Zeitgeschichte! Hören Sie hin, wie man sich schon damals nicht dazuzählte. Angefangene oder abgeschlossene Dissertationen ändern da wenig. Der Ehrgeiz, auf der richtigen Seite zu schreiben, anzukommen, herumzukommen, vorwärtszukomrnen, ist unbändig. Der Beifall bringt es an den Tag, wie lobsüchtig die Gesellschaft ist:
Qui a des oreilles pour entendre, entends! Hinhören erklärt einiges. Man kann beispielsweise die Hörigkeit heraushören. Hier soll keineswegs Inkommensurables verglichen werden. Begin ist kein Hitler, obwohl Ben Gurion ihn ein Leben lang dafür ausgegeben hat (64). Beide haben einiges auf dem Kerbholz, aber dafür reicht es denn doch nicht. Aber die konforme Abbildung des unglücklichen Tschechen Masaryk auf den glücklosen Palästinenser Arafat kann man vertreten. Gibt es etwa einen Grund, daß er sich anders ausdrücken sollte, nach allem, was die Zionisten und die Zionistenfreunde seit drei Jahrzehnten mit dem palästinensischen Volk treiben? Glaubt man ihm ein einziges Wort? Kann er nicht erklären, was er will, kann er nicht sagen, was er will? Ist nicht alles ganz für die Katz? Wird nicht alles zugedeckt mit einer wahnsinnigen Propaganda?
Man hat die Palästinenser ert belogen, dann betrogen, und schließlich ausgeplündert; man hat sie aus ihrer angestammten Heimat vertrieben, dann ihre Dörfer eingeebnet, ihre Olivenhaine und Mandelplantagen ausgerodet und umgepflügt, und schließlich hat man sich ihre Felder angeeignet; man erklärt Anwesende zu Abwesenden und verschachert ihre Anwesen; man schafft Abwesende und sucht Geistesabwesende, deren Plätze einzunehmen; man verbrennt Flüchtlingsbaracken mit Napalm und durchlöchert Menschen mit Splitterbomben beides made in USA; notorische Terroristen verlautbaren, was palästinensischer Terrorismus ist, und aktenkundige Mörder organisieren die Ausrottung; und nicht zuletzt: man sperrt Kinder in überfüllte Gefängnisse und droht ihnen mit der Todesstrafe, wenn die Familien nicht fügsam sind; man macht sich an ihrem Leib, ihren Genitalien und ihrer Psyche zu schaffen, daß es eine Schande ist. Das sind die Früchte des Behemoth, Herr Dr. Heigert, das wird unseretwegen erlitten, an unserer Stelle, zur Sühne unserer gottverdammten Verbrechen, Herr Dr. Heigert, und zur vorgeblichen Abwendung u n s e r e r antisemitischen Amokläufe!
Aber glaubt diese christliche Gesellschaft den Palästinensern ein einziges Wort? Können sie nicht erklären, was sie wollen, können sie nicht sagen, was sie wollen? Ist nicht alles ganz für die Katz? Wird nicht alles zugedeckt mit einer wahnsinnigen Propaganda? Der Erfolg, meine Herren, ist ein ungeheurer!
Begin kann nicht mit Hitler verglichen werden. Schon deshalb nicht, weil die jeweilige Informationskatastrophe jenem tatsächlich den Friedensnobelpreis eingetragen hat, diesem aber nur beinahe. Ich treibe durchaus keine schwarzen Scherze. Man hat Hitler, Daladier und Chamberlain tatsächlich zum Friedensnobelpreis vorgeschlagen, als Masaryk abserviert und die Tschechoslowakei friedlich usurpiert war. Woraus man, wenn man nur will, die Lehre ziehen kann, daß die sogenannte freie Presse, geschieht nur das Unglück des consensus communis, ähnlich Schlimmes anzurichten in der Lage ist, wie die sogenannte gelenkte Presse, die mit mäßigem Zwang und geiferndem Lob dazu gebracht werden konnte, das Blaue aus der Hölle heraufzulügen.
Was durchaus zu Umstellungserwägungen Anlaß gegeben hat. Seither wird das Grüne in die Zionswüste hineingelogen.
Mit guten Wünschen für ein besseres Neues Jahr
(gez. H. Spehl)