Für wen Bargeld lästig ist
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09.05.2016 /
Für wen Bargeld lästig ist
Norbert Häring erklärt, wie das aktuelle Geldsystem funktioniert und wie Banker und Politiker es stabilisieren und profitlich nutzen wollen
Lucas Zeise
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will für Barzahlungen eine Obergrenze von 5.000 Euro ansetzen. Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank, schafft den 500-Euro-Schein ab. Wer selten oder nie einen solch schönen Geldschein zu Gesicht bekommt, dem kann das ziemlich egal sein. Denkt er. Habe ich, ehrlich gesagt, auch gedacht. Bis ich Norbert Härings Buch über die geplante Abschaffung des Bargelds gelesen habe. Das ist nicht ganz richtig. Er hat mir seine Erkenntnisse über das Thema schon in zahlreichen Kneipensitzungen mitgeteilt und mich davon überzeugt, dass die Angelegenheit besondere Beachtung verdient. Norbert ist Redakteur bei der einzigen verbliebenen, auf Wirtschaft spezialisierten Tageszeitung, dem Handelsblatt. Zuvor hat er mit mir bei der Börsen-Zeitung und der Financial Times Deutschland gearbeitet. Er versteht etwas von Finanzen. Sein Blog norberthaering.de ist wirklich lesenswert.
Man könnte meinen, dass es der technische Fortschritt allein ist, der dafür sorgt, dass immer mehr Menschen zum Zahlen statt Bargeld Kreditkarten, EC-Karten etc. benutzen. Dass aber jetzt Banker und Politiker den Gebrauch von Bargeld einschränken und womöglich demnächst verbieten wollen, rechtfertigt höchstes Misstrauen. Die jüngste große Finanzkrise von 2007/08, in deren Verlauf das Finanzsystem und die Banken weltweit wackelten, um schließlich im Herbst 2008 von den Staaten vor dem Untergang gerettet zu werden, steht am Anfang der Kampagne gegen das Bargeld. Mancher wird sich vielleicht erinnern, dass Angela Merkel, die damals schon Kanzlerin war, die Bankenrettung mit den Worten einleitete: »Liebe Mitbürger, Ihre Einlagen bei den Banken sind sicher.« Das eben stimmte nur deshalb, weil die Bundesregierung 480 Milliarden Euro zur Rettung der Banken bereitstellte.
Manchen Bürgern ist damals erst bewusst geworden, dass sie über zwei Sorten von Geld verfügen. Einerseits die Scheine und Münzen, auch Bargeld genannt, andererseits das Guthaben bei der Bank oder Sparkasse. Rechtlich ist nur das Bargeld richtiges Geld. Nur die von den Notenbanken gedruckten Scheine und die von den Regierungen geprägten Münzen sind gesetzliche Zahlungsmittel. Das legen das Bundesbankgesetz und der Paragraph 128 des EU-Vertrages fest. Faktisch aber ist das Bargeld nur ein kleiner Teil des im Lande umlaufenden Geldes, in Deutschland nur etwa ein Zehntel der gesamten eng definierten Geldmenge. Die anderen neun Zehntel sind das bei den Banken in Form von Kontoguthaben liegende Geld. Dieses Buchgeld ist jederzeit tauschbar in echtes Bargeld. Und nur diese Bereitschaft und Fähigkeit der Bank, das Geld auf Verlangen herauszurücken, macht es den Geldscheinen ähnlich und fast ebenbürtig.
Ist die Bank pleite, kann sie dem Kunden kein echtes Geld, nämlich Bargeld, aushändigen. Wittert das Publikum, dass etwas dergleichen bevorsteht, bilden sich Schlangen vor den Bankfilialen. Der Zusammenbruch der Bank und meist auch der des (nationalen) Bankensystems wird beschleunigt. Wenn nun das Bargeld abgeschafft oder nur auf Münzen und kleine Scheine beschränkt wäre, könnte das Publikum große Summen von der Bank gar nicht abheben. Der Bankencrash wäre verhindert. Für Politiker und Banker wäre das bequem. Die Bankenkrisen könnten dann eleganter auf Kosten der Kunden gelöst werden.
Natürlich sagen weder Banker noch Politiker das offen. Vielmehr reden sie davon, dass Kriminalität, Geldwäsche und Steuerhinterziehung leichter zu kontrollieren seien, wenn alle Zahlungen über Bankkonten laufen. Auch die gewöhnlichen Bürger wären dann leichter zu kontrollieren. Wahrscheinlich ist genau das ein erwünschter Nebeneffekt bei der geplanten Abschaffung des Bargeldes. Der dritte Grund dafür sind die extrem niedrigen Zinsen. Wenn die Banken auf breiter Front Gebühren für Guthaben verlangen, ist zu erwarten, dass viele aus Kostengründen lieber Bargeld unter der Matratze lagern.
Soweit in gedrängter Form die aktuelle These des Buches. Sie wird plausibel begründet. Das gelingt vor allem deshalb, weil prägnant dargestellt wird, »wie unser Geldsystem funktioniert«. So heißt das zentrale Kapitel des Buches, in dem abgehandelt wird, wie die Geschäftsbanken Geld schöpfen und warum es darüber meist falsche Vorstellungen gibt. Am Schluss stellt Norbert Häring zurückhaltend einige Alternativen zum heutigen Geldsystem dar. Selbst wenn man seine Meinung dazu nicht teilt, ist die klare Darstellung solcher Alternativen ein Gewinn.
Norbert Häring: Die Abschaffung des Bargelds und die Folgen. Der Weg in die totale Kontrolle. Quadriga-Verlag Bastei Lübbe, Köln 2016, 256 S., 18 Euro