Geheimdienste schützen lieber dubiose Spitzel als Morde zu untersuchen
»Es gibt keine Aufklärung«
Viele Fragen zur rechten Terrorgruppe NSU weiter offen: Geheimdienste schützen lieber dubiose Spitzel als Morde zu untersuchen. Ein Gespräch mit Andrea Röpke
Interview: Markus Bernhardt Andrea Röpke ist Diplom-Politologin und mehrfach preisgekrönte Journalistin und Autorin. Sie arbeitet nunmehr seit Beginn der 1990er Jahre zum Thema Neofaschismus und extreme RechteSie haben sich in der jüngsten Vergangenheit schwerpunktmäßig mit den Hintergründen der rechten Gruppierung »Nationalsozialistischer Untergrund« beschäftigt. Wie fällt Ihr bisheriges Fazit bezüglich der Aufklärung dieses neofaschistischen Terrornetzwerks aus?
Es gibt keine Aufklärung über das NSU-Netzwerk, zumindest keine ausreichende! Wir wissen immer noch viel zu wenig. Das Oberlandesgericht in München geht laut Anklage stur von einem Dreierbund, bestehend aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, aus. Mit dem Tod der beiden Männer sei die Terrorgruppe erloschen. Zwar hat sich der Vorsitzende Richter mittlerweile für die »Blood & Honour«-Helferstrukturen interessiert, aber den Hinweisen, dass das Trio über die engen Vertrauten Eminger und Gerlach bis zuletzt wichtige Kontakte ins Milieu gehabt haben könnte oder Mundlos vor den Morden in Dortmund und Kassel gesehen wurde, ist bisher nicht nachgegangen worden.
Wohin fuhren Böhnhardt und Mundlos immer wieder in Thüringen, und gab es nicht doch ein weiteres Versteck? Vielen Spuren in den Neonaziuntergrund wurde von Behördenseite nicht umfassend genug nachgegangen. Viel zu wenig beleuchtet wurde auch die Neonaziszene im Thüringer Herkunftsort der ermordeteten Polizistin Michèle Kiesewetter. Zeugen wollen dort Böhnhardt gesehen haben. Es bleiben Fragen über Fragen. Darunter auch ganz konkrete wie: Wer warf im November 2011 die NSU-Bekenner-DVD in Nürnberg ein, wenn sie nicht per Post kam? Beate Zschäpe war es augenscheinlich nicht, davon geht inzwischen auch das Bundeskriminalamt aus. Wer verfügte also in Bayern über weitere Kopien dieser gruseligen DVD?
Mich beschäftigt auch, warum der Neonazispitzel »Corelli« im Zeugenschutz kurz vor seinem Tod ausgerechnet ins ländliche Westfalen gebracht wurde. Ganz in der Nähe lebt einer der umtriebigsten und undurchsichtigsten Neonazis, der ihn gut kannte. Und was hatte es mit diesen »NSU«-CDs auf sich, die »Corelli« bereits 2006 in Umlauf gebracht hatte?
Woran scheiterte die Aufklärung all dieser Vorgänge und auch der neofaschistischen Mordserie insgesamt?
Vielleicht wollen Gesellschaft, Medien und Sicherheitsbehörden einfach nicht wahrhaben, dass die Neonazis in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten in der Lage sind, professionell terroristische Zellen und Netzwerke aufzubauen. Noch immer herrscht das Klischee vom blöden Neonazi vor. Aus dem größten Anschlag der bundesdeutschen Geschichte, dem Oktoberfest-Attentat, wurde schnell die Tat eines wirren Einzeltäters, Akten wurden vernichtet, Zusammenhänge nicht hergestellt, V-Leute blieben unbeleuchtet. Jetzt endlich gibt es neue Ermittlungen und viele Anzeichen, die belegen, dass die Geschichte zum Anschlag 1980 neu geschrieben werden muss. Ebenso 2003. Der Verfassungsschutz feierte die Enttarnung der Münchener Terrorgruppe um Martin Wiese, die Sprengstoff und Waffen hortete. Ganz schnell allerdings verschwand ein entscheidender V-Mann aus Bayern, der maßgeblichen Einfluss ausgeübt hatte. Die Herkunft und der Verbleib von Waffen wurden nie geklärt
Warum wollte offensichtlich niemand wissen, ob da nicht schon langjährige Waffenbeschafferkreise im Hintergrund wirkten und die rechten Terrorzellen womöglich untereinander Kontakt hatten?
Neonazimorde und -anschläge sind Resultat eines fanatisch propagierten Rassenkampfes, und ich befürchte, dass es auch weitergehen kann, weil wir immer noch nicht wissen, wie deren Strukturen wirklich funktionieren. Kurz gesagt: Wir dringen nicht weit genug in diesen Untergrundsumpf vor.
Statt dessen müssen wir erleben, wie Neonazis der Reihe nach das Gericht in München und die Untersuchungsausschüsse der Parlamente belügen. Die Verfassungsschutzbehörden verfügten über Dutzende von bezahlten Spitzeln im NSU-Umfeld, sie hatten ausreichend internes Material und Kenntnisse über terroristische Zusammenhänge und wurden doch nicht tätig. Ein Spitzel wie »Corelli« steckte ganz tief drin im militanten Milieu. Und dann will uns z.B. der Verfassungsschutz in Hessen weismachen, dass ihr V-Mann-Führer Andreas Temme, der zur Tatzeit der Ermordung eines NSU-Opfers in Kassel vor Ort war, jahrelang nur belanglose Kontakte ins Neonazi-Milieu hatte. Dieses öffentliche Blockieren von Aufklärung ist wohl der zweite wichtige Grund für das Scheitern.
Nicht wenige Zeugen litten bei ihren Aussagen vor den verschiedenen NSU-Untersuchungsausschüssen unter Amnesie. So auch der bereits erwähnte Andreas Temme, der für das hessische Landesamt für Verfassungsschutz tätig und 2006 beim Mord an Halit Yozgat in Kassel zugegen war. Werden Geheimdienste und Spitzel mit ihrer Verschleierungstaktik durchkommen?
Es sieht ja leider so aus. Die Geheimdienste blockieren die Aufklärung, sie schützen scheinbar lieber fragwürdige Spitzel, verweigern Akten oder schreddern sie sogar. Alles ohne Folgen. Im Gegenteil: Der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz kommt damit durch, keine Verantwortung zu übernehmen und wird sogar noch belohnt. Die Bundesbehörde wird aufgestockt, erhält noch mehr Machtbefugnisse, Geld und Stellen. Das macht wirklich Angst. Auch die Polizeibehörden scheinen kaum Konsequenzen aus dem NSU-Desaster gezogen zu haben. Oft steht scheinbar deren Korpsgeist vor beherzter Ermittlung. Zum Teil entpolitisieren die Medien das Thema NSU. TV-Dokumentationen zeigen Beate Zschäpe lieber als Geliebte in einer Ménage-à-trois, denn als fanatische Neonazifrau. Rechte Militanz und Rassismus werden wieder Nischenthemen. Dabei zeigt sich die gesamte braune »Bewegung« gerade aggressiver denn je.
Genauso treten ihre Anhänger auch vor Gericht oder den Untersuchungsausschüssen auf. Provokant und offen ablehnend. Sie erkennen den Parlamentarismus und die Justiz nicht an – und kommen damit durch. Obwohl einige Nebenklagevertreter im Münchner Verfahren inzwischen zu absoluten Kennern der Materie geworden sind, finden sie nur wenig Gelegenheit, intensiver nachzuhaken und so eine umfassende Aufklärung zu ermöglichen. Man kann es selbst erleben, wie vor allem die Generalbundesanwaltschaft gegen allzu beharrliches Nachfragen interveniert. Vor allem ermöglicht diese Behörde wegen langjähriger Ermittlungen gegen die wichtigsten Neonazizeugen, dass diese vom Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch machen können. Ich bin doch sehr gespannt, ob auch nur eines der ewig laufenden Verfahren dann wirklich noch zur Anklage führt. Viele mutmaßlich involvierte NSU-Helfer dürften sich gefreut haben.
Rechnen Sie vor diesem Hintergrund überhaupt damit, dass der NSU-Terror jemals aufgeklärt wird?
Als Journalistin gebe ich die Hoffnung nicht auf. Wir haben eine starke offene Gesellschaft, die sich mit Floskeln nicht zufrieden gibt. Neonazis stellen eine größere alltägliche Bedrohung im gesamten Bundesgebiet dar als Salafisten, das erkennen immer mehr Menschen. Jeden zweiten Tag geschieht statistisch gesehen eine Gewalttat von rechts. Seit 1990 sind in Deutschland von Neonazis fast 200 Menschen ermordet worden. Allein schon daher haben wir die Verpflichtung, alles daran zu setzen, so viel wie möglich über die wahren NSU-Strukturen zu erfahren.
Schon seit Beginn der 1990er Jahre recherchieren und publizieren Sie zur extremen Rechten. Hatten Sie dieses Thema nicht irgendwann einmal satt?
Nein, ehrlich gesagt nicht. Ich wäre keine gute Tageszeitungsredakteurin geworden, zur globalen TV-Reporterin tauge ich nicht. Es ist heutzutage Luxus, sich intensiv mit einem Thema befassen zu können. Ich nehme mir Zeit. Außerdem mag ich das klassische Handwerk: mich einzulesen, vorzubereiten und dann Fragen zu stellen und vor Ort direkt zu schauen und zu dokumentieren. Ich glaube eher dem, was mir Betroffene berichten oder was wir selbst erleben als den Pressemitteilungen von Polizei oder Geheimdiensten. Die Neonaziszene ist äußerst heterogen und dynamisch. Da passiert ständig etwas.
Am 17. Juni werden Sie für Ihre Arbeit und Ihr Engagement in Düsseldorf vom Zentralrat der Juden in Deutschland mit dem Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage ausgezeichnet. Ist diese Ehrung auch ein wenig Wiedergutmachung für die Bedrohungen durch Nazis, denen Sie stets ausgesetzt waren?
Nein, dann müsste diese Wiedergutmachung nicht nur an mich, sondern vor allem auch an meine Kolleginnen und Kollegen gehen, die den gleichen Job wie ich machen und zum Teil viel härter angegangen werden. Es ist wirklich keine leichte Arbeit, vor allem nach der Hogesa- und Pegida-Bewegung sind weite Teile der Bevölkerung gegenüber den Medien enthemmter. Sogar Rentner beschimpfen uns als »Judenpresse«, spucken uns an. Angriffe nehmen zu. Es mangelt scheinbar auch an Verständnis für die Pressefreiheit bei der Polizei, denn die zeigt sich immer seltener gewillt, uns zu helfen.
Der Preis macht mich verlegen, weil ich nicht weiß, ob ich ihm gerecht werden kann – und er freut mich sehr! Das Preisgeld werde ich teilen, hoffentlich ist auch Zeit zum Feiern.
Andrea Röpke ist Diplom-Politologin und mehrfach preisgekrönte Journalistin und Autorin. Sie arbeitet seit Beginn der 1990er Jahre zum Thema Neofaschismus und extreme Rechte